Neuntes Kapitel.

Verschwenderisch bist mit Lächeln du,
Darob dein Zürnen man vergißt.
Dir jubeln tausend Inseln zu.
Wenn wieder du gekommen bist;
Die Herrlichkeit, von dir entsandt.
Badet in Wonne See und Land.
Der Himmel.

Es hilft vielleicht dem Leser zum bessern Verständniß der jetzt zu erzählenden Vorfälle, wenn er ein rasch skizzirtes Bild der Scene auf einmal seinem Auge dargelegt sieht. Man erinnert sich, daß der See ein unregelmäßig geformtes Becken bildete, dessen Umriß, im Ganzen betrachtet, oval war, aber mit Buchten und vorspringenden Punkten, welche die Gleichförmigkeit unterbrachen und seine Ufer zierten. Die Oberfläche dieses schönen Wasserspiegels glänzte jetzt wie ein Edelstein in den letzten Strahlen der Abendsonne, und die Einfassung des Ganzen – Hügel, mit dem üppigsten Waldgrün bekleidet – war von einer Art strahlendem Lächeln verklärt, wie es in den schönen Zeilen, die wir diesem Kapitel vorangestellt, am besten geschildert ist. Da die Ufer, mit wenigen Ausnahmen, dicht am Wasser steil hinanstiegen, auch wo der Berg nicht unmittelbar die Aussicht begrenzte, überhing den friedlichen See ein fast ununterbrochner Saum von Laub; denn die Bäume rangen sich von den steilen Anhöhen empor, neigten sich dem Licht zu, bis sie in manchen Fällen ihre langen Glieder und ihre geraden Stämme vierzig oder fünfzig Fuß weit von der perpendikularen Linie abweichend ausstreckten. Dieß galt freilich nur von den Riesen des Forstes, von Tannen, die hundert bis hundert und fünfzig Fuß hoch waren, denn von den kleinern Bäumen neigten sich sehr viele so sehr, daß sie die untern Zweige ins Wasser tauchten.

In der Stellung, welche die Arche jetzt einnahm, war das Castell durch einen vorspringenden Punkt dem Auge entzogen, so wie überhaupt das ganze nördliche Ende des See’s selbst. Ein ansehnlicher Berg mit Wald bekleidet, und rund wie alle übrigen, begrenzte in dieser Richtung die Aussicht, und dehnte sich unmittelbar über die ganze schöne Scene aus, mit Ausnahme einer tiefen Bai, die an seinem westlichen Ende sich hinzog, das Becken um mehr als eine Meile verlängernd. Die Art und Weise, wie das Wasser aus dem See abfloß, unter den belaubten Bögen der Bäume, welche die beiden Seiten des Flusses einfaßten, ist schon geschildert und es ist auch gesagt worden, daß der Fels, der in der ganzen Gegend ein Lieblingsplatz zur Verabredung von Zusammenkünften war und wo Wildtödter jetzt seinen Freund zu treffen erwartete, dieser Ausströmung nahe, und nicht sehr entfernt von der Küste stand. Es war ein großer, einzelner Stein, der auf dem Grund des Sees ruhte, dem Anschein nach zurückgeblieben, als die Wasser die Erde um ihn her wegrissen, um sich einen Durchgang durch das Flußbett zu erzwingen; und seine eigenthümliche Gestalt hatte er wohl durch den Einfluß der Elemente während des langen Verlaufs von Jahrhunderten bekommen. Die Höhe dieses Felsen konnte kaum sechs Fuß betragen, und wie schon gesagt, seine Gestalt war nicht unähnlich der gewöhnlichen Form von Bienenstöcken, oder einem Heuhaufen. Die letztere Vergleichung gibt in der That die beste Anschauung nicht nur von seiner Form, sondern auch von seinen Dimensionen. Er stand – und steht noch, denn wir schildern wirklich vorhandene Scenen – fünfzig Fuß vom Ufer entfernt und im Wasser, wo es nur zwei Fuß tief war, obwohl es auch Zeiten gab, wo sein abgerundeter Gipfel, wenn man diesen Ausdruck auf ihn anwenden darf, vom See ganz bedeckt war. Viele von den Bäumen dehnten sich so weit heraus, daß sie beinahe den Felsen mit der Küste vereinigten, wenn man beide in einiger Entfernung sah; und eine große Tanne insbesondere hing so darüber her, daß sie ein stolzes und passendes Dach bildete über einen Sitz, der manchen Häuptling des Waldes, während der langen Reihe unbekannter Jahrhunderte, wo Amerika mit Allem, was es enthielt, abgeschlossen in geheimnißvoller Einsamkeit als eine Welt für sich bestanden hatte, ebenso ohne eine bekannte Geschichte, wie einen, für die menschlichen Annalen erreichbaren Ursprung – mochte beherbergt haben.

Vom Ufer noch zwei bis dreihundert Fuß entfernt, zog Wildtödter sein Segel ein und warf seinen Anker aus, sobald er fand, daß die Arche in einer Linie hintrieb, die gerade auf den Felsen zustrebte. Die Bewegung des Fahrzeugs ward dann gestellt, worauf es durch die Wirkung des Lüftchens mit dem Vordertheil dem Winde zugekehrt wurde. Sobald dieß geschehen, gab Wildtödter Tau zu und ließ das Fahrzeug dem Felsen zutreiben, so rasch es der leise Luftzug vor sich her drängen mochte. Da es sehr wenig tief ging, war dieß bald geschehen, und der junge Mann hemmte seine Bewegung, als er sah, daß das Hintertheil der Fähre auf fünfzehn oder achtzehn Fuß dem beabsichtigten Platze nahe gekommen war.

Bei Ausführung dieses Manöuvers hatte sich Wildtödter sehr beeilt; denn während er nicht im Mindesten daran zweifelte, daß er von dem Feinde beobachtet und verfolgt werde, glaubte er, ihn in seinen Bewegungen, durch die anscheinende Unsicherheit seiner eigenen, irre gemacht zu haben; und er wußte, daß sie keine Mittel hatten zu erfahren, daß sein Absehen auf den Felsen gerichtet war, wenn nicht etwa Einer der Gefangnen ihn verrathen hatte, – ein an sich so unwahrscheinlicher Fall, daß er sich darüber keine unruhigen Gedanken machte. Trotz der Raschheit und Entschiedenheit seiner Bewegungen jedoch wagte er sich nicht der Küste so nahe, ohne die gehörigen Vorsichtsmaßregeln zum Behuf eines Rückzugs zu treffen, falls dieser nothwendig würde. Er selbst hielt das Tau in der Hand, und Judith war an einem Guckloch auf der dem Land zugekehrten Seite der Kajüte aufgestellt, wo sie die Küste und die Felsen beobachten, und zeitig Nachricht geben konnte von dem Nahen eines Freundes oder Feindes. Hetty war auch auf einen Wachposten gestellt, aber sie sollte nur auf die Bäume über ihnen Acht haben, damit nicht ein Feind einen besteige, und durch vollständige Beherrschung des Innern des Fahrzeugs die Vertheidigung des Häuschens oder der Cajüte vereitle.

Die Sonne hatte sich vom See und Thal zurückgezogen, als Wildtödter die Arche in der genannten Weise stille stehen machte. Doch fehlten noch einige Minuten bis zum eigentlichen Sonnenuntergang, und er kannte die indianische Pünktlichkeit zu gut, um eine unmännliche Hast bei seinem Freunde vorauszusetzen. Die große Frage war, ob er, umgeben von Feinden, wie man dieß wußte, ihren Netzen zu entgehen vermocht habe. Die Vorfälle der letzten vierundzwanzig Stunden mußten ihm ein Geheimniß seyn, und wie Wildtödter war auch Chingachgook noch jung auf dem Kriegspfade. Zwar kam er allerdings gefaßt darauf, der Truppe zu begegnen, welche seine verlobte Braut festhielt, aber er hatte keine Mittel, sich über den Umfang der Gefahr, die er lief, zu vergewissern, noch auch über die eigentliche Stellung, welche Freunde und Feinde inne hatten. Mit Einem Wort, der geübte und ausgebildete Scharfblick und die unermüdliche Vorsicht eines Indianers waren Alles, worauf er unter den bedenklichen Gefahren, denen er sich unvermeidlich aussetzte, angewiesen war.

»Ist der Fels leer, Judith?« fragte Wildtödter, sobald er die Bewegung der Arche gehemmt hatte, da er für unklug hielt, ohne Noth sich der Küste nahe zu wagen. »Ist Nichts zu sehen von dem Delawarischen Häuptling?«

»Nichts, Wildtödter. Weder Fels, Küste, Baum noch See scheinen je eine menschliche Gestalt gekannt zu haben.«

»Nehmt Euch in Acht, Judith, – nehmt Euch in Acht, Hetty – eine Büchse hat ein spähendes Auge, einen raschen Fuß, und eine verzweifelt unheilvolle Zunge. Nehmt Euch denn in Acht, aber gebt auch recht Acht, und seyd flink und rüstig! Es thäte mir herzlich leid, wenn Einer von Euch ein Leid zustieße!«

»Und Euch, Wildtödter!« rief Judith, ihr schönes Gesicht von dem Guckloch wegwendend, um dem jungen Mann einen huldvollen und dankbaren Blick zuzuwerfen; »Nehmt Ihr Euch in Acht, und sorgt, daß die Wilden nicht Eurer ansichtig werden! Eine Kugel könnte Euch ebenso unheilvoll werden, als Einer von uns; und der Schlag, der Euch träfe, würde von Allen empfunden.«

»Seyd ohne Furcht um mich, Judith – seyd ohne Furcht um mich, mein gutes Mädchen. Seht nicht hierher, obgleich Euer Blick recht freundlich und lieblich ist, sondern richtet Euer Auge auf den Felsen, und die Küste, und den –«

Wildtödter ward unterbrochen durch einen leisen Ausruf des Mädchens, das, seinen dringenden und hastigen Geberden ebenso wie seinen Worten gehorsam, sogleich wieder ihr Auge nach der entgegengesetzten Richtung gewendet hatte.

»Was ist’s? – Was ist’s, Judith?« fragte er hastig; »Ist Etwas zu sehen?«

»Dort ist ein Mann, auf dem Felsen! – ein indianischer Krieger, in seiner Bemalung, und bewaffnet!«

»Wo trägt er seine Falkenfeder?« fragte wieder Wildtödter lebhaft, und ließ das Tau nach, um sich dem Ort der Zusammenkunft zu nähern. »Ist sie dicht an der Kriegslocke, oder trägt er sie über dem linken Ohr?«

»Wie Ihr sagt, über dem linken Ohr; er lächelt auch, und flüstert das Wort: Mohikan.«

»Gott sey gelobt, es ist die Schlange, endlich!« rief der junge Mann, und ließ das Tau durch seine Hände gleiten, bis er am andern Ende des Fahrzeugs einen leichten Sprung hörte; worauf er augenblicklich mit dem Nachgeben des Seils inne hielt, und wieder anfing, es einzuziehen, versichert, daß sein Zweck erfüllt war.

In diesem Augenblick ward die Thüre der Cajüte hastig geöffnet, und ein Krieger, durch das kleine Gemach eilend, stand neben Wildtödter, und ließ nur den einfachen Ausruf: »Hugh« hören. Im nächsten Augenblick kreischten Judith und Hetty auf, und die Luft ward erfüllt von dem gellenden Geschrei von zwanzig Wilden, welche durch die Zweige zum Ufer herab sprangen, und von denen Einige in ihrer Hast der Länge nach ins Wasser stürzten.

»Zieht, Wildtödter,« schrie Judith, hastig die Thüre schließend, um ein Eindringen durch die Oeffnung zu verhindern, welche so eben den Delawaren eingelassen hatte, »zieht, auf Leben und Tod – der See ist voll von Wilden, die uns nach waten!«

Die jungen Männer – denn Chingachgook eilte sofort seinem Freunde beizustehen – erwarteten keine zweite Aufforderung, sondern sie erfüllten von selbst ihre Aufgabe mit einem Eifer, welcher zeigte, wie dringend ihnen die Gefahr erschien. Die große Schwierigkeit war, so plötzlich die vis inertiae einer so großen Masse zu überwinden; denn war die Fähre einmal in Bewegung, so war es leicht, sie das Wasser mit aller wünschenswerthen Schnelligkeit durchschneiden zu machen.

»Zieht, Wildtödter, ums Himmels willen!« schrie Judith wieder an ihrem Guckloch; »diese Elenden stürzen ins Wasser wie Hunde, die ihre Beute verfolgen! Ah! die Fähre bewegt sich! und jetzt wird das Wasser tiefer, und geht dem Vordersten schon bis unter die Schulter – und doch eilen sie vorwärts und wollen die Arche packen!«

Ein leichtes Kreischen und dann ein fröhliches Gelächter des Mädchens folgte nun; die Ursache von jenem war ein verzweifelter Versuch ihrer Verfolger, und von diesem dessen Mißlingen; die Fähre, welche jetzt tüchtig in Bewegung gesetzt war, glitt bald auf tieferem Wasser, das Vordertheil voran, mit einer Geschwindigkeit hin, welche die Anschläge der Feinde vereitelte. Da die beiden Männer durch die dazwischenliegende Cajüte verhindert waren zu sehen, was hinten vorging, mußten sie die Mädchen nach dem Stand der Jagd fragen. »Was jetzt, Judith? Was dann? Verfolgen uns die Mingo’s noch, oder sind wir ihrer für den Augenblick entledigt?« fragte Wildtödter, wie er das Tau schlaff werden fühlte, als eilte nunmehr die Fähre rasch von selbst weiter, und das Kreischen und Lachen des Mädchens beinahe in Einem Athem vernahm.

»Sie sind verschwunden! – Einer, der letzte, versteckt sich gerade in den Büschen des Ufers – dort ist er verschwunden in den Schatten der Bäume. Ihr habt nun Euren Freund, und wir sind Alle sicher!«

Die beiden Männer machten jetzt wieder eine große Anstrengung, zogen die Arche schnell bis zu dem Anker hinauf, lichteten diesen, und als die Fähre noch eine Strecke Wegs zurückgelegt und ihre Bahn verloren hatte, warfen sie wieder den Anker aus; und jetzt zum erstenmal seit ihrem Wiedersehen hielten sie in ihrer schweren Arbeit inne. Nachdem das schwimmende Haus einige hundert Fuß von der Küste entfernt lag, und vollkommnen Schutz gegen Kugeln bot, war weiter keine Gefahr, und kein Grund zur Anstrengung ihrer Kräfte im Augenblick vorhanden.

Die Art, wie die beiden Freunde jetzt einander begrüßten, war höchst charakteristisch. Chingachgook, ein edler, großer, schöner und athletischer junger indianischer Krieger besichtigte zuerst sorgfältig seine Büchse, öffnete die Pfanne, um sich zu versichern, daß das Pulver darauf nicht naß geworden; warf, nachdem er sich dieses wichtigen Umstandes vergewissert, verstohlene aber beobachtende Blicke um sich auf die seltsame Behausung und die beiden Mädchen; noch immer aber sprach er nicht, und besonders vermied er durch Fragen irgend eine weibische Neugierde an den Tag zu legen.

»Judith und Hetty,« sagte Wildtödter mit unangelernter, natürlicher Höflichkeit, »dieß ist der Mohikanische Häuptling, von welchem ich Euch gesprochen, Chingachgook, wie er genannt ist, was »große Schlange« bedeutet; so genannt wegen seiner Weisheit und Klugheit und List, und mein erster und letzter Freund. Ich wußte, daß er es seyn müsse, durch die Falkenfeder über dem linken Ohr, denn die meisten andern Krieger tragen sie an der Kriegslocke.«

Nachdem Wildtödter so gesprochen, lachte er herzlich, mehr aufgeregt vielleicht durch die Freude, seinen Freund unter so drohenden Umständen nun doch wohlbehalten an seine Seite bekommen zu haben, als durch irgend einen Einfall, der etwa zufällig ihm durch den Sinn fuhr: und dieser Ausbruch seiner Empfindungen war etwas auffallend dadurch, daß er von gar keinem Geräusch begleitet war. Obgleich Chingachgook das Englische verstand und sprach, mochte er doch seine Gedanken nicht in dieser Sprache mittheilen, wie die meisten Indianer; und nachdem er Judiths herzliches Händeschütteln und Hetty’s sanftere Begrüßung in der höflichen Weise aufgenommen, wie es einem Häuptling geziemte, wandte er sich weg, offenbar um den Augenblick zu erwarten, wo es seinem Freund belieben möchte, ihm seine weitern Absichten auseinander zu setzen, und ihm zu erzählen, was seit ihrer Trennung sich begeben hatte. Der Andere verstand seinen Wunsch, und offenbarte seine Denk- und Schlußweise in der Sache durch seine Anrede an die Mädchen.

»Dieser Wind wird bald sich ganz legen, nachdem die Sonne unter ist,« sagte er, »und es ist nicht nöthig dagegen zu rudern. In etwa einer halben Stunde wird völlige Windstille seyn, oder der Wind wird von der Südküste her wehen, wo wir dann unsern Rückweg zum Castell antreten wollen; mittlerweile wollen der Delaware und ich über allerlei Sachen uns besprechen, und Jeder nach den Begriffen des Andern seine Ansicht berichtigen über das Verfahren, das wir einzuschlagen haben.«

Niemand widersprach diesem Vorschlag, und die Mädchen entfernten sich in die Cajüte, um die Abendmahlzeit zu beschicken, während die beiden jungen Männer sich auf dem Vordertheil des Fahrzeugs setzten und ein Gespräch begannen. Die Unterredung ward in der Sprache der Delawaren geführt. Da jedoch dieser Dialekt selbst von Gelehrten wenig gekannt ist, wollen wir bei dieser wie bei allen künftigen Gelegenheiten solche Gespräche, die wir genauer mitzutheilen für nöthig erachten, in unsre Sprache übertragen und die Idiome und Eigenthümlichkeiten der Redenden in sofern zu wahren suchen, daß wir die von ihnen gebrauchten Bilder und Redefiguren dem Geiste der Leser in der treuesten und anschaulichsten Weise nahe bringen.

Es ist unnöthig auf die Einzelnheiten einzugehen, welche Wildtödter zuerst berichtete, indem er eine kurze Erzählung der unsern Lesern schon bekannten Thatsachen gab. Erwähnt muß jedoch werden, daß der Erzähler hier nur die Umrisse berührte, und namentlich sich enthielt, Etwas von seinem Kampf mit dem Irokesen und seinem Siege, so wie auch von seinen Bemühungen zu Gunsten der verlassenen Mädchen zu sagen. Als Wildtödter zu Ende war, begann auch der Delaware seine Erzählung und sprach in häufigen Sentenzen, mit viel Ernst und Würde. Sein Bericht war klar und kurz, auch mit keinen Vorfällen ausgeschmückt, die nicht geradezu die Geschichte seiner Reise von den Ortschaften seines Volkes und seine Ankunft im Thal des Susquehannah betroffen hätten. Als er letzteres erreichte, und zwar an einem Punkt, der nur eine halbe Meile südlich von der Ausströmung lag, hatte er bald eine Spur aufgefunden, die ihm die zu vermuthende Nähe von Feinden verrieth. Da er auf ein solches Begebnis vorbereitet war, und ihn ja der Zweck seines Zuges unmittelbar in die Nähe der Truppe von Irokesen rief, von welcher man wußte, daß sie umherstreife, betrachtete er die Entdeckung eher als ein Glück, denn als das Gegentheil, und traf die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln, um daraus Nutzen zu ziehen. Zuerst folgte er dem Fluß bis zu seinem Ursprung, merkte sich die Lage des Felsens genauer, fand dann wieder eine Spur, und war wirklich schon Stunden lang um die Feinde von verschiedenen Seiten herumgestreift, gleicherweise eine Gelegenheit abwartend, seine Geliebte zu treffen, und einen Skalp zu erbeuten; und es mag die Frage seyn, was er am sehnlichsten wünschte. Er hielt sich in der Nähe des See’s und wagte sich gelegentlich an diesen oder jenen Ort, wo er übersehen konnte, was auf seinem Spiegel vorging. Die Arche war gesehen und beobachtet worden von dem Augenblick an, wo sie in den Bereich des Gesichts kam, obwohl der junge Häuptling natürlich nicht wußte, daß sie das Mittel werden sollte, seine gewünschte Vereinigung mit dem Freunde zu bewirken. Die Unsicherheit ihrer Bewegungen, und der Umstand, daß sie unstreitig von Weißen gelenkt wurde, führte ihn jedoch auf die Vermuthung der Wahrheit, und er hielt sich gefaßt, an Bord derselben zu gehen, sobald sich eine geeignete Gelegenheit darböte. Als die Sonne sich zum Horizont herabsenkte, begab er sich auf den Felsen, wo er, als er aus dem Wald hervortauchte, zu seiner Freude die Arche liegen sah, offenbar bereit, ihn aufzunehmen. Die Art und Weise seines Erscheinens und seines Eintritts in das Fahrzeug ist schon bekannt.

Obgleich Chingachgook seine Feinde Stunden lang genau beobachtet hatte, war doch ihre plötzliche und scharfe Verfolgung, als er die Fähre erreichte, ihm ebenso überraschend, wie seinem Freunde. Er konnte sie sich nur erklären durch den Umstand, daß sie zahlreicher waren, als er zuerst geglaubt, und daß sie Truppe ausgestellt hatten, von deren Vorhandenseyn er Nichts gewußt. Ihr regelmäßiges und bleibendes Lager, wenn das Wort bleibend gebraucht werden darf von dem Aufenthaltsort einer Bande, die aller Wahrscheinlichkeit nur ein paar Wochen aus zu seyn beabsichtigte, war nicht fern von der Stelle, wo Hutter und Hurry in ihre Hände gefallen waren, und natürlich in der Nähe einer Quelle.

»Nun, Schlange,« fragte Wildtödter, als der Andre seine kurze aber lebendige Erzählung beendigt hatte, und zwar in der Delawarensprache, die wir nur zur Bequemlichkeit des Lesers nicht beibehalten haben – »nun Schlange, da Ihr um diese Mingo’s herum spionirt habt: könnt Ihr uns Etwas berichten von ihren Gefangenen; dem Vater dieser Mädchen, und noch Einem, der, wie ich vermuthe, der Liebhaber der Einen von ihnen ist?«

»Chingachgook hat sie gesehen. Ein alter Mann und ein junger Krieger – die fallende Schierlingstanne und die hohe Tanne.«

»Ihr habt’s nicht übel getroffen, Delaware, Ihr habt’s nicht übel getroffen. Der alte Hutter ist wirklich halb zerfallen, obgleich manche tüchtige Klötze noch aus seinem Stamm gehauen werden könnten; und was Hurry Harry anlangt, nach Höhe, Stärke und hübschem Aussehen könnte er wohl der Stolz des menschlichen Waldes genannt werden. Waren die Männer gebunden, oder erlitten sie in irgend einer Weise Martern? Ich frage wegen der jungen Weiber, die, glaub‘ ich, sehr verlangend sind, Etwas zu erfahren.«

»Nicht so, Wildtödter. Die Mingo’s sind so Viele, daß sie ihr Wild nicht in einen Käfig zu sperren brauchen. Einige wachen. Einige schlafen, Einige lauern, Andere jagen. – Die Bleichgesichter werden heute wie Brüder behandelt; morgen werden sie ihre Skalpe verlieren.«

»Ja, das ist rothe Natur, und darein muß man sich schicken! Judith und Hetty, da ist tröstliche Botschaft für Euch! Der Delaware erzählt mir, daß weder Euer Vater noch Hurry Harry Martern zu leiden haben; daß sie, abgerechnet den Verlust der Freiheit, sich so wohl befinden wie wir. Natürlich werden sie im Lager gehalten; im Uebrigen thun sie, was ihnen beliebt.«

»Das freut mich zu hören, Wildtödter,« versetzte Judith, »und jetzt, nachdem Euer Freund bei uns ist, zweifle ich nicht im Mindesten daran, daß wir Gelegenheit finden werden, die Gefangenen auszulösen. Wenn Weiber im Lager sind, so habe ich schon Kleidungsstücke, die ihr Auge blenden sollen; und wenn es zum Schlimmsten käme, könnten wir den guten Schrank öffnen, der, so glaube ich, Sachen in seinem Innern enthalten und offenbaren dürfte, welche die Häuptlinge wohl locken werden.« »Judith,« sagte der junge Mann, sie anblickend mit einem Lächeln und einem Ausdruck ernster Neugier, der trotz der wachsenden Dunkelheit dem beobachtenden Blicke des Mädchens nicht entging, »könnt Ihr es übers Herz bringen, Euch von Euren schönen Sachen zu trennen, um Gefangne zu befreien, von denen freilich der Eine Euer eigner Vater, der Andre Euer geschworner Liebhaber und Freier ist?«

Die Röthe, die sich über das Antlitz des Mädchens ergoß, hatte ihren Grund theils in Verdruß und Unmuth, vielleicht aber noch mehr in einem edlern, neuen Gefühle, das, in Verbindung mit dem launenhaften Eigensinn ihres Geschmacks, sie binnen kurzer Zeit empfindlicher für die gute Meinung des ihr jene Frage vorlegenden Jünglings gemacht hatte, als sie gegen das Urtheil jedes Andern war. Mit instinktartiger Raschheit die Anwandlung von Aerger unterdrückend, antwortete sie mit einer Geradheit und Wahrheit, welche ihre Schwester herbeizogen, um auch zuzuhören, obgleich der stumpfe Geist Hetty’s keineswegs die Bewegungen eines Herzens zu verstehen vermochte, das so verrätherisch, so unzuverlässig und so ungestüm in seinen Gefühlen war, wie das der verwöhnten und vielgeschmeichelten Schönen.

»Wildtödter,« antwortete Judith nach einer augenblicklichen Pause, »ich will ehrlich seyn gegen Euch, Ich gestehe, es war eine Zeit, wo das, was Ihr schöne Sachen nennt, mir das Liebste auf Erden war; aber ich fange an, andres zu denken und zu fühlen. Obgleich Hurry Harry mir Nichts ist, Nichts werden kann, würde ich doch Alles, was ich besitze, hingeben, ihn frei zu machen. Wenn ich dieß thäte für den tobenden, tollen, geschwätzigen Hurry, der nichts Empfehlendes hat als sein gutes Aussehen, könnt Ihr darnach schließen, was ich für meinen Vater thäte.«

»Das klingt gut, und ist gemäß eines Weibes Gaben. Ach ja freilich! dasselbe Gefühl findet sich auch wohl bei den jungen Weibern der Delawaren. Ich habe sie oft und viel ihre Eitelkeit ihrem Herzen opfern sehen. Es ist wie es seyn soll – es ist wie es sich nach meiner Ansicht gebührt für beide Farben. Das Weib ward geschaffen zum Gefühl und wird meist auch beherrscht vom Gefühl.«

»Würden die Wilden Vater gehen lassen, wenn Judith und ich ihnen alle unsre besten Sachen gäben?« fragte Hetty in ihrer unschuldigen sanften Weise.

»Ihre Weiber würden sich drein legen, gute Hetty; ja ihre Weiber würden sich wohl drein legen, wenn sie so Etwas in Aussicht hätten. Aber sagt mir, Schlange, wie ist es mit Weibern unter den Schurken; haben sie viele von ihren eignen Frauen im Lager?«

Der Delaware hörte und verstand Alles, was vorging; obgleich er mit indianischem Ernst und Feinheit, abgekehrten Gesichts, dagesessen hatte, anscheinend nicht achtend auf ein Gespräch, das ihn nicht unmittelbar anging. Jetzt aber, wo er angeredet und befragt wurde, antwortete er seinem Freund in seiner gewöhnlichen kurzen und sentenziösen Weise.

»Sechs!« sagte er, alle Finger der einen Hand und den Daumen der andern emporhaltend, »außer dieser!« die diese bedeutete seine Verlobte; und mit der Poesie und Wahrheit der Natur bezeichnete er sie dadurch, daß er seine Hand auf’s Herz legte.

»Habt Ihr sie gesehen, Häuptling – seyd Ihr ihres lieblichen Antlitzes ansichtig geworden, oder ihrem Ohr nahe genug gekommen, um darein das Lied zu singen, das sie so liebt?«

»Nein, Wildtödter – die Bäume waren zu viele, und Laub bedeckte ihre Aeste, wie Wolken den Himmel bei Gewittern. Aber,« und der junge Krieger wandte sein dunkles Angesicht gegen seinen Freund mit einem Lächeln darauf, das seine trotzig aussehende Bemalung und seine von Natur finstre Züge mit einem lichten Strahl menschlichen Gefühles verklärte, »Chingachgook hat das Lachen von Wah-ta!-Wah gehört; er unterschied es von dem Lachen der Weiber der Irokesen. Es klang in sein Ohr wie das Zwitschern des Zaunkönigs.«

»Ja, darin kann man sich auf eines Liebhabers Ohr verlassen, und auf das eines Delawaren in Betreff aller Töne, die man je in den Wäldern hört. Ich weiß nicht, wie es kommt, Judith, aber wenn junge Männer – und ich glaube fast, es ist ganz ebenso auch bei jungen Weibern – nun, wenn sie zärtliche Gefühle gegen einander bekommen, so ist es wunderbar, wie lieblich das Lachen oder das Sprechen des Einen dem Andern zu tönen anfängt. Ich habe grimmige Krieger dem Plaudern und Lachen junger Mädchen lauschen sehen, als wäre es Kirchenmusik, – so wie man hört in der alten holländischen Kirche, die in der großen Straße von Albany steht, wo ich mehr als einmal mit Pelzwerk und Wildpret gewesen bin.«

»Und Ihr, Wildtödter,« sagte Judith rasch, und mit mehr Empfindung als man sonst in ihrem gewöhnlich so leichten und gleichgültigen Wesen bemerkte, »habt Ihr nie empfunden, wie angenehm es ist, dem Lachen eines geliebten Mädchens zu lauschen?«

»Gott tröste Euch, Mädchen! – ha, ich habe nie lang genug unter meiner eignen Farbe gelebt, um in diese Gattung von Gefühlen zu verfallen – nein, nie! Ich glaube wohl, sie sind natürlich und recht; aber für mich ist keine Musik so schön, als das Pfeifen des Windes in den Gipfeln der Bäume, und das Rauschen eines Baches aus seiner vollen, blitzenden, heimathlichen Quelle reinen frischen Wassers; außer etwa,« fuhr er fort und senkte einen Augenblick nachdenklich den Kopf, »außer etwa ja, der offene Rachen eines zuverlässigen Hundes, wenn ich einem fetten Bock auf der Fährte bin. Was unzuverlässige Hunde sind, nach deren Gebell frage ich wenig, in Betracht, daß sie ebenso oft anfangen zu bellen, wenn das Wild nicht zu sehen, als wenn dieß der Fall ist.«

Judith schritt langsam und nachdenklich weg, auch lag Nichts von ihrer gewöhnlichen berechnenden Koketterie in dem leisen, bebenden Seufzer, der, ihr selbst unbewußt, ihrem Munde entschwebte. Anderntheils horchte Hetty mit argloser Aufmerksamkeit, obgleich es ihrem einfachen Geist als sonderbar auffiel, daß der junge Mann die Melodie der Wälder den Gesängen von Mädchen oder gar dem Lachen der Unschuld und Freude vorziehen sollte. Gewohnt jedoch, in den meisten Dingen sich nach ihrer Schwester zu bequemen, folgte sie bald Judith in die Cajüte, wo sie einen Sitz nahm und längere Zeit tief brütete über einen Vorfall oder Einen Entschluß, oder eine Meinung, wovon außer ihr kein Mensch wußte. Wildtödter und sein Freund, jetzt allein, setzten nun ihr Gespräch fort.

»Ist der junge Bleichgesicht-Jäger schon lange an diesem See?« fragte der Delaware, nachdem er höflich abgewartet, ob nicht der Andere zuerst sprechen werde.

»Erst seit gestern Mittag, Schlange; und doch war dieß lang genug, um Viel zu erleben und zu thun.« Der Blick, den der Indianer auf seinen Genossen heftete, war so scharf, daß er der wachsenden Dunkelheit der Nacht zu spotten schien. Als der Andere verstohlen seinen Blick erwiederte, sah er die zwei scharfen Augen sich anblitzen, wie die Augäpfel des Panthers oder des hungrigen Wolfs. Er verstand den Sinn dieser glühenden Augen, und antwortete ausweichend, wie es nach seiner Meinung sich am besten schickte für die Bescheidenheit eines Mannes mit weißen Gaben.

»Es ist wie Ihr vermuthet, Schlange; ja, es ist Etwas der Art. Ich bin auf einen Feind gestoßen; und ich denke, man kann auch sagen, ich habe mit ihm gekämpft.«

Ein Ausruf der Freude und des Jubels entfuhr dem Indianer; und dann mit der Hand lebhaft den Arm seines Freundes fassend, fragte er ihn, »ob auch Skalpe erbeutet worden seyen.«

»Das ist, will ich gegen den ganzen Stamm der Delawaren, gegen den alten Tamenund und Euern Vater, den großen Uncas, wie gegen alle Uebrigen keck behaupten, das ist gegen die Gaben eines Weißen! Mein Skalp ist auf meinem Kopf, wie Ihr seht, Schlange, und das war der einzige Skalp, der in Gefahr war, da die eine Partei ganz christlich und weiß war.«

»Fiel kein Krieger? – Wildtödter bekam seinen Namen nicht dadurch, daß er von schläfrigem Auge oder ungeschickt mit der Büchse war!«

»In diesem Punkt, Häuptling, sprecht Ihr vernünftiger und kommt daher der Wahrheit näher. Ich darf sagen, ein Mingo ist gefallen.«

»Ein Häuptling?« fragte der Andere mit ungestümer Heftigkeit.

»Nein, das ist Mehr als ich weiß oder sagen kann. Er war schlau, und verrätherisch, und herzhaft, und mag wohl Beifall genug unter seinem Volke sich erworben haben, um zu dieser Würde erhoben zu werden. Der Mann kämpfte gut, obgleich sein Auge nicht schnell genug war für einen Mann, der seine Schule in Eurer Gesellschaft gemacht, Delaware!«

»Mein Bruder und Freund schlug den Mann doch nieder?«

»Ich brauchte das nicht, sintemal der Mingo in meinen Armen starb. Ich kann wohl die Wahrheit gerade heraus sagen; er kämpfte wie ein Mann mit rothen Gaben, und ich wie ein Mann mit Gaben von meiner Farbe. Gott gab mir den Sieg, ich konnte nicht seine Vorsehung ins Angesicht schlagen, indem ich meine Geburt und Natur vergessen hätte. Weiß schuf er mich, und weiß will ich leben und sterben.«

»Gut! Wildtödter ist ein Bleichgesicht und hat Hände eines Bleichgesichts. Ein Delaware wird nach dem Skalp sehen, und ihn auf einen Pfahl hängen, und ein Lied zu seiner Ehre singen, wenn wir zurückgehen zu unserm Volke. Die Ehre gehört dem Stamme; sie darf nicht verloren gehen.«

»Das ist leicht gesagt, aber nicht so leicht gethan. Des Mingo’s Leichnam ist in den Händen seiner Freunde, und ohne Zweifel in einer Höhle verborgen, wo Delawarenlist dem Skalp nie beikommen wird.« Der junge Mann gab dann seinem Freunde einen kurzen aber klaren Bericht von dem Ereigniß des Morgens, Nichts von irgend einigem Belang verhehlend, und doch Alles bescheiden, und mit sorgfältiger Aufmerksamkeit, die indianische Prahlerei zu vermeiden, berührend. Chingachgook drückte wieder seine Freude aus über die von seinem Freunde gewonnene Ehre, und dann standen Beide auf, da die Stunde gekommen war, wo die Klugheit rieth, die Arche weiter vom Land zu entfernen.

Es war jetzt ganz dunkel; der Himmel umwölkt und die Sterne verdeckt. Der Nordwind hatte aufgehört, wie gewöhnlich bei Sonnenuntergang, und ein leiser Luftzug erhob sich von Süden. Da dieß Umschlagen die Absichten Wildtödters begünstigte, lichtete er seinen Anker, und das Fahrzeug fing sogleich und ganz merklich an, weiter in den See hinein zu treiben. Das Segel ward aufgezogen, wodurch die Bewegung des Fahrzeugs zu einer Schnelligkeit von nicht viel weniger als zwei Meilen in der Stunde stieg. Da dieß das Rudern entbehrlich machte – eine Arbeit, nach welcher ein Indianer selten lüstern war – setzten sich Wildtödter, Chingachgook und Judith auf das Hintertheil der Fähre, wo der Erstere mit dem Steuerruder ihre Bewegungen lenkte. Hier besprachen sie sich über ihre künftigen Maßregeln, und über die Mittel, deren man sich bedienen müsse, um die Befreiung ihrer Freunde zu bewirken.

Zu diesem Gespräch trug Judith das Wesentlichste bei; der Delaware verstand ohne Mühe Alles, was sie sagte, seine Antworten und Bemerkungen aber, welche beide selten und kurz waren, wurden gelegentlich von seinem Freund ins Englische übertragen. Judith stieg in der nächsten halben Stunde bedeutend in der Achtung ihres Genossen. Rasch im Entschluß und fest in ihren Absichten, zeugten ihre Vorschläge und Auskunftsmittel von ihrem Muth und ihrem Scharfblick, und beide waren von der Art, daß sie wohl bei Grenzmännern Gunst finden mochten. Die seit ihrer Bekanntschaft vorgefallenen Ereignisse, so wie ihre vereinzelte und abhängige Lage flößten dem Mädchen ein Gefühl gegen Wildtödter ein, als wäre es eine jahrelange Freundschaft, und nicht die Bekanntschaft eines Tags, was sie verband; und so gänzlich war sie gewonnen durch die arglose Wahrhaftigkeit seines Charakters und Gemüths – für sie, so weit ihre Erfahrung reichte, völlige Neuigkeiten an unsrem Geschlecht – daß seine Eigenthümlichkeiten ihre Neugierde rege gemacht, und ein Zutrauen in ihr erweckt hatten, das sie noch nie gegen einen andern Mann empfunden hatte. Bisher hatte sie sich genöthigt gesehen, bei ihrem Verkehr mit Männern sich vertheidigungsweise zu verhalten – mit welchem Erfolg, wußte sie selbst am besten; aber jetzt sah sie sich plötzlich in die Gesellschaft und unter den Schutz eines Jünglings versetzt, der offenbar so wenig Arges gegen sie im Sinne hatte, als wäre er ihr Bruder gewesen. Die Frische seiner Unschuld und Rechtlichkeit, die Poesie und Wahrheit seiner Gefühle, und selbst die Eigenheit seiner Redeweise – Alles äußerte einen Einfluß auf sie, und trug dazu bei, ein Interesse in ihr zu erwecken, das, wie sie fand, ebenso rein als plötzlich und tief war. Hurry’s hübsches Gesicht und männliche Gestalt hatten ihr nie sein lärmendes und gemeines Wesen vergütet; und ihr Verkehr mit den Officieren hatte sie Vergleichungen anstellen gelehrt, bei welchen selbst seine großen natürlichen Vorzüge zu kurz kamen. Aber eben dieser Verkehr mit den Officieren, welche gelegentlich an den See kamen, um zu fischen und zu jagen, wirkte auch mit auf ihre jetzigen Gesinnungen und Empfindungen gegenüber dem jungen Fremden. Die Bekanntschaft mit ihnen hatte sie, während ihre Eitelkeit dadurch geschmeichelt und ihre Eigenliebe geweckt worden war, vielen Grund, tief zu bereuen – wenn nicht gar, in geheimem Kummer darüber zu trauern – denn es hatte ihr bei ihrem lebhaften, raschen Verstand die Beobachtung unmöglich entgehen können, wie hohl der Umgang und Verkehr zwischen Höhern und Geringern sey, und daß sie selbst von den bestgesinnten und am wenigsten berechnenden und listigen unter ihren scharlachröckigen Bewunderern mehr als das kurzweilige Spielzeug einer müssigen Stunde, denn als Gleichgestellte und Freundin betrachtet wurde. Wildtödter dagegen hatte ein Fenster vor seiner Brust, durch welches das Licht seiner Ehrlichkeit immer leuchtete; und selbst seine Gleichgültigkeit gegen Reize, die so selten verfehlten einen lebhaften Eindruck zu machen, spannte den Stolz des Mädchens und verlieh ihm in ihren Augen ein Interesse, das ein Anderer, anscheinend mehr von der Natur begünstigt, nicht leicht erregt hätte.

In dieser Weise verstrich eine halbe Stunde, während welcher die Arche langsam über das Wasser hinglitt, indeß das Dunkel umher immer dichter wurde; obgleich man noch wohl bemerkte, daß der schwarze Wald am südlichen Ende des See’s ferner rückte, während die Berge, welche die Seiten des schönen Beckens einfaßten, ihn beinahe von einer Seite zur andern überschatteten. Doch war noch ein schmaler Streif Wasser in der Mitte des See’s, wo das dämmernde Licht, das noch vom Himmel sich ergoß, auf seinen Spiegel in einer nördlich und südlich sich ausdehnenden Linie fiel; und entlang diesem schwachen Streifen, – eine Art umgekehrter Milchstraße, wo die Dunkelheit nicht so dicht war als an andern Stellen – verfolgte die Fähre ihren Lauf, da ihr Steuermann wohl wußte, daß dieß die gewünschte Richtung sey. Der Leser darf jedoch nicht glauben, es habe irgend eine Schwierigkeit, die einzuhaltende Richtung betreffend, gewaltet. Diese wäre bestimmt worden durch die Strömung des Windes, hätte man auch nicht mehr die Berge unterscheiden können, so wie auch durch die dämmernde Lichtung nach Süden zu, welche die Lage des Thals nach dieser Seite, auf der Ebene von großen Bäumen durch eine etwas verminderte Dunkelheit bezeichnete; – der Unterschied zwischen dem Dunkel des Waldes und dem Dunkel der nur als Luft gesehenen Nacht. Diese Eigenthümlichkeiten nahmen endlich die Aufmerksamkeit Judiths und Wildtödters in Anspruch, und das Gespräch hörte auf, wodurch Jedes Muße erhielt, die feierliche Stille und tiefe Ruhe der Natur zu betrachten.

»Es ist eine finstre Nacht,« bemerkte das Mädchen nach einer Pause von einigen Minuten. »Ich hoffe, wir werden doch das Castell finden können.«

»Daß wir das verfehlen, ist wenig zu besorgen, wenn wir nur diese Richtung in der Mitte des See’s behalten,« versetzte der junge Mann. »Die Natur hat uns hier eine Bahn gemacht, und so finster es ist, wird es doch wenig Schwierigkeit haben, sie zu verfolgen.«

»Hört Ihr nichts, Wildtödter? Es war, als ob das Wasser ganz in unsrer Nähe rauschte.«

»Gewiß hat Etwas das Wasser in Bewegung gebracht, auf eine ungewöhnliche Art; es muß ein Fisch gewesen seyn. Diese Creaturen machen auf einander Jagd, wie Menschen und Thiere auf dem Land; Einer ist in die Luft gesprungen, und ist schwerfällig wieder heruntergesunken in sein Element. Es nützt sie wenig, Judith, aus ihrem Element herauszustreben, da es einmal ihre Natur ist, darin zu bleiben, und die Natur muß ihren Willen haben, Ha! das tönt wie ein Ruder, das mit ungewöhnlicher Vorsicht gehandhabt wird!«

In diesem Augenblick beugte sich der Delaware vor und wies bedeutsam nach dem finstern Horizont, als ob plötzlich seinem Auge etwas aufgestoßen. Wildtödter und Judith folgten der Richtung seiner Geberde und Beide wurden in demselben Augenblick eines Canoe’s ansichtig. Die Wahrnehmung dieses beunruhigenden Nachbars war dämmernd und trüb, und ein minder geübtes Auge hätte darüber in Ungewißheit seyn können; aber die auf der Arche Befindlichen erkannten deutlich ein Canoe mit einer Person darin, welche aufrecht stand und ruderte. Wie Viele im untern Raume versteckt lagen, konnte man natürlich nicht wissen. Einer von starken und geübten Händen gelenkten Barke mittelst Ruderns entfliehen, war ganz unthunlich, und beide Männer ergriffen, eines Kampfes gewärtig, ihre Büchsen.

»Ich kann den Rudrer leicht zu Boden fällen,« flüsterte Wildtödter, »aber wir wollen ihn zuerst anrufen und um sein Vorhaben fragen.« Dann erhob er seine Stimme und rief ernst und feierlich: »Halt! Wenn Ihr näher kommt, muß ich feuern, so wenig ich es wünsche; und dann ist sicherer Tod die Folge. Stellt das Rudern ein und antwortet.«

»Feuert und tödtet ein armes, wehrloses Mädchen,« erwiederte eine sanfte, zitternde weibliche Stimme, »aber Gott wird Euch das nie vergeben! Geht Eures Weges, Wildtödter, und laßt mich den meinigen gehen!«

»Hetty!« riefen der junge Mann und Judith in Einem Athem; und der Erstere sprang sogleich nach der Stelle, wo er das am Tau mitgeführte Canoe gelassen hatte. Es war weg, und nun verstand er die ganze Sache. Die Entflohene, erschrocken über die Drohung, hörte zu rudern auf, und blieb nur dämmernd sichtbar, einem gespenstischen Umriß einer menschlichen Gestalt ähnlich, über dem Wasser stehen. Im nächsten Augenblick ward das Segel herabgelassen, damit die Arche nicht an der Stelle, wo das Canoe sich befand, vorübergleitete. Diese letzte Maaßregel jedoch ward nicht mehr zu rechter Zeit getroffen, denn das Gewicht eines so schweren Fahrzeugs und der Anstoß des zwar schwachen Windes trieben es bald daran vorüber, und bewirkten, daß Hetty gerade hinter dem Winde sich befand, obwohl noch sichtbar, da der Wechsel in der Stellung der beiden Fahrzeuge sie in jene obenerwähnte Art von Milchstraße brachte.

»Was kann dieß bedeuten, Judith?« fragte Wildtödter. »Warum hat Eure Schwester das Canoe genommen und uns verlassen?«

»Ihr wißt, sie ist schwachsinnig, das arme Mädchen! und sie hat ihre eignen Ideen darüber, was zu thun sey. Sie liebt ihren Vater mehr, als die meisten Kinder ihre Eltern lieben – und dann –« »Dann was, Mädchen? Dieß ist ein bedenklicher Augenblick, und wo man die Wahrheit reden muß.«

Judith empfand eine edelmüthige und weibliche Scheu, ihre Schwester zu verrathen, und sie zögerte, ehe sie fortfuhr. Aber noch einmal von Wildtödter dringend aufgefordert, und selbst erkennend die Gefahren alle, welchen die Gesellschaft durch Hetty’s Unklugheit ausgesetzt wurde, konnte sie nicht länger an sich halten.

»Dann fürchte ich auch, die arme schwachsinnige Hetty hat nicht recht die Eitelkeit, die Narrheit und die Tollheit zu sehen vermocht, die hinter dem schönen Gesicht und der stattlichen Gestalt Hurry Harry’s liegen. Sie spricht im Schlaf von ihm, und verräth manchmal ihre Neigung auch in ihren wachen Augenblicken.«

»Ihr meint, Judith, Eure Schwester gehe jetzt mit irgend einem tollen Plan um, ihrem Vater und Hurry zu dienen, der, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Gewürme, die Mingo’s in den Besitz eines Canoe setzen wird!«

»So wird es sich, fürchte ich, verhalten, Wildtödter. Die arme Hetty hat schwerlich Schlauheit genug, einen Wilden zu überlisten.«

Die ganze Zeit her war das Canoe, Hetty in aufrechter Stellung am einen Ende desselben stehend, dämmernd sichtbar gewesen, obgleich es bei der raschen Bewegung der Arche mit jedem Augenblicke weniger deutlich wurde. Es war offenbar keine Zeit zu verlieren, wenn es nicht ganz verschwinden sollte. Die Büchsen wurden jetzt als überflüssig bei Seite gelegt; und dann ergriffen die beiden Männer die Ruder und fingen an, das Vordertheil der Fähre gegen das Canoe hin umzuwenden. Judith, an den Dienst gewöhnt, eilte nach dem andern Ende der Arche und stellte sich an den Helm – wenn man so sagen konnte. Hetty erschrack bei diesen Vorkehrungen, die nicht ohne Geräusch getroffen werden konnten, und fuhr auf wie ein Vogel, der plötzlich durch das Herannahen einer nicht erwarteten Gefahr gescheucht wird. Da Wildtödter und sein Genosse mit der Anstrengung von Männern ruderten, welche die Notwendigkeit fühlten, jeden Nerv anzuspannen, und Hetty’s Kräfte geschwächt wurden durch ein ängstliches, krampfhaftes Bestreben zu entfliehen, würde sich die Jagd bald mit der Einholung der Flüchtigen geendigt haben, hätte nicht das Mädchen einige rasche und unvorhergesehene Abweichungen von der geraden Bahn gemacht. Diese Wendungen gewannen ihr Zeit, und sie hatten auch die Wirkung das Canoe und die Arche allmälig in das dichtere Dunkel hineinzuführen, das die Schatten von den Bergen erzeugten. Auch vergrößerten sie allmälig den Abstand zwischen der Fliehenden und ihren Verfolgern, bis Judith ihren Genossen zurief, sie sollten zu rudern aufhören, weil sie das Canoe gänzlich aus dem Gesicht verloren.

Als diese leidige Benachrichtigung erfolgte, war Hetty in der That so nahe, daß sie jede Sylbe verstand, die ihre Schwester sprach; obgleich Letztere die Vorsicht gebraucht hatte, so leise zu sprechen, als nur immer die Umstände gestatteten, falls sie gehört werden wollte. Hetty hörte in demselben Augenblick zu rudern auf, und wartete das weitere Ergebniß ab mit einer Ungeduld, die ebenso sehr in Folge ihrer bisherigen Anstrengungen, wie ihres Wunsches, ans Land zu kommen, eine wahrhaft athemlose zu nennen war. Eine Todtenstille senkte sich inzwischen auf den See, während welcher die drei in der Arche ihre Sinne aufs mannigfachste anstrengten, um die Stellung des Canoe’s zu entdecken. Judith beugte sich vor, um zu horchen, in der Hoffnung, einen Ton zu erlauschen, der verriethe, in welcher Richtung ihre Schwester sich davonstehle; während ihre beiden Genossen die Augen so nahe als möglich hinab ans Wasser hielten, um jeden Gegenstand zu entdecken, der etwa auf seiner Oberfläche schwimme. Alles jedoch war umsonst, denn weder ein erlauschter Ton noch das Sichtbarwerden eines Gegenstandes belohnte ihre Anstrengungen. Diese ganze Zeit über stand Hetty, welche nicht so viel Schlauheit besaß, sich im Boot niederzulegen, aufgerichtet da, einen Finger auf ihren Mund gedrückt, in der Richtung hinausstarrend, von welcher her sie die Stimmen gehört hatte, einer Bildsäule schweigender und scheuer Erwartung ähnlich. Ihre List war nur so weit gegangen, daß sie in der erzählten Weise ohne Geräusch des Canoe’s sich zu bemächtigen und die Arche zu verlassen im Stande gewesen war; dann schien sie für den Augenblick gänzlich erschöpft. Selbst die Abweichungen des Canoe’s waren ebenso sehr die Folgen einer unsichern Hand und einer Nervenaufregung, als einer schlauen Berechnung gewesen.

Diese Pause währte einige Minuten, während welcher Wildtödter und der Delaware in der Sprache des Letztern sich beriethen. Dann tauchten die Ruder wieder ins Wasser, und die Arche bewegte sich, aber mit so wenig Geräusch als nur möglich. Sie steuerte westlich, etwas südlich, oder in der Richtung auf das Lager des Feindes zu. Nachdem sie einen vorliegenden Punkt, nicht weit von der Küste entfernt, erreicht hatte, wo wegen der Nähe des Landes die Finsterniß sehr dicht war, blieb sie hier beinahe eine Stunde liegen, das gehoffte Herankommen Hetty’s zu erwarten, die, so dachte man, diesem Punkt nach Kräften zueilen würde, sobald sie sich der Gefahr der Verfolgung entledigt glauben würde. Aber diese kleine Blokade wurde von keinem Erfolg gekrönt; weder der Gesichtssinn noch der Gehörsinn konnten das Vorbeifahren eines Canoe’s entdecken. Verdrüßlich über dieß Mißlingen, und erkennend wie wichtig es sey, von dem Castell Besitz zu ergreifen, ehe der Feind sich seiner bemächtige, schlug jetzt Wildtödter die Bahn dahin ein mit der Befürchtung, daß alle seine Vorsicht, als er die Canoe’s in Sicherheit gebracht, vereitelt seyn werde durch diesen unbewachten und beunruhigenden Schritt von Seiten der schwachsinnigen Hetty.