Fünfundzwanzigstes Kapitel

Als das Licht wiederkehrte, stieg Pfadfinder mit Cap auf das Dach, um den Stand der Dinge auf der Insel zu überblicken. Dieser Teil des Blockhauses hatte rundherum Zinnen, die den in der Mitte stehenden Personen einen beträchtlichen Schutz gewährten und den Zweck hatten, die Schützen, die hinter ihnen lagen und darüberweg feuerten, zu decken. Unter Benützung dieser schwachen Verteidigungsmittel – denn sie waren nicht hoch, obgleich, so weit sie gingen, hinreichend breit – gewannen die beiden, die Verstecke ausgenommen, eine ziemlich weite Aussicht über die Insel und über die meisten Kanäle, die zu ihnen führten.

Der Wind blies noch sehr steif aus Süden, und an vielen Stellen sah die Oberfläche des Stromes grün und zürnend aus, obgleich sie der Wind kaum kräftig genug peitschte, um die Wellen zum Schäumen zu bringen. Die Gestalt der kleinen Insel war fast oval, und der längste Durchmesser ging von Osten nach Westen. Wenn sich ein Fahrzeug in den Kanälen hielt, die das Ufer umzogen, so konnte es infolge ihres verschiedenen Laufes und der Richtung des Windes an den beiden Hauptseiten fast mit vollen Segeln vorbeikommen. Dies waren die Umstände, die Cap zuerst gewahrte und seinem Gefährten auseinandersetzte; denn die Hoffnung beider beruhte nur auf der Möglichkeit eines Entsatzes von Oswego aus. Während sie in dieser Weise ängstlich um sich blickten, rief der Seemann auf einmal in seiner lustigen, herzlichen Manier:

»Segel! ho!«

Pfadfinder folgte schnell der Richtung von Caps Blicken, und in der Tat – eben tauchte dort der Gegenstand auf, dem des alten Matrosen Ausruf galt. Der hohe Standpunkt machte es beiden möglich, über die Niederungen verschiedener anliegender Inseln wegzusehen, und die Leinwand eines Schiffes glänzte durch das Gebüsch, das ein mehr südwestlich gelegenes Eiland säumte. Das fremde Fahrzeug war unter niederem Segel, wie es die Seeleute nennen; aber die Gewalt des Windes war so groß, daß seine weißen Umrisse an den Ausschnitten des Gebüsches mit der Schnelligkeit eines Renners vorbeiflogen – ähnlich einer Wolke, die in der Luft vor dem Wind treibt.

»Das kann nicht Jasper sein«, sagte Pfadfinder niedergeschlagen, denn er erkannte in dem vorbeieilenden Gegenstand den Kutter seines Freundes nicht. »Nein, nein, der Bursche kommt zu spät, und jenes Schiff dort schicken die Franzosen ihren Freunden, den verfluchten Mingos, zu Hilfe.«

»Diesmal habt Ihr Euch verrechnet, Freund Pfadfinder, wenn Ihr es auch nie vorher tatet«, erwiderte Cap in einer Weise, die selbst unter den gegenwärtigen bedenklichen Umständen von ihrer Rechthaberei nichts verloren hatte. »Frischwasser oder Salzwasser – das ist der obere Teil von des Scuds großem Segel, denn seine Gilling ist schmaler als gewöhnlich ausgeschnitten, und dann könnt Ihr sehen, daß eine Schale um die Gaffel gelegt ist: Es ist zwar gut ausgeführt, ich geb’s zu, aber doch ist eine Schale dran.«

»Ich bekenne, daß ich nichts hiervon sehen kann«, antwortete Pfadfinder, dem die Ausdrücke seines Gefährten spanisch vorkamen.

»Nicht? Nun, das nimmt mich wunder, denn ich dachte, Eure Augen könnten alles sehen. Was mich anlangt, so ist mir nichts deutlicher als diese Gilling und diese Schale, und ich muß sagen, mein ehrlicher Freund, daß ich an Eurer Stelle besorgen würde, mein Gesicht fange an, abzunehmen.«

»Wenn das wirklich Jasper ist, so befürcht‘ ich wenig mehr. Wir können dann das Blockhaus gegen die ganze Nation der Mingos auf acht oder zehn Stunden halten, und wenn Eau-douce unseren Rückzug deckt, so verzweifle ich an nichts. Gott gebe, daß der Junge nicht längs dem Ufer auf den Strand läuft und in einen Hinterhalt fällt, wie es dem Sergeanten ergangen ist.«

»Ja, das ist der faule Fleck. Man hätte Signale verabreden und einen Ankergrund ausbojen sollen – auch eine Quarantäne und ein Lazarett wären nützlich gewesen, wenn man diesen Mingos einen Respekt vor dem Völkerrecht einflößen könnte. Wenn der Bursche, wie Ihr sagt, irgendwo in der Nachbarschaft dieser Insel anlegt, so können wir den Kutter als verloren betrachten. Aber Meister Pfadfinder, müssen wir im Grunde diesen Jasper nicht eher für einen geheimen Verbündeten der Franzosen als für unseren Freund halten? Ich kenne des Sergeanten Ansicht in dieser Beziehung und muß sagen, diese ganze Geschichte sieht wie Verrat aus.«

»Wir werden’s bald erfahren, Meister Cap, denn da kommt der Kutter wahrhaftig schon aus den Inseln ‚raus, und einige Minuten müssen die Sache ins klare bringen. Es möchte übrigens gut sein, wenn wir dem Burschen ein Zeichen geben könnten, daß er auf der Hut sein soll. Es wäre nicht recht, ihn in die Falle laufen zu lassen, ohne ihm bemerklich zu machen, daß eine gelegt ist.«

Besorgnis und Ungewißheit hinderten jedoch beide an dem Versuch, ein Signal zu geben. Es war auch nicht leicht einzusehen, wie dies geschehen könnte, denn der Scud kam schäumend durch den Kanal an der Luvseite der Insel herunter, mit einer Geschwindigkeit, die zur Ausführung eines solchen Vorhabens kaum Zeit ließ. Auch war niemand auf dem Verdeck sichtbar, dem man ein Zeichen zuwinken konnte; selbst das Steuer schien verlassen, obgleich der Kurs des Schiffes so stetig war, wie es sich rasch vorwärtsbewegte.

Cap blickte in schweigender Verwunderung auf ein so ungewohntes Schauspiel. Aber als der Scud näherkam, entdeckte sein geübtes Auge, daß das Ruder mittels der Steuerreepe in Bewegung gesetzt wurde, obgleich der Maat, der es leitete, verborgen war. Da der Kutter Schutzbretter von einiger Höhe hatte, so ließ sich das Geheimnis leicht erklären, und es unterlag keinem Zweifel, daß die Mannschaft sich dahinter befand, um gegen die feindlichen Büchsen geschützt zu sein. Dieser Umstand ließ jedoch erkennen, daß nur wenige Leute an Bord sein konnten, und Pfadfinder nahm diese Auseinandersetzung seines Gefährten mit einem bedeutungsvollen Kopfschütteln hin.

»Das beweist, daß die Große Schlange Oswego nicht erreicht hat« sagte er, »und daß wir von der Garnison keine Unterstützung erwarten dürfen. Ich hoffe, Lundie hat sich’s nicht in den Kopf gesetzt, dem Jungen das Kommando zu nehmen, denn Jasper Western würde in einer solchen Klemme für ein ganzes Heer gelten. Wir drei, Meister Cap, könnten den Krieg männlich durchführen: Ihr, als ein Seemann, müßtet den Verkehr mit dem Kutter unterhalten, Jasper kennt den See und weiß, was auf diesem zu tun ist, und ich habe Gaben, die so gut wie die irgendeines Mingo sind, mag ich auch in anderer Beziehung sein, was ich will. Ich sage, wir sollten um Mabels willen einen mannhaften Kampf bestehen.«

»Das müssen wir, und das wollen wir«, erwiderte Cap mit Herzlichkeit, denn er hatte, da er nun wieder das Licht der Sonne sah, mehr Zuversicht wegen der Sicherheit seines Skalps. »Ich betrachte die Ankunft des Scud als einen Umstand, und die Möglichkeit, daß dieser verhenkerte Eau-douce ehrlich ist, für einen zweiten. Jasper ist, wie Ihr seht, ein kluger, junger Bursch, denn er hält sich in einer guten Landweite und scheint entschlossen, vorher die Verhältnisse auf der Insel zu rekognoszieren, ehe er anzulegen wagt.«

»Ich hab’s! ich hab’s!« rief Pfadfinder freudig. »Da liegt der Kahn des Chingachgook auf dem Deck des Kutters; der Häuptling ist an Bord und hat ohne Zweifel einen treuen Bericht über unsere Lage erstattet; denn ein Delaware, ungleich dem Mingo, erzählt gewiß eine Geschichte richtig oder schweigt lieber still.«

»Möglich, daß der Kahn nicht zu dem Kutter gehört«, sagte der krittlige Seemann, »aber Eau-douce hatte auch einen an Bord, als wir aussegelten.«

»Sehr wahr, Freund Cap, aber wenn Ihr Eure Segel und Masten an den Gillingen und Schalen erkennt, so läßt mich mein Grenzmannswissen die Kähne und Fährten unterscheiden. Wenn Ihr an einem Segel neues Tuch seht, so seh‘ ich an einem Kahn frische Rinde. Das ist das Boot des großen Häuptlings, und dieser wackere Bursche ist der Garnison zugerudert, sobald er sah, daß das Blockhaus eingeschlossen sei; er traf dann den Scud, erzählte die ganze Geschichte, und brachte den Kutter mit hierher, um zu sehen, was zu tun ist. Gott gebe, daß Jasper Western noch an Bord ist.«

»Ja, ja, es könnte nicht schaden; denn Verräter oder loyal, der Bursche weiß mit einem Sturm umzuspringen, ich muß das zugeben.«

»Und mit den Wasserfällen!« sagte Pfadfinder und stieß seinen Gefährten mit dem Ellenbogen an, wobei er in seiner stillen Weise herzlich lachte. »Wir müssen dem Jungen Gerechtigkeit widerfahren lassen, und sollte er uns alle eigenhändig skalpieren.«

Der Scud war nun so nahe, daß Cap die Erwiderung schuldig blieb.

Der Wind blies immer noch sehr heftig. Viele von den kleinen Bäumen beugten ihre Wipfel fast bis zur Erde, während das Sausen des Sturmes durch die Äste der Waldung dem Rollen ferner Wagen glich.

Die Luft war mit Blättern angefüllt, die sich in dieser späten Jahreszeit leicht von den Zweigen lösten und wie Scharen von Vögeln von einer Insel zur anderen flogen. Im übrigen war alles still wie das Grab. Daß die Wilden noch auf der Insel weilten, ließ sich aus den Kähnen entnehmen, die mit den Booten des Fünfundfünzigsten in der kleinen, als Hafen dienenden Bucht lagen, obgleich kein anderes Zeichen ihre Gegenwart verriet. Zwar wurden sie durch die plötzliche und unvorgesehene Rückkehr des Kutters äußerst überrascht; aber ihre gewohnte Vorsicht auf einem Kriegspfad war so allgemein und gewissermaßen instinktmäßig, daß auf das erste Warnungszeichen ein jeder nach seinem Versteck eilte wie der Fuchs nach seinem Bau. Dieselbe Stille herrschte in dem Blockhaus; denn obgleich Pfadfinder und Cap die Aussicht nach der Wasserstraße beherrschten, so nahmen sie doch die nötige Vorsicht wahr, sich verborgen zu halten. Noch merkwürdiger war die ungewohnte Erscheinung, daß sich an Bord des Scud keine Spur von lebendigen Wesen blicken ließ. Da die Indianer Zeugen seiner scheinbar nicht geleiteten Bewegungen waren, so faßte sie ein Gefühl des Entsetzens, und einige der Kühnsten fingen an, über den Ausgang eines Unternehmens besorgt zu werden, das unter so günstigen Anzeichen begonnen hatte. Selbst Pfeilspitze, der doch an den Verkehr mit den Weißen auf beiden Seiten des Sees gewöhnt war, erblickte etwas Unheilverkündendes in der Erscheinung dieses unbemannten Schiffes und wäre in diesem Augenblick wohl gerne wieder auf dem Festland gewesen.

Mittlerweile bewegte sich der Kutter rasch vorwärts. Er segelte durch den mittleren Kanal, sich bald vor den Windstößen beugend, bald wieder aufrecht, wie ein Philosoph, der, niedergedrückt von den Stürmen des Lebens, seine freie Haltung wiedergewinnt, sobald sie verschwinden – und trennte die schäumenden Wogen unter seinem Bug. Obgleich er unter sehr kurzem Segel ging, war doch seine Geschwindigkeit ansehnlich, und es verflossen kaum zehn Minuten von der Zeit an, als seine Leinwand zum erstenmal durch die entfernten Bäume und Gebüsche glänzte, bis zu dem Augenblick, wo er die Höhe des Blockhauses erreichte. Cap und Pfadfinder beugten sich, als der Scud unter ihrem Horst vorbeizog, vorwärts, um besser auf das Verdeck sehen zu können, als zu ihrem beiderseitigen großen Vergnügen Jasper aufsprang und einen dreifachen Freudenruf erschallen ließ. Ohne auf irgendeine Gefahr Rücksicht zu nehmen, schwang sich Cap auf die hölzerne Brüstung und erwiderte den Gruß – Ruf um Ruf. Zum Glück rettete ihn die Klugheit des Feindes; denn die Indianer lagen noch ruhig, ohne eine Büchse abzufeuern. Auf der anderen Seite behielt Pfadfinder mehr den nützlichen Teil des Kriegszuges im Auge, ohne dem nur dramatischen irgendeine Aufmerksamkeit zu schenken. Sobald er seinen Freund Jasper erblickte, rief er ihm mit einer Stentorstimme zu:

»Steht uns bei, Junge, und der Tag wird unser sein. Nehmt jene Büsche ein wenig aufs Korn, und Ihr werdet die Halunken wie die Rebhühner aufjagen.«

Ein Teil hiervon erreichte Jaspers Ohr, aber das meiste wurde auf den Schwingen des Windes leewärts getragen. Der Scud hatte während dieser Worte vorbeigetrieben, und im nächsten Augenblick verbarg ihn die Waldung, in der das Blockhaus teilweise versteckt lag.

Nun folgten zwei beängstigende Minuten; aber nach diesem kurzen Zeitraum glänzten die Segel wieder durch die Bäume, da Jasper geviert, das Segel gedreht und unter dem Lee der Insel zu dem anderen Gang aufgeholt hatte. Der Wind war noch immer frei genug, um ein solches Manöver zuzulassen, und der Kutter, der die Strömung unter seinem Leebug hatte, wurde zu seinem Kurs auf eine Weise aufgerichtet, daß man wohl sehen konnte, er werde ohne Schwierigkeit wieder windwärts von der Insel kommen. Diese ganze Schwenkung wurde mit der größten Leichtigkeit ausgeführt und keine Schote berührt; die Segel setzten sich von selbst, und nur das Ruder leitete die wunderbare Maschine.

Dies alles schien des Rekognoszierens wegen zu geschehen. Als jedoch der Scud seinen Gang um die ganze Insel herum gemacht und in dem Kanal, in dem er sich zuerst der Insel genähert, seine Luvlage wieder eingenommen hatte, wurde das Steuer niedergelassen und durch den Wind gewendet. Der Ton des schlagenden, großen Segels, so dicht es auch gerefft war, glich dem Schuß einer Kanone, so daß Cap Angst bekam, die Nahtung möchte sich lösen.

»Seine Majestät gibt gute Leinwand, das muß man ihr lassen«, brummte der alte Seemann; »auch muß man dem Jungen zugestehen, daß er sein Boot wie ein erfahrener Bursche handhabt. Gott verdamm mich, Meister Pfadfinder, wenn ich, trotz allem, was man drüber sagen mag, glaube, daß dieser verhenkerte Meister Eaudouce sein Gewerbe auf diesem Fetzen Frischwasser gelernt hat!«

»Ei freilich lernte er’s hier. Er hat nie das Meer gesehen und ist zu seinem Beruf nirgends anders als hier auf dem Ontario herangebildet worden. Ich hab’s oft gesagt, daß er eine natürliche Gabe für Schoner und Schaluppen habe, und respektiere ihn auch dafür besonders. Was Verrat, Lügen und alle die Laster eines schwarzen Herzens anbelangt, Freund Cap, so ist Jasper davon so frei wie der tugendhafteste Krieger unter den Delawaren; und wenn Ihr ein Verlangen tragt, einen echten, ehrlichen Mann zu sehen, so müßt Ihr ihn unter diesem Stamm suchen.«

»Da flitzt er ‚rum um die Ecke«, rief der vergnügte Cap, als sich der Scud wieder zu dem ursprünglichen Gang anschickte, »und nun werden wir mal sehen, was der Junge beabsichtigt; er kann doch nicht immer in diesen Kanälen hin und her fahren wollen, wie ein Mädchen bei einem Jahrmarktstanz.«

Der Scud hielt jetzt so weit ab, daß die beiden Beobachter auf dem Blockhaus einen Augenblick fürchteten, Jasper wolle landen; und die Wilden betrachteten den Kutter aus ihren Verstecken mit einer Art Lust, wie sie wohl der geduckte Tiger fühlen mag, wenn er das Opfer sich harmlos seinem Lager nähern sieht. Aber Jasper hatte nicht diese Absicht. Vertraut mit dem Ufer und bekannt mit der Tiefe des Wassers an jeder Stelle der Insel, wußte er wohl, daß der Scud ohne Gefahr ans Ufer laufen könne: Deshalb wagte er sich furchtlos so nahe, daß er beim Fahren durch die kleine Bai die zwei Boote der Soldaten von den Tauen losriß, sie in den Kanal hinausdrängte und mit sich fortzog. Da jedoch alle Kähne an den beiden Booten Dunhams befestigt waren, so wurden die Wilden durch diesen kühnen und erfolgreichen Versuch auf einmal aller Mittel beraubt, die Insel anders als durch Schwimmen zu verlassen. Auch schienen sie diesen wichtigen Umstand im Augenblick einzusehen; sie erhoben sich insgesamt, erfüllten die Luft mit ihrem Geschrei und eröffneten ein unschädliches Büchsenfeuer. Während dieses unbedachtsamen Beginnens wurden zwei Büchsen von ihren Gegnern abgefeuert. Eine Kugel kam von dem Giebel des Blockhauses, und ein Irokese fiel, durch das Hirn getroffen, rücklings nieder. Die andere kam vom Scud aus. Sie war aus dem Gewehr des Delawaren, aber weniger sicher als die seines Freundes, da sie den Feind nicht erschlug, sondern nur auf Lebenszeit lähmte. Die Mannschaft des Scud jubelte, und die Wilden verschwanden wieder bis auf den letzten Mann, als ob sie die Erde verschluckt hätte.

»Das war der Schlange zischende Stimme«, sagte Pfadfinder, als die zweite Büchse abgefeuert wurde. »Ich kenne diesen Knall so gut, wie ich den des Wildtods kenne: ’s ist ein guter Lauf, obgleich nicht sicherer Tod. Nun, mit Chingachgook und Jasper auf dem Wasser und Euch und mir in dem Blockhaus, Freund Cap – da müßte es sonderbar zugehen, wenn wir diese Mingostrolche nicht lehrten, wie man mit Verstand ficht.«

Diese ganze Zeit über war der Scud in Bewegung. Sobald Jasper das Ende der Insel erreicht hatte, ließ er seine Prisen in den Wind treiben, bis sie auf einem Punkt, eine halbe Meile leewärts, auf den Strand liefen. Er vierte sodann und kam, gegen die Strömung anlegend, wieder durch den anderen Gang. Die auf dem Giebel des Blockhauses konnten nun bemerken, daß etwas auf dem Verdeck des Scud in Tätigkeit war, und zu ihrem großen Vergnügen wurde, als der Kutter in gleicher Linie mit der Hauptbucht und an die Stelle kam, wo die Feinde am dichtesten lagen, die Haubitze, die seine einzige Bewaffnung ausmachte, demaskiert, und ein Kartätschenschauer zischte in die Gebüsche. Ein Flug Wachteln hätte sich nicht schneller erheben können, als dieser unerwartete Eisenhagel die Irokesen aufjagte; da fiel wieder ein Wilder durch eine Kugel aus der Wildtodbüchse, indes ein anderer infolge einer Heimsuchung aus Chingachgooks Büchse davonhinkte. Sie hatten jedoch im Augenblick wieder neue Verstecke, und jeder Teil schien sich zur Erneuerung des Kampfes in einer anderen Weise vorzubereiten. Aber die Erscheinung Junes, die eine weiße Flagge trug und von dem französischen Offizier und Muir begleitet wurde, brachte alle Hände zur Ruhe und war der Vorläufer einer weiteren Unterhandlung.

Diese wurde so nah unter dem Blockhaus abgehalten, daß alle, die sich in keinem Versteck befanden, der Gnade von Pfadfinders nie fehlender Büchse gänzlich preisgegeben waren. Jasper legte den Kutter quer vor Anker, und auch die Haubitze war auf die Unterhändler gerichtet, so daß die Belagerten und ihre Freunde mit Ausnahme des Mannes, der den Zündstock hielt, keine Scheu haben durften, sich offen zu zeigen. Chingachgook allein blieb versteckt, jedoch mehr aus Gewohnheit als aus Mißtrauen.

»Ihr habt gesiegt, Pfadfinder«, rief der Quartiermeister aus, »und Kapitän Sanglier kommt selbst, um Friedensvorschläge zu machen. Ihr werdet einem tapferen Feinde einen ehrenvollen Rückzug nicht verweigern, weil er brav gekämpft und seinem König und seinem Land so viel Ehre gemacht hat, wie er konnte. Ihr seid selbst ein zu loyaler Untertan, um Loyalität und Treue mit einem harten Urteil heimzusuchen. Ich bin von Seiten des Feindes bevollmächtigt, die Räumung der Insel, Austausch der Gefangenen und Rückerstattung der Skalpe anzubieten. Da keine Bagage und Artillerie vorhanden ist, so kann man kaum mehr verlangen.«

Da das Gespräch wegen des Windes sowohl als der Entfernung halber sehr laut geführt werden mußte, so konnten die Worte des Sprechers sowohl auf dem Blockhaus als auf dem Kutter verstanden werden.

»Was sagt Ihr dazu, Jasper?« rief Pfadfinder. »Ihr hört den Vorschlag; sollen wir diese infamen Landstreicher gehen lassen, oder wollen wir die Strolche zeichnen, wie man die Schafe in den Ansiedlungen zeichnet, daß wir sie später wiedererkennen können?«

»Wie geht’s Mabel Dunham?« fragte der junge Mann mit einem Stirnrunzeln auf seinem schönen Gesicht, das selbst denen auf dem Blockhaus nicht entging. »Wenn ein Haar ihres Hauptes berührt worden ist, so soll mir’s der ganze Stamm der Irokesen büßen.«

»Nein, nein, sie ist wohlbehalten im Erdgeschoß bei ihrem Vater.«

»Sie ist hier!« rief das Mädchen selbst, die das Dach erstiegen hatte, als sie vernahm, welche Wendung die Dinge genommen hatten. »Sie ist hier! Und im Namen des Gottes, den wir alle gemeinschaftlich anbeten, im Namen unserer heiligen Religion – laßt kein Blutvergießen mehr stattfinden. Es ist schon genug Blut geflossen; und wenn diese Männer gehen wollen, Pfadfinder – wenn sie im Frieden abziehen wollen, Jasper – oh, so haltet keinen von ihnen zurück. Geht, geht, Franzosen und Indianer; wir sind nicht länger eure Feinde und werden keinem von euch ein Leid zufügen.«

»Halt, halt, Magnet«, warf Cap ein, »das klingt vielleicht religiös oder wie ein Komödienbuch; aber es klingt nicht wie gesunder Menschenverstand. Der Feind ist bereit, die Flagge zu streichen, Jasper hat, wahrscheinlich mit Springen auf den Kabeln, quer geankert, um eine Lage geben zu können, Pfadfinders Auge und Hand sind so treu wie die Magnetnadel, und wir werden Prisengeld, Kopfgeld und Ehre obendrein gewinnen, wenn du dich die nächste halbe Stunde nicht in unsere Angelegenheiten einmischst.«

»Ei«, sagte Pfadfinder, »ich halte mich zu Mabel. Es ist für unseren Zweck und für den Dienst des Königs genug Blut geflossen; und was die Ehre anbetrifft, so wollen wir sie jungen Fähnrichen und Rekruten überlassen, denn diese können sie besser brauchen als besonnene, christliche Männer. Die Ehre liegt im Rechthandeln, und nur schlechte Taten können einen entehren; ich halt’s aber für schlecht, einem, und wär’s auch nur ein Mingo, das Leben zu nehmen, ohne irgendeinen nützlichen Zweck; ja, ja – und ich halt’s für recht, alle Zeit auf die Stimme der Vernunft zu achten. So lassen Sie uns also hören, Leutnant Muir, was Ihre Freunde, die Franzosen und Indianer, für sich vorzubringen haben?«

»Meine Freunde?« sagte Muir mit Unwillen. »Ihr werdet doch nicht des Königs Feinde meine Freunde nennen wollen, Pfadfinder, weil mich das Geschick des Krieges in ihre Hände geworfen hat? Die größten Krieger der alten und der neuen Zeit sind schon Kriegsgefangene gewesen, und Ihr könnt dort Meister Cap fragen, ob wir nicht alles Menschenmögliche aufboten, um diesem Ungemach zu entfliehen.«

»Ja, ja«, antwortete Cap trocken; »entfliehen ist das geeignete Wort. Wir eilten nach unten und verbargen uns so klug, daß wir noch zu dieser Stunde in der Höhle sitzen könnten, hätte uns nicht der Brotkorb so hoch gehangen. Sie haben sich bei dieser Gelegenheit so geschickt wie ein Fuchs eingegraben, und zum Teufel, mich nimmt’s bloß wunder, wie Sie das Nest so auf der Stelle zu finden wußten.«

»Und folgtet Ihr mir nicht auf dem Fuße? Es gibt im Menschenleben Verhältnisse, wo die Vernunft zum Instinkt hinansteigt –«

»Und die Menschen in Höhlen hinabsteigen«, unterbrach ihn Cap mit einem polternden Lachen, in das Pfadfinder auf seine ruhige Weise einstimmte. Auch Jasper, obgleich noch voll Bekümmernis Mabels wegen, konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Man sagt, der Teufel könne kein Matrose werden, wenn er nicht in die Höhe sieht, und nun scheint mir’s, er war‘ auch zum Soldaten verdorben, wenn er nicht nach unten schaute.«

Dieser Ausbruch von Heiterkeit, obgleich Muir nichts besonders Belustigendes darin fand, trug viel dazu bei, den Frieden aufrechtzuerhalten. Cap bildete sich ein, er habe einen ungewöhnlich guten Witz gemacht, und war daher geneigt, in der Hauptsache nachzugeben, solange ihn seine Gefährten bei dem Glauben ließen, daß sie ihn für einen witzigen Kopf hielten. Nach einer kurzen Beratung wurden die Wilden insgesamt ohne Waffen hundert Ellen von dem Blockhaus und in der Linie der Geschützpforten des Scud versammelt, indes Pfadfinder zu der Tür seiner Feste hinunterstieg und die Bedingungen festsetzte, unter denen der Feind die Insel räumen solle. In Anbetracht der Verhältnisse waren diese für beide Teile vorteilhaft. Die Indianer mußten vorsichtshalber alle ihre Waffen, selbst ihre Messer und Tomahawks ausliefern, weil sie an Zahl immer noch um das Vierfache überlegen waren. Der französische Offizier, Monsieur Sanglier, wie man ihn gewöhnlich nannte und er sich selbst zu nennen pflegte, machte Einwendungen gegen diesen Akt, der wahrscheinlich mehr als irgendein anderer Teil des ganzen Verfahrens ein übles Licht auf sein Kommando werfen konnte; aber Pfadfinder, der Zeuge einiger Indianergemetzel gewesen war, wußte wohl, wie wenig Verpflichtungen geachtet wurden, wenn sie mit dem Vorteil in Widerspruch gerieten, und blieb, was die Wilden anbelangte, unerbittlich. Der zweite Punkt war fast von gleicher Wichtigkeit; er enthielt die Bestimmung, daß Kapitän Sanglier alle Gefangenen ausliefere, die in der Höhle, zu der Cap und Muir ihre Zuflucht genommen hatten, bewacht wurden. Als diese Leute zum Vorschein kamen, erwiesen sich vier von ihnen als unverletzt: sie waren nur niedergefallen, um ihr Leben durch einen in dem Indianerkrieg gewöhnlichen Kunstgriff zu retten, von den übrigen waren zwei so leicht verwundet, daß sie wohl zum Dienst verwendet werden konnten. Da sie ihre Musketen mit sich brachten, so ließ dieser Zuwachs an Macht Pfadfinder wieder um ein Gutes leichter atmen; denn nachdem er die Waffen des Feindes im Blockhaus gesammelt hatte, gab er diesen Leuten die Weisung, das Gebäude zu besetzen und stellte eine regelmäßige Schildwache vor die Tür. Die übrigen Soldaten waren tot, da die schwer Verwundeten sogleich erschlagen wurden, um ihre heißbegehrten Skalpe nehmen zu können.

Sobald Jasper den Inhalt des Vertrags erfahren hatte, und die Präliminarien soweit vorgeschritten waren, daß er es wagen konnte, sich zu entfernen, lichtete er die Anker und segelte zu der Stelle hinunter, wo die Boote auf den Strand gelaufen waren, nahm sie wieder ins Schlepptau und brachte sie mit wenigen Streckungen in den Kanal leewärts. Hier wurden die Wilden sogleich eingeschifft, worauf Jasper die Kähne zum drittenmal ins Tau nahm, vor dem Wind herlief und sie etwa eine Meile unter dem Lee der Insel in Freiheit setzte. Die Indianer hatten für jedes Boot nur ein Ruder erhalten, da der junge Schiffer wohl wußte, daß sie, wenn sie sich vor dem Wind zu halten vermochten, schon im Laufe des Morgens das Ufer von Kanada erreichen konnten.

Nur Kapitän Sanglier, Pfeilspitze und June blieben zurück, nachdem über den Rest ihrer Partei diese Verfügung getroffen worden war. Der erstere hatte mit Leutnant Muir, der in seinen Augen allein die mit einer Offiziersstelle verbundenen Befähigungen besaß, gewisse Papiere zu ordnen und zu unterzeichnen, und der letztere zog es aus nur ihm bekannten Gründen vor, sich seinen abziehenden Freunden, den Irokesen, nicht anzuschließen. Man hatte für die Abfahrt dieser drei die nötigen Kähne zurückbehalten.

Während der Scud mit den Booten im Schlepptau abwärts segelte, waren Cap und Pfadfinder nebst anderen geeigneten Helfern mit der Zurichtung eines Frühstücks beschäftigt, da die meisten schon vierundzwanzig Stunden nichts genossen hatten. Der kurze Zeitraum, der bis zur Rückkehr des Kutters verfloß, wurde nur wenig durch Gespräche unterbrochen, obgleich Pfadfinder Muße genug fand, den Sergeanten zu besuchen, Mabel einige freundliche Worte zu sagen und verschiedene Anweisungen zu geben, die ihm den Hingang des Sterbenden zu erleichtern schienen. Was Mabel anbetraf, so bestand er darauf, daß sie einige Erfrischung zu sich nehme, und da nun kein weiterer Grund mehr vorhanden war, die Schildwache am Blockhaus stehenzulassen, ließ er sie abziehen, damit die Tochter ungehindert ihres Vaters warten konnte. Nachdem diese Vorkehrungen getroffen waren, kehrte unser Held wieder zu dem Feuer zurück, um das der ganze Rest der Gesellschaft, Jasper mit eingeschlossen, versammelt saß.