Dreiundzwanzigstes Kapitel

Die Ruhe der vergangenen Nacht stand in keinem Widerspruch mit den Bewegungen des Tages. Obgleich Mabel und June an allen Schießscharten herumgingen, ließ sich doch, mit Ausnahme ihrer selbst, kein lebendes Wesen auf der ganzen Insel entdecken. An der Stelle, wo M’Nab und seine Kameraden gekocht hatten, befand sich ein halberloschenes Feuer, als ob der Rauch, der sich in die Höhe ringelte, die Absicht hätte, die Abwesenden anzulocken; und ringsumher waren die Hütten wieder in ihren früheren Zustand versetzt worden. Mabel fuhr unwillkürlich zusammen, als ihr Auge auf eine Gruppe von drei Männern in den Scharlachröcken des fünfundfünfzigsten Regiments fiel, die in nachlässiger Stellung im Grase saßen, als ob sie in sorgloser Sicherheit miteinander plauderten; aber ihr Blut erstarrte, als sie bei einem zweiten Blick die farblosen Gesichter und die gläsernen Augen der Toten erkannte. Sie saßen ganz in der Nähe des Blockhauses, und zwar so nahe, daß sie dem ersten Blick auffallen mußten; auch lag, da man ihre starren Glieder in verschiedene, das Leben nachahmende Lagen gebracht hatte, eine so spöttische Leichtfertigkeit in ihren Stellungen und Gebärden, daß sich die Seele darüber empörte. So schrecklich übrigens diese Gruppe jedem sein möchte, der nahe genug war, um den schreienden Kontrast zwischen Schein und Wesen zu entdecken – die Täuschung war doch mit so viel Kunst ausgeführt, daß sie einen oberflächlichen Beobachter auf eine Entfernung von hundert Ellen irreleiten konnte. Nach einer sorgfältigen Untersuchung der Ufer machte June ihre Gefährtin auf einen vierten Soldaten aufmerksam, der, an einem Baum gelehnt, mit überhängenden Füßen am Wasser saß, und eine Angelrute in der Hand hielt. Die skalplosen Köpfe waren mit Mützen bedeckt, und alle Spuren von Blut vorsichtig von den Gesichtern gewaschen.

Mabel wurde fast ohnmächtig bei diesem Anblick, der nicht nur allen ihren Begriffen von Schicklichkeit zuwiderlief, sondern auch an sich so empörend und allen menschlichen Gefühlen entgegen war. Sie sank auf einen Stuhl und verbarg das Antlitz einige Minuten in ihrem Gewand, bis sie ein leiser Ruf von June wieder an die Schießscharten zog. June zeigte ihr nun den Körper von Jennie, die in einer vorwärts gebeugten Stellung, als ob sie auf die Gruppe der Männer sähe, in der Tür einer Hütte zu stehen schien, indes ihre Haube in dem Winde flatterte, und ihre Hand einen Besen hielt. Die Entfernung war zu groß, um die Züge genau zu unterscheiden; aber es kam Mabel so vor, die Kinnlade sei niedergedrückt und der Mund zu einem entsetzlichen Lachen verzogen.

»June! June!« rief sie aus, »das übersteigt alles, was ich je von der Verräterei und der List deines Volkes gehört oder für möglich gehalten habe.«

»Tuscarora sehr schlau«, sagte June in einem Ton, der den Gebrauch, der von den Leichnamen gemacht worden, mehr zu billigen als zu verwerfen schien. »Soldaten tun nichts Leid nun; tun Irokesen gut; kriegen Skalp zuerst; nun machen Tote helfen. Dann sie verbrennen.«

Aus diesen Worten wurde Mabel klar, wie sehr der Charakter ihrer Gefährtin von dem ihrigen verschieden war, und es vergingen einige Minuten, ehe sie die Indianerin wieder anzureden vermochte. Aber diese vorübergehende Anwandlung von Widerwillen war bei June verloren, denn sie schickte sich zur Bereitung ihres einfachen Frühstücks an, wobei ihr ganzes Benehmen bewies, wie unempfindlich sie bei anderen gegen Gefühle war, die sie ihre Erziehung abzulegen gelehrt hatte. Mabel genoß nur weniges, während ihre Gefährtin aß, als ob gar nichts vorgefallen sei. Dann überließen sie sich wieder ihren Gedanken oder setzten ihre Untersuchungen durch die Schießscharten fort. Mabel brannte zwar von fieberischem Verlangen, stets an diesen Öffnungen zu sein; aber sie trat selten davor, ohne sich mit Widerwillen abzuwenden, obgleich ihre Angst sie nach einigen Minuten wieder dahin zurückführte, wenn sie ein Geräusch vernahm, mochte es auch nur das Rauschen der Blätter oder das Seufzen des Windes sein. Es war in der Tat etwas feierlich Ergreifendes, diesen verlassenen Ort von Toten in der Kleidung des Lebens und in der Stellung sorgloser Heiterkeit oder rohen Vergnügens bevölkert zu sehen. Diesen ganzen Tag über, der Mabel kein Ende zu nehmen schien, ließ sich weder ein Indianer noch ein Franzose blicken, und die Nacht senkte sich allmählich über diese schweigende Maskerade mit der unabänderlichen Stetigkeit, mit der die Erde ihren Gesetzen folgt, ohne sich um das kleinliche Treiben der Menschen zu kümmern. Die Nacht war weit ruhiger als die vorhergehende, und Mabel schlief mit neuer Zuversicht, denn sie fühlte sich nun überzeugt, daß sich ihr Schicksal nicht vor der Zurückkunft ihres Vaters entscheiden würde. Er wurde jedoch schon am folgenden Tag erwartet. Als Mabel erwachte, eilte sie hastig zu den Schießscharten, um über den Stand des Wetters, das Aussehen des Himmels und über die Verhältnisse auf der Insel Erkundigung einzuziehen. Da saß noch die furchtbare Gruppe im Gras; der Fischer beugte sich noch über das Wasser, als ob er lebhaft auf seinen Fang erpicht sei, und das Gesicht Jennies glotzte in schrecklicher Verzerrung aus der Hütte. Aber das Wetter hatte sich geändert. Der Wind blies steif aus Süden, und obgleich hell, war die Luft doch mit den Anzeichen des Sturmes erfüllt.

»Es wird mir immer unerträglicher, June«, sagte Mabel, als sie die Öffnung verließ. »Ich wollte lieber den Feind sehen, als stets diese schreckliche Heerschau des Todes vor Augen haben.«

»Still! da sie kommen. June denken hören einen Schrei, wie Krieger rufen, wenn er nehmen einen Skalp.«

»Was meinst du? Es gibt nichts mehr zu schlachten! – es kann nichts mehr geben!«

»Salzwasser!« rief June lachend, indem sie durch die Schießscharte blickte.

»Mein Onkel! Gott sei Dank! Er lebt also! O June, June, du wirst ihm doch kein Leid tun lassen?«

»June arme Squaw. Was Krieger denken von was ich sagen? Pfeilspitze bringen ihn her.«

Mabel stand an einer Schießscharte und sah deutlich genug Cap und den Quartiermeister in den Händen von acht oder zehn Indianern, die jene zum Fuß des Blockhauses führten; denn da sie nunmehr gefangen waren, sah der Feind wohl ein, daß sich kein Mann in diesem Gebäude befinden könne. Mabel wagte kaum zu atmen, bis der ganze Trupp unmittelbar vor der Tür stand, wo sie dann zu ihrer großen Freude bemerkte, daß der französische Offizier unter ihnen war. Es folgte nun eine kurze Besprechung, die Pfeilspitze und der weiße Führer mit den Gefangenen hielt, worauf der Quartiermeister mit vernehmlicher Stimme unserer Heldin zurief:

»Schöne Mabel! Schöne Mabel!« sagte er, »blicken Sie aus einer Ihrer Schießscharten auf uns herunter, und haben Sie Mitleid mit unserer Lage. Wir sind mit augenblicklichem Tod bedroht, wenn Sie nicht den Siegern die Tür öffnen. Lassen Sie sich also erweichen, sonst tragen wir unsere Skalpe keine halbe Stunde mehr von diesem gesegneten Augenblick an.«

Mabel kam es vor, als ob Spott und Leichtfertigkeit in diesem Aufruf liege, ein Benehmen, das mehr dazu diente, ihren Entschluß, den Platz so lange wie möglich zu halten, zu befestigen als zu entkräften.

»Sprecht Ihr zu mir, Onkel«, rief sie durch die Schießscharte »und sagt mir, was ich tun soll.«

»Gott sei Dank! Gott sei Dank!« entgegnete Cap; »der Ton deiner Stimme, Magnet, nimmt mir eine schwere Last vom Herzen; denn ich fürchtete, du habest das Los der armen Jennie geteilt. Es lag mir in den letzten vierundzwanzig Stunden auf der Brust, als ob man eine Tonne Blockeisen darauf verstaut hätte. Du fragst mich, was du tun sollst, Kind, und ich weiß nicht, was ich dir raten soll, obgleich du meiner Schwester Tochter bist. Armes Mädchen! Alles, was ich dir jetzt sagen kann, ist, daß ich vom Grunde meines Herzens den Tag verwünsche, an dem wir beide jemals diesen Frischwasserstreifen gesehen haben.«

»Aber, Onkel, wenn Euer Leben in Gefahr ist – meint Ihr, ich solle die Tür öffnen?«

»Ein runder Schlag und zwei Timmerstiche machen einen festen Beleg; und ich würde niemand raten, der außer dem Bereich dieser Teufel ist, was zu entriegeln oder aufzumachen, um in ihre Hände zu fallen. Was den Quartiermeister und mich anbelangt, so sind wir beide ältliche Leute und für die Menschheit von keiner besonderen Bedeutung, wie der ehrliche Pfadfinder sagen würde; es kann jenem daher keinen großen Unterschied ausmachen, ob er seine Zahlungslisten in diesem oder dem nächsten Jahre ausgleicht, und was mich anlangt, ja, wenn ich auf hoher See an Bord wäre, so wüßt‘ ich wohl, was ich zu tun hätte, aber hier oben, in dieser wässerigen Wildnis, kann ich nur sagen, daß ein gutes Stück indianischer Logik dazu gehören würde, mich aus einem solchen bißchen Bollwerk, wenn ich dahinter wäre, ‚rauszukriegen.«

»Sie werden nicht auf alles, was Ihr Onkel sagt, achten«, warf Muir ein, »denn das Unglück hat ihm augenscheinlich den Kopf verwirrt, so daß er nicht imstande ist, das einzusehen, was im gegenwärtigen Augenblick nottut. Wir sind hier in den Händen sehr umsichtiger und achtenswerter Personen, wie man erkennen muß, und wir haben wenig Ursache, irgendeine mißliebige Gewalt zu befürchten. Die Zufälle, die sich ereignet haben, sind in einem Krieg gewöhnlich und können unsere Gefühle gegen den Feind nicht ändern, denn dieser ist weit entfernt, die Absicht an den Tag zu legen, daß den Gefangenen irgendein Leid zugefügt werde. Ich bin überzeugt, daß Meister Cap so wenig wie ich Ursache hat, sich zu beklagen, denn wir haben uns selbst Meister Pfeilspitze ausgeliefert, der mich durch seine Tugenden und seine Mäßigung an die Römer oder Spartaner erinnert; es wird Ihnen aber bekannt sein, daß die Gebräuche verschieden sind und daß unsere Skalpe als gesetzliche Opfer genommen werden können, um die Manen gefallener Feinde zu sühnen, wenn Sie sie nicht durch Kapitulation retten.«

»Ich werde besser tun, in dem Blockhaus zu bleiben, bis das Schicksal der Insel entschieden ist«, erwiderte Mabel. »Unsere Feinde können mich wenig bekümmern, da sie wissen, daß ich ihnen keinen Schaden zufügen kann. Ich halte es daher für mein Geschlecht und für mein Alter weit passender, hier zu bleiben.«

»Wenn es sich hier bloß um das, was für Sie passend ist, handelte, Mabel, so würden wir uns alle gern Ihren Wünschen fügen; aber diese Herren glauben, daß das Blockhaus für ihre Operationen sehr günstig sei, und haben daher ein großes Verlangen, es in ihre Gewalt zu kriegen. Offen gesprochen, ich und Ihr Onkel sind in einer eigentümlichen Lage, und ich habe, um üblen Folgen vorzubeugen, als Offizier in Seiner Majestät Diensten eine Verbal-Kapitulation abgeschlossen, in der ich mich verpflichtete, das Blockhaus und die ganze Insel zu übergeben. Das ist das Los des Krieges, und man muß sich ihm unterwerfen, öffnen Sie also ohne Aufschub die Tür, schöne Mabel, und vertrauen Sie sich der Sorgfalt derer an, die wohl wissen, wie sie Schönheit und Tugend im Unglück zu behandeln haben. Kein Höfling in Schottland ist gefälliger und mehr mit den Gesetzen des Anstandes vertraut als dieser Häuptling.«

»Nicht verlassen Blockhaus«, flüsterte June, die an Mabels Seite die Vorgänge aufmerksam beobachtete. »Blockhaus gut – kriegen nicht Skalp.«

Ohne diese Aufmunterung hätte Mabel vielleicht nachgegeben, denn es leuchtete ihr nachgerade ein, daß es wohl das beste sein dürfte, den Feind durch Zugeständnisse zu gewinnen, statt ihn durch Widerstand zu erbittern. Muir und Cap befanden sich in den Händen der Indianer, denen es bekannt war, daß sich kein Mann in dem Gebäude aufhalte, weshalb sie sich vorstellte, die Wilden würden aufs neue die Tür berennen oder sich mit den Äxten einen Weg durch die Stämme bahnen, wenn ein friedlicher Einlaß jetzt hartnäckig verweigert würde, wo kein Grund mehr vorhanden war, ihre Büchsen zu fürchten. Aber Junes Worte veranlaßten sie, innezuhalten, und ein ernster Händedruck, ein bittender Blick ihrer Gefährtin befestigten ihren Entschluß.

»Nicht gefangen noch«, flüsterte June, »laß sie machen gefangen, ehe sie nehmen gefangen – sprechen groß; June sie weisen.«

Mabel begann nun entschlossener mit Muir zu sprechen und erklärte ihm offen, daß es nicht ihre Absicht sei, das Gebäude zu übergeben.

»Sie vergessen die Kapitulation, Miss Mabel«, sagte Muir, »die Ehre eines von Seiner Majestät Dienern ist dabei beteiligt, und die Ehre Seiner Majestät durch diesen Diener. Sie wissen, was es mit der militärischen Ehre für eine zarte, empfindliche Bewandtnis hat?«

»Ich weiß genug, Herr Muir, um einzusehen, daß Sie bei dieser Expedition kein Kommando und deshalb auch kein Recht haben, das Blockhaus auszuliefern; und ich erinnere mich noch obendrein, von meinem Vater gehört zu haben, daß ein Gefangener für die ganze Zeit der Gefangenschaft seine Machtvollkommenheit verliere.«

»Lauter Spitzfindigkeit, schöne Mabel – Verrat gegen den König, Beschimpfung seiner Offiziere und Schmähung seines Namens. Sie werden nicht auf Ihrer Absicht bestehen, wenn Ihr besseres Urteil Muße gehabt hat, nachzudenken und auf die Verhältnisse und Umstände Rücksicht zu nehmen.«

»Ja«, seufzte Cap, »das ist ein Umstand, hol‘ ihn der Henker!«

»Kein Sinn haben, was Onkel sagt«, bemerkte June, die sich in einer Ecke des Zimmers beschäftigte. »Blockhaus gut – kriegen nicht Skalp.«

»Ich werde bleiben, wo ich bin, Herr Muir, bis Nachrichten von meinem Vater eingehen. Er wird im Laufe der nächsten zehn Tage zurückkommen.«

»Ach! Mabel; diese List wird die Feinde nicht täuschen, denn sie sind durch Mittel, die unbegreiflich scheinen würden, wenn nicht ein unabweisbarer Verdacht auf einem unglücklichen jungen Mann haftete – sie sind also von allen unsern Bewegungen und Plänen in Kenntnis gesetzt und wissen wohl, daß, ehe noch die Sonne niedergeht, der würdige Sergeant mit allen seinen Leuten in ihrer Gewalt sein wird. Geben Sie nach! Unterwerfung unter die Beschlüsse der Vorsehung ist Christenpflicht.«

»Herr Muir, Sie scheinen über die Stärke dieses Werkes im Irrtum zu sein und es für schwächer zu halten, als es ist. Wollen Sie sehen, was ich zu seiner Verteidigung tun kann, wenn ich will?«

»Ich will’s meinen, daß ich das sehen möchte«, antwortete der Quartiermeister, der immer in seinen schottischen Dialekt verfiel, wenn ihn etwas lebhaft beschäftigte.

»Was halten Sie von dem? Sehen Sie auf die Schießscharte im obern Stock.«

Auf diese Worte richteten sich aller Augen nach oben und erblickten die Mündung einer Büchse, die vorsichtig durch eine Öffnung geschoben wurde, denn June hatte wieder zu einem Kunstgriff Zuflucht genommen, den sie schon einmal mit gutem Erfolg angewendet hatte. Das Resultat entsprach ganz der Erwartung; denn kaum hatten die Indianer diese verhängnisvolle Waffe zu Gesicht bekommen, als sie sich aus dem Staube machten, und in weniger als einer Minute hatte jeder sein Versteck aufgefunden. Der französische Offizier blickte auf den Lauf des Gewehres, um sich zu überzeugen, daß es nicht auf ihn gerichtet sei, und nahm kaltblütig eine Prise Tabak, während Cap und Muir, die von dieser Seite aus nichts zu befürchten hatten, ruhig stehenblieben.

»Seien Sie klug, meine schöne Mabel, seien Sie klug!« rief Muir, »und veranlassen Sie keinen nutzlosen Zwist. Im Namen aller Könige von Albion, wen haben Sie in diesem hölzernen Turm bei sich eingeschlossen, der es so sehr auf Blut abgesehen zu haben scheint? Da steckt Zauberei dahinter, und unsere ganze Reputation hängt von dieser Entwicklung ab.«

»Was halten Sie von dem Pfadfinder, Herr Muir, als Besatzung für einen so starken Posten?« rief Mabel, indem sie zu einem Doppelsinn ihre Zuflucht nahm, den die Umstände sehr entschuldbar machten. »Was werden ihre französischen und indianischen Kameraden von einem Ziel für Pfadfinders Büchse halten?«

»Gehen Sie glimpflich um mit dem Unglück, schöne Mabel, und vermischen Sie nicht die Diener des Königs – der Himmel segne ihn und das ganze königliche Haus – mit des Königs Feinden. Wenn Pfadfinder wirklich im Blockhaus ist, so mag er sprechen. Wir wollen dann unsere Unterhandlungen unmittelbar mit ihm abmachen. Er kennt uns als Freunde, und wir fürchten nichts Schlimmes von seiner Hand, am allerwenigsten aber ich; denn eine edle Seele ist ganz geeignet, Nebenbuhlerschaft in einem gewissen Interesse zu einer sichern Grundlage der Achtung und Freundschaft zu machen, zumal da Bewunderung des nämlichen weiblichen Gegenstandes eine Gleichheit der Gefühle und des Geschmacks beweist.«

Das Vertrauen auf Pfadfinders Freundschaft erstreckte sich jedoch nicht weiter als auf den Quartiermeister und Cap; denn selbst der französische Offizier, der sich bisher nicht von der Stelle gerührt hatte, schrak zurück bei dem Klange dieses gefürchteten Namens. In der Tat schien er, obgleich ein Mann von eisernen Nerven und durch lange Jahre an die Gefahren des Indianerkriegs gewöhnt, sich nicht den Kugeln des Wildtodes aussetzen zu wollen, dessen Ruf an der ganzen Grenze so wohlbegründet war wie der von Marlborough in Europa; und er verschmähte es nicht, gleichfalls ein Versteck zu suchen, wobei er darauf bestand, daß ihm seine beiden Gefangenen folgen sollten. Mabel war zu sehr erfreut, ihre Feinde losgeworden zu sein, als daß sie die Entfernung beklagt hätte, obgleich sie Cap durch die Schießscharte eine Kußhand zuwarf und ihm einige Worte der Liebe nachrief, als er sich zögernd und ungern entfernte.

Der Feind schien nun geneigt, alle Versuche auf das Blockhaus für den Augenblick aufzugeben, und June, die durch die eine Falltür auf das Dach gestiegen war, wo sie alles am besten übersehen konnte, berichtete, daß sich der ganze Trupp in einem abgelegenen und geschützten Teil der Insel zum Essen versammelt hätte, wobei Cap und Muir so ruhig an dem Mahl teilnähmen, als ob sie aller Sorge ledig seien. Diese Mitteilung beruhigte Mabel, und sie begann wieder an die Mittel zu denken, um ihre Flucht zu bewerkstelligen oder ihren Vater vor der Gefahr, die seiner wartete, zu warnen. Die Rückkehr des Sergeanten wurde diesen Nachmittag erwartet, und sie wußte, daß ein gewonnener oder verlorener Augenblick über sein Schicksal entscheiden konnte.

Drei oder vier Stunden entschwanden. Die Insel war wieder in tiefe Ruhe versenkt. Der Tag neigte sich, und noch hatte Mabel keinen Entschluß gefaßt. June bereitete im untersten Raum das einfache Abendessen, und Mabel war selbst auf das Dach gestiegen, das mit einer Falltür versehen war. Durch diese konnte sie in den Giebel des Gebäudes gelangen, von wo aus sich die weiteste Aussicht bot, obgleich diese immer noch beschränkt und häufig durch die Gipfel der Bäume eingeengt war. Das ängstliche Mädchen wagte es nicht, sich sehen zu lassen, denn sie konnte nicht wissen, ob nicht ungezügelte Leidenschaft einen Wilden veranlassen möchte, ihr eine Kugel durchs Hirn zu jagen. Sie erhob daher nur ihren Kopf über die Falltür, von wo aus sie im Laufe des Nachmittags ihre Augen über die verschiedenen Kanäle um die Insel die Runde machen ließ.

Die Sonne war nun wirklich untergegangen. Von den Booten hatte sich nichts sehen lassen und Mabel stieg aufs Dach, um den letzten Blick auszusenden in der Hoffnung, daß ihre Leute in der Dunkelheit ankommen sollten, wodurch die Indianer wenigstens verhindert würden, ihren Hinterhalt so gefährlich zu machen, wie dies unter andern Umständen der Fall gewesen wäre. Sie wurde hierdurch in den Stand gesetzt, mittelst Feuers ein so augenfälliges Warnungszeichen zu geben, wie es eben in ihrer Macht stand. Ihr Auge streifte achtsam um den ganzen Horizont herum, und sie war eben im Begriff, sich zurückzuziehen, als sie einen neuen Gegenstand gewahrte, der ihre Aufmerksamkeit fesselte. Die Inseln lagen so dicht beieinander, daß man sechs bis acht verschiedene Kanäle oder Wasserstraßen zwischen ihnen erblicken konnte, und in einem der verstecktesten, fast ganz durch das Gebüsch des Ufers verborgenen, erkannte sie bei einem zweiten Blick einen Rindenkahn. Er enthielt zweifellos ein menschliches Wesen. In der Überzeugung, daß, wenn sie es hier mit einem Feind zu tun habe, ein Signal nicht schaden, wohl aber im entgegengesetzten Fall von gutem Nutzen sein könne, ließ das Mädchen schnell eine kleine Flagge wehen, die sie für ihren Vater gemacht hatte, wobei sie Sorge trug, daß diese Bewegung von der Insel aus nicht gesehen werde.

Mabel wiederholte ihr Signal acht- oder zehnmal vergebens und fing schon an, die Hoffnung aufzugeben, daß es bemerkt würde, als auf einmal ihr Zeichen durch eine Bewegung mit dem Ruder erwidert wurde und der Mann so weit hervorkam, daß sie in ihm Chingachgook erkennen konnte. Hier war also endlich ein Freund, und zwar einer, der fähig und, wie sie nicht bezweifelte, geneigt war, ihr Beistand zu leisten. Von diesem Augenblick an lebte all ihr Mut wieder auf. Der Mohikaner hatte sie gesehen, mußte sie, da er von ihrer Teilnahme an dem Zug wußte, erkannt haben und tat, ohne Zweifel, sobald es dunkel geworden war, die nötigen Schritte zu ihrer Befreiung. Daß ihm die Anwesenheit des Feindes nicht entgangen sein konnte, ließ sich aus der großen Vorsicht, die er beobachtete, abnehmen, und auf seine Klugheit und Geschicklichkeit konnte sie sich zuversichtlich verlassen. Die Hauptschwierigkeit war nun von June zu befürchten; denn so sehr sie auch an Mabel hing, so hatte letztere doch zuviel von der Treue der Indianerin gegen ihr Volk gesehen, als daß sie hoffen durfte, sie werde einem feindlichen Indianer den Eintritt in das Blockhaus erlauben oder sie selbst entfliehen lassen mit der Absicht, Pfeilspitzes Pläne zu vereiteln. Die halbe Stunde, die der Entdeckung von der Annäherung der Großen Schlange folgte, war die peinlichste in Mabels Leben. Sie sah die Mittel zur Ausführung all ihrer Wünsche so ganz in der Nähe, und doch konnte sie nicht danach greifen. Sie kannte Junes Entschlossenheit und Besonnenheit, ungeachtet ihrer Herzensgüte und ihrer zarten, weiblichen Gefühle, und kam endlich, zwar mit innerem Widerstreben, zu der Überzeugung, daß es kein anderes Mittel zur Erreichung ihres Zweckes gebe, als ihre erprobte Freundin und Beschützerin zu täuschen. Es empörte allerdings Mabels edle Seele, eine Freundin wie June zu hintergehen, aber ihres Vaters Leben stand auf dem Spiel; ihrer Gefährtin drohte kein unmittelbarer Nachteil, und die Gefühle und Interessen, die sie selbst berührten, waren von einer Art, daß sie wohl größere Zweifel beseitigt haben müßten.

Sobald es dunkel war, begann Mabels Herz mit erneuter Heftigkeit zu pochen, und sie entwarf und wechselte ihre weiteren Pläne wohl ein dutzendmal im Lauf einer einzigen Stunde. June war immer die Quelle ihrer größten Verlegenheit; denn erstens sah sie nicht ein, wie sie sich die Überzeugung zu verschaffen vermöge, daß Chingachgook an der Tür sei, wo er, wie sie nicht zweifelte, bald erscheinen mußte – und zweitens, wie sie ihn einlassen könne, ohne ihre wachsame Freundin aufmerksam zu machen. Doch die Zeit drängte, denn der Mohikaner konnte kommen und wieder fortgehen, wenn sie nicht bereit war, ihn aufzunehmen, da es für den Delawaren gewagt gewesen wäre, lange auf der Insel zu bleiben. Es wurde daher unbedingt nötig, einen Entschluß zu fassen, selbst auf die Gefahr hin, unbesonnen zu handeln. Nach manchen Plänen, die ihr Gehirn durchkreuzten, ging daher Mabel auf ihre Gefährtin zu und sagte zu ihr mit so viel Ruhe, wie sie aufzubringen vermochte:

»June, fürchtest du nicht, daß deine Leute, da sie glauben, Pfadfinder sei in dem Blockhaus, kommen und aufs neue Feuer anlegen werden?«

»Nicht denken solche Ding. Nicht verbrennen Blockhaus, Blockhaus gut; kriegen nicht Skalp.«

»June, wir können das nicht wissen. Sie haben sich versteckt, weil sie glaubten, was ich ihnen wegen Pfadfinders sagte.«

»Glauben machen Furcht. Furcht kommen schnell, gehen schnell. Furcht machen weglaufen. Verstand machen zurückkommen. Furcht machen Krieger töricht, so gut wie junges Mädchen.«

Hier lachte June in der Weise junger Mädchen, wenn ein possierlicher Einfall ihre Gedanken durchkreuzt.

»Mir ist gar nicht wohl bei der Sache, June, und ich wünschte, du gingest wieder aufs Dach, um dich dort umzusehen, ob nicht etwas gegen uns im Werke ist; du kennst die Zeichen dessen, was deine Leute beabsichtigen, besser als ich.«

»June gehen, Lily wünschen; aber sehr wohl wissen, daß Indianer schlafen, warten auf Vater. Krieger essen, trinken, schlafen, alle Zeit, wenn nicht fechten und gehen auf Kriegspfad; aber dann nie schlafen, essen, trinken – nie fühlen. Krieger jetzt schlafen.«

»Gott gebe, daß es so sein möge! Aber geh‘ hinauf, liebe June, und sieh dich wohl um. Die Gefahr kann kommen, wenn wir es am wenigsten erwarten.«

June erhob sich und schickte sich an, auf das Dach hinaufzusteigen; auf der ersten Sprosse der Leiter hielt sie aber inne, Mabels Herz schlug so heftig, daß sie fürchtete, ihr Herzschlag möchte gehört werden, und sie bildete sich ein, daß eine Ahnung ihrer wahren Absicht die Seele ihrer Freundin durchkreuze. Sie hatte zum Teil recht; denn die Indianerin hatte wirklich angehalten, um zu überlegen, ob sie mit diesem Schritt nicht eine Unbesonnenheit begehe. Einmal tauchte in ihr der Verdacht auf, daß Mabel entfliehen möchte; diesen verwarf sie jedoch wieder, weil sie wußte, daß dem Bleichgesicht keine Mittel zu Gebote standen, die Insel zu verlassen, und das Blockhaus war jedenfalls der sicherste Punkt, den sie finden konnte. Dann war ihr nächster Gedanke, Mabel könnte Zeichen von der Annäherung ihres Vaters entdeckt haben. Aber auch diese Vermutung haftete nur einen Augenblick, denn June hegte gegen die Fähigkeit ihrer Freundin, derartige Zeichen zu verstehen – Zeichen, die ihrem eigenen Scharfblick entgangen waren –, keine hohe Meinung. Sie fing also an, langsam die Leiter hinaufzusteigen.

Sie hatte eben den oberen Boden erreicht, als sich Mabel ein glücklicher Gedanke darbot, und da sie ihn in einer zwar hastigen, aber natürlichen Weise kundgab, gewann sie einen großen Vorteil für die Verwirklichung ihres Planes.

»Ich will hinabgehen, June, und an der Tür horchen, während du auf dem Dach bist; wir sind auf diese Weise oben und unten auf unserer Hut.«

June hielt dies für eine unnötige Vorsicht, da sie wohl wußte, daß niemand ohne Hilfe von innen in das Gebäude herein könne, und daß keine Gefahr von außen zu erwarten stehe, ohne daß sie es vorher bemerken mußte; sie schrieb daher diesen Vorschlag Mabels Unwissenheit und Furcht zu und nahm ihn mit so viel Vertrauen auf, wie er mit Unverfänglichkeit gemacht zu sein schien. So wurde es nun unserer Heldin möglich, zu der Tür hinunterzusteigen, während sich ihre Freundin nach dem Dach begab und keinen besondern Anlaß zu haben glaubte, erstere zu bewachen. Die Entfernung zwischen beiden war jetzt zu groß, um ein Gespräch zu ermöglichen, und die eine beschäftigte sich drei oder vier Minuten mit Umsehen in der Gegend, so gut dies die Finsternis erlaubte, indes die andere mit so viel Spannung an der Tür horchte, als ob alle ihre Sinne sich im Ohr konzentriert hätten.

June bemerkte nichts von ihrem hohen Standpunkt, die Finsternis ließ auch in der Tat kaum einen Erfolg hoffen; es möchte aber nicht leicht sein, das Gefühl zu beschreiben, mit dem Mabel einen schwachen und vorsichtigen Stoß gegen die Tür zu bemerken glaubte. Fürchtend, es möchte nicht alles sein wie sie wünschte, und ängstlich bekümmert, Chingachgook ihre Nähe anzudeuten, fing sie an, obgleich in leisen und bebenden Tönen, zu singen. Die Stille war in diesem Augenblick so tief, daß der Laut der unsicheren Stimme bis zu dem Dache hinauf tönte, und eine Minute später begann June herunterzusteigen. Unmittelbar darauf wurde ein leichtes Pochen an der Tür gehört. Mabel war außer sich, denn jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren. Die Hoffnung überwog die Furcht, und mit sicheren Händen begann sie, die Balken wegzunehmen. Sie hörte auf dem Flur über sich Junes Mokassin; und erst ein einzelner Balken war zurückgeschoben, der zweite war gehoben, als die Gestalt der Indianerin bereits zur Hälfte auf der unteren Leiter sichtbar war.

»Was tun da?« rief June mit Heftigkeit. »Laufen weg – toll verlassen Blockhaus? Blockhaus gut!«

Beide legten ihre Hände an den letzten Riegel, der wahrscheinlich aus den Klammern gehoben worden wäre, wenn nicht ein kräftiger Druck von außen das Holz eingeklemmt hätte. Nun folgte ein kurzer Kampf, obschon beide der Anwendung von Gewalt gleich abgeneigt waren. Wahrscheinlich würde übrigens June den Sieg davongetragen haben, hätte nicht ein weiterer, noch kräftigerer Stoß von außen das leichte Hindernis, das den Balken noch hielt, überwunden und die Tür geöffnet. Man sah nun die Gestalt eines Mannes eintreten, und beide eilten nach der Leiter, als ob sie gleich besorgt wegen der Folgen seien. Der Fremde schloß die Tür und stieg, nachdem er sich vorher sorgfältig im Erdgeschoß umgesehen hatte, die Leiter hinauf. June hatte, sobald es dunkel geworden war, die Schießscharten im ersten Stock geschlossen und ein Licht angezündet. Beide erwarteten jetzt in dieser düsteren Beleuchtung die Erscheinung ihres neuen Gastes, dessen vorsichtige und bedachtsame Tritte sie auf der Leiter hören konnten. Es dürfte schwer zu sagen sein, welche von den Weibern am meisten erstaunt, war, als der Fremde durch die Falltür hinaufstieg und die Gestalt Pfadfinders vor ihren Augen stand.

»Gott sei gepriesen!« rief Mabel, denn der Gedanke, daß das Blockhaus mit einer solchen Besatzung unbezwinglich sei, durchkreuzte ihre Seele. »O Pfadfinder, was ist aus meinem Vater geworden?«

»Der Sergeant ist bis jetzt wohlbehalten und siegreich, obgleich es nicht unter die Gaben des Menschen gehört zu sagen, wie der Ausgang sein wird. Ist das nicht Arrowheads Weib, Pfeilspitzes Junitau, die sich dort in die Ecke kauert?«

»Macht ihr keine Vorwürfe, Pfadfinder; ich verdanke ihr mein Leben und meine gegenwärtige Sicherheit. Sagt mir, wie es meinem Vater und seinen Leuten gegangen ist und warum Ihr hier seid; ich will Euch dann alle die schrecklichen Ereignisse erzählen, die auf dieser Insel vorgefallen sind.«

»Dafür werden wenig Worte ausreichen, Mabel; denn wenn man an indianische Teufeleien gewöhnt ist, so bedarf’s keiner weitläufigen Erörterung eines solchen Überfalls. Unser Feldzug ging, wie wir’s hoffen konnten, vonstatten, denn Schlange war auf Kundschaft und teilte uns mit, was das Herz nur wünschen konnte. Wir kriegten drei Boote in einen Hinterhalt, und nachdem wir die Franzosen draus verjagt hatten, nahmen wir davon Besitz und versenkten sie vorschriftsmäßig an der tiefsten Stelle des Kanals. Die Wilden in Oberkanada werden diesen Winter mit indianischen Gütern nicht weit springen. Auch werden Pulver und Blei unter ihnen seltener sein, als es geschickten Jägern und mutigen Kriegern lieb sein mag. Wir haben nicht einen Mann verloren, nicht einmal eine Haut wurde gestreift, und ich denke, der Feind wird nicht besonders gut drauf zu sprechen sein. Kurz, Mabel – es ist gerade solch ein Ausflug gewesen, wie ihn Lundie liebt – viel Schaden für den Feind und wenig für uns selbst.«

»Ach, Pfadfinder, ich fürchte, wenn Major Duncan die ganze traurige Geschichte erfährt, so wird er Ursache haben zu bereuen, daß er je diesen Handel unternommen hat.«

»Ich weiß, was Sie meinen; wenn ich Ihnen aber die Umstände geradezu erzähle, so werden Sie sie besser verstehen. Als der Sergeant seinen Strauß mit Ehren beendet hatte, sandte er mich und Chingachgook in Kähnen voraus, um Euch zu sagen, wie die Sachen abgelaufen seien und daß er mit den so sehr beschwerten Booten nicht vor morgen eintreffen könne. Ich trennte mich diesen Vormittag von Chingachgook, und wir trafen dabei die Verabredung, daß er die eine und ich die andere Reihe von Kanälen hinauffahren solle, um zu sehen, ob der Pfad sauber sei. Seitdem habe ich den Häuptling nicht wieder gesehen.«

Mabel erklärte ihm nun die Art, wie sie den Mohikaner entdeckt hatte, und daß sie ihn nun im Blockhaus erwarte.

»Nein, nein! ein regelmäßiger Kundschafter geht nie hinter Wände und Holzstämme, solange er in freier Luft bleiben und eine nützliche Beschäftigung finden kann. Ich würde auch nicht gekommen sein, Mabel, wenn ich nicht dem Sergeanten versprochen hätte, Ihnen Mut zuzusprechen und für Ihre Sicherheit zu sorgen. Ach, ich hab‘ diesen Vormittag die Insel mit schwerem Herzen untersucht, und es war mir eine herbe Stunde, als ich dachte, Sie könnten unter den Erschlagenen sein.«

»Aber welcher glückliche Zufall hat Euch verhindert, kühn auf die Insel loszurudern, wodurch Ihr hättet in die Hände des Feindes fallen müssen?«

»Durch einen Zufall, Mabel, wie die Vorsehung ihn schuf, um dem Hund zu sagen, wo der Hirsch zu finden ist, und dem Hirsch, wie er den Hund abwerfen soll. Nein, nein! diese Kunstgriffe und Teufeleien mit Leichen mögen die Soldaten des Fünfundfünfzigsten und die Offiziere des Königs täuschen, aber bei Leuten, die ihr Leben in den Wäldern zugebracht haben, sind sie verloren. Ich kam in dem Kanal angesichts des vorgeblichen Anglers herunter, und obgleich dieses Gezücht den armen Wicht kunstreich hingesetzt hatte, so geschah es doch nicht mit dem nötigen Scharfsinn, um ein geübtes Auge zu hintergehen. Er hielt die Rute zu hoch, denn die Leute vom Fünfundfünfzigsten haben am Oswego fischen gelernt, wenn sie es vorher auch nicht konnten; und dann war der Mann auch viel zu ruhig für einen, dem nichts anbeißen will. Aber wir gehen nie blindlings auf einen Posten zu, und ich bin einmal eine ganze Nacht vor einer Garnison liegen geblieben, weil man die Schildwachen und die Art ihres Wachstehens verändert hatte. Weder Chingachgook noch ich lassen sich durch solche plumpe Pfiffe übertölpeln, die wahrscheinlich mehr auf die Schotten berechnet sind; denn obgleich diese in manchen Stücken ziemlich verschlagen sein mögen, so sind sie doch nichts weniger als Hexenmeister, wenn es sich um indianische Kunstgriffe handelt.«

»Glaubt Ihr, mein Vater und seine Leute könnten noch überlistet werden?« fragte Mabel rasch.

»Nicht, wenn ich’s verhindern kann, Mabel. Sie sagen mir, Schlange sei auch auf der Lauer; und so ist es doppelt wahrscheinlich, daß es uns gelingen wird, ihn von der Gefahr in Kenntnis zu setzen, obgleich wir nicht genau wissen, durch welchen Kanal er kommen mag.«

»Pfadfinder«, sagte Mabel feierlich, denn die schrecklichen Szenen, deren Zeuge sie gewesen, malten ihr den Tod mit den furchtbarsten Farben; »Ihr habt gesagt, daß Ihr mich zu Eurer Frau wünscht?«

»Ich wagte es, über diesen Gegenstand mit Ihnen zu sprechen, Mabel, und der Sergeant hat mir erst kürzlich gesagt, daß Sie gegen mich gütig gesinnt seien; aber ich bin nicht der Mann, das zu verfolgen, was ich liebe.«

»Hört mich, Pfadfinder – ich schätze Euch, ich achte Euch, ich verehre Euch – rettet meinen Vater von diesem fürchterlichen Tode, und ich kann Euch anbeten. Hier ist meine Hand; ich verpflichte mich feierlich, Wort zu halten, sobald Ihr kommt, um Eure Ansprüche auf sie geltend zu machen.«

»Gott segne Sie, Mabel, Gott segne Sie; das ist mehr als ich verdiene – mehr, fürchte ich, als ich zu schätzen weiß. Doch bedurfte es dessen nicht, um mich willfährig zu machen, dem Sergeanten Dienste zu leisten. Wir sind alte Kameraden, und jeder verdankt dem andern das Leben, obgleich ich fürchte, Mabel, daß es nicht immer die beste Empfehlung bei der Tochter ist, des Vaters Kamerad zu sein.«

»Ihr bedürft keiner andern Empfehlung als Eurer Handlungen, Eures Mutes und Eurer Treue. Alles, was Ihr tut und sagt, Pfadfinder, billigt meine Vernunft, und das Herz wird – nein, es muß folgen.«

»Das ist ein Glück, das ich in dieser Nacht nicht erwartete; aber wir sind in Gottes Hand, und er wird uns nach seiner Weise beschützen. Ihre Worte sind süß, Mabel; aber es bedarf ihrer nicht, um mich aufzumuntern, unter den gegenwärtigen Umständen alles aufzubieten, was in menschlicher Kraft steht; sie werden aber auch in keinem Fall meinen Eifer mindern.«

»Wir verstehen uns jetzt, Pfadfinder«, fügte Mabel mit erstickter Stimme bei. »Laßt uns keinen der kostbarsten Augenblicke verlieren, die vielleicht von unberechenbarem Werte sind. Können wir nicht in Euern Kahn eilen und meinem Vater entgegengehen?«

»Ich möchte hierzu nicht raten, da ich nicht weiß, durch welchen Kanal Ihr Vater kommen wird, denn es gibt deren mehr als zwanzig. Verlassen Sie sich übrigens darauf, Chingachgook wird sich durch alle zu winden wissen. Nein, nein! Mein Rat ist, hier zu bleiben. Die Stämme dieses Blockhauses sind noch grün; es wird daher nicht leicht sein, sie in Brand zu stecken, und wenn wir nichts von Feuer zu befürchten haben, ich will den Platz gegen einen ganzen Stamm halten. Das Irokesenvolk soll mich nicht aus dieser Festung herausbringen, solange wir die Flamme abhalten können. Der Sergeant biwakiert jetzt auf irgendeiner Insel und wird erst gegen Morgen kommen. Wenn wir das Blockhaus halten, so können wir ihn zeitig warnen, durch Abschießen von Büchsen zum Beispiel; und sollte er sich zu einem Angriff gegen die Wilden entschließen, wozu ihn sein Temperament wahrscheinlich veranlassen wird, so kann der Besitz dieses Gebäudes im Treffen von keinem geringen Belang sein. Nein, nein! ich bin dafür, zu bleiben, wenn wir dem Sergeanten einen Dienst leisten wollen, obgleich das Entkommen für uns beide keine schwierige Aufgabe wäre.«

»So bleibt, bleibt, um Gottes willen, Pfadfinder!« flüsterte Mabel. »Ich bin mit allem zufrieden, was meinen Vater retten kann!«

»Ja, das ist Natur. Es freut mich, Sie so sprechen zu hören, Mabel, denn ich gestehe, daß ich den Sergeanten hübsch unterstützt sehen möchte. Wie die Sachen jetzt stehen, so hat er sich Kredit erworben; und könnte er vollends diese Hunde vertreiben und sich ehrenvoll zurückziehen, nachdem er Blockhaus und Hütte in Asche gelegt hat, so ist gar kein Zweifel, daß Lundie an ihn denken und ihm auch wieder Dienste leisten wird. Ja, ja, Mabel, wir müssen nicht allein das Leben des Sergeanten, sondern auch seinen Ruf retten.«

»Wegen des Überfalls dieser Insel kann meinen Vater kein Vorwurf treffen.«

»Davon ist nicht die Rede; militärischer Ruhm ist ein höchst unsicheres Ding. Ich habe die Delawaren in Bedrängnis gesehen, wo sie sich wackerer gehalten haben als in Zeiten, wo sie den Sieg davongetragen hatten. Man ist übel dran, wenn man sein Leben an ein Geratewohl wagt – und am allerübelsten im Krieg. Ich kenne die Ansiedlungen und die Meinungen wenig, die dort im Schwange sind; aber hier oben schätzen selbst die Indianer den Wert eines Kriegers nach seinem Glück. Für einen Soldaten ist es immer die Hauptsache, nicht geschlagen zu werden, denn ich glaub’s nicht, daß sich die Leute lange bei den Betrachtungen aufhalten, wie der Tag gewonnen oder verloren wurde. Was mich betrifft, Mabel, so mach‘ ich’s mir zur Regel, im Angesicht des Feindes ihm so scharf zuzusetzen, wie ich nur kann, und mich mit der möglichsten Mäßigung zu benehmen, sobald wir im Vorteil sind. Von dem Gefühl der Mäßigung nach einer Niederlage läßt sich nicht viel sagen, da das Geklopftwerden ohnehin das Demütigendste in der ganzen Natur ist. Die Pfarrer predigen von Demut in den Garnisonen; aber wenn Demut den Christen ausmacht, so müßten des Königs Truppen Heilige sein, denn sie haben bis jetzt wenig mehr in diesem Krieg getan, als sich von den Franzosen Lektionen geben lassen, von dem Fort du Quesne an bis zum Ty.«

»Mein Vater konnte nicht ahnen, daß die Lage der Insel dem Feind bekannt sei«, erwiderte Mabel, deren Gedanken sich mit dem wahrscheinlichsten Erfolg der neuesten Ereignisse für den Sergeanten beschäftigten.

»Das ist wahr, und es ist mir unbegreiflich, wie sie die Franzosen ausgefunden haben. Der Ort ist gut gewählt, und es ist selbst für den, der den Weg hierher und wieder zurück schon einmal gemacht hat, keine leichte Aufgabe, ihn wiederzufinden. Es ist, wie ich fürchte, Verräterei dabei im Spiel; ja, ja, wir müssen verraten worden sein.«

»O Pfadfinder, wär‘ dies möglich?«

»Nichts leichter, Mabel; denn Verräterei ist manchen Leuten so natürlich wie das Essen. Wenn ich einen Mann voll schöner Worte treffe, so geb‘ ich immer genau auf seine Handlungen acht, denn wenn das Herz an der rechten Stelle sitzt und man das Gute wirklich mit Eifer sucht, so begnügt man sich im allgemeinen, sein Benehmen und nicht seine Zunge sprechen zu lassen.«

»Jasper Western ist keiner von diesen«, sagte Mabel mit Ungestüm. »Kein Mensch kann aufrichtiger in seinem Benehmen oder weniger fähig sein, die Zunge statt der Taten reden zu lassen.«

»Jasper Western? Verlassen Sie sich drauf, Mabel, daß bei dem Jungen Herz und Zunge an der rechten Stelle sind, trotz der üblen Meinung, die Lundie, der Quartiermeister, der Sergeant und Ihr Onkel von ihm haben; man könnte ebensogut glauben, daß die Sonne bei Nacht und die Sterne bei Tag scheinen. Nein, nein, ich stehe für Eau-douces Ehrlichkeit mit meinem eigenen Skalp oder, wenn’s nottut, mit meiner eigenen Büchse.«

»Gott segne Euch, Pfadfinder, Gott segne Euch!« rief Mabel, indem sie ihre Hand ausstreckte und die Eisenfinger ihres Gefährten mit einem Gefühl drückte, dessen Kraft ihr selbst unbewußt war. »In Euch vereinigt sich alles Große, alles Edle; Gott wird es Euch vergelten.«

»Ach, Mabel, ich fürchte, wenn dies wahr wäre, so würd‘ ich nicht nach einem Weib trachten –«

»Wir wollen heute nacht nichts mehr davon sprechen«, unterbrach ihn Mabel mit erstickter Stimme. »Wir müssen jetzt mehr an unsere Freunde als an uns selbst denken, Pfadfinder. Aber es freut mich von ganzer Seele, daß Ihr Jasper für unschuldig haltet. Laßt uns nun von anderen Dingen reden. – Sollten wir nicht June freilassen?«

»Ich habe bereits an sie gedacht; denn es wär‘ nicht geraten, hier innen im Blockhaus unsere Augen zu schließen, indes die ihrigen offen sind. Wenn wir sie in den oberen Raum brächten und die Leiter wegnähmen, so wär‘ sie wenigstens in unsern Händen.«

»Ich kann die Frau, die mein Leben gerettet hat, nicht so behandeln lassen. Es wär‘ vielleicht besser, sie abziehen zu lassen, denn ich glaube, sie liebt mich zu sehr, um mir Schaden zuzufügen.«

»Sie kennen diese Rasse nicht, Mabel. Es ist schon wahr, sie ist keine Vollblutsmingo; aber sie lebt in Gesellschaft mit diesen Landstreichern und muß was von ihren Tücken gelernt haben. – Was ist das?«

»Es klingt wie Ruderschlag; ein Boot kommt den Kanal herunter.«

Pfadfinder schloß die Falltür, die zu dem untern Raum führte, um Junes Entspringen zu verhindern, löschte das Licht aus und ging hastig zu einer Schießscharte, wobei Mabel mit atemloser Neugierde über seine Schultern blickte.

Nach längerem Spähen vermochte das Auge des Kundschafters einige Gegenstände in der Dunkelheit zu unterscheiden. Zwei Boote waren vorbeigerudert und schossen an einer Stelle, die etwa fünfzig Ellen von dem Blockhaus entfernt lag – an dem gewöhnlichen Landungsplatz – auf das Ufer. Die Dunkelheit verhinderte ein genaueres Erkennen, und Pfadfinder flüsterte Mabel zu, daß die neuen Ankömmlinge ebensogut Feinde wie Freunde sein könnten, denn er glaube nicht, daß es ihrem Vater möglich geworden sei, sobald anzulangen. Jetzt sah man eine Anzahl Leute das Boot verlassen, dann folgten drei kräftige englische Freudenrufe, die es nicht mehr am Zweifel ließen, daß die erwarteten Freunde gelandet waren. Pfadfinder sprang gegen die Falltür, hob sie auf, glitt die Leiter hinunter und begann die Tür mit einem Ernst zu entriegeln, der bewies, wie entscheidend ihm der Augenblick vorkam. Mabel war nachgefolgt; sie hinderte aber mehr das Geschäft des Mannes, als daß sie es unterstützt hätte; und kaum war der erste Balken losgemacht, als sich der Knall vieler Büchsen vernehmen ließ. Sie standen noch in atemlosem Zweifel, als plötzlich das Kriegsgeschrei der Indianer die ganze Insel erfüllte. Die Tür war nun offen, und Pfadfinder und Mabel eilten ins Freie. Alles war wieder still. Als jedoch Pfadfinder eine halbe Minute aufhorchte, kam es ihm vor, als höre er ein ersticktes Ächzen in der Nähe der Boote; aber der Wind blies so frisch, und das Rauschen der Blätter mischte sich so sehr mit dem Sausen des Windes, daß sich keine Gewißheit darüber erlangen ließ. Mabel aber wurde von ihren Gefühlen hingerissen und eilte an dem Gefährten vorüber gegen die Boote zu.

»Das geht nicht, Mabel«, sagte der Kundschafter mit ernster, aber leiser Stimme, indem er ihren Arm ergriff; »das geht nimmermehr. Gewisser Tod wird die Folge sein, ohne daß irgend jemandem ein Nutzen daraus erwächst. Wir müssen in das Blockhaus zurück.«

»Vater! mein armer, gemordeter Vater!« sagte das Mädchen mit wirrem Blick, obgleich die gewohnte Vorsicht auch in diesem schrecklichen Augenblick ihre Stimme dämpfte. »Pfadfinder, wenn Ihr mich liebt, so laßt mich zu meinem Vater gehen.«

»Es geht nicht, Mabel. Es ist sonderbar, daß niemand spricht, niemand erwidert das Feuer von den Booten aus, und ich habe das Gewehr im Blockhaus gelassen! Aber was würde eine Büchse nützen, wenn sich kein Feind sehen läßt?«

In diesem Augenblick entdeckte das rasche Auge des Pfadfinders, der unablässig, während er Mabel fest gefaßt hielt, seine Blicke über den nächtlichen Schauplatz hinstreifen ließ, in der Finsternis vier oder fünf geduckte dunkle Gestalten, die sich an ihm vorbeizustehlen suchten, ohne Zweifel in der Absicht, den Rückzug nach dem Blockhaus abzuschneiden. Er nahm daher Mabel wie ein Kind auf den Arm, und mit der ganzen Anstrengung seiner Kraft gelang es ihm, in das Gebäude zurückzukommen. Die Verfolger schienen ihm unmittelbar auf der Ferse zu sein. Nachdem er seine Bürde niedergesetzt hatte, wandte er sich, schloß die Tür, und hatte eben einen Balken angelegt, als sie ein Stoß gegen die feste Masse aus ihren Angeln zu sprengen drohte. Die anderen Riegel vorzulegen war das Werk eines Augenblicks.

Mabel stieg nun in das erste Stockwerk, während Pfadfinder als Schildwache unten blieb. Das Mädchen war in jenem Zustand, in dem der Körper scheinbar ohne die Mitwirkung des Geistes tätig ist. Sie zündete nach dem Wunsch ihres Gefährten mechanisch das Licht an und kehrte damit in das Erdgeschoß zurück, wo der Pfadfinder auf sie wartete. Dieser war kaum im Besitz des Lichtes, als er den Ort sorgfältig untersuchte, um gewiß zu sein, daß sich niemand in der Feste verborgen hatte, was er dann aus demselben Grund der Reihe nach auch bei den übrigen Stockwerken tat. Das Ergebnis dieser Untersuchung war, daß er sich mit Mabel allein im Blockhaus befand, denn June war entwischt. Sobald er sich über diesen wichtigen Punkt vollkommene Überzeugung verschafft hatte, kehrte Pfadfinder wieder zu seiner kleinen Heldin in das Hauptgemach zurück, stellte das Licht auf den Tisch und setzte sich nieder, nachdem er zuvor das Schloß seines Wildtods untersucht hatte.

»Unsere schlimmsten Befürchtungen sind eingetroffen!« sagte Mabel, für die in der Hast und Aufregung der letzten fünf Minuten die Stürme eines ganzen Lebens enthalten zu sein schienen. »Mein lieber Vater ist mit seinen Leuten entweder erschlagen worden oder gefangen.«

»Wir können das nicht wissen – der Morgen wird uns Aufschluß geben. Ich glaube nicht, daß die Sache soweit im reinen ist, sonst würden wir das Siegesgeheul dieser landstreicherischen Mingos vor dem Blockhaus hören. Wir können nur auf eins mit Sicherheit zählen; wenn der Feind wirklich gesiegt hat, so wird er’s nicht lange anstehen lassen, uns zur Übergabe aufzufordern. Die Squaw wird sie in das Geheimnis unserer Lage einweihen; und da sie wohl wissen, daß der Platz nicht bei Tag in Brand gesteckt werden kann, solange der Wildtod fortfährt, seinem Ruf Ehre zu machen, können wir uns darauf verlassen, daß sie nicht säumen werden, einen Versuch zu machen, solang‘ sie dies unter dem Schutz der Dunkelheit tun können.«

»Gewiß – ich höre ein Stöhnen.«

»Das ist Einbildung, Mabel. Wenn der Geist, besonders der weibliche Geist, beunruhigt ist, so steigen ihm oft Dinge auf, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind. Ich habe manche gekannt, die in Träumen Wahrheit zu finden glaubten –«

»Nein, ich hab‘ mich nicht getäuscht; es ist gewiß jemand unten – ein Leidender.«

Pfadfinder mußte jetzt zugestehen, daß sich die scharfen Sinne Mabels nicht getäuscht hatten. Er empfahl ihr jedoch vorsorglich, ihre Gefühle zu unterdrücken und erinnerte sie, daß die Wilden alle Kunstgriffe aufzubieten gewöhnt seien, um zu ihrem Zweck zu gelangen, und daß es mehr als wahrscheinlich sei, man wolle sie durch ein verstelltes Stöhnen aus dem Blockhaus locken oder doch zum Öffnen der Tür veranlassen.

»Nein, nein, nein!« sagte Mabel hastig, »es liegt keine Arglist in diesen Tönen; sie kommen aus einem leidenden Körper, wenn nicht aus einer geängstigten Seele: Sie sind schreckhaft natürlich.«

»Nun, wir werden bald sehen, ob ein Freund da ist oder nicht. Verbergen Sie das Licht wieder, Mabel; ich will mit der Person durch die Schießscharte sprechen.«

Nach Pfadfinders Urteil und Erfahrung war selbst zur Ausführung dieses einfachen Vorhabens keine geringe Vorsicht nötig, denn er wußte, daß schon mancher Sorglose erschlagen wurde, weil es ihm an der nötigen Achtsamkeit auf das gebrach, was dem Unwissenden als ein übertrieben vorsichtiges Schutzmittel erscheinen mochte. Er brachte seinen Mund nicht an die Schießscharte selbst, aber doch so nahe daran, daß er verstanden werden konnte, ohne die Stimme zu verstärken.

»Wer ist unten?« fragte Pfadfinder, als alle Vorkehrungen nach seinem Wunsch getroffen waren. »Ist es irgendein Bedrängter? Wenn es ein Freund ist, so mag er kühn sprechen und auf unsern Beistand bauen.«

»Pfadfinder«, antwortete eine Stimme, die beide, Mabel und der Angeredete, sogleich als die des Sergeanten erkannten – »Pfadfinder, sagt mir doch um Gottes willen, was aus meiner Tochter geworden ist?«

»Vater, ich bin hier! Unverletzt sicher! Oh, daß ich das gleiche von Euch glauben dürfte!«

Ein Ausruf des Dankes, der jetzt folgte, wurde von beiden vernommen; er war aber deutlich mit dem Ächzen des Schmerzes vermengt.

»Meine schlimmsten Ahnungen sind eingetroffen!« sagte Mabel mit einer Art verzweifelter Ruhe. »Pfadfinder, mein Vater muß ins Blockhaus gebracht werden, mag es auch mit noch soviel Gefahr verbunden sein.«

»Das ist Natur und ist das Gesetz Gottes. Aber ruhig, Mabel; geben Sie sich Mühe gelassen zu sein. Alles, was ein Mensch für den Sergeanten tun kann, soll geschehen. Ich bitte Sie bloß, gefaßt zu sein.«

»Ich bin’s, ich bin’s, Pfadfinder. Ich war in meinem Leben nie ruhiger, nie gesammelter als in diesem Moment. Aber bedenkt, wie gefährlich jeder Augenblick werden kann. Um’s Himmels willen, laßt uns schnell tun, was geschehen muß.«

Pfadfinder staunte über die Festigkeit in Mabels Stimme und wurde vielleicht selbst durch die erzwungene Ruhe und Selbstbeherrschung, die sie angenommen, ein wenig getäuscht. Indessen schien ihm keine weitere Erörterung nötig; er stieg deshalb unverzüglich hinunter und begann die Tür zu entriegeln. Dieses geschah mit der gewöhnlichen Vorsicht; als er aber die schwere Balkenmasse behutsam sich in den Angeln drehen ließ, fühlte er einen Druck dagegen, der ihn fast veranlaßt hätte, die Tür wieder zu schließen. Nach einem Blick durch die Spalte jedoch öffnete er sie vollends, und der Körper des Sergeanten Dunham, der sich daran lehnte, fiel halb in das Blockhaus herein. Ein Augenblick, und Pfadfinder hatte ihn vollends hereingezogen und die Balken wieder vorgelegt, so daß kein Hindernis mehr vorhanden war, dem Verwundeten ungeteilte Sorgfalt zu weihen.

Mabel benahm sich bei diesem erdrückenden Auftritt mit jener ungewöhnlichen Seelenstärke, die ihr Geschlecht in solchen erregenden Momenten entwickeln kann. Sie holte das Licht, benetzte die trockenen Lippen ihres Vaters mit Wasser, unterstützte den Pfadfinder bei Bereitung eines bequemen Strohlagers und machte aus ihren Kleidern ein Kissen für den Kopf des Kranken. Alles dies geschah unter ernstem Schweigen; selbst Mabel vergoß keine Träne, bis sie die Segensgebete vernahm, die der Sergeant für ihre Zärtlichkeit und Sorgfalt über ihr Haupt aussprach. Bisher hatte Mabel nur Vermutungen über den Zustand ihres Vaters. Pfadfinder hatte jedoch mehr Aufmerksamkeit auf das körperliche Leiden des Sergeanten verwendet und die Überzeugung gewonnen, daß eine Büchsenkugel durch den Körper des verwundeten Mannes gedrungen sei. Er war mit der Natur solcher Verletzungen zu gut vertraut, um nicht zu wissen, daß für das Aufkommen seines Freundes wenig oder keine Hoffnung vorhanden war.