Sechstes Kapitel.

Ein Lied, das lieblich einst in Zion tönt‘, –
Er wählt eine Weis mit klugem Sinn,
Und »lebt den Herrn!« spricht er mit feierlicher Mien‘.
Burns.

Heyward und seine weiblichen Begleiter sahen diese geheimnißvolle Bewegung mit innerer Unruhe: denn, wenn auch das Betragen des Weißen bis jetzt ganz untadelhaft war, so konnte doch sein roher Aufzug, sein derbes Betragen und seine mannigfachen Vorurtheile, zusammengehalten mit dem Charakter seiner schweigsamen Genossen, in den Gemüthern Solcher, welche eben erst durch indianische Verrätherei in Roth gekommen waren, Grund zu Mißtrauen erregen.

Der Fremde allein achtete nicht auf das, was um ihn her vorging. Er saß auf dem Vorsprung eines Felsens, und gab keine andern Lebenszeichen, als häufige, schwere Seufzer, welche Kämpfe in seinem Innern bekundeten. Gedämpfte Männerstimmen ließen sich jetzt vernehmen, als ob sie in den Eingeweiden der Erde einander zuriefen, ein plötzlicher Lichtstrahl schoß auf die außen Weilenden und enthüllte das so hochgeschätzte Geheimniß des Ortes. An dem entferntern Ende einer engen, tiefen Höhle in dem Felsen, deren Länge durch die Perspektive und die Beschaffenheit des Lichtes, in dem sie gesehen ward, wohl noch vergrößert erschien, saß der Kundschafter, einen Fichtenbrand haltend. Der helle Schein des Feuers fiel auf sein derbes, verwittertes Gesicht und seinen Jagdanzug, und verlieh einen Anschein romantischer Wildheit dem Aeußern eines Mannes, der, in dem ruhigern Lichte des Tages nur durch seinen seltsamen Anzug, die eiserne Gedrungenheit seiner Gestalt und die sonderbare Mischung von lebhaftem, allezeit wachem Scharfblick und entschiedener Einfalt, die abwechslungsweise seine Züge beherrschten, sich ausgezeichnet hätte. Unweit von ihm, aber etwas im Vordergrund, stand Uncas, dessen ganze Person in vollem Lichte erschien. Die Reisenden betrachteten aufmerksam die aufrechte, schlanke Gestalt des jungen Mohikaners, anmuthig und ungezwungen in Haltung und Bewegungen. Obgleich sein Leib mehr als gewöhnlich verdeckt war durch ein grünes mit Franzen besetztes Jagdhemd, dem des Weißen gleich, so ließ doch sein schwarzes, funkelndes Auge, furchtlos und ruhig, wenn gleich furchtbar; der kühne Umriß seiner hohen, stolzen Züge, in ihrem reinen, natürlichen Roth; seine würdevolle, hohe Stirn, mit all den schönen Verhältnissen eines edeln Hauptes, das bis auf den Haarschopf kahl geschoren war, sich nicht verbergen. Zum erstenmale hatten Duncan und seine Gefährten Gelegenheit, die markirten Züge ihrer beiden indianischen Begleiter zu betrachten, und Alle fühlten sich von einer Bürde des Zweifels erleichtert, als sich die stolzen und entschlossenen, wenn gleich wilden Züge des jungen Kriegers ihrer Beobachtung aufdrangen. Sie fühlten, daß sein Geist noch zum Theil von Unwissenheit umnachtet seyn konnte, daß er aber nie seine herrlichen Naturgaben zu Zwecken boshafter Verrätherei mißbrauchen werde.

Die offenherzige Alice staunte sein freies Wesen und seine stolze Haltung an, wie sie bei einer kostbaren Reliquie des griechischen Meißels, die sie durch ein Wunder belebt gesehen, gethan haben würde, während Heyward, obgleich gewohnt an den Anblick vollendeter Formen, die unter den unverdorbenen Eingebornen so häufig sind, seine Bewunderung über ein so tadelloses Muster der edelsten Männergestalt unverholen äußerte.

»Ich könnte ruhig schlafen,« flüsterte ihm Alice erwiedernd zu, »wenn ich einen so furchtlosen, hochsinnigen Jüngling zu meiner Schildwache hätte. Sicher, Duncan, werden die grausamen Mordthaten, jene furchtbaren Marterscenen, von denen wir so viel lesen und hören, nie in Gegenwart von Einem, wie er ist, verübt.«

»Gewiß ein seltenes, glänzendes Muster jener natürlichen Eigenschaften, wodurch diese eigenthümlichen Völker sich so sehr auszeichnen sollen,« bemerkte er. »Ich bin mit Ihnen einverstanden, Alice, daß eine solche Stirne und ein solches Auge mehr geschaffen sind, Furcht einzujagen, als zu betrügen; aber täuschen wir uns nicht selbst, indem wir von ihm die Ausübung einer andern Tugend, als sich mit den Begriffen eines Wilden verträgt, erwarten. Glänzende Beispiele großer Eigenschaften sind so selten unter Christen, wie sollten sie nicht bei den Indianern vereinzelte Erscheinungen seyn, obgleich, zur Ehre unsres gemeinsamen Geschlechts, beide Theile nicht unfähig sind, dergleichen aufzustellen! Hoffen wir denn, daß dieser Mohikaner unsre Hoffnungen nicht täusche, sondern sich, wie sein Blick verspricht, als wackrer und beständiger Freund erweise.«

»Jetzt spricht Major Heyward, wie Major Heyward sollte,« sagte Cora; »wer gedenkt der Farbe der Haut, wenn er diesen Sohn der Natur betrachtet?«

Ein kurzes und anscheinend verlegenes Stillschweigen folgte auf diese Bemerkung. Es wurde von dem Kundschafter unterbrochen, der ihnen laut zurief, in die Höhle zu treten.

»Das Feuer fängt an, hell aufzuflammen,« fuhr er fort, als sie seiner Aufforderung folgten: »und könnte den Mingos zu unserem Verderben leuchten. Uncas, laß den Vorhang herab und zeig‘ den Schelmen die finstere Seite. Das ist freilich kein Essen, wie es ein Major der königlichen Amerikaner zu erwarten berechtigt ist; aber ich hab‘ schon kühne Detachements gesehen, welche froh waren, wenn sie ihr Wildbret roh und ohne Zuthat essen durften. Hier haben wir, wie Ihr seht, eine Fülle Salzes, und das Fleisch ist bald gebraten. Da sind frische Sassafraszweige für die Ladies, um darauf zu sitzen, vielleicht nicht so stattlich als ihre My-Hog-Guineasessel, aber lieblicher duftend, als die Haut eines Schweines, sey’s von Guinea oder einem andern Land. Kommt, Freund, seyd nicht so traurig ob dem Füllen, ’s war ein unschuldiges Ding und hat nicht viel Trübsal erlebt. Sein Tod erspart ihm manchen wunden Rücken und manchen müden Fuß.«

Uncas that, wie ihm der Andere befohlen hatte, und sobald Hawk-eye’s Stimme verstummte, scholl das Brausen des Wasserfalls wie das Dröhnen eines entfernten Donners.

»Sind wir ganz sicher in dieser Höhle?« fragte Heyward. »Ist kein Ueberfall zu befürchten? Ein einziger bewaffneter Mann an dem Eingang hätte uns alle in seiner Gewalt.«

Eine geisterähnliche Gestalt schritt aus der Finsterniß hinter dem Kundschafter hervor, ergriff einen Fichtenbrand und hielt ihn gegen das entferntere Ende ihres Verstecks. Alice stieß einen schwachen Angstruf aus und selbst Cora sprang auf, als dieser schreckhafte Gegenstand mehr in das Licht trat. Heyward aber beruhigte sie mit der Versicherung, daß es blos ihr Begleiter Chingachgook sey, der, einen zweiten Vorhang hebend, zeigte, daß die Höhle zwei Ausgänge hatte. Dieser schritt, den Feuerbrand in der Hand, durch eine enge tiefe Spalte in dem Felsen, die mit dem Gang, in welchem sie waren, in einen rechten Winkel zusammenlief aber nicht, wie dieser zur Seite, sondern nach oben offen war und in eine andere Höhle führte, der Beschreibung der erstern in allem Wesentlichen entsprechend.

»So alte Füchse, wie Chingachgook und ich, lassen sich nicht leicht in einem Bau mit einem Ausgange fangen,« bemerkte Hawk-eye lachend; »Ihr könnet leicht absehen, wie klug Alles eingerichtet ist – der Felsen schwarzer Kalkstein, der bekanntlich sehr weich ist und kein unbequemes Lager gewährt, wo Gestrüpp und Nadelholz selten sind. Der Wasserfall war früher einige Schritte unter uns, und ich darf wohl sagen, seiner Zeit so regelmäßig und schön, als nur irgend einer längs des Hudson zu finden ist. Aber Alter richtet in der Schönheit arge Verwüstungen an, wie diese lieblichen Ladies selbst noch erfahren werden. Der Platz hat eine traurige Umwandlung erlitten. Diese Felsen sind voll Risse und an einzelnen Stellen weicher als an andern. Das Wasser hat sich nun tiefe Höhlen gegraben, ist um einige hundert Fuß zurückgetreten, bald hier etwas ansetzend, bald dort etwas nehmend, bis die Fälle weder Form noch Bestand mehr hatten.«

»In welchem Theile davon sind wir?« fragte Heyward.

»Nun wir sind nahe bei der Stelle, wo die Vorsehung zuerst sie hinverlegt hat, wo sie aber durchaus nicht mehr bleiben wollten. Der Felsen wurde auf beiden Seiten von uns weicher und so ließ das Wasser die Mitte des Flußes trocken liegen und bohrte zuerst diese zwei kleinen Höhlen zu Verstecken für uns aus.« »So sind wir denn auf einer Insel?«

»Freilich, zu beiden Seiten haben wir die Wasserfälle und über und unter uns den Fluß. Wenn wir Tag hätten, so würde sich’s verlohnen, auf die Höhe dieses Felsens zu treten und das wunderliche Treiben des Wassers mitanzusehen. Es fällt ganz regellos: oft springt es empor, dann stürzt es wieder hinab; da hüpft, dort schießt es; an einer Stelle ist es weiß wie Schnee, an einer andern grün wie das Gras; hier stürzt es in tiefe Höhlen, daß die Erde rumort und erzittert, dort rieselt und singt es, wie ein Bach, macht Wirbel und Strudel in dem alten Gestein, als ob es nicht härter, denn getretener Lehmboden wäre. Der ganze Lauf des Flußes scheint jetzt in’s Stocken gerathen zu seyn; erst fließt er ganz sänftlich, als wollt‘ er, wie sich’s sonst ziemt, abwärts, dann macht er rechtsum und stößt an das Ufer, an einzelnen Stellen sogar möcht‘ er wieder rückwärts, als wollt‘ er die Wildniß nicht verlassen, um sich mit dem Salzwasser zu vermischen. Ja, Lady, das feine Spinngeweb, das Ihr am Halse tragt, ist grob wie ein Fischernetz gegen die vielerlei Bilderchen, die er an manchen Orten, wie ich Euch zeigen kann, künstelt, als ob er, einmal der Ordnung entronnen, seine Kunst an Allem versuchen wollte. Und doch auf was läuft Alles hinaus? Hat das Wasser eine Weile, wie ein verzogenes Kind, seinen Willen gehabt, so sammelt es wieder dieselbe Hand, die es erschaffen, und eine kleine Strecke unter Euch könnt Ihr sehen, wie es hübsch ordentlich der See zufließt, als wär’s ihm so von Anbeginn der Welt beschieden gewesen.«

Als Hawk-eye’s Zuhörer aus dessen kunstloser Beschreibung des Glenn über die Sicherheit ihres Verstecks Gewißheit erhalten, waren sie sehr geneigt, verschieden über seine wilden Schönheiten zu urtheilen. Sie waren aber nicht in der Stimmung, mit ihren Gedanken lange bei den Reizen von Naturgegenständen zu verweilen; und da der Kundschafter es nicht für nöthig hielt, während seines Vortrags seine Küchengeschäfte einzustellen, obgleich er hin und wieder mit seiner zerbrochenen Gabel auf besonders gefährliche Stellen des rebellischen Flußes hindeutete, so ließen sie jetzt ihre Aufmerksamkeit auf die nothwendige, wenn gleich gemeinere Betrachtung ihres Abendmahles gerichtet seyn.

Das Mahl, welches durch die Beigabe einiger Leckerbissen, welche Heyward die Vorsicht gehabt hatte mitzunehmen, als sie die Pferde verließen, bedeutend unterstützt wurde, war für die ermüdete Gesellschaft sehr erquickend. Uncas bediente die Damen und verrichtete alle die kleinen Dienste, die in seiner Macht standen, mit einer Mischung von Würde und Aengstlichkeit, welche Heyward sehr belustigte, da er wußte, daß dies eine ungewöhnliche Abweichung von den indianischen Sitten war, welche einem Krieger verbieten, sich zu einem häuslichen Geschäfte, besonders zu Gunsten der Weiber, herabzulassen. Da jedoch die Gebräuche der Gastfreundschaft unter ihnen als heilig angesehen wurden, so erregte dieses theilweise Verläugnen der Würde des Mannes keinen hörbaren Tadel. Hätte Einer gehörig Muße gehabt, um aufmerksam zu beobachten, so würde er gefunden haben, daß die Dienste des jungen Häuptlings nicht ganz unpartheiisch waren; daß, während er Alice die Kürbißflasche mit süßem Wasser reichte, das Wildpret auf einem aus der Wurzel des Pfefferbaums niedlich geschnitzten Teller darbot und mit gebührender Höflichkeit ihrer Schwester die gleichen Dienste that, sein dunkles Auge auf Cora’s ausdrucksvollen Gesichtszügen verweilte. Ein- oder zweimal sah er sich veranlaßt, zu sprechen, um die Aufmerksamkeit derer, die er bediente, rege zu machen. In solchen Fällen gebrauchte er das Englische, zwar gebrochen und mangelhaft, aber verständlich genug und durch seine tiefe Kehlstimme so mild und wohlklingend, daß beide Damen jedesmal mit Bewunderung und Erstaunen auf ihn blickten. Im Verlaufe dieser Höflichkeitsbezeugungen wurden einige Worte gewechselt, welche nicht verfehlten, ihrem Verkehr den Anschein freundlicher Zutraulichkeit zu geben.

Mittlerweile blieb Chingachgook’s Ernst sich immer gleich. Er hatte sich mehr in den Bereich des Lichtes gesetzt, wo die häufigen, unruhigen Blicke seiner Gäste besser im Stande waren, den natürlichen Ausdruck seines Gesichtes von dessen künstlichen Schreckenszügen zu trennen. Sie fanden eine große Aehnlichkeit zwischen Vater und Sohn, nur mit dem Unterschied, welchen Alter und Anstrengungen erwarten ließen. Das Wilde seiner Züge schien zu schlummern, und jener ausdruckslosern Ruhe zu weichen, die einem indianischen Krieger eigenthümlich ist, wenn seine Geisteskräfte nicht für höhere Lebenszwecke in Anspruch genommen sind. An den gelegentlichen Blitzen, die über sein dunkles Gesicht hinfuhren, war jedoch leicht zu ersehen, daß es nur galt, seine Leidenschaften zu wecken, um dem schreckhaften Emblem, das er gewählt hatte, seine Feinde in Furcht zu setzen, seine volle Bedeutung zu geben. Auf der andern Seite ruhte das lebhafte, unstäte Auge des Kundschafters nur selten. Er aß und trank zwar mit einer Lust, die keine Furcht vor Gefahr zu stören vermochte, aber seine Wachsamkeit schien ihn nie zu verlassen. Sehr oft mußte die Kürbißsflasche, oder das Wildpret, vor seinem Munde angelangt, warten, während er den Kopf bei Seite wendete, als ob er auf entfernte, verdächtige Laute horchte – eine Bewegung, die nie verfehlte, seine Gäste von der Betrachtung ihrer neuen Lage ab und zu der beunruhigenden Veranlassung derselben zurückzurufen. Da auf diese häufigen Pausen nie eine Bemerkung folgte, so ging die augenblickliche Unruhe vorüber und ward in einer Weile vergessen.

»Kommt, Freund,« sprach Hawk-eye, indem er gegen das Ende des Mahls eine Tonne unter einer Decke von Laub hervorzog und sich an den Fremden, der ihm zur Seite saß und seiner Kochkunst volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, mit den Worten wandte: »versucht einmal dies Sprossenbier, es spült euch alle Gedanken an das Füllen hinweg und facht das Leben in euerm Busen wieder an. Ich trinke auf bessere Freundschaft und hoffe, daß das Bischen Pferdefleisch keinen Groll in eurem Herzen zurücklassen wird. Wie nennt Ihr euch?«

»Gamut, David Gamut,« antwortete der Singmeister, indem er sich anschickte, in einem kräftigen Zug aus des Waidmanns stark-duftender, wohlverspundeter Biertonne seinen Kummer hinabzuwaschen.

»Ein sehr guter Name, und ich darf wohl sagen, von rechtlichen Vorfahren ererbt. Ich bin ein Bewunderer von Namen, obgleich die christlichen Gebräuche alle hinter der Sitte der Wilden zurückstehen müßen. Die feigste Memme, die ich kennen lernte, hieß Lion (Löwe), und sein Weib, Patience (Geduld), schalt Euch eher aus dem Feld, als ein gehetztes Wild eine Ruthe weit laufen konnte. Bei dem Indianer ist es Gewissenssache; wie er sich nennt, so ist er auch gemeiniglich – nicht als ob Chingachgook, das eine große Schlange bedeutet, wirklich eine große oder kleine Schlange wäre, sondern daß er sich auf die Windungen und Krümmungen der menschlichen Natur versteht, schweigt und seine Feinde trifft, wenn sie sich dessen am wenigsten versehen. Was ist euer Beruf?«

»Ich bin ein unwürdiger Lehrer in der Kunst, die Psalmen abzusingen.«

»Das wäre!«

»Ich ertheile den Kindern der Connecticuter Landwehr Unterricht im Singen.«

»Da könntet Ihr eine bessere Beschäftigung finden. Die jungen Hunde stöbern bereits zu viel lachend und singend durch die Wälder, wo sie nicht lauter athmen sollten, als der Fuchs in seinem Baue. Versteht Ihr euch auf’s Fechten, oder handhabt Ihr die Büchse?«

»Gott sey Dank, noch nie hatte ich Gelegenheit, mit Mordinstrumenten umzugehen.«

»Vielleicht versteht Ihr euch auf den Compaß und könnet die Läufe der Gewässer und die Richtungen der Gebirge zu Papier bringen, damit Diejenigen, welche nachkommen, die Plätze wieder finden, die Ihr angegeben habt?«

»Ich treibe nichts dergleichen.«

»Ihr habt ’n Paar Beine, die einen langen Weg verkürzen dürften! Ihr reiset, denk‘ ich mir, oft mit Nachrichten zu dem General.«

»Nie; ich folge keinem andern, als meinem eigenen hohen Berufe, und der ist, Unterricht in der heiligen Musik zu ertheilen.«

»Ein seltsamer Beruf!« murmelte Hawk-eye, in sich hineinlachend, »wie ein Spottvogel durch’s Leben zu gehen, und alle Auf und Nieder, die aus andrer Leute Kehlen kommen, zu bekritteln. Gut, Freund, ich denke, Ihr habt ‚mal ’ne Schneide dafür, und das muß so gut gelten, als wenn’s fürs Schießen, oder sonst was Besseres wäre. Laßt uns hören, was Ihr darin zu leisten vermöget; ’s wird ’ne freundliche Weise seyn, gute Nacht zu sagen; denn es ist Zeit, daß die Ladies da sich für ’ne harte, lange Tour am frühesten Morgen, eh‘ noch die Maquas sich rühren, Kräfte sammeln.«

»Mit höchster Freude stimm‘ ich ein,« versetzte David, indem er seine eisenbereifte Brille zurecht machte, sein geliebtes Büchlein hervorthat und Alice bot. »Was kann passender und tröstlicher seyn, als nach einem so gefahrvollen Tage seinen Abenddank Gott darzubringen.«

Alice lächelte; doch erröthete und zögerte sie, indem sie einen Blick auf Heyward warf.

»Thun Sie ’s immerhin!« flüsterte er; »sollte nicht die Aufforderung von des Psalmisten würdigem Namensbruder in solch einem Augenblicke Gewicht bei Ihnen haben?«

Ermuthigt durch seine Zustimmung that Alice, wozu sie ihre frommen Neigungen und ihre Vorliebe für sanfte Töne zuvor schon so stark gedrungen hatten. Das Buch ward bei einer Hymne aufgeschlagen, die für ihre Lage nicht übel paßte, und wo der Dichter seinen Wunsch, den begeisterten König Israels zu übertreffen, unterdrückend, eine reinere und ehrwürdige Kraft entwickelt hatte. Cora fühlte Neigung, ihre Schwester zu unterstützen, und der heilige Gesang begann, nachdem der schulgerechte David als unerläßliche Vorbedingung mit der Pfeife den Ton angegeben hatte.

Die Weise war feierlich und langsam. Bisweilen erhob sie sich zu dem vollsten Umfang der reichen Stimmen der Frauen, welche über ihrem kleinen Buche in heiliger Andacht hingen, und sank dann wieder so tief, daß das Rauschen des Wassers wie eine dumpfe Begleitung ihre Melodie durchzog. Der natürliche Geschmack und das gute Ohr Davids leitete und ermäßigte die Töne nach dem beschränkten Raume der Höhle, wo jede Spalte, jeder Riß von den durchdringenden Tönen ihrer biegsamen Stimmen erfüllt ward. Die Indianer hefteten ihre Augen auf die Felsen und horchten mit einer Aufmerksamkeit, als ob sie in Stein verwandelt wären. Die harten Gesichtszüge des Kundschafters, der, sein Kinn auf die Hand gestützt, mit dem Ausdruck kalter Gleichgültigkeit dagesessen hatte, wurden allmählig milder, bis er, als nun Vers auf Vers sich folgten, seine eiserne Natur bewältigt fühlte, und seine Erinnerungen ihn in die Knabenjahre zurückversetzten, wo seine Ohren in den Pflanzungen der Kolonie gewohnt waren, ähnliche Lobgesänge zu vernehmen. Sein Auge begann sich zu feuchten; heiße Thränen rollten aus diesen, wie es schien, schon so lange trockenen Quellen und folgten einander über jene Wangen herab, die öfter Zeugen von den Stürmen des Himmels, als von einer solchen Rührung gewesen waren. Die Sänger hielten eben einen jener tiefen, dahinsterbenden Akkorde aus, welche das Ohr mit so gierigem Entzücken verschlingt, als ob es wüßte, daß es sie alsbald verlieren werde, da ließ sich in der äußern Luft ein Schrei vernehmen, der weder menschlichen noch überhaupt irdischen Ursprungs zu seyn schien, und nicht blos die Winkel der Höhle, sondern selbst die innersten Herzen Aller, die ihn vernahmen, durchdrang. Ihm folgte eine so tiefe Stille, als ob die Wasser durch eine so gräßliche und ungewohnte Unterbrechung in ihrem tobenden Laufe gehemmt worden wären.

»Was ist das?« flüsterte Alice nach einigen Augenblicken schrecklicher Ungewißheit.

»Was ist das?« wiederholte Heyward laut.

Weder Hawk-eye noch die Indianer gaben eine Antwort. Sie horchten, als erwarteten sie, daß der Laut sich wiederholen würde, auf eine Weise, die ihr eigenes Erstaunen ausdrückte. Endlich unterhielten sie sich ernstlich in der delawarischen Mundart, und Uncas verließ, durch die innere und verborgenste Oeffnung schreitend, vorsichtig die Höhle. Als er fort war, sprach der Kundschafter erst in englischer Sprache:

»Was es ist, oder nicht ist, kann keiner hier sagen, obgleich zwei von uns die Wälder mehr denn dreißig Jahre durchzogen haben. Ich glaubte, es gäbe keinen Schrei, den ein Indianer oder ein Thier ausstoßen könne, welchen mein Ohr nicht schon vernommen hätte, dieser Ton aber hat bewiesen, daß ich nur ein eitler, eingebildeter Mensch gewesen bin!«

»War es denn nicht das Geschrei, das die Krieger erheben, wenn sie ihre Feinde zu schrecken wünschen?« fragte Cora, die da stand und ihren Schleier um sich schlug, mit einer Ruhe, deren ihre bestürzte Schwester völlig unfähig war.

»Nein, nein, das war ein schlimmes, ein erschreckliches Geschrei und tönte wie übermenschlich; wenn Ihr einmal den Schlachtruf hört, so werdet Ihr ihn nimmer mit was Anderem verwechseln! Nun, Uncas,« fragte er den jungen Häuptling, welcher wieder in die Höhle trat, »was siehst du? Scheinen unsre Lichter durch die Vorhänge?«

Die Antwort war kurz und scheinbar entschieden, erfolgte aber in derselben Sprache.

»Da draußen ist nichts zu sehen,« fuhr Hawk-eye fort, indem er ärgerlich den Kopf schüttelte, »und unser Versteck liegt noch in Finsterniß! Geht in die andere Höhle, und sucht den Schlaf, Ihr, die ihr dessen bedürft. Lange ehe die Sonne aufgeht, müßen wir auf den Beinen seyn, und den größten Theil des Wegs nach Edward hinter uns kriegen, während die Indianer noch ihre Morgenruhe halten.«

Cora ging mit gutem Beispiele voran und zwar mit einer Festigkeit, welche die furchtsamere Alice von der Nothwendigkeit zu folgen überzeugte. Ehe sie sich jedoch fortbegab, flüsterte sie Duncan die Bitte zu, daß er ihnen folgen möchte. Uncas hob den Vorhang, um sie durchzulassen, und als die Schwestern sich umwendeten, um ihm für diese Aufmerksamkeit zu danken, sahen sie, wie der Kundschafter wieder, sein Gesicht auf die Hände gestützt, vor der erlöschenden Gluthasche saß, in einer Stellung, welche verrieth, wie tief er über die unerklärliche Unterbrechung ihrer Abendandacht brütete. Heyward nahm einen Brand mit sich, der ein düsteres Licht durch die engen Räume ihres neuen Gemaches warf. Nachdem er ihn an einer vortheilhaften Stelle aufgesteckt hatte, trat er zu den Damen, welche jetzt, seitdem sie die freundlichen Bollwerke von Fort Edward verlassen hatten, sich zum ersten Male mit ihm allein befanden.

»Verlassen Sie uns nicht, Duncan,« sprach Alice; »wir können an einem Platz, wie dieser ist, nicht schlafen, da der schreckliche Schrei uns immer noch in den Ohren tönt.« »Zuerst wollen wir die Sicherheit unserer Feste untersuchen,« antwortete er, »und dann vom Uebrigen sprechen.«

Er näherte sich am entfernteren Ende der Höhle einem Ausgang, der, wie die andern, durch eine dicke Decke verborgen war, und athmete, diese hinwegschiebend, die frische und belebende Luft des Wasserfalls. Ein Arm des Flusses floß durch eine tiefe, enge Schlucht, welche die Strömung gerade unter seinen Füßen durch den weichen Felsen gegraben hatte, und die, wie er glaubte, von dieser Seite den Ort gegen jede Gefahr vertheidigte, da das Wasser nur wenige Ruthen über ihnen mit größtem Ungestüm von Absatz zu Absatz schimmernd herabstürzte und Alles mit sich fortreißen mußte.

»Die Natur hat auf dieser Seite ein undurchdringliches Bollwerk gebildet,« fuhr er fort, indem er auf den senkrechten Absturz in die dunkle Strömung hinabwies, bevor er den Vorhang fallen ließ; »und da Sie wissen, daß rechtliche, zuverläßige Männer auf der Vorderseite Wache halten, so sehe ich nicht ein, warum der Rath unsres ehrlichen Gastfreundes nicht befolgt werden sollte. Ich bin gewiß, Cora wird mir beistimmen, daß der Schlaf Ihnen beiden höchst nothwendig ist.«

»Cora wird die Richtigkeit Ihrer Ansicht zugeben, aber sie kann sie nicht in Anwendung bringen,« entgegnete die ältere Schwester, welche sich neben Alice auf ein Lager von Sassafras niedergelassen hatte: »es gäbe noch andere Dinge, die uns den Schlaf verscheuchen, wenn wir auch von dem Schrecken des unerklärlichen Schreies verschont geblieben wären. Fragen Sie, sich selbst, Heyward, können Töchter sich aus dem Sinne schlagen, welche Angst einen Vater peinigen muß, dessen Kinder in einer solchen Wildniß, er weiß nicht wo und wie, umherirren und von so vielen Gefahren umgeben sind?«

»Er ist Soldat, und weiß, was Einem in den Wäldern alles begegnen kann.« »Aber er ist Vater und die Natur verläugnet ihre Rechte nie.«

»Wie nachsichtig er immer gegen all meine Thorheiten gewesen ist! Mit welcher Zärtlichkeit er allen meinen Wünschen willfahrte!« seufzte Alice, »Es war selbstsüchtig von uns, Schwester, daß wir unter solchen Gefahren auf unsrem Besuche bestanden.«

»Es war vielleicht unbesonnen von mir, daß ich im Augenblick solcher Bedrängnis so dringend um seine Einwilligung bat; ich wollte ihm aber zeigen, daß, wie auch andere in seiner Noth ihn vernachläßigen mögen, seine Kinder wenigstens mit Treue an ihm hängen.«

»Als er von Ihrer Ankunft im Fort Edward hörte,« sprach Heyward freundlich, »kämpfte es gewaltig in seinem Busen zwischen Furcht und Liebe; aber letztere, durch eine so lange Trennung wo möglich noch erhöht, gewann bald die Oberhand. ,Der Geist meiner hochsinnigen Cora treibt sie, Duncan, sprach er, ich will nicht dawider sein‘ Wollte Gott, daß er, der die Ehre unsres königlichen Gebieters hier zu schirmen hat, nur halb so viel Festigkeit besäße!«

»Und sprach er nicht auch von mir, Heyward?« fragte Alice mit der Eifersucht der Liebe. »Gewiß hat er seine kleine Elsie nicht ganz vergessen.«

»Das wäre unmöglich,« versetzte der junge Mann, »er gebrauchte tausend Liebkosungswörter, die ich nachzusprechen mir nicht herausnehme, deren Gerechtigkeit ich aber von Herzen erkenne. Einmal sagte er fürwahr –«

Duncan sprach nicht weiter: denn während seine Blicke auf Alicens Augen geheftet waren, die sich mit der Innigkeit kindlicher Liebe zu ihm gewendet hatte, um seine Worte zu erhaschen, erfüllte derselbe starke, gräßliche Schrei, wie zuvor, die Luft und machte ihn verstummen. Ein langes athemloses Stillschweigen folgte, während dessen sie einander anblickten, in ängstlicher Erwartung, daß der Ton sich wiederholen werde. Endlich hob sich langsam die Decke, und der Kundschafter stand in der Oeffnung mit einer Miene, deren Festigkeit sichtlich vor einem Geheimnisse wich, welches sie mit einer Gefahr zu bedrohen schien, gegen die seine List und Erfahrung nicht ausreichen mochte.