Sechzehntes Kapitel

Als der Karmeliter zurückkehrte in das Gemach der Donna Violetta, bedeckte die Farbe des Todes sein Antlitz, und nur mit Mühe trugen ihn seine Füße zu seinem Sitze. Er bemerkte kaum, daß Don Camillo Monforte noch immer da war, noch weniger fielen ihm die Heiterkeit und Freude auf, die in den Augen Violettas glühten. Seine Ankunft ward auch in Wahrheit von den beiden Glücklichen nicht gleich bemerkt, und selbst der Blick der Donna Florinde ruhte erst auf dem Mönch, als er schon durchs Zimmer geschritten war.

Er schlug seine Kapuze zurück, um Luft zu schöpfen, wodurch die Todesblässe seines Gesichts zum Vorschein kam. »Fernando! – Vater Anselmo!« – rief Donna Florinde aus, ihre unwillkürliche Vertraulichkeit verbessernd, obgleich sie dem ängstlichen Ausdruck ihrer aufgeregten Züge nicht gebieten konnte. »Sprich mit uns – du bist leidend!«

»Herzenskrank, Florinde.«

»Täusch uns nicht, du hast üble Nachrichten – Venedig –«

»Ist ein furchtbarer Staat!«

»Warum verließest du uns, wie konntest du in einem für unseren Zögling so wichtigen Augenblick eine lange Stunde abwesend bleiben?«

Violetta blickte erstaunt und überrascht auf die Uhr, doch sprach sie nicht.

»Die Diener des Staates bedurften meiner«, erwiderte der Mönch, sein Herz durch einen Seufzer erleichternd.

»Ich verstehe dich, Vater, du hattest einem armen Sünder die Beichte abzunehmen?«

»So ist es, meine Tochter, und wenige sterben so in Frieden mit Gott und ihren Brüdern.«

Donna Florinde betete ein stilles Gebet für die Seele des Toten und bekreuzigte sich andächtig, als sie endigte. Ihrem Beispiel folgte ihr Zögling, und selbst Don Camillos Lippen bewegten sich scheinbar andächtig, während er sein Haupt nach seiner schönen Gefährtin hinneigte.

»War es ein gerechtes Ende, Vater?« fragte Donna Florinde.

»Ein unverdientes!« schrie der Mönch mit Eifer. »Oder alles ist Heuchelei im Menschen. Ich sah einen Menschen sterben, der besser zum Leben, ja glücklicherweise auch besser zum Sterben geeignet war als die, die sein Urteil gesprochen haben. Welch ein furchtbarer Staat ist Venedig!«

»Und dies sind deine Herren, Violetta«, sagte Don Camillo, »diesen mitternächtlichen Mördern soll dein Glück anvertraut werden! Sag uns, Vater, steht deine schmerzliche Tragödie auf irgendeine Weise mit den Angelegenheiten dieses herrlichen Wesens in Verbindung? Denn wir sind hier von Geheimnissen umgeben, die ebenso unbegreiflich und fast ebenso schrecklich sind als das Schicksal selbst.«

Der Mönch blickte von einem zum anderen, und ein menschlicherer Ausdruck fing an, sich in seinem Gesicht zu zeigen.

»Du hast recht«, sagte er, »so sind die Männer beschaffen, die über das Los unseres Zöglings entscheiden wollen. Der heilige Markus verzeihe den Mißbrauch seines verehrten Namens und beschütze sie mit der Kraft seines Gebetes!«

»Vater, sind wir würdig, mehr zu erfahren von dem, was du sahest?«

»Die Geheimnisse des Beichtstuhls sind heilig, mein Sohn; doch war dies eine Beichte, um die Lebenden und nicht die Toten zu beschämen.«

»Daran erkenne ich den Rat der Drei! Jahrelang haben sie mit meinen Rechten gespielt, um ihre eigennützigen Absichten zu erreichen, ja, zu meiner Schande muß ich es gestehen, sie haben mich, um Gerechtigkeit zu erlangen, zu einer Untertänigkeit vermocht, die ebensowenig mit meinen Gefühlen wie mit meinem Charakter übereinstimmt. Es ist eine schreckliche Regierung, und ihre Früchte sind gleich schädlich für den Herrscher und den Untertan. Die größte aller Gefahren, der Fluch des Geheimnisses bei ihren Absichten, ihren Handlungen und ihrer Verantwortlichkeit lastet auf ihr.«

»Für Menschen, die unter Venedigs Gesetzen leben, ist das eine kühne Sprache«, bemerkte Donna Florinde, furchtsam um sich blickend. »Da wir in der Staatsverwaltung weder etwas ändern noch verbessern können, so sollten wir lieber ganz darüber schweigen.«

»Wenn wir die Macht des Staatsrates nicht zu ändern vermögen, so können wir ihr vielleicht doch entgehen«, antwortete Don Camillo hastig, jedoch mit gedämpfter Stimme. Nachdem er der Sicherheit wegen das Fenster zugemacht hatte, warf er seine Blicke auf die verschiedenen Türen des Zimmers und fragte: »Können Sie sich auf die Treue der Diener verlassen, Donna Florinde?«

»Bei weitem nicht, Signore; wir haben zwar einige alte, bewährte Diener, doch haben wir auch solche, die der Senator Gradenigo erwählte und die ohne Zweifel nichts als Werkzeuge des Staates sind.«

»Auf diese Weise erforschen sie alle Familiengeheimnisse! Ich bin gezwungen, Taugenichtse in meinem Palast zu unterhalten, von denen ich recht gut weiß, daß es ihre Mietlinge sind, und dennoch find ich es besser, so zu tun, als bemerke ich ihre Absichten nicht, damit sie mich nicht auf eine Weise hintergehen, die sich minder leicht erraten läßt. Glauben Sie, Vater, daß meine Gegenwart hier den Spionen entgangen ist?«

»Es wäre zu gewagt, sich darauf zu verlassen. Niemand sah uns hereinkommen, dünkt mich, denn wir benutzten den geheimen Eingang; doch wer ist sicher, unbemerkt zu sein, wenn jedes fünfte Auge ein Mietling ist!«

Die erschreckte Violetta legte ihre Hand auf den Arm ihres Geliebten.

»Vielleicht wirst du selbst in diesem Augenblick beobachtet«, sagte sie, »und schon heimlich zur Strafe verurteilt.«

»Würde ich gesehen, so zweifle nicht, St. Markus wird eine so kühne Einmischung in seinen Willen nie vergeben. Und dennoch, süße Violetta, um deine Gunst zu gewinnen, hat die Gefahr nichts zu bedeuten, auch eine noch weit größere könnte mich nicht abbringen von meinem Vorhaben.«

»Die unerfahrenen und vertrauensvollen Seelen haben meine Abwesenheit benutzt und sich mehr mitgeteilt, als sich geziemte«, sagte der Karmeliter.

»Vater, die Natur ist zu mächtig für die schwache Vorsicht der Vernunft.«

Die Stirn des Mönchs bewölkte sich. Seine Gefährten bewachten die Bewegungen seiner Seele, die sich auf seinem gewöhnlich wohlwollenden, wenngleich stets traurigen Gesichte aussprachen. Einige Augenblicke lang schwiegen alle. Endlich fragte der Karmeliter, seinen unruhigen Blick zu Don Camillo erhebend: »Hast du auch die Folgen dieser Übereilung gehörig überlegt, mein Sohn? Was gewährt dir solche Sicherheit, dem Zorn der Republik zu trotzen, ihre Kunstgriffe, ihre geheimen Auskundschafter und ihre Schrecken herauszufordern?«

»Vater, ich habe wie alle meines Alters überlegt, wenn sie von ganzem Herzen und von ganzer Seele lieben. Ich fühle, daß jedes Elend Glückseligkeit für mich sein würde im Vergleich mit dem Verlust Violettas und daß keine Gefahr dem Lohne ihrer Liebe gleichkommt. Dies sei genug auf deine erste Frage – auf die andere kann ich nur antworten, daß ich der Hinterlist des Senats zu gewohnt bin, um in den Kunstgriffen, ihr entgegenzuhandeln, ein Neuling zu sein.«

»Die Jugend hat nur eine Sprache, wenn sie die angenehme Täuschung betört, die die Zukunft in goldene Strahlen kleidet. Herzog von Sant‘ Agata, bist du gleich von hoher Abkunft, berühmtem Geschlechte und Herr vieler Vasallen, so bist du doch keine Macht – du kannst deinen Palast in Venedig nicht für eine Festung erklären noch den Dogen durch einen Herold herausfordern lassen.«

»Sehr wahr, ehrwürdiger Mönch, das kann ich nicht, auch wäre es nicht wohlgetan, sein Glück so aufs Spiel zu setzen. Indes die Staaten des San Marco bedecken nicht den ganzen Erdboden – wir können fliehen.«

»Der Senat hat einen langen Arm und tausend geheime Hände.«

»Das weiß niemand besser als ich, doch übt er keine Gewalttat ohne Beweggrund. Wenn mir sein Mündel erst angetraut ist, so kann er das Übel, das ihm daraus entspringt, nicht mehr ändern.«

»Denkst du dies! Mittel, euch zu trennen, fänden sich bald. Glaube nicht, daß sich Venedig so leicht seine Pläne vereiteln lasse. Der Reichtum dieses Hauses erkauft manchen unwürdigen Freier, und dein Recht würde nicht geachtet, vielleicht gar geleugnet werden.«

»Sie können doch die Feierlichkeit der Kirche nicht verachten, Vater!« rief Violetta aus.

»Meine Tochter, ich sag es mit Schmerz, aber die Großen und Mächtigen finden selbst Mittel, die ehrwürdigen und heiligen Sakramente der Kirche hintenanzusetzen. Dein eigen Gold würde nur dazu dienen, dein Elend zu besiegeln.«

»Dies könnte geschehen, Vater, wenn wir im Bereich von St. Markus blieben«, unterbrach ihn der Neapolitaner, »sind wir aber erst über seine Grenzen, so war es ein gar kühner Eingriff in die Rechte eines fremden Staates, wenn man Hand an uns legte. Überdies hab ich ein festes Schloß in Sant‘ Agata, das ihren geheimsten Hilfsmitteln Trotz bietet, bis sich vielleicht Fälle ereignen, die es ihnen wünschenswerter machen nachzugeben, als auf ihrem Willen zu beharren.«

»Wärst du, anstatt zwischen den Kanälen, jetzt innerhalb der Mauern von Sant‘ Agata, so hätte dieser Grund allerdings viel Kraft.«

»Es ist jetzt einer meiner Vasallen aus Kalabrien hier, ein gewisser Stefano Milano, und Padrone einer sorrentinischen Feluke, die hier im Hafen liegt; der Mann ist ein Freund meines Gondoliere – der der Dritte war in den Wettkämpfen dieses Tages. Ist dir unwohl, Vater, du scheinst unruhig?«

»Fahre fort mit deinem Vorschlag«, antwortete der Mönch, andeutend, daß er nicht wünsche, beobachtet zu werden.

»Mein treuer Gino brachte mir die Nachricht, daß dieser Stefano, wie er glaubt, jetzt im Auftrage der Republik auf den Kanälen ist, denn obgleich der Seemann weniger zur Mitteilung geneigt ist als gewöhnlich, so ließ er doch Winke fallen, die so etwas schließen lassen. – Die Feluke ist jede Stunde bereit, in See zu gehen, und ich zweifle nicht, daß ihr Besitzer lieber seinem natürlichen Herrn als den zweizüngigen Bösewichtern des Senats dienen wird. Ich kann so gut bezahlen wie sie, wenn ich gut bedient werde, und ich kann auch strafen, wenn man mich beleidigt.«

»Wären Sie außer dem Bereich der Arglist dieser mysteriösen Stadt, Signore, so würde dies alles ganz verständig sein. Doch wie wollen Sie sich einschiffen, ohne die Aufmerksamkeit derer auf sich zu ziehen, die wahrscheinlich alle unsere Handlungen bewachen?«

»Finden sich doch zu allen Stunden Verlangte auf den Kanälen, und wenn auch Venedig in seinem Aufpassersystem sehr weit geht, so weißt du doch, Vater, daß ohne außerordentliche Ursachen Masken Sicherheit genießen. Ohne dies kleine Privilegium würde die Stadt nicht einen Tag zu bewohnen sein.«

»Ich fürchte die Folgen«, bemerkte der zögernde Mönch, obgleich man aus seinen gedankenvollen Zügen deutlich sah, daß er die möglichen Fälle des Abenteuers berechnete. »Wird es bekannt, und werden wir angehalten, so sind wir alle verloren.«

»Vertraue mir, Vater, dein Schicksal soll nicht vergessen werden, selbst im schlimmsten Fall. Ich habe, wie du weißt, einen Onkel, der beim Papst hoch angeschrieben ist und den Scharlachhut trägt. Ich verpfände dir mein Ehrenwort, daß ich all meinen Einfluß bei diesem Verwandten aufbieten will, solche Fürbitte der Kirche zu bewirken, daß der Schlag, der ihren Diener treffen sollte, abgewandt werde.«

Das Gesicht des Karmeliters ward röter, und zum erstenmal bemerkte der eifrige junge Mann um dessen asketischen Mund den Ausdruck weltlichen Stolzes.

»Du hast meine Bedenklichkeiten unrecht verstanden, Herzog von Sant‘ Agata«, sagte er, »ich fürchte nicht für mich, sondern für andere. Dieses zarte, liebliche Kind ist meiner Sorge nicht anvertraut worden, ohne einen väterlichen Anteil an ihr Schicksal bei mir erregt zu haben«, er hielt inne und schien mit sich selbst zu kämpfen. »Zu lange kenne ich die milden, weiblichen Tugenden Donna Florindes, um sie gleichgültig der nahen und schrecklichen Gefahr ausgesetzt zu sehen. Unseren Zögling verlassen können wir nicht; auch sehe ich nicht ein, wie wir, als kluge und wachsame Beschützer, auf irgendeine Weise unsere Zustimmung zu diesem Wagestück geben können. Laßt uns hoffen, daß die, die regieren, doch noch die Ehre und das Glück der Donna Violetta berücksichtigen werden.«

»Das wäre, als wollten wir hoffen, den geflügelten Löwen in ein Lamm und den finsteren, seelenlosen Senat in eine Gesellschaft büßender, frommer Kartäuser verwandelt zu sehen! Nein, ehrwürdiger Vater, wir müssen den glücklichen Augenblick ergreifen – und wahrscheinlich kommt nie ein günstigerer als dieser – oder unsere Hoffnungen einer kalten, berechnenden Politik, die nichts achtet als ihre Zwecke, anvertrauen. Eine Stunde, ja eine halbe, wäre hinreichend, den Seefahrer zu benachrichtigen, und noch bevor der Morgen graute, könnten wir die Kuppeln Venedigs in ihre verhaßten Lagunen hinabsinken sehen.«

»Dies sind Pläne der zuversichtlichen, von Leidenschaft beflügelten Jugend. Glaube mir, mein Sohn, es ist nicht so leicht, die Agenten der Polizei irrezuführen. Wir könnten diesen Palast nicht verlassen, die Feluke nicht besteigen, noch irgendeinen der so vielen nötigen Schritte tun, ohne ihre Blicke auf uns zu ziehen. Horch – ich höre Rudergeplätscher – eine Gondel hält eben am Wassertor!«

Donna Florinde ging schnell auf den Balkon und kehrte ebenso schnell zurück, um zu erzählen, daß sie einen Beamten der Republik hätte in den Palast gehen sehen. Es war keine Zeit zu verlieren, Don Camillo mußte sich von neuem in der Kapelle verbergen. Kaum hatte man diese nötige Vorsicht beobachtet, als sich die Türe des Zimmers öffnete und der privilegierte Bote des Senats sich selbst anmeldete. Es war derselbe, der bei der schrecklichen Exekution präsidiert und das Ende der Macht von Signore Gradenigo angekündigt hatte. Als er ins Zimmer trat, blickte er argwöhnisch umher. Der Karmeliter zitterte an allen Gliedern, wie sein Blick dem seinigen begegnete. Doch alle unmittelbare Furcht verschwand, als das gewöhnliche, schlaue Lächeln, mit dem er seine unangenehmen Mitteilungen zu mildern suchte, die Stelle des momentanen Ausdrucks eines ungewissen Argwohns einnahm.

»Edle Dame«, sagte er, sich mit der ihrem Range angemessenen Ehrfurcht verbeugend, »aus dem Eifer seines Dieners werden Sie den Anteil erkennen, den der Senat an Ihrer Wohlfahrt nimmt. Ängstlich besorgt für das Vergnügen und für die Wünsche einer so jungen Dame, hat er beschlossen, Ihnen den Genuß und den Wechsel eines andern Schauplatzes zu geben, und zwar jetzt in dieser Jahreszeit, wo die Kanäle der Stadt durch ihre Wärme und die Menschenmenge, die in der freien Luft lebt, höchst unangenehm werden. Ich bin daher abgesandt worden, Sie zu ersuchen, daß Sie Einrichtungen treffen, wie sie zu einem Aufenthalt von wenigen Monaten in einer reineren Atmosphäre Ihrer Bequemlichkeit angemessen sind, und zwar so eilig als möglich, indem Ihre Reise, um Ihnen Ungemächlichkeiten zu ersparen, schon vor Sonnenaufgang beginnen soll.«

»Das ist eine sehr kurze Frist für eine Dame, die die Wohnung ihrer Ahnen verlassen soll.« »Die Liebe und väterliche Sorgfalt von St. Markus läßt ihn leere Zeremonien übersehen. So handelt stets der Vater gegen sein Kind. Es bedarf der großen Vorbereitungen nicht, da es ein Geschäft der Regierung sein wird, alles Benötigte nach dem Aufenthalt zu senden, den eine so erlauchte Dame mit ihrer Gegenwart beehren wird.«

»Für meine Person braucht es weniger Vorbereitung, allein, ich fürchte, daß die Dienerzahl, die meinem Stande angemessen ist, zu ihren Einrichtungen mehr Zeit bedürfen wird.«

»Edle Dame, diese Verlegenheit hat man vorausgesehen, und um ihr abzuhelfen, hat der Staatsrat beschlossen, Sie mit der einzigen Dienerin zu versehen, die Sie während einer so kurzen Abwesenheit von der Stadt bedürfen werden.«

»Wie, Signore? Will man mich von meinen Leuten trennen?«

»Von den Mietlingen Ihres Palastes, um Sie mit solchen zu umgeben, die Ihnen aus edleren Beweggründen ergeben sind.«

»Und meine mütterliche Freundin – mein geistlicher Ratgeber?«

»Diesen ist erlaubt, während Ihrer Abwesenheit zu ruhen von ihren Pflichten.«

Ein Ausruf der Donna Florinde und eine unwillkürliche Bewegung des Mönchs verrieten ihren beiderseitigen Schmerz. Donna Violetta unterdrückte mit mächtiger Anstrengung das bittere Gefühl ihres verwundeten Herzens, wobei sie ihr Stolz kräftig unterstützte; doch konnte sie eine andere Sorge, die ihre Blicke aussprachen, nicht ganz verbergen.

»Erstreckt sich dies Verbot auch bis auf die, die gewöhnlich meine eigene Person bedient?«

»So lauten meine Befehle, Signora.«

»Erwartet man, daß sich Violetta Tiepolo diese Dienste selbst leiste?«

»Nein, Signora. Man hat eine höchst liebenswürdige, vortreffliche Dienerin zu diesem Geschäft erwählt. Annina«, fuhr er, sich der Türe nähernd, fort, »deine erlauchte Gebieterin wünscht dich zu sehen.«

Auf seinen Ruf erschien die Tochter des Weinhändlers. Sie hatte den Schein der Demut angenommen, doch war er von einer gewissen Miene begleitet, die Unabhängigkeit von dem Willen ihrer neuen Gebieterin verriet.

»Diese Dirne also soll meine nächste Vertraute werden!« rief Donna Violetta aus, nachdem sie ihre Züge einen Augenblick mit sichtlichem Widerwillen gemustert hatte.

»Die Sorgfalt Ihrer erlauchten Vormünder, edle Dame, hat diese Wahl getroffen. Da das Mädchen schon von allem Nötigen unterrichtet ist, so will ich nicht länger beschwerlich fallen, sondern mich beurlauben, und Ihnen noch zuvor empfehlen, die wenigen Stunden zwischen jetzt und Sonnenaufgang zu benutzten, um in der Morgenfrische die Stadt verlassen zu können.«

Noch einen Blick warf der Beamte im Zimmer umher, jedoch, wie es schien, mehr aus gewohnter Vorsicht als aus irgendeinem andern Grund, verbeugte sich alsdann und ging.

Ein tiefes, schmerzliches Stillschweigen erfolgte. Dann blitzte die Furcht, Don Camillo möchte sich in Hinsicht ihrer Lage irren und zum Vorschein kommen, in Violettas Seele auf, daher beeilte sie sich, durch lautes Sprechen mit ihrer neuen Dienerin, ihn von der Gefahr zu unterrichten.

»Hast du schon früher gedient, Annina?« fragte sie laut, damit ihre Worte in der Kapelle gehört würden.

»Nie bei einer so schönen und erlauchten Dame, Signora. Doch hoffe ich, mich meiner Gebieterin angenehm zu machen, die, wie ich höre, so gütig gegen ihre Umgebung ist.«

»Die Schmeichelreden deines Standes sind dir nicht fremd! Geh denn und benachrichtige meine ehemaligen Diener von diesem plötzlichen Wechsel, damit ich den Senat durch mein Zögern nicht erzürne. Ich vertraue alles deiner Sorge an, Annina, da du mit dem Willen meiner Vormünder benannt bist – die Leute draußen werden dir beistehen.«

Das Mädchen zögerte, und ihre wachsamen Beobachter sahen Argwohn und Ungewißheit in der lässigen Art ihres Gehorsams. Sie gehorchte indessen und verließ mit dem Diener, den Donna Violetta aus dem Vorsaal herbeigerufen hatte, das Zimmer. Sowie die Türe geschlossen war, erschien Don Camillo, und die ganze Gruppe der Vier sah sich mit panischem Schrecken an.

»Kannst du jetzt noch zögern, Vater?« fragte der Liebende.

»Nicht einen Augenblick sähe ich Mittel, die Flucht zu bewerkstelligen.«

»Wie! Du willst mich also nicht verlassen!« rief Violetta voller Freude aus und küßte seine Hände. »Und auch du nicht, meine zweite Mutter?«

»Keiner«, antwortete die Freundin, die wie durch Eingebung des Mönchs Entschluß begriff. »Wir gehen mit dir, meine Liebe, nach dem Schlosse von Sant‘ Agata oder in den Kerker von San Marco.«

»Florinde, empfange meinen Dank!« rief die erleichterte Violetta. »Camillo, wir erwarten deine Leitung!«

»Halt«, rief der Mönch, »ein Fußtritt – in dein Versteck.«

Kaum war Camillo ihren Blicken entschwunden, als Annina wieder erschien, nach der unbedeutenden Frage zu urteilen, die sie an ihre Gebieterin hinsichts der Farbe eines Kleides tat, war ihr Kommen eher einer andern Ursache als diesem Vorwande zuzuschreiben.

»Tue, was du willst, Mädchen«, sagte Violetta ungeduldig, »du kennst meinen neuen Aufenthalt und wirst am besten beurteilen können, welches Anzugs ich bedarf. Eile mit deinem Geschäft, damit ich keinen Aufenthalt verursache. Enrico, führe meine neue Kammerfrau in die Garderobe.«

Zögernd entfernte sich Annina, denn zu bewandert war sie in Arglist und Verstellungskunst, um dieser unerwarteten Fügung in den Willen des Senats nicht zu mißtrauen oder nicht den Widerwillen zu bemerken, mit dem ihre Dienste angenommen wurden. Da ihr indes der treue Diener Donna Violettas zur Seite blieb, mußte sie wohl oder übel gehorchen und sich einige Schritte nach der Türe zu führen lassen. Plötzlich, als fiele ihr eine neue Frage ein, kehrte sie mit solcher Schnelligkeit zurück, daß sie schon im Zimmer war, ehe noch Enrico ihre Absicht ahnte.

»Tochter, vollbringe dein Geschäft und hüte dich, uns ferner zu unterbrechen«, sagte der Mönch ernsthaft. »Ich will eben diese Bußfertige beichten lassen, die vielleicht lange nach dem Trost der heiligen Kirche wird schmachten müssen, bevor wir uns wiedersehen. Wenn du kein dringendes Geschäft hast, so geh, ehe du der Kirche ernste Ursache zum Zorne gibst.«

Der strenge Ton des Karmeliters, sein befehlender Blick setzten die Dirne in Schrecken. Zitternd und wirklich in Furcht vor der Gefahr, Meinungen entgegenzuhandeln, die in allen Gemütern tief wurzelten und von denen ihr eigener Aberglaube nicht frei war, murmelte sie einige entschuldigende Worte und ging endlich, nachdem sie noch einen ihrer unruhigen, argwöhnischen Blicke umhergeworfen hatte. Als man sich wieder allein sah, empfahl der Mönch durch einen Wink dem ungestümen Don Camillo, der seine Ungeduld kaum so lange im Zaum halten konnte, bis die Überlästige entfernt war, Stillschweigen.

»Sei vorsichtig, mein Sohn«, sagte er, »wir sind von Verrätern umgeben, in dieser unglücklichen Stadt weiß man nicht, wem man trauen darf.«

»Ich denke, auf Enrico können wir uns verlassen«, sagte Donna Florinde, obgleich der Ton ihrer Stimme die Zweifel ausdrückte, die sie nicht zu fühlen vorgab.

»Daran ist wenig gelegen, meine Tochter. Er weiß nichts von Don Camillos Hiersein, und in dieser Hinsicht sind wir sicher. Herzog von Sant‘ Agata, können Sie uns aus diesen Schlingen erlösen, so sind wir bereit, Ihnen zu folgen.«

Ein Freudenschrei schwebte auf Violettas Lippen, doch den Blicken des Mönchs gehorsam, wandte sie sich zu ihrem Geliebten, als wolle sie seine Entscheidung erfahren. Don Camillos Einwilligung war auf seinem Gesichte zu lesen. Ohne ein Wort zu sagen, schrieb er eilig einige Zeilen auf das Kuvert eines Briefes, wickelte ein Stück Geld hinein und ging mit vorsichtigen Schritten auf den Balkon. Ein Signal ward gegeben, und alle erwarteten schweigend und mit angehaltenem Atem die Antwort. Alsbald hörten sie das Plätschern eines Bootes unter dem Fenster. Wieder vorgehend, warf Don Camillo mit sicherer Hand das Papier hinab, so daß er den Fall der Münze auf dem Boden der Gondel hörte. Der Gondoliere hob kaum seinen Blick zum Balkon empor, fing ein auf den Kanälen sehr gewöhnliches Liedchen an und ruderte gemächlich, als habe es keine Eile, davon.

»Das ist gelungen!« sagte Don Camillo, als er den Gesang Ginos hörte. »In einer Stunde hat mein Geschäftsträger die Feluke in Beschlag genommen, alles kommt nun darauf an, den Palast unbemerkt zu verlassen. Meine Leute werden uns in kurzem erwarten, und vielleicht wäre es wohlgetan, offen und frei unserer Schnelligkeit zu vertrauen, um das Adriatische Meer zu erreichen.«

»Noch ist eine feierliche und unerläßliche Pflicht zu erfüllen«, bemerkte der Mönch. »Meine Töchter, geht in eure Zimmer und besorgt das Nötige zu unserer Flucht: Dies kann, ohne Argwohn zu erregen, geschehen, indem es scheinen wird, als wolltet ihr den Wünschen des Senats genügen. In wenigen Minuten werde ich euch wieder hierher berufen.«

Verwundert, doch gehorsam entfernten sich die Damen. Der Karmeliter machte nun Don Camillo offen und kurz mit seinen Absichten bekannt. Letzterer hörte eifrig zu, und nachdem der andere geendet, gingen beide in die Kapelle.

Kaum vergingen fünfzehn Minuten, als der Mönch schon allein zurückkehrte und die Klingel zog, die in das Kabinett Violettas führte. Donna Florinde und ihr Zögling erschienen sogleich.

»Bereite dich zur Beichte vor«, sagte der Priester, sich mit ernster Würde in den Stuhl niederlassend, den er gewöhnlich einnahm, wenn er auf die Selbstanklagen und Geständnisse seiner geistlichen Tochter hörte.

Violetta erblaßte und errötete wechselweise, als drückte eine schwere Sünde ihr Gewissen. Sie warf einen flehenden Blick auf ihre mütterliche Ratgeberin, in deren milden Zügen sie einem ermutigenden Lächeln begegnete, dann kniete sie, mit schwerem Herzen und zu solcher Feierlichkeit wenig gesammeltem Gemüt, doch mit einer dem Gegenstande angemessenen Entschlossenheit, auf das Kissen nieder, das zu des Mönchs Füßen lag.

Die leisen Worte Donna Violettas waren nur den väterlichen Ohren hörbar, für die sie bestimmt waren. Zweimal lächelte der gute Vater unwillkürlich, und bei jeder gebeichteten Unbesonnenheit legte er wohlwollend seine Hand auf das Haupt der Beichtenden. Violetta hörte auf zu reden, und mit warmer Inbrunst, die durch die besonderen Umstände noch erhöht ward, in denen sich alle befanden, ward die Absolution gesprochen.

Nachdem diese Pflicht erfüllt war, trat der Mönch in die Kapelle. Mit fester Hand zündete er die Lichter auf dem Altare an und besorgte alles zur Messe Nötige. Währenddem stand Don Camillo an der Seite Violettas und flüsterte ihr mit der Wärme eines glücklichen Geliebten leise Worte zu. Florinde hielt sich an der Tür, den Ton der Fußtritte im Vorzimmer bewachend. Der Mönch trat vor den Eingang der kleinen Kapelle und wollte eben sprechen, als Donna Florindes schnelle Schritte seine Worte aufhielten. Kaum hatte Don Camillo Zeit, sich hinter der Draperie eines Fensters zu verbergen, als auch schon Annina die Tür öffnete und hereintrat.

Als die Dirne die Zubereitungen des Altars und des Priesters feierliches Antlitz sah, trat sie bestürzt einen Schritt zurück. Doch mit jener Besonnenheit, die ihr eben ihre gegenwärtige Anstellung verschafft hatte, sammelte sie ihre Gedanken bald, bekreuzigte sich andächtig und nahm ihren Platz seitwärts, wie jemand, der seine Stellung wohl kennt, aber doch an dem heiligen Gottesdienst teilzunehmen wünscht.

»Tochter, niemand, der diese Messe mit uns beginnt, kann sie verlassen, bevor sie geendet ist«, bemerkte der Mönch.

»Vater, es ist meine Pflicht, mich in der Nähe meiner Gebieterin aufzuhalten, und eine Glückseligkeit für mich, ihr in dieser frühen Morgenandacht nahe zu sein.«

Der Mönch war in Verlegenheit; er blickte unentschlossen von einer zur andern und wollte eben irgendeinen Vorwand ersinnen, sich der Überlästigen zu entledigen, als Don Camillo mitten ins Zimmer trat.

»Fahren Sie fort, ehrwürdiger Vater«, sagte er, »sie ist nur noch ein Zeuge meines Glückes mehr.«

Bei diesen Worten berührte der Edelmann mit einem Finger den Griff seines Schwertes und warf der halb versteinerten Annina einen Blick zu, der sehr erfolgreich den Ausruf zurückhielt, der ihr eben entschlüpfen wollte. Der Mönch schien diese schweigende Verabredung zu verstehen, denn mit tiefer Stimme begann er die heilige Messe.

Die Sonderbarkeit ihrer Lage, die wichtigen Folgen der Handlung, in der sie begriffen waren, die ausdrucksvolle Würde des Karmeliters und die große Gefahr, der sie sich alle aussetzten, verbunden mit der Gewißheit der Strafe, wenn es verraten ward, daß sie es wagten, dem Willen Venedigs zuwiderzuhandeln, machten einen tieferen Eindruck auf ihr Gefühl, als gewöhnlich bei Trauungen zu geschehen pflegt. Violetta zitterte bei jedem Ton der feierlichen Stimme des Mönchs, und gegen Ende der Handlung lehnte sie sich kraftlos an den Arm des Mannes, dem sie soeben ihre Treue verpfändet hatte. Die Augen des Karmeliters wurden indessen immer belebter, je weiter er in seinem Vortrage kam, und noch lange vor dem Schluß hatte er sich sogar der Gefühle Anninas so bemächtigt, daß er ihre feile Seele in Ehrfurcht erhielt. Die Endworte der Trauung wurden gesprochen und der Segen erteilt.

»Maria, die Reine, wache über dein Glück, meine Tochter«, sagte der Mönch, zum ersten Male in seinem Leben die Stirn der weinenden Braut küssend. – »Herzog von Sant‘ Agata, dein Schutzpatron erhöre dich nach Maßgabe deiner Güte gegen dies unschuldige, vertrauensvolle Kind!«

»Amen! Ha! Wir sind nicht zu früh vermählt, meine Violetta, ich höre Ruderschläge.«

Ein Blick vom Balkon überzeugte ihn von der Wahrheit seiner Worte und von der Notwendigkeit, jetzt den entscheidenden Schritt zu tun. Eine sechsrudrige Gondel, von einer den Wellen des Adriatischen Meeres in dieser Jahreszeit angemessenen Größe und mit einem geräumigen Kajütenpavillon, hielt am Wassertore des Palastes.

»Ich bewundere diese Kühnheit«, rief Don Camillo aus. »Wir dürfen nicht zögern, damit die Polizei nicht durch irgendeinen Spion der Republik Nachricht erhalte. Fort, teure Violetta! – Fort, Donna Florinde – Vater, fort!«

Die Gouvernante und ihr Zögling eilten schnell in die inneren Zimmer. Nach einer Minute kehrten sie mit Donna Violettas Schmuckkästchen und allem zu einer kurzen Reise Benötigten zurück. Alles war bereit bei ihrer Rückkehr, denn Don Camillo hatte sich auf diesen entscheidenden Augenblick längst vorbereitet, und der selbstverleugnende Karmeliter bedurfte keiner überflüssigen Bequemlichkeiten. Es war jetzt nicht Zeit zu unnötigen Erklärungen oder gewöhnlichen Einwürfen.

»Unsere Hoffnung beruht auf unserer Eile«, sagte Don Camillo. »Geheimhaltung ist unmöglich.«

Noch hatte er nicht vollendet, als der Mönch schon zur Tür schritt. Donna Florinde und die halb atemlose Violetta folgten ihm; Don Camillo zog den Arm Anninas unter den seinen und gebot ihr mit leiser Stimme, zu gehorchen, wenn ihr Leben ihr lieb wäre.

Die lange Reihe der äußeren Zimmer war zurückgelegt, ohne daß irgend jemand diesen sonderbaren Zug bemerkt hätte. Doch als die Flüchtlinge in die große Halle traten, die mit der Haupttreppe in Verbindung stand, sahen sie sich inmitten von wenigstens zwölf Dienern beiderlei Geschlechts.

»Platz da!« rief der Herzog von Sant‘ Agata, dessen Person und Stimme allen gleich unbekannt war. »Eure Gebieterin will die frische Luft auf den Kanälen genießen.«

Verwunderung und Neugier zeigte sich auf allen Gesichtern, doch war in den Zügen vieler Argwohn und eifrige Aufmerksamkeit vorherrschend. Kaum hatte Violettas Fuß das Pflaster der unteren Halle berührt, als mehrere Diener die Treppe hinunterschlüpften und den Palast durch verschiedene Türen verließen. Jeder suchte die Personen auf, die ihn hier in den Dienst gebracht hatten. Einer floh die engen Gassen der Inseln entlang, um zu Don Gradenigos Wohnung zu gelangen; ein anderer suchte dessen Sohn auf; ein dritter, unbekannt mit dem, der ihm für seine Dienste zahlte, suchte den Geschäftsträger Don Camillos, um ihm Umstände mitzuteilen, in denen dieser selbst eine so bedeutende Rolle spielte. In solch einen Zustand von Verderbtheit hatten Falschheit und Hinterlist den Haushalt der schönsten und reichsten Erbin Venedigs versetzt!

Die Gondel lag an den Marmorstufen des Wassertores, zwei Männer hielten sie fest an den Steinen. Don Camillo übersah mit einem Blick, daß die maskierten Gondolieri keine der ihnen von ihm vorgeschriebenen Vorsichtsmaßregeln versäumt hatten, und er pries innerlich ihre Pünktlichkeit. Jeder von ihnen trug ein kurzes Rapier im Gürtel, und er glaubte unter den Falten ihrer Gewänder die damals üblichen, schwerfälligen Feuergewehre zu bemerken. Diese Beobachtungen wurden gemacht, während der Mönch und Violetta ins Boot traten. Dona Florinde folgte, und Annina wollte desgleichen tun, als sie Don Camillo beim Arm zurückhielt.

»Dein Dienst hat hier ein Ende«, sagte der Bräutigam. »Suche dir eine andere Gebieterin, in Ermangelung einer besseren rate ich dir, dich Venedig zu weihen.«

Bei dieser Unterbrechung sah sich Don Camillo um und betrachtete einen Augenblick lang die in ehrfurchtsvoller Ferne in der Halle des Palastes versammelte Menge.

»Lebt wohl, meine Freunde!« sagte er. »Wer seiner Gebieterin treu ist, soll nicht vergessen werden.«

Er wollte mehr sagen, da fühlte er sich plötzlich und rauh bei den Armen ergriffen. Die beiden Gondolieri am Ufer hatten ihn gepackt, während er sich ihnen zu entwinden suchte, schoß Annina auf einen erhaltenen Wink bei ihm vorbei und ins Boot. Die Ruder fielen ins Wasser. Don Camillo ward auf eine heftige Weise in den Palast zurückgedrängt, die Gondolieri nahmen ihre Plätze ein, die Gondel glitt von den Stufen hinweg und war bald aus dem Bereich der Zurückgebliebenen.

»Gino! Bösewicht! Was bedeutet diese Verräterei?«

Die Bewegung der abfahrenden Gondel ward nur von dem Ton des rauschenden Wassers begleitet. In sprachlosem Schmerz sah Don Camillo das Boot immer schneller und schneller die Kanäle entlanggleiten und dann, sich um die Ecke eines Palastes wendend, verschwinden. In Venedig war Verfolgung nicht so leicht wie in anderen Städten, denn dem Lauf der Gondel auf den Kanälen konnte man nur zu Wasser folgen. Verschiedene Familienboote lagen innerhalb der durch Pfähle abgetrennten Stelle des großen Kanals am Haupteingange, und schon wollte sich Don Camillo in eines stürzen und mit eigener Hand das Ruder führen, als Ruderschläge die Annäherung einer Gondel von der Brücke her ankündigten. Bald trat sie hervor aus dem dunkeln Schatten der Häuser, und Don Camillo erblickte eine große Gondel, die, genau wie die eben abgefahrene, von sechs maskierten Gondolieri gerudert ward. Die beiden Boote sahen sich so ähnlich, daß nicht nur Don Camillo, sondern alle andern, die zugegen waren, anfangs glaubten, letzteres habe schon mit außergewöhnlicher Eile die Tour um die nahegelegenen Paläste vollendet und nähere sich nun wieder dem Eingange von Donna Violettas Behausung.

»Gino!« schrie der betäubte Neuvermählte.

»Gnädiger Herr?« antwortete fragend der treue Diener.

»Komm näher, Bösewicht. Was soll der unnütze Scherz in diesem Augenblick?«

Don Camillo machte einen gewaltigen Sprung und erreichte glücklich die Gondel. Mit Blitzesschnelle stürzte er mitten durch das Schiffsvolk hindurch in das Zelt, wo ihn ein Blick überzeugte, daß es leer war.

»Niederträchtige, ihr habt gewagt, mich zu hintergehen!« schrie der bestürzte Herzog.

In diesem Augenblick schlug die Stadtuhr zwei; und jetzt erst, als dies verabredete Signal schwer und traurig durch die Nachtluft tönte, ging dem enttäuschten Camillo eine Ahnung von dem wahren Hergang der Sache auf.

»Gino«, sagte er, seine Stimme dämpfend wie jemand, der einen verzweifelten Entschluß fassen will, »sind deine Leute treu?«

»So treu als Ihre eigenen Vasallen, Signore.«

»Und du gabst wirklich meinem Agenten das Billett?«

»Er hatte es in seinen Händen, noch ehe die Tinte trocken war, Exzellenz.«

»Der feile Bösewicht! Er sagte dir, wo du die Gondel, ganz so wie diese ausgerüstet, finden würdest?«

»So ist’s, Signore, und ich muß dem Manne die Gerechtigkeit widerfahren lassen, er stellte ein Schiff, das weder an Schnelligkeit noch Bequemlichkeit etwas zu wünschen übrigläßt.«

»Ja! Er handelt sogar mit Duplikaten, so zart ist seine Sorgfalt!« murmelte Camillo zwischen den Zähnen. – »Rudert zu, Leute, eure eigene Sicherheit und mein Glück hängen von euren Armen ab. Tausend Dukaten, wenn ihr meiner Hoffnung entsprecht, meinen gerechten Zorn, wenn ihr sie täuscht!«

Don Camillo warf sich in der Bitterkeit seines Herzens bei diesen Worten aufs Kissen, doch machte er dabei eine Bewegung, die den Ruderern gebot fortzueilen. Gino, der auf dem Spiegel des Schiffes stand und das Steuerruder lenkte, öffnete ein kleines Fenster im Pavillon und bückte sich, um seines Gebieters Befehle beim Abfahren des Bootes zu vernehmen. Dann, sich aus seiner gebückten Stellung erhebend, tat der geübte Gondoliere einen Schlag mit seinem Ruder, daß sich das träge Element in der engen Durchfahrt in brausenden Wirbeln bewegte, und die Gondel glitt wie vom Instinkte getrieben in den großen Kanal hinein.