Eilftes Kapitel.

– Verfluchet sei mein Stamm,
Wofern ich ihm verzeihe. –
Shylock.

Der Indianer hatte für seinen Zweck einen jener steilen, pyramidenförmigen Hügel ausersehen, welche eine große Aehnlichkeit mit künstlichen Erdaufwürfen haben und in den Thälern Amerikas so häufig gefunden werden. Der fragliche Hügel war hoch und abschüssig, sein Gipfel, wie gewöhnlich, abgeplattet, eine Seite davon aber weniger regelmäßig, als es sonst wohl der Fall ist. Der Ort hatte für einen Ruheplatz keine anderen Vortheile, als seine Höhe und Form, welche eine Vertheidigung leicht und einen Ueberfall beinahe unmöglich machten. Da Heyward jedoch nicht weiter auf eine Befreiung hoffte, welche Zeit und Entfernung gleich unwahrscheinlich machten, so betrachtete er diese geringfügigen Eigenthümlichkeiten mit gleichgültigem Auge, und war allein darauf bedacht, seine schwächeren Begleiter zu trösten und ihnen Muth einzusprechen. Die Narragansets ließ man die Zweige der auf dem Hügel sparsam wachsenden Bäume und Gesträuche abweiden, während die Reste des Mundvorrathes unter dem Schatten einer Buche, die mit ihren wagerechten Aesten sie gleich einem Dache überragte, ausgebreitet würden.

Trotz ihres eilfertigen Marsches hatte einer der Indianer Gelegenheit gefunden, ein verirrtes Hirschkalb mit einem Pfeile zu erlegen, und die vorzüglicheren Theile des Thieres geduldig auf den Schultern nach dem Ruheplatz getragen. Ohne Hülfe und Kenntniß der Kochkunst schickte er sich sogleich mit seinen Genossen an, diese schwerverdauliche Speise hinunterzuschlingen. Magua allein hielt sich entfernt, ohne an dem widerlichen Mahle Theil zu nehmen, und schien in tiefes Nachdenken versunken. Diese Enthaltsamkeit, so auffallend bei einem Indianer, wenn er Mittel hat, seine Eßlust zu befriedigen, zog endlich Heyward’s Aufmerksamkeit auf sich. Er gab sich der Hoffnung hin, der Hurone denke darüber nach, wie er die Wachsamkeit seiner Gefährten am ehesten täuschen könne, um sich in den Besitz der versprochenen Geschenke zu setzen. Mit dem Gedanken, diese Pläne durch seinen eigenen Rath zu unterstützen und die Versuchung noch zu verstärken, verließ er die Buche und kam, wie von Ungefähr, auf die Stelle zu, wo le Renard saß.

»Hat nicht Magua die Sonne lange genug im Gesicht gehabt, um aller Gefahr von den Canadiern entronnen zu seyn?« fragte er, als ob er über das gute Einverständniß zwischen ihnen nicht länger im Zweifel wäre: »und wird der Häuptling von William Henry nicht mehr erfreut seyn, wenn er seine Tochter wieder sieht, ehe noch eine zweite Nacht sein Herz gegen ihren Verlust verhärtet und ihn mit seinen Geschenken weniger freigebig gemacht haben wird?« –

»Lieben die Blaßgesichter ihre Kinder weniger am Morgen, als am Abend?« fragte der Indianer kalt.

»Keineswegs,« erwiederte Heyward, besorgt, seinen Fehler zu verbessern, wenn er einen gemacht, »der weiße Mann vergißt oft den Begräbnißplatz seiner Väter; er gedenkt zuweilen nicht mehr derer, die er lieben sollte und zu lieben versprochen hat; aber die Zärtlichkeit eines Vaters für sein Kind darf nie ersterben.«

»Und ist das Herz des weißköpfigen Häuptlings sanft, wird er lange an die Kinder denken, die seine Squaws ihm gegeben haben? Er ist so hart gegen seine Krieger, und seine Augen sind aus Stein gebildet!«

»Er ist streng gegen die Trägen und Bösen, aber gegen die Nüchternen und Verdienstvollen ist er ein gerechter und gütiger Führer. Ich habe schon viele liebevolle und zärtliche Aeltern gesehen, aber noch keinen Mann, dessen Herz gegen sein Kind zärtlicher gesinnt gewesen wäre. Du hast den Graukopf vor der Fronte seiner Krieger gesehen, Magua; aber ich habe erlebt, wie seine Augen in Thränen schwammen, wenn er von diesen Kindern sprach, die nun in Deinen Händen sind!«

Heyward schwieg; denn er konnte sich den auffallenden Ausdruck nicht erklären, der sich über die schwärzlichen Züge des aufmerksamen Indianers blitzschnell verbreitete. Zuerst war es, als ob die Erinnerung an die versprochene Belohnung in seinem Geiste lebendig würde, wie er von den Quellen väterlicher Zärtlichkeit hörte, die ihm den Besitz jener sichern würden; während Duncan aber weiter redete, wurde der Ausdruck der Freude so grimmig boshaft, daß er nothwendig befürchten mußte, es liege ihr eine unheimlichere Leidenschaft als Gewinnsucht zu Grunde,

»Geh!« sprach der Hurone, indem er für den Augenblick diesen beunruhigenden Ausdruck seines Antlitzes mit einer todtenähnlichen Ruhe vertauschte, »geh und sage der schwarzlockigen Tochter, daß Magua sie sprechen will. Der Vater wird nicht vergessen, was die Tochter verspricht.«

Duncan, der in dieser Rede des Wilden den Wunsch nach einem weitern Unterpfande dafür erblickte, daß die versprochenen Gaben ihm auch wirklich zu Theil werden sollten, zog sich langsam und zögernd nach der Stelle zurück, wo die Schwestern von ihrer Anstrengung ausruhten, um seinen Auftrag an Cora auszurichten.

»Sie wissen, von welcher Art die Wünsche eines Indianers sind,« schloß er, sie zu der Stelle führend, wo sie erwartet wurde. »Sie müssen freigebig mit Anerbietungen von Pulver und Decken seyn. Geistige Getränke stehen jedoch bei Leuten, wie er, oben an; auch wäre es gut, wenn Sie ihm ein Geschenk von Ihrer Hand mit jener Grazie, die Ihnen so eigenthümlich ist, anbieten würden. Bedenken Sie, Cora, daß von Ihrer Geistesgegenwart und Besonnenheit sogar Ihr Leben und das Alicens abhängt!«

»Und das Ihrige, Heyward!«

»Das meinige kommt wenig in Betracht, es ist bereits an meinen König verkauft, und gehört dem ersten besten Feinde, der es mir nehmen kann. Ich habe keinen Vater, der mich erwartet, und nur wenige Freunde, die ein Schicksal beklagen, nach welchem ich mit der nicht zu stillenden Sehnsucht der Jugend nach Auszeichnung gedürstet habe. Aber still! wir nahen uns dem Indianer. »Magua, die Lady, mit welcher Du zu sprechen gewünscht, steht vor Dir.«

Der Indianer erhob sich langsam von seinem Sitze und stand fast eine Minute schweigend und regungslos vor ihr. Dann gab er Heyward mit der Hand ein Zeichen, sich zurückzuziehen, und sagte kalt:

»Wenn der Hurone mit den Weibern spricht, verschließt sein Stamm die Ohren.« Als Duncan noch immer zögerte, als wollte er nicht gehorchen, sprach Cora mit ruhigem Lächeln:

»Hören Sie’s, Heyward? Ihr Zartgefühl sollte Sie wenigstens veranlassen, sich zurückzuziehen. Gehen Sie zu Alice und trösten Sie dieselbe mit unsern wiederauflebenden Hoffnungen!«

Sie wartete bis er sich entfernt hatte, und sprach dann, gegen den Eingebornen gekehrt, mit aller Würde ihres Geschlechts in Stimme und Geberden: »Was will Le Renard der Tochter Munro’s sagen?«

»Hör‘!« antwortete der Indianer, seine Hand fest auf ihren Arm legend, als wollte er alle Ihre Aufmerksamkeit auf seine Worte lenken – eine Bewegung, welche Cora eben so fest, als ruhig zurückwies, indem sie ihren Arm seinem Griffe entzog – »Magua ward als Häuptling und Krieger unter den rothen Huronen an den Seen geboren; er sah die Sonnen von zwanzig Sommern den Schnee von zwanzig Wintern in die Ströme treiben, ehe er ein Blaßgesicht erblickte, und er war glücklich! Dann kamen seine canadischen Väter in die Wälder und lehrten ihn das Feuerwasser trinken und er ward ein Bösewicht. Die Huronen trieben ihn von den Gräbern seiner Väter, als ob er ein gejagter Büffel wäre. Er rannte zu den Ufern der Seen hinab und verfolgte ihren Ausfluß bis zur »Kanonen-Stadt«. Hier jagte und fischte er, bis das Volk ihn zurück durch die Wälder wieder in die Arme seiner Feinde trieb. Der Häuptling, welcher ein geborner Hurone war, wurde endlich ein Krieger unter den Mohawks!«

»Ich habe früher so etwas gehört!« sagte Cora, als sie bemerkte, daß er schwieg, um die Leidenschaft zu unterdrücken, die bei der Erinnerung an das vermeintliche Unrecht, das er erlitten, in helle Flammen aufzulodern begann. »Ist es Le Renard’s Schuld, daß sein Haupt nicht aus einem Felsen geschaffen war? Wer gab ihm das Feuerwasser? Wer machte ihn zu einem Bösewicht? Die Blaßgesichter, das Volk Deiner Farbe, thaten es!«

»Und bin ich verantwortlich dafür, daß es unbesonnene, schlechte Menschen gibt, deren Gesichtsfarbe der meinigen gleicht?« fragte Cora ruhig den aufgeregten Wilden.

»Nein, Magua ist ein Mann und kein Thor. Solche, wie Du, öffnen nie ihre Lippen dem Feuerstrome: der große Geist hat Dir Weisheit gegeben!«

»Was habe ich also bei Deinem Unglücke, ich will nicht sagen, bei Deinen Verirrungen zu thun oder darüber zu sagen?«

»Höre,« wiederholte der Indianer, indem er seine ernste Stellung wieder annahm, »als seine englischen und französischen Väter das Beil aus der Erde gruben, zog Le Renard auf die Vorposten der Mohawks und focht gegen seine eigene Nation. Die Blaßgesichter haben die Rothhäute aus ihrem Jagdgebiet vertrieben, und jetzt, wenn sie kämpfen, führt ein weißer Mann sie an. Der alte Häuptling am Horican, Dein Vater war der große Anführer unserer Kriegspartei. Er sprach zu den Mohawks: thut Dies und thut Jenes, und fand Gehorsam. Er machte ein Gesetz, daß, wenn ein Indianer Feuerwasser trinke und in die Leinwand-Wigwams seiner Krieger komme, es nicht vergessen werden sollte. Magua öffnete thöricht den Mund und das Feuergetränk führte ihn in Munro’s Hütte. Was that der Graukopf? seine Tochter soll es sagen!«

»Er vergaß seiner Worte nicht, übte Gerechtigkeit und bestrafte den Schuldigen,« sprach das kühne Mädchen.

»Gerechtigkeit!« wiederholte der Indianer, indem er den grimmigsten Seitenblick auf ihr unerschrockenes Antlitz warf, »ist das Gerechtigkeit, wenn man das Uebel schafft und dann dafür bestraft? Magua war es nicht selbst: das Feuerwasser sprach und handelte für ihn! Aber Munro glaubte es nicht. Der Huronenhäuptling ward vor allen Kriegern mit dem Blaßgesichte gebunden, und wie ein Hund durchpeitscht.«

Cora schwieg; denn sie wußte nicht, wie sie diese unkluge Strenge ihres Vaters so rechtfertigen sollte, daß es der Fassungskraft eines Indianers angemessen wäre.

»Sieh!« fuhr Magua fort, indem er den leichten Calico, der seine bemalte Brust nur unvollkommen bedeckte, bei Seite riß: »hier sind Narben von Messern und Kugeln – dieser mag sich ein Krieger vor seiner Nation rühmen; aber der Graukopf hat Spuren auf dem Rücken des Huronenhäuptlings hinterlassen, die er, wie eine Squaw, unter dieser bemalten Leinwand der Weißen verbergen muß.«

»Ich glaubte,« begann Cora wieder, »der indianische Krieger sey ausdauernd, fühle, kenne nicht den Schmerz, den sein Körper leide.«

»Als die Chippewas Magua an den Pfahl banden und ihm diese Wunde schlugen,« sprach der Andere, indem er seinen Finger in eine tiefe Narbe legte, »lachte ihnen der Hurone ins Gesicht und sagte: nur Weiber verwunden so leicht! Da war sein Geist in den Wolken! Aber als er Munro’s Streiche fühlte, lag sein Geist unter der Birkenruthe. Der Geist eines Huronen ist nie berauscht; er vergißt Nichts!«

»Aber er kann besänftigt werden. Wenn mein Vater dir Unrecht that, so zeig‘ ihm, wie ein Indianer vergeben kann und bring‘ ihm seine Töchter zurück. Du hast von Major Heyward gehört –«

Magua schüttelte den Kopf und verbot ihr die Anerbietungen zu wiederholen, die er so sehr verachtete.

»Was willst du also haben?« fuhr Cora nach einer peinvollen Pause fort, indem sich ihr die Ueberzeugung immer mehr aufdrang, daß der zu sanguinische und edelmüthige Duncan durch die Schlauheit des Wilden grausam getäuscht worden sey. »Was ein Hurone liebt. – Gutes für Gutes, Böses für Böses!«

»So willst du denn das Unrecht, welches Munro dir zugefügt hat, an seinen hülflosen Töchtern rächen? Wäre es nicht männlicher, du trätest ihm vor’s Angesicht, und verschafftest dir als Krieger Genugthuung?«

»Die Arme der Blaßgesichter sind lang und ihre Messer scharf!« entgegnete der Wilde mit boshaftem Gelächter; »warum sollte Renard unter die Musketen seiner Krieger gehen, wenn er den Geist des Graukopfs unter seinen Händen hat?«

»Nenne deine Absicht, Magua,« sprach Cora, alle ihre Kräfte aufbietend, um ruhig und standhaft zu bleiben, »Willst du uns als Gefangene in die Wälder schleppen, oder hast du uns noch größeres Uebel zugedacht? Gibt es keine Belohnung, kein Mittel, das Unrecht zu sühnen, und dein Herz zu erweichen? Wenigstens laß meine zarte Schwester los und schütte alle Bosheit über mich aus. Erkaufe dir Reichthum mit ihrer Rettung und sättige deine Rache an Einem Opfer. Der Verlust beider Töchter würde den alten Mann ins Grab bringen, und welche Genugthuung hätte dann Le Renard?«

»Höre!« sprach der Indianer wieder, »die lichten Augen können zum Horican zurückkehren und dem alten Manne erzählen, was geschehen ist, wenn das schwarzlockige Mädchen bei dem großen Geist seiner Väter schwören will, nicht zu lügen.«

»Was muß ich versprechen?« fragte Cora, immer noch durch ihre Fassung und weibliche Würde eine geheime Gewalt über den wilden Eingebornen behauptend.

»Als Magua sein Volk verließ, wurde sein Weib einem andern Häuptling gegeben; er hat sich jetzt Freunde unter den Huronen gemacht und will zu den Gräbern seiner Väter an die Ufer des großen See’s zurückkehren. Die Tochter des englischen Häuptlings soll mit ihm gehen und für immer in seinem Wigwam leben.«

So empörend auch ein solcher Vorschlag für Cora seyn mußte, so behielt sie doch, trotz ihres mächtigen Abscheus, Selbstbeherrschung genug, um, ohne eine Schwäche zu verrathen, ihm zu antworten:

»Und welches Vergnügen würde Magua daran finden, seine Hütte mit einem Weibe zu theilen, das er nicht liebt, das einer Nation und Farbe angehört, die von der seinigen verschieden ist? Es wäre besser, er nähme Munro’s Gold und kaufte mit seinen Gaben das Herz eines Huronenmädchens.«

Der Indianer gab ihr fast eine Minute lang keine Antwort, heftete aber seine wilden Blicke in einer so seltsamen Weise auf Cora’s Antlitz, daß sie vor Scham ihre Augen sinken ließ, die zum erstenmal einem Ausdrucke begegnet waren, den kein keusches Mädchen ertragen kann. Während sie in sich selbst zusammenschrack, fürchtend, ihre Ohren möchten durch einen noch schlimmern Vorschlag verletzt werden, antwortete Magua im Tone der schwärzesten Bosheit:

»Als die Hiebe den Rücken des Huronen geißelten, wußte er schon, wo er ein Weib finden müßte, die Schmerzen zu büßen. Die Tochter Munro’s sollte sein Wasser schöpfen, sein Kornfeld hacken und sein Wildpret kochen. Der Leib des Graukopfes sollte unter seinen Kanonen schlafen, sein Herz aber unter Le Subtil’s Messer liegen!«

»Ungeheuer! wohl verdienst du deinen verrätherischen Namen!« rief Cora, hingerissen von dem Gefühle empörter Kindesliebe, »nur ein Teufel konnte solche Rache ersinnen! Aber du überschätzest deine Gewalt! Du sollst finden, daß du wirklich Munro’s Herz unter deinen Händen hast, und daß es deiner äußersten Bosheit Hohn spricht!«

Der Indianer antwortete auf diesen kühnen Trotz mit einem schrecklichen Hohnlächeln, das seinen unerschütterlichen Entschluß verrieth, und winkte sie hinweg, als wollte er die Unterredung für immer schließen. Cora, die bereits ihre Uebereilung bereute, mußte gehorchen: denn Magua verließ sie sogleich und trat auf seine gefräßigen Gesellen zu. Heyward eilte dem aufgeregten Mädchen entgegen und fragte sie über das Ergebnis der Unterredung, welche er in einiger Entfernung mit dem lebhaftesten Antheil beobachtet hatte. Da sie aber Alicens Angst nicht erhöhen wollte, wich sie einer bestimmten Antwort aus und verrieth blos durch ihre bleichen Züge und die unruhigen Blicke, die sie auf alle Bewegungen ihrer Feinde heftete, daß sie Nichts ausgerichtet habe. Auf die wiederholten und ernstlichen Fragen ihrer Schwester über ihr wahrscheinliches Schicksal antwortete sie nur dadurch, daß sie mit einer Bestürzung, die sie nicht mehr bewältigen konnte, auf die dunkle Gruppe hindeutete, und, Alice an ihr Herz drückend, laut ausrief:

»Dort! dort! lies unser Schicksal in ihren Gesichtern! Bald werden wir’s sehen! Bald!«

Die Geberden und die gebrochene Stimme Cora’s sprachen deutlicher als alle Worte und richteten schnell die Aufmerksamkeit auch ihrer Begleiter auf eine Stelle, auf die ihr eigener starrer Blick mit einer Spannung geheftet war, der nur in der Wichtigkeit des Augenblicks Erklärung fand.

Als Magua die Rotte lungernder Wilden, die, nachdem sie ihr ekelhaftes Mahl mit gieriger Gefräßigkeit verschlungen hatten, in thierischer Trägheit auf dem Boden ausgestreckt lagen, erreicht hatte, begann er, sie mit der Würde eines indianischen Häuptlings anzureden. Seine ersten Worte hatten die Wirkung, daß seine Zuhörer mit den Zeichen ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit sich erhoben. Da der Hurone in seiner Muttersprache redete, so konnten die Gefangenen, obgleich von den Eingebornen aus Vorsicht im Bereiche ihrer Tomahawks gehalten, nur aus den bedeutungsvollen Geberden, womit der Indianer stets seine Beredsamkeit beleuchtet, auf den Inhalt seiner Worte schließen.

Anfangs waren Magua’s Worte und Bewegungen ruhig und bedächtig. Als er aber die Aufmerksamkeit seiner Kameraden hinlänglich rege gemacht hatte, schloß Heyward aus seinem öfteren Hindeuten nach der Gegend der großen Seen, daß er von dem Lande ihrer Väter und ihrem entfernten Stamme spreche. Häufige Beifallsbezeigungen folgten und mit dem ausdrucksvollen »Hugh!« sahen die Zuhörer einander an, als wollten sie ihre Zufriedenheit mit dem Redner zu erkennen geben. Le Renard war zu gewandt, um seinen Vortheil nicht zu benützen. Er sprach jetzt von dem langen, mühevollen Wege, den sie zurückgelegt, seitdem sie ihre weiten Jagdgehege und ihre Dörfer verlassen hätten, um mit den Feinden ihrer canadischen Väter zu kämpfen. Er zählte die Krieger ihrer Partei auf, ihre zahlreichen Waffenthaten, ihre der Nation geleisteten Dienste, ihre Wunden und die Zahl der Skalpe, die sie gewonnen hätten. Wenn er auf einen der Anwesenden anspielte (und der schlaue Indianer vergaß keinen), strahlten die Züge des Geschmeichelten vor Entzücken, und er säumte nicht, die Wahrheit seiner Worte durch Geberden des Beifalls zu bekräftigen. Jetzt sank die Stimme des Sprechers, und die lauten, lebhaften Siegestöne, womit er ihre glücklichen Erfolge und Großthaten aufgezählt hatte, verstummten. Er beschrieb Glenn’s Wasserfall, die unzugängliche Felseninsel mit ihren Höhlen, ihren zahllosen Strudeln und Wasserwirbeln; sprach den Namen la longue Carabine aus und brach ab, bis der Wald unter ihnen das letzte Echo eines lauten und langen Geheuls widertönt hatte, womit der verhaßte Name aufgenommen wurde. Er deutete auf den jungen Kriegsgefangenen und beschrieb den Tod eines beliebten Kriegers, der von seiner Hand in die tiefe Schlucht gestürzt worden war. Er schilderte nicht nur das traurige Loos dessen, der zwischen Himmel und Erde hängend, der ganzen Truppe ein so gräßliches Schauspiel dargeboten hatte, sondern stellte von Neuem die Schrecken seiner Lage, seine Standhaftigkeit und seinen Tod an den Aesten eines jungen Baumes dar und schloß mit einer kurzen Angabe der Art und Weise, wie jeder ihrer Freunde gefallen war, wobei er nicht versäumte, ihren Muth und ihre Verdienste rühmend anzuerkennen. Als diese Aufzählung der Ereignisse zu Ende war, wechselte seine Stimme ihre Töne abermals und wurde klagend, sogar melodisch in ihren tiefen Kehllauten. Er sprach jetzt von den Weibern und Kindern der Erschlagenen, ihrer Verlassenheit, ihrem leiblichen und geistigen Elend, ihrer Entfernung, und dem Unglück, noch nicht gerächt zu seyn. Dann erhob er plötzlich seine Stimme zu furchtbarer Kraft und rief:

»Sind die Huronen Hunde, daß sie Solches ertragen? Wer soll dem Weibe Menowana’s sagen, daß die Fische seinen Schädel haben und sein Volk noch nicht Rache genommen? Wer wagt es, der Mutter Wassawattimie’s, dem stolzen Weibe, mit unblutigen Händen unter die Augen zu treten? Was soll man den alten Männern sagen, wenn sie nach Skalpen fragen, und wir ihnen kein Haar von einem weißen Schopfe vorweisen können? Die Weiber werden mit Fingern auf uns deuten. Ein schwarzer Flecken haftet auf dem Namen der Huronen, mit Blut muß er abgewaschen werden!«

Seine Stimme verhallte unter dem Rachegeschrei, das in die Lüfte erscholl, als ob der Wald, statt der winzigen Rotte, von dem ganzen Stamme angefüllt wäre. Während dieser Anrede konnten die bei dem Erfolge des Redners am meisten Betheiligten in den Mienen der Zuhörer die Fortschritte des Redners nur zu deutlich erkennen. Seine Klage und sein Leid hatten diese durch Mitgefühl und Trauer, seine Behauptungen durch Geberden der Bekräftigung und sein Ruhmreden mit dem lauten Frohlocken der Wilden beantwortet. Wenn er von Muth sprach, waren ihre Blicke fest und entsprechend; wenn er auf ihre Verluste anspielte, glühten ihre Augen vor Wuth; als er auf die Schmähungen der Weiber kam, senkten sie beschämt ihre Häupter; wie er aber auf die Mittel zur Befriedigung ihrer Rache wies, berührte er eine Saite, die noch nie verfehlt hatte, in der Brust eines Indianers wiederzuklingen. Auf den ersten Wink, daß die Schlachtopfer in ihrem Bereiche seyen, sprang die ganze Rotte auf, stieß ein wüthendes Rachegeschrei ans und stürzte mit gezückten Messern und hocherhobenen Tomahawks auf die Gefangenen los. Heyward warf sich zwischen die Schwestern und den Vordersten, welchen er mit der Stärke der Verzweiflung erfaßte und für einen Augenblick seinem Ungestüm Einhalt that. Dieser unerwartete Widerstand gab Magua Zeit, dazwischen zu treten, und durch seinen blitzschnellen Ruf und seine Geberden die Aufmerksamkeit der Bande aufs Neue zu fesseln. In jener Sprache, der er sich mit solcher Gewandtheit zu bedienen wußte, brachte er seine Kameraden von ihrem augenblicklichen Vorhaben ab und forderte sie auf, die Qual ihrer Schlachtopfer zu verlängern. Sein Vorschlag wurde mit Beifallruf aufgenommen und mit Blitzesschnelle ausgeführt.

Zwei kräftige Krieger warfen sich über Heyward her, während ein Dritter sich des minder gefährlichen Singmeisters bemächtigte. Keiner der Gefangenen unterlag jedoch ohne einen verzweiflungsvollen Kampf. Selbst David warf seinen Angreifer zur Erde, und Heyward wurde erst bewältigt, als der Sieg über seinen Begleiter die Indianer in den Stand setzte, ihn mit vereinten Kräften anzugreifen. Er wurde gefesselt und an den Stamm des jungen Baumes gebunden, an dessen Aesten Magua den verhängnisvollen Tod des Huronen pantomimisch dargestellt hatte. Als der junge Kriegsmann wieder zur Besinnung kam, hatte er die peinvolle Gewißheit vor Augen daß sie alle ein gemeinsames Schicksal erwarte. Zu seiner Rechten war Cora, gleich ihm an einen Baum gebunden, blaß und aufgeregt, aber mit festem Blicke alle Bewegungen ihrer Feinde verfolgend. Zu seiner Linken leisteten Alice die Weiden, womit man sie an eine Fichte gebunden hatte, einen Dienst, den ihre zitternden Glieder versagten, und schützten ihre zarte Gestalt allein vor einem schnellen Zusammensinken. Ihre Hände hatte sie vor sich, wie zum Gebete gefaltet; statt sich aber aufwärts zu jener Macht emporzurichten, die allein noch retten konnte, wanderten ihre Augen unbewußt und mit kindlicher Abhängigkeit nach Duncan’s Antlitz. David hatte gekämpft, und die Neuheit dieses Umstandes hielt ihn schweigend und in stiller Ueberlegung, ob er daran Recht oder Unrecht gethan habe. Die Rache der Huronen hatte jetzt eine neue Richtung genommen, und sie schickten sich an, dieselbe mit jener raffinirten Grausamkeit zu befriedigen, die seit Jahrhunderten bei ihnen an der Tagesordnung ist. Einige suchten Aeste, um den Holzstoß zu errichten; einer schnitzte die Splitter einer Fichte, um sie brennend den Gefangenen ins Fleisch zu stoßen, während Andere die Wipfel zweier junger Bäume zur Erde bogen, um Heyward mit den Armen daran zu binden und dann zurückschnellen zu lassen. Aber Magua’s Rache suchte einen höhern und noch boshaftern Genuß.

Während die minder raffinirten Ungeheuer der Bande, vor den Augen der Opfer ihrer Rache, diese wohlbekannten und gewöhnlichen Mittel der Marter vorbereiteten, trat er zu Cora, und machte sie mit dem Ausdruck teuflischer Bosheit auf das Schicksal aufmerksam das sie im nächsten Augenblick erwartete:

»Nun!« rief er, »was sagt die Tochter Munro’s? Ihr Haupt ist zu gut, um ein Kissen in dem Wigwam Le Renard’s zu finden; wird sie’s besser haben, wenn es, ein Spielball der Wölfe, um diesen Hügel rollt? Ihr Busen kann nicht die Kinder eines Huronen nähren, sie soll ihn von Indianern angespieen sehen!«

»Was will dieses Ungeheuer?« fragte der erstaunte Heyward.

»Nichts!« war ihre feste Antwort, »Er ist ein Wilder, ein grausamer, unwissender Wilder und weiß nicht, was er thut. Laßt uns mit unsrem letzten Athem Buße und Verzeihung für ihn erflehen!«

»Verzeihung!« echote der wilde Hurone, indem er in seiner Wuth den Sinn der Worte mißverstand: »das Gedächtniß eines Indianers ist länger, als der Arm der Blaßgesichter; sein Erbarmen kürzer, als ihre Gerechtigkeit! Sprich, soll ich die gelben Locken ihrem Vater senden, oder willst du Magua zu den großen Seen folgen, um sein Wasser zu tragen und ihn mit Korn zu nähren?«

Cora winkte ihm mit einer Bewegung des Abscheu’s, den sie nicht zu unterdrücken vermochte, sich zu entfernen. »Verlaß mich!« sprach sie mit einer Feierlichkeit, die für einen Augenblick sogar die Wildheit des Indianers zurückdrängte; »du mischest Bitterkeit in meine Gebete; du stehst zwischen mir und meinem Gott!«

Der leichte Eindruck, den sie auf den Wilden machte, war jedoch bald vorüber und er fuhr mit bitterem Hohn, auf Alice deutend, fort:

»Sieh!« sprach er, »das Kind weint! Sie ist noch zu jung zum Sterben! Schicke sie zu Munro, ihm die grauen Haare zu kämmen und Leben in dem Herzen des alten Mannes zu erhalten.«

Cora konnte dem Verlangen nicht widerstehen, auf die jugendliche Schwester zu schauen, in deren Auge sie einem flehenden Blicke begegnete, der Liebe zum Leben verrieth.

»Was sagt er, liebste Cora? fragte Alice mit zitternder Stimme. »Sprach er davon, mich zu unsern Vater zurückzusenden?«

Einige Augenblicke ruhten die Augen der ältern Schwester auf der jüngern, während in ihren Zügen mächtige und mit einander streitende Gefühle kämpften. Endlich sprach sie, obgleich ihre Töne jene reiche, ruhige Fülle verloren hatten, mit einem Ausdruck fast mütterlicher Zärtlichkeit:

»Alice, der Hurone bietet uns beiden das Leben an – ja, mehr noch als dies; er will sogar Duncan – unsern unschätzbaren Duncan sowohl, als dich, unsern Freunden – unsrem Vater – unserem kinderlosen, unglücklichen Vater zurückgeben, wenn ich diesen rebellischen, eigensinnigen Stolz beuge und mich dazu verstehe –«

Ihre Stimme stockte und ihre Hände faltend blickte sie gen Himmel, als suchte sie in ihrer Todesangst Erleuchtung von der Weisheit des Unendlichen.

»Sprich!« rief Alice; »zu was, theuerste Cora? O daß das Anerbieten mir gemacht würde! euch zu retten, den betagten Vater zu trösten! Duncan zu befreien, wie freudig könnte ich sterben!«

»Sterben!« wiederholte Cora mit einer ruhigem und festeren Stimme, »das wäre leicht! vielleicht ist es die Wahl nicht weniger, die er mir läßt. Er wollte von mir haben,« fuhr sie fort, während ihre Stimme unter dem Bewußtseyn des Entehrenden eines solchen Vorschlages sank, »daß ich ihm in die Wildniß folge, mit ihm zu den Behausungen der Huronen gehe und dort bleibe; kurz, daß ich sein Weib werde! Sprich denn, Alice, theures Kind, Schwester meiner Liebe! Und auch Sie, Major Heyward, helfen Sie meiner schwachen Vernunft mit Ihrem Rathe auf. Darf man das Leben mit einem solchen Opfer erkaufen? Willst du es, Alice, aus meiner Hand um solchen Preis empfangen? Und Sie, Duncan, leiten Sie mich! Verfügt über mich! Euch gehöre ich ganz!«

»Wie?« rief der Jüngling voll Unwillen und Erstaunen. »Cora! Cora! Sie spielen mit unsrem Jammer! Sprechen Sie nicht mehr von dieser entsetzlichen Wahl. Der Gedanke schon ist schrecklicher als tausendfacher Tod!«

»Daß Sie so antworten würden, wußte ich!« rief Cora, während ihre Wange erröthete und ihre dunkeln Augen noch einmal von einer Aufwallung erglänzten, wie sie dem Weibe natürlich war. »Was sagt meine Alice? Ihrer Entscheidung will ich mich ohne Murren unterwerfen.«

Beide, Heyward und Cora, horchten mit peinlicher Erwartung und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, aber keine Antwort erfolgte. Es schien, als sey die zarte und gefühlvolle Alice, nachdem sie diesen Vorschlag gehört, vernichtet in sich selbst zurückgesunken. Ihre Arme hingen herab, die Finger bewegten sich in leichten Zuckungen; ihr Haupt war auf ihren Busen gesunken, und ihre ganze Gestalt schien, ohne eigene Kraft, nur durch ihre Bande am Baume aufrecht erhalten zu werden, gleich einem schönen Sinnbilde verwundeten Zartgefühls ihres Geschlechtes, scheinbar ohne Leben und doch noch des Lebens sich bewußt. In wenigen Augenblicken begann jedoch ihr Haupt sich langsam zu bewegen mit dem Zeichen der innersten, unbezwinglichsten Mißbilligung. »Nein! nein! nein! besser, wir sterben, wie wir zusammen gelebt!«

»So stirb’« schrie Magua, seinen Tomahawk mit Ungestüm gegen die wehrlose Sprecherin werfend, zähneknirschend und mit einer Wuth, die er nicht länger bezwingen konnte, über diesen unerwarteten Beweis von Festigkeit in einem Wesen, welches er für das schwächste unter allen gehalten hatte. Die Axt schwirrte an Heyward’s Stirn vorbei, durchschnitt eine von den flatternden Locken Alicen’s und fuhr über ihren Kopf in den Baum. Dieser Anblick brachte Duncan zur Verzweiflung. Mit gewaltsamer Anstrengung sprengte er seine Fesseln und stürzte auf einen andern Wilden, welcher mit lautem Geschrei und besser zielend, einen zweiten Streich zu führen im Begriffe war. Sie faßten sich, rangen, und fielen zu Boden. Der nackte Leib seines Gegners bot Heyward keinen Halt; er entschlüpfte ihm, fuhr ihm mit einem Knie auf die Brust und drückte ihn mit Riesenkraft darnieder. Schon sah Duncan das Messer in der Luft blitzen, als ein zischender Laut an ihm vorbeipfiff und von dem scharfen Knall einer Büchse mehr begleitet als gefolgt ward. Er fühlte sich von der Last, die ihn niedergedrückt hatte, erleichtert, und sah, wie der grimmige Ausdruck in seines Gegners Miene in einen Blick leerer Wildheit überging. Der Indianer sank todt auf die dürren Blätter zu seiner Seite nieder.