Die neue Stadt

 

Kid und Kurz, die aus entgegengesetzten Richtungen kamen, trafen sich an der Ecke, wo das Schanklokal Elchgeweih lag.

 

Kid sah sehr vergnügt aus und ging flott und rasch, während Kurz anscheinend sehr niedergeschlagen dahertrottete.

 

»Was ist los?« fragte Kid übermütig.

 

»Ich will ewig verflucht sein, wenn ich es selbst ahne«, gab Kurz mißmutig zur Antwort. »Ich möchte es tatsächlich gern wissen. Es gibt auch nichts, was mich ein bißchen aufrütteln könnte. Zwei Stunden lang habe ich die blödesten, langweiligsten Patiencen gelegt… keine Aufregung, keine Trümpfe, nichts zu machen. Dann habe ich ein paar Robber Whist mit Skiff Mitchel um Schnäpse gespielt, und jetzt sehne ich mich so nach einem Erlebnis, daß ich die Straße hier auf und ab laufe in der Hoffnung, daß es wenigstens eine Hundekeilerei oder einen Streit oder sonst irgendwas geben möchte.«

 

»Da hab‘ ich was Besseres auf Lager«, antwortete Kid, »deshalb bin ich auf der Suche nach dir. Komm mit.«

 

»Jetzt?«

 

»Ja, natürlich…«

 

»Wohin denn?«

 

»Über den Fluß, um dem alten Dwight Sanderson einen Besuch abzustatten.«

 

»Hab‘ nie was von dem gehört«, gab Kurz mißmutig zur Antwort, »… auch noch nie, daß überhaupt jemand auf der andern Seite des Flusses lebt. Warum in aller Welt wohnt er denn da? Ist er vollkommen verrückt?«

 

»Er hat was zu verkaufen«, lachte Kid.

 

»Hunde? Oder eine Goldmine? Vielleicht Tabak?«

 

Kid schüttelte zu jeder Frage den Kopf.

 

»Komm nur mit, dann wirst du schon sehen, was es ist. Ich will es jedenfalls kaufen… und wenn du willst, kannst du halbpart mit mir machen.«

 

»Sag nur um Gottes willen nicht, daß es Eier sind«, rief Kurz, und sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, das halb drollig, halb spöttisch war.

 

»Komm nur mit«, erklärte Kid, »ich lasse dich noch zehnmal raten, während wir über das Eis gehen.«

 

Sie kletterten den schroffen Hang am Ende der Straße hinab und erreichten den eisbedeckten Yukon. Dreiviertel Meilen entfernt sahen sie gerade vor sich das andere Ufer mit seinen noch schrofferen Felsen. Dazwischen schlängelte sich, von vielen zerborstenen Eisblöcken unterbrochen, eine schmale, nur wenig benutzte Schlittenspur. Kurz trottete dicht hinter Kid her und verbrachte die Zeit mit zahlreichen Versuchen, zu enträtseln, was Dwight Sanderson wohl zu verkaufen hätte.

 

»Rentiere? Eine Kupfermine? Oder eine Ziegelei? Das war mein erster Versuch, das Rätsel zu lösen! Bären- oder andere Felle? Lotterielose? Eine Kartoffelfarm?«

 

»Jetzt kommst du der Sache schon näher«, ermunterte ihn Kid.

 

»Zwei Kartoffelfarmen? Eine Käsefabrik? Ein Binsengut?«

 

»Du irrst dich gar nicht so sehr, Kurz, bist gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt, wie du selber glaubst.«

 

»Ein Steinbruch?«

 

»Jetzt bist du fast ebenso nahe daran wie mit dem Binsengut und der Kartoffelfarm.«

 

»Sei mal einen Augenblick ruhig, ich muß nachdenken! Ich darf noch einmal raten.«

 

Zehn Minuten vergingen im Schweigen.

 

»Weißt du, Kid, ich versuche es gar nicht mehr. Wenn das Ding, das du kaufen willst, so ähnlich lautet wie eine Kartoffelfarm, ein Binsengut und ein Steinbruch, dann geb‘ ich es lieber gleich auf. Und ich werde mich auch nicht an dem Geschäft beteiligen, bevor ich es gesehen habe und mir meine Meinung darüber bilden kann.«

 

»Gut… du wirst ja bald genug die Karten auf dem Tische sehen. Guck mal dort hinauf… Siehst du den Rauch aus der Hütte? Da wohnt der alte Dwight Sanderson. Er hat Grundstücke genug für eine ganze Stadt.«

 

»Was hat er sonst noch?«

 

»Weiter nichts«, lachte Kid. »Das heißt, er hat auch Gicht… das hab‘ ich wenigstens gehört.«

 

»Sag mal…« Kurz streckte die Hand aus, packte seinen Kameraden an der Schulter und zwang ihn stehenzubleiben.

 

»Du willst mir doch nicht einreden, daß du auf diesem vollkommen verrückten Land Grundstücke für eine Stadt kaufen willst?«

 

»Jetzt hast du das zehntemal geraten… und diesmal richtig!«

 

»Aber wart doch einen Augenblick«, bat Kurz. »Sieh dir doch die Grundstücke hier an. Sie sind ja nichts als Felsen und Glitschbahnen… die reine Rutschbahn. Wo zum Teufel soll die Stadt denn stehen?«

 

»Ja, das möchtest du wohl wissen!«

 

»Dann willst du also gar keine Stadt hier bauen?«

 

»Nein, aber Dwight Sanderson will sie uns zur Gründung einer Stadt verkaufen«, neckte ihn Kid. »Komm jetzt, wir müssen diese Rutschbahn hinaufklettern.«

 

Es war ein sehr schroffer Hang, und der schmale Steg schlängelte sich wie eine riesige Jakobsleiter empor. Kurz stöhnte und ächzte über die vielen scharfen Ecken und Spitzen.

 

»Daß jemand hier eine Stadt anlegen will! Es ist nicht so viel ebene Fläche hier, um eine Briefmarke aufzukleben. Und außerdem ist es ja die falsche Seite vom Fluß! Der ganze Warenverkehr geht ja am anderen Ufer vor sich. Schau dir mal Dawson dort unten an! Da ist Platz genug für eine Erweiterung, selbst wenn die Bevölkerung auf vierzigtausend steigen sollte. Du, Kid, ich weiß ja, daß du die Grundstücke nicht kaufen willst, um eine Stadt zu gründen, aber warum in aller Teufel Namen kaufst du sie denn?«

 

»Um sie wieder zu verkaufen natürlich.«

 

»Aber andere Leute sind nicht solche Trottel wie der Alte dort oben oder wie du.«

 

»Vielleicht nicht in derselben Weise, Kurz. Aber ich kaufe jetzt diese Grundstücke. Dann teile ich sie in kleine Parzellen auf und verkaufe sie an eine ganze Menge von den vernünftigen Leuten in Dawson.«

 

»Brrr… ganz Dawson grinst heute noch über uns beide wegen der verdammten Eier. Du möchtest wohl, daß sie noch mehr grinsen?«

 

»Ja, natürlich.«

 

»Aber es ist ein verflucht teures Vergnügen, Kid! Bei der Eiergeschichte hab‘ ich dir geholfen, die Leute zum Lachen zu bringen, und mein Anteil an diesem neuen Vergnügen betrug fast neuntausend Dollar.«

 

»Ganz recht… aber du brauchst ja diesmal nicht mitzumachen. Dann stecke ich den Gewinn allein ein. Trotzdem mußt du mir aber helfen.«

 

»Oh, helfen tue ich gern! Und auslachen können sie mich meinetwegen auch. Aber ich gebe nicht eine Unze dafür aus. Was verlangt der alte Sanderson denn für seine Grundstücke… ein paar hundert?«

 

»Zehntausend. Ich denke aber, daß ich sie für fünf kriegen werde.«

 

»Ich möchte gern Pastor sein«, erklärte Kurz mit brennendem Eifer in seiner Stimme.

 

»Pastor? Wieso?«

 

»Dann würde ich eine wunderbar beredte Predigt über einen Text halten, den du vielleicht öfters gehört hast, nämlich über einen Narren und sein Geld…«

 

»Herein«, hörten sie Dwight Sanderson mürrisch rufen, als sie an seine Tür klopften. Und als sie eintraten, sahen sie ihn am steinernen Kamin hocken, wo er Kaffeebohnen, die in einem Fetzen aus einem alten Mehlsack eingewickelt waren, zerstampfte.

 

»Was wünschen Sie?« fragte er barsch, während er die zerstoßenen Kaffeebohnen in die Kaffeekanne schüttete, die auf den Kohlen stand.

 

»Etwas Geschäftliches mit Ihnen besprechen«, erwiderte Kid. »Sie haben Grundstücke für eine Stadt hier abgesteckt, wie ich gehört habe. Was verlangen Sie für die ganze Geschichte?«

 

»Zehntausend Dollar«, lautete die Antwort. »Und nachdem ich es Ihnen gesagt habe, können Sie ja wieder hinausgehen und mich auslachen. Da ist die Tür.«

 

»Ich habe gar nicht die Absicht zu lachen. Ich kenne eine Menge lustigerer Sachen, als ausgerechnet diese verdammten Felsen heraufzuklettern. Ich will Ihr Land kaufen.«

 

»So, wollen Sie? Nun, ich freue mich, endlich mal etwas Vernünftiges zu hören.« Sanderson trat zu ihnen und setzte sich seinen Besuchern gegenüber; seine Hände legte er auf den Tisch vor sich, während seine Blicke hin und wieder ängstlich nach der Kaffeekanne schweiften. »Ich habe Ihnen ja meinen Preis gesagt, und ich schäme mich nicht, ihn zu wiederholen… zehntausend Dollar! Und Sie können lachen oder kaufen… das ist mir beides ganz schnuppe.«

 

Um zu zeigen, wie schnuppe es ihm war, begann er mit seinen geschwollenen Knöcheln auf den Tisch zu trommeln und starrte wild die Kaffeekanne an. Ein paar Minuten später fing er auch an, eintönig und einförmig vor sich hin zu summen: »Tralalu, tralali, tralalu, tralali…«

 

»Aber sehen Sie, Herr Sanderson…«, sagte Kid. »Diese Grundstücke sind keine zehntausend wert. Wären sie das, so würden sie ebensogut hunderttausend wert sein. Und wenn sie keine hunderttausend wert sind – und daß sie das nicht sind, wissen Sie ja selbst sehr gut -, dann sind sie keine zehn Cent wert.«

 

Sanderson trommelte weiter mit seinen Knöcheln und summte: »Tralali, tralalu«, bis die Kaffeekanne überkochte. Er goß kaltes Wasser auf und nahm dann wieder seinen Platz ein.

 

»Wieviel bieten Sie denn?« fragte er Kid.

 

»Fünftausend.«

 

Kurz stöhnte.

 

Wieder folgte eine Pause, die nur durch das Trommeln auf dem Tische gestört wurde.

 

»Sie sind ja kein Idiot«, ließ Sanderson Kid wissen, »denn Sie sagten, wenn sie keine hunderttausend wert seien, hätten sie auch nicht den Wert von zehn Cent. Und doch bieten Sie fünftausend. Dann sind sie also hunderttausend wert. Ich erhöhe deshalb meine Forderung auf zwanzigtausend.«

 

»Sie werden ja nie einen Heller dafür kriegen«, antwortete Kid eifrig. »Und wenn Sie hierbleiben, bis Sie in Verwesung übergegangen sind.«

 

»Ich werde es schon aus Ihnen herauskriegen.«

 

»Nicht zu machen.«

 

»Dann werde ich eben hierbleiben, bis ich in Verwesung übergehe«, gab Sanderson in einem Ton zurück, der offensichtlich die Unterredung abschließen sollte.

 

Er nahm keine Rücksicht mehr auf die Anwesenheit der beiden, sondern bereitete seine kulinarischen Genüsse vor, als ob er ganz allein wäre. Als er einen Topf Bohnen aufgewärmt und eine Scheibe Brot geröstet hatte, deckte er den Tisch für eine Person und begann zu essen.

 

»Nein, nein, danke schön… sehr liebenswürdig«, murmelte Kurz. »Wir sind gar nicht hungrig.«

 

»Lassen Sie mich Ihre Urkunden sehen«, sagte Kid schließlich. Sanderson suchte unter seinem Kopfkissen im Bett herum und zog schließlich einen ganzen Stoß Dokumente hervor. »Es ist alles tipptopp, in prima Ordnung«, sagte er.

 

»Das große da, mit den riesigen Siegeln, kommt den weiten Weg aus Ottawa hierher. Territorialschwierigkeiten gibt es nicht, die kanadische Regierung steht in dieser Sache hinter mir und bestätigt mir mein Besitzrecht.«

 

»Wie viele Parzellen haben Sie eigentlich in den zwei Jahren, in denen Sie das Grundstück besitzen, verkauft?«

 

»Das ist nicht Ihre Sache«, antwortete Sanderson mürrisch. »Es gibt kein Gesetz, das einem Mann verbietet, allein auf seinem Grund und Boden zu wohnen, solange er Lust dazu hat.«

 

»Ich gebe Ihnen fünftausend«, sagte Kid.

 

»Ich weiß nicht, wer von euch beiden der Verrücktere ist«, klagte Kurz. »Komm mal einen Augenblick mit hinaus, Kid. Ich möchte dir gern etwas sagen.«

 

Zögernd fügte sich Kid den Überredungskünsten seines Partners.

 

»Ist es dir denn nie eingefallen«, fragte Kurz, als sie im Schnee draußen vor der Hütte standen, »daß es Meile auf Meile zu beiden Seiten dieser blöden Baugrundstücke gibt, die keinem gehören? Die kriegst du doch umsonst, wenn du sie nur selbst absteckst und die Pfähle einrammst.«

 

»Ja, aber sie erfüllen meinen Zweck nicht«, sagte Kid.

 

»Wieso denn nicht?«

 

»Du staunst, daß ich ausgerechnet diese Parzellen haben will, wo ich so viele Meilen umsonst bekommen kann, nicht wahr?«

 

»Selbstverständlich«, räumte Kurz ein.

 

»Und darauf kommt es eben an«, fuhr Kid triumphierend fort. »Wenn du darüber staunst, werden die andern noch mehr staunen. Und wenn sie staunen, werden sie angestürmt kommen. Durch dein Staunen beweist du, daß ich die Sache psychologisch richtig sehe. Und jetzt hör mal zu, Kurz: ich habe die Absicht, Dawson ein Geschenk zu machen, das diesem verdammten Eiergrinsen den Boden ausschlagen wird. Komm jetzt mit hinein.«

 

»Nun?« sagte Sanderson, als sie wieder eintraten. »Ich dachte, ich würde euch nicht wieder zu sehen bekommen…«

 

»Nun sagen Sie mir Ihre letzte Forderung«, sagte Kid.

 

»Zwanzigtausend.«

 

»Ich gebe zehntausend.«

 

»Schön, zu dem Preis verkaufe ich. Das ist ja meine ursprüngliche Forderung. Wann bezahlen Sie?«

 

»Morgen – in der Nordwest-Bank. Aber ich stelle zwei Bedingungen. Erstens, daß Sie, wenn Sie das Geld bekommen haben, sofort den Fluß hinab nach Forty Mile fahren und den Rest des Winters dort bleiben.«

 

»Das kann ich ohne weiteres. Was sonst?«

 

»Daß ich Ihnen fünfundzwanzig auszahle und Sie mir fünfzehntausend wiedergeben.«

 

»Kann ich gern machen.« Sanderson wandte sich zu Kurz. »Die Leute sagen, daß ich verrückt war, als ich hierherzog und die Grundstücke parzellierte«, spottete er. »Aber jedenfalls bin ich doch nicht verrückter gewesen, als daß ich zehntausend Dollar daran verdient habe.«

 

»In Klondike gibt’s wahrhaftig Verrückte genug«, war alles, was Kurz antworten konnte. »Und wenn es so viele gibt, muß einer von ihnen wohl mal Glück haben.«

 

 

Am nächsten Morgen wurden die juristischen Formalitäten des Grundstücksverkaufs geregelt, und auf Kids ausdrücklichen Wunsch wurde im Vertrag bemerkt, daß dieser Grundstückskomplex künftig den Namen »Tra-li« tragen sollte. Dann wog der Kassierer der Nordwest-Bank Goldstaub im Werte von fünfundzwanzigtausend Dollar ab, während ein halbes Dutzend zufällige Zuschauer dem Abwiegen, der Auszahlung und dem Empfang beiwohnten.

 

In einem Goldgräberlager sind alle mißtrauisch. Alles, was jemand unerwartet unternimmt, kann ja der Schlüssel zu einem geheimnisvollen Goldfund sein, selbst wenn der Betreffende in Wirklichkeit nur auf die Elchjagd geht oder einen Abendspaziergang macht, um das schöne Nordlicht zu betrachten. Und als bekannt wurde, daß eine so bekannte Persönlichkeit wie Alaska-Kid dem alten Dwight Sanderson fünfundzwanzigtausend Dollar ausgezahlt hatte, wollte ganz Dawson wissen, wofür er diesen Betrag gezahlt hatte. Was hatte nun Dwight Sanderson, der drüben auf seinen einsamen Grundstücken hockte und halb verhungerte, was hatte er zu verkaufen, das fünfundzwanzigtausend Dollar wert war? Da die Leute von Dawson nirgends eine Antwort auf diese Frage bekamen, war es nur selbstverständlich, daß sie mit fieberhafter Spannung alles beobachteten, was Kid jetzt unternahm. Am Nachmittag wußte man bereits überall in der Stadt, daß eine ganze Anzahl von Männern leichte Wanderbündel geschnürt hatten, die sie in verschiedenen, ihnen geeignet erscheinenden Kneipen an der Hauptstraße versteckten. Wo Kid auch hinging, beobachteten ihn viele Augen. Und zum Beweis, wie ernst man ihn nahm, mag erwähnt werden, daß keiner die Stirn hatte, ihn offen über seine Geschäfte mit Sanderson auszufragen. Andererseits gab es auch keinen, der die Geschichte mit den Eiern vor ihm zu erwähnen wagte. Kurz war natürlich Gegenstand einer ähnlichen Beobachtung und derselben diskreten Freundlichkeit.

 

»Ich habe fast das Gefühl, als ob ich irgend jemand totgeschlagen oder die Pocken bekommen hätte, so lauern sie auf alles, was ich tue, und solche Angst haben sie, mir etwas zu sagen«, gestand Kurz, als er Kid zufällig vor dem »Elchgeweih« traf. »Schau dir mal Bill Saltman da drüben an – er platzt schon fast vor Neugierde und guckt doch dabei immerfort anderswohin… wenn man ihn ansieht, glaubt man, er hätte überhaupt keine Ahnung davon, daß wir beide auf der Welt sind. Aber ich wette Schnaps soviel du willst, Kid, daß wir, wenn wir um die Ecke hier abbögen, als ob wir irgendwohin gehen wollten, und dann an der nächsten Ecke umkehrten, sehen würden, daß er uns nachrennte, als ob ihm der Teufel auf den Hacken wäre.«

 

Sie machten den Versuch, und als sie an der nächsten Ecke umkehrten und zurückkamen, liefen sie Saltman direkt in die Arme. Er war ihnen tatsächlich im Schlittentrott nachgelaufen.

 

»Tag, Bill«, grüßte Kid. »Wohin denn?«

 

»Nur ein bißchen herumbummeln«, antwortete Saltman. »So ein klein bißchen bummeln. Es ist verdammt schönes Wetter heute… nicht?«

 

»Hm«, meinte Kurz ironisch. »Wenn du die Schnelligkeit bummeln nennst, dann möchte ich wissen, was du tust, wenn du läufst.«

 

Als Kurz gegen Abend die Hunde fütterte, hatte er das unverkennbare Gefühl, daß ringsum im Dunkeln eine Menge Augen auf ihn lauerten. Und als er die Hunde an den Zaun band, statt sie, wie sonst, nachts frei herumlaufen zu lassen, wußte er genau, daß er die Nervosität der Bevölkerung noch um ein Bedeutendes vermehrte.

 

Wie verabredet, nahm Kid sein Abendbrot in der Stadt ein und ging dann weiter, um sich zu amüsieren. Wo er auch erschien, wurde er gleich zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Er machte absichtlich eine Rundreise durch sämtliche Lokale. Die Bars füllten sich, sobald er erschien, und leerten sich, sobald er wieder ging. Wenn er an einem schläfrigen Roulettetisch einige Spielmarken kaufte, saß binnen fünf Minuten mindestens ein halbes Dutzend Spieler um ihn herum. Er benutzte die Gelegenheit, um eine kleine Rache an Lucille Arral zu nehmen, indem er den Zuschauerraum der Oper gerade in dem Augenblick verließ, als sie ihr volkstümlichstes Lied ableiern sollte. In kaum drei Minuten hatten mindestens zwei Drittel des gesamten Publikums das Theater verlassen. Gegen ein Uhr morgens ging er durch die außergewöhnlich belebte Hauptstraße. Er bog auf den Seitenweg ein, der die Anhöhe zu seiner Hütte hinaufführte. Als er einen Augenblick oben stehenblieb, hörte er, wie der Schnee hinter ihm unter den Tritten vieler Mokassins knirschte.

 

Eine Stunde blieb es noch dunkel in der Hütte, dann steckte er eine Kerze an, und nachdem er und Kurz sich so lange still verhalten hatten, wie man braucht, um sich anzuziehen, öffneten sie die Tür und begannen, die Hunde anzuspannen.

 

Als der Schein der Kerze aufflackerte und sie und die Hunde beleuchtete, hörten sie nicht weit entfernt einen leisen Pfiff.

 

Dieses Pfeifen wurde dann von jemand am Fuße des Hügels beantwortet.

 

»Horch mal«, lachte Kid. »Sie haben Posten aufgestellt, um uns zu belauschen, und jetzt geht der Bescheid weiter durch die ganze Stadt. Ich wette, daß mindestens vierzig Leute in diesem Augenblick im Begriff sind, aus dem Bett zu steigen.«

 

»Sind die Leute nicht verrückt?« kicherte Kurz. »Sag mal, Kid, wozu hat man eigentlich seinen Grips? Man muß ja blöd sein, um sich heutzutage abzuschinden und mit den Händen zu schuften, wenn man Grips hat. Die Welt ist ja zum Überlaufen voll von Trotteln, die ganz verrückt danach sind, ihr Gold loszuwerden. Und bevor wir den Hügel hinunterklettern, möchte ich dir nur noch sagen, daß ich natürlich halbpart mit dir mache – wenn du nichts dagegen hast.«

 

Auf dem Schlitten hatten sie eine leichte Schlaf- und Minenausrüstung verstaut. Eine kleine Rolle Stahldraht guckte ganz unschuldig aus ihrem Versteck unter einem Proviantsack hervor, während ein Brecheisen, nur halb verborgen, unten auf dem Schlitten lag. Kurz strich leise mit den Händen über den Stahldraht und gab dem Brecheisen einen letzten freundschaftlichen Klaps. »Ho«, flüsterte er. »Ich weiß ja, was ich selbst denken würde, wenn ich das Zeugs nachts auf einem Schlitten sähe.«

 

Sie lenkten die Hunde ganz vorsichtig und leise den Hügel hinab, und als sie die Ebene erreichten, fuhren sie mit dem Gespann nordwärts durch die Hauptstraße. Dann ging es unter Beachtung noch größerer Vorsichtsmaßregeln aus dem Geschäftsviertel der Stadt hinaus in Richtung Sägemühle. Sie hatten noch niemand gesehen, als sie aber die Richtung änderten, hörten sie leise Pfiffe aus der Finsternis hinter sich, die nicht einmal die Sterne zu erhellen vermochten. Nachdem sie an der Sägemühle und dem Krankenhaus vorbeigekommen waren, fuhren sie noch eine halbe Stunde, so schnell es ihnen möglich war, weiter geradeaus. Dann machten sie plötzlich kehrt und fuhren denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Kaum waren sie die ersten hundert Meter gefahren, als sie mit Mühe und Not einen Zusammenstoß mit fünf Männern vermieden, die in schnellem Tempo angelaufen kamen. Alle gingen gebückt unter dem Gewicht der Goldsucherausrüstung.

 

Der eine hielt Kids Leithund an, während die andern sich um sie scharten.

 

»Habt ihr nicht einen Schlitten gesehen, der in der andern Richtung gefahren ist?« fragte einer.

 

»Nee«, antwortete Kid. »Bist du’s, Bill?«

 

»Jawohl, und ich will ewig verflucht sein, wenn das nicht Alaska-Kid ist!« rief Bill Saltman in ehrlichem Staunen aus.

 

»Was machst du denn hier mitten in der Nacht?« fragte Kid.

 

 

Ehe Bill Saltman antworten konnte, hatten sich schon zwei weitere Männer, die herbeigelaufen kamen, der Gruppe angeschlossen. Ihnen folgten noch andere, während das Knirschen des Schnees unter den Mokassins das Kommen vieler verkündete.

 

»Wer sind denn all Ihre Freunde hier?« fragte Kid.

 

Saltman steckte sich die Pfeife an, obgleich er kaum viel Vergnügen daran haben konnte, danach zu urteilen, wie er nach dem langen Lauf stöhnte und japste. Eine Antwort gab er aber nicht. Der Kniff mit dem Streichholz war zu deutlich, als daß die Absicht mißverstanden werden konnte, und Kid sah denn auch, wie sämtliche Augenpaare sich auf die Rolle Stahldraht und das große Brecheisen richteten. Dann erlosch das Streichholz wieder.

 

»Ach, ich hab‘ etwas reden hören, das ist alles, nur ein Gerücht«, murmelte Saltman mit feierlicher Geheimnistuerei.

 

»Da mußt du wirklich Kurz und mich einweihen«, meinte Kid.

 

Irgend jemand in der Gruppe kicherte ironisch.

 

»Aber wo wolltet ihr denn eigentlich hin?« fragte Saltman.

 

»Und als was seid ihr denn eigentlich hier?« erwiderte Kid. »Vielleicht Mitglieder eines Sicherheitsausschusses?«

 

»Nur als Interessenten… als richtige Interessenten«, sagte Saltman.

 

»Ihr könnt euer Leben wetten, daß wir Interessenten sind«, erklang eine andere Stimme aus der Dunkelheit.

 

»Wißt ihr, Kinder«, bemerkte Kurz, »ich möchte eigentlich wissen, wer von euch sich am dümmsten vorkommt.«

 

Man lachte nervös.

 

»Komm, Kid, wir wollen weitergehen«, sagte Kurz und trieb die Hunde an.

 

Die ganze Schar schloß sich ihnen an.

 

»Hört mal, Kinder«, verhöhnte Kurz sie. »Irrt ihr euch jetzt nicht? Als wir euch trafen, gingt ihr in der entgegengesetzten Richtung, und jetzt macht ihr wieder kehrt, ohne irgendwo gewesen zu sein! Habt ihr vielleicht die Adresse vergessen?«

 

»Geh zum Teufel«, sagte Saltman wenig gemütvoll. »Wir gehen und kommen, wie es uns paßt. Wir brauchen keinen Vormund.«

 

Und der Schlitten fuhr, Kid voran und Kurz an der Lenkstange, durch die Hauptstraße, begleitet von drei Dutzend Männern, von denen jeder eine Goldgräberausrüstung auf dem Rücken trug. Es war schon drei Uhr morgens, und nur die schlimmsten Nachtbummler der Stadt sahen die Prozession und konnten in Dawson am nächsten Tage von der neuesten Sensation berichten.

 

Eine halbe Stunde später kletterten die beiden mit ihren Hunden, gefolgt von der ganzen Schar, den Hügel hinauf. Und als sie die Hunde vor der Hütte abgeschirrt hatten, warteten sechzig erbitterte Goldsucher immer noch draußen.

 

»Gute Nacht, Kameraden«, rief Kid ihnen zu und schloß die Tür.

 

Es waren kaum fünf Minuten vergangen, als die Kerze drinnen ausgelöscht wurde… aber nach einer halben Stunde tauchten Kid und Kurz wieder leise und vorsichtig vor der Hütte auf und schirrten die Hunde wieder an, ohne jedoch Licht zu machen.

 

»Hallo, Kid«, sagte Saltman, der sich ihnen so weit näherte, daß sie den Umriß seiner Gestalt sehen konnten.

 

»Ich kann dich offenbar nicht abschütteln, Bill«, antwortete Kid gemütlich. »Wo sind denn alle deine Freunde?«

 

»In die Stadt gegangen, um ein Glas zu trinken. Sie haben mich hiergelassen, um euch im Auge zu behalten, und das werde ich auch tun! Was ist denn eigentlich mit euch los, Kid? Du kannst mich und die andern auf keinen Fall abschütteln… du kannst uns also ebensogut gleich mitnehmen. Wir sind ja lauter gute Freunde. Das weißt du doch.«

 

»Es gibt Fälle, in denen man nicht einmal seine besten Freunde mitnehmen darf«, gab Kid vorsichtig zur Antwort. »Und andere Fälle, in denen man es tun kann. Und siehst du, Bill, dies ist einer von denen, wo man es eben nicht tun darf. Es wäre viel vernünftiger, wenn du zu Bett gingest. Gute Nacht!«

 

»Hier gibt es heute keine Gute Nacht, Kid. Du kennst uns nicht… Wir sind die reinen Kletten, weißt du.«

 

Kid seufzte hörbar. »Na ja, wenn du durchaus deinen Willen durchsetzen willst, kann ich es ja nicht verhindern. Aber komm jetzt, Kurz, wir können nicht mehr die Dummköpfe spielen, wir müssen ja weiter.«

 

Als der Schlitten losfuhr, ließ Saltman einen scharfen Pfiff hören und folgte ihm dann selbst. Unterhalb des Hügels, von der Ebene her hörte man das Pfeifen der Wachtposten. Kurz lief an der Lenkstange, und Kid und Bill gingen nebenher.

 

»Weißt du, Bill«, sagte Kid. »Ich will dir einen Vorschlag machen. Möchtest du nicht selbst mitmachen… aber natürlich nur du allein?«

 

Saltman zögerte nicht eine Minute mit der Antwort.

 

»Und all meine Freunde im Stich lassen? Nee, mein Herr! Wir wollen alle mit dabei sein.«

 

»Dann kommst du zuerst dran…«, rief Kid aus, bückte sich, um den andern besser anpacken zu können, und warf ihn dann in den tiefen Schnee neben der Schlittenbahn.

 

Kurz trieb die Hunde an und schwenkte mit seinem Gespann südwärts auf den Weg ein, der an den baufälligen Hütten auf den wellenförmigen Abhängen hinter Dawson vorbeiführt. Kid und Saltman rollten fest umschlungen im Schnee herum. Kid war freilich der Ansicht, daß er in glänzender Form sei, aber Saltman hatte ein Mehrgewicht von fünfzig Pfund, die nur aus schieren, harttrainierten Muskeln bestanden, und er bekam deshalb auch mehrmals die Oberhand. Ein über das andere Mal gelang es ihm, Kid auf den Rücken zu legen; und Kid machte es sich dabei gemütlich und ruhte sich aus. Sooft aber Saltman den Versuch machte, sich von ihm zu befreien, um weiterzulaufen, streckte Kid die Hand aus und hielt ihn am Bein fest, so daß er fiel und ein neuer Ringkampf begann.

 

»Du bist nicht ganz ohne«, räumte Saltman anerkennend ein, als er zehn Minuten später keuchend auf Kids Brust saß. »Aber ich kriege dich doch immer wieder unter.«

 

»Und ich halte dich doch immer wieder fest«, gab Kid ächzend zurück. »Und deshalb bin ich ja auch hier… nur um dich festzuhalten, nicht wahr? Wohin, glaubst du, ist Kurz inzwischen gelaufen?«

 

Saltman machte eine verzweifelte Anstrengung, um sich freizumachen, jedoch erfolglos. Kid erwischte ihn am Bein und schleuderte ihn mit dem Gesicht in den Schnee. Oben vom Hügel her hörte man ängstlich fragende Pfiffe. Saltman setzte sich auf und ließ ein schrilles Pfeifen hören, wurde aber wieder von Kid umgeworfen, der sich auf seine Brust setzte und ihn mit den Händen auf den Schultern unten hielt. In dieser Lage wurden sie von den Goldsuchern gefunden. Kid lachte und stand auf.

 

»Und jetzt gute Nacht, Kameraden«, sagte er und lief den Hügel hinab, während die sechzig verzweifelten, aber entschlossenen Goldsucher ihm auf den Fersen folgten.

 

Er schwenkte nach Norden ab, lief an der Sägemühle und dem Krankenhaus vorbei und folgte dann dem Uferweg über die schroffen Hänge am Fuß der Mooshillberge entlang. In einem großen Bogen umkreiste er das Indianerdorf und lief dann weiter nach der Mündung des Moosbaches, wo er kehrtmachte und sich seinen Verfolgern stellte.

 

»Ihr macht mich aber tüchtig müde, Kameraden«, sagte er und knurrte in scheinbarer Wut.

 

»Hoffentlich überanstrengen wir dich nicht«, murmelte Saltman höflich.

 

»Durchaus nicht«, knurrte Kid mit besser vorgetäuschter Wut, während er an den andern vorbeisauste und den Rückweg nach Dawson einschlug. Zweimal versuchte er das unwegsame Packeis auf dem Fluß zu überqueren, und seine entschlossenen Begleiter folgten ihm, aber beide Male mußten er und die andern den Versuch aufgeben. Er kehrte deshalb zum Ufer bei Dawson zurück, trottete geradenwegs durch die Hauptstraße, setzte über den gefrorenen Klondike und kehrte dann wieder nach Dawson zurück. Als es gegen acht Uhr hell zu werden begann, führte er seine todmüden Verfolger nach dem Wirtshaus von Slavovitsch, wo wenige Minuten später selbst für teures Geld kein Tisch zum Frühstücken mehr zu haben war.

 

»Gute Nacht, Kameraden«, sagte er, als er seine Rechnung bezahlt hatte.

 

Und er sagte ihnen wiederum »Gute Nacht«, als er den Hügel hinaufkletterte. Im hellen Tageslicht konnten sie ihn nicht mehr begleiten, sondern mußten sich damit begnügen, ihn in seine Hütte gehen zu sehen.

 

Zwei Tage blieb Kid noch in der Stadt, ständig unter schärfster Bewachung. Kurz war mit dem Schlitten verschwunden. Weder Wanderer, die den Yukon auf und hinab gegangen waren, noch solche, die aus Bonanzo, Eldorado oder Klondike kamen, hatten ihn gesehen. Es blieb also nur übrig, Kid zu beobachten, der ja doch früher oder später die Verbindung mit seinem verschwundenen Kompagnon aufnehmen mußte. Deshalb richtete sich alle Aufmerksamkeit jetzt auf Kid. Am zweiten Abend verließ er die Hütte überhaupt nicht, sondern löschte schon um neun Uhr die Lampe und stellte den Wecker auf zwei Uhr morgens. Der Posten, der vor seiner Hütte stand, hörte auch das schrille Klingeln der Uhr, so daß sich Kid – als er eine Stunde später aus der Hütte kam – sofort von einer ganzen Bande umgeben sah, nur waren es diesmal nicht sechzig, sondern mindestens dreihundert. Ein flammendes Nordlicht beleuchtete die Landschaft, als er mit einer zahlreichen Eskorte nach der Stadt hinunterging und in den Schankraum des »Elchgeweih« trat.

 

Der ganze Raum füllte sich sofort mit einer ängstlichen und wütenden Schar, die Getränke bestellte und vier langweilige Stunden damit verbrachte, Kid zuzuschauen, wie er mit seinem guten alten Freund Breck Whist spielte. Nach sechs Uhr morgens verließ Kid mit wutentbrannter, düsterer Miene das »Elchgeweih« und ging durch die Hauptstraße. Ihm folgten treu und brav die dreihundert Goldsucher in unordentlichen Reihen. Sie sangen dabei höhnisch: »Hep hep hep, Herr Hasenfuß, Herr Schlauberger… hep hep.«

 

»Gute Nacht, Kameraden«, sagte Kid wütend, als sie den Rand des Yukonabhanges erreichten, wo die Winterfährte steil hinabführte. »Ich gehe jetzt frühstücken, und dann will ich pennen.«

 

Die dreihundert riefen ihm zu, daß sie ihn begleiten würden, und folgten ihm auch wirklich über den zugefrorenen Fluß direkt nach Tra-li. Gegen sieben Uhr morgens führte er seine goldsuchende Schar den gewundenen Pfad nach der Hütte Dwight Sandersons empor. Das Licht einer Kerze schien durch das Fenster, das mit Pergamentpapier verklebt war, und blauer Rauch stieg aus dem Schornstein auf. Kurz öffnete die Tür.

 

»Komm nur herein, Kid«, grüßte er. »Das Frühstück wartet schon. Wo sind deine Freunde?«

 

Kid drehte sich auf der Schwelle um. »Also jetzt gute Nacht, Kameraden. Ich hoffe, daß euer Spaziergang euch ein bißchen Vergnügen gemacht hat.«

 

»Einen Augenblick nur, Kid«, rief Bill Saltman mit einer Stimme, durch welche die Enttäuschung hindurchklang. »Ich möchte einen Augenblick mit dir sprechen.«

 

»Schieß nur los«, sagte Kid freundlich.

 

»Warum hast du dem alten Sanderson fünfundzwanzigtausend Dollar gezahlt? Willst du mir eine Antwort darauf geben?«

 

»Bill, warum willst du mir solchen Kummer bereiten?« lautete Kids Antwort. »Ich bin hierhergezogen, um mich ein bißchen zu erholen, sozusagen… und jetzt bist du mit einer ganzen Bande da, und ihr wollt mich ins Kreuzverhör nehmen, während ich doch nur Ruhe haben will… Ruhe und Frühstück.«

 

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, stellte Bill Saltman unerschütterlich fest.

 

»Und ich habe auch nicht die Absicht, es zu tun, Bill. Denn das ist eine rein persönliche Angelegenheit zwischen Dwight Sanderson und mir und geht keinen andern etwas an! Willst du sonst noch was wissen?«

 

»Ja… was ist denn mit dem Brecheisen und mit der Rolle Stahldraht, die du auf deinem Schlitten mitgenommen hast?«

 

»Das ist auch etwas, das mit dir und deinen süßen und unschuldigen Geschäften nichts zu tun hat, Bill. Aber wenn Kurz Lust hat, es dir zu erzählen, dann meinetwegen.«

 

»So, meinst du?« sagte Kurz, der sich jetzt eifrig in die Bresche stellte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann stockte er plötzlich und wandte sich an seinen Partner: »Du, Kid, im tiefsten Vertrauen… ich glaube nicht, daß das die andern Herren etwas angeht. Komm lieber herein! Dein Kaffee kocht schon so lange, daß Kraft und Saft längst verdampft sind.«

 

Die Tür schloß sich, und die dreihundert zogen sich in mißmutigen, murrenden Gruppen zurück.

 

»Na, weißt du, Saltman«, sagte einer. »Ich dachte, du würdest uns zur Goldquelle führen.«

 

»Geh zum Teufel«, antwortete Saltman wütend. »Ich habe gesagt, daß Kid uns führen würde.«

 

»Und du meinst, daß es hier ist?«

 

»Ihr wißt genau so viel davon wie ich, und das einzige, was wir wissen, ist, daß Kid herumschleicht und irgend etwas fingern will! Denn warum, zum Teufel, hätte er sonst dem alten Sanderson fünfundzwanzigtausend für diese dreckigen, blöden Grundstücke gezahlt? Doch todsicher nicht, um eine verflucht idiotische Stadt hier zu gründen!«

 

Eine Menge von Stimmen bestätigte die Richtigkeit von Saltmans Gedanken.

 

»Nun ja… aber was jetzt?« fragte einer mißmutig.

 

»Ich bin dafür, daß wir frühstücken gehen«, erklärte Wild Water guter Laune. »Diesmal hast du uns in eine Sackgasse geführt, lieber Bill.«

 

»Das stimmt nicht, sage ich euch«, gab Bill Saltman zurück. »Kid hat uns geführt! Und mag es sein, wie es will… was haltet ihr von den fünfundzwanzigtausend?«

 

 

Nach halb acht, als es schon ganz hell geworden war, öffnete Kurz die Tür und spähte hinaus. »Donnerwetter«, rief er. »Sie sind alle nach Dawson zurückgekehrt. Ich hätte geglaubt, sie würden hier ihr Lager aufschlagen.«

 

»Nur ruhig… sie werden schon wiederkommen«, tröstete ihn Kid. »Wenn ich mich nicht sehr irre, wirst du halb Dawson hier sehen, bevor wir mit unserer Arbeit fertig sind. Komm jetzt nur mit hinein und hilf mir! Wir haben genug zu tun!«

 

»Um Gottes willen, erkläre mir jetzt, was du eigentlich vorhast«, klagte Kurz, als sie eine Stunde später das Ergebnis ihrer Arbeit betrachteten – in der einen Ecke der Hütte stand eine Winde mit einem endlosen, durch einen Doppelblock laufenden Seil.

 

Kid begann ohne Mühe zu drehen, und das Seil straffte sich, knarrte und quietschte. »Jetzt kannst du mal hinausgehen, Kurz, und mir nachher erzählen, wie das draußen klingt.«

 

Kurz stand draußen, lauschte an der Tür und hörte all die vielen Geräusche, die eine Winde macht, wenn eine schwere Last damit heraufgeholt wird, und er erwischte sich dabei, wie er ganz unbewußt die Tiefe des Schachtes, aus dem die Last heraufgeholt wurde, einzuschätzen versuchte. Dann trat eine Pause ein, und vor seinem inneren Auge sah er, wie der Eimer am kurzen Seil hin und her schaukelte. Dann hörte er, wie der Eimer wieder schnell hinuntergelassen wurde und mit einem dumpfen Schlag gegen den Rand des Schachtes schlug. Er öffnete strahlend die Tür.

 

»Das hört sich einfach wunderbar an«, rief er. »Ich wurde selbst ganz neugierig. Was ist jetzt zu tun?«

 

Zuerst mußten mehrere Schlittenladungen von schweren Steinen in die Hütte geschleppt werden.

 

»Und heute abend fährst du dann mit den Hunden nach Dawson hinüber«, sagte Kid, als sie Abendbrot gegessen hatten.

 

»Laß sie bei Breck, er wird sich ihrer schon annehmen. Die Leute werden gehörig aufpassen, was du tust, deshalb sollst du Breck überreden, daß er zur A. C. Company geht und ihr ganzes Sprengstofflager aufkauft. Sie haben höchstens ein paar hundert Pfund liegen! Und dann mußt du Breck beauftragen, ein halbes Dutzend Steinbohrer beim Grobschmied zu bestellen. Breck ist selbst Fachmann, er wird dem Schmied schon erklären, wie die Dinger sein sollen. Und gib Breck auch diese Grundbuchauszüge, so daß er sie morgen früh dem Goldkommissar überreichen kann. Und endlich mußt du gegen zehn durch die Hauptstraße gehen und hören, was geschehen soll. Vergiß nicht, daß die Explosionen nicht zu laut sein dürfen. Man muß sie in Dawson nur gerade hören können, nicht mehr. Ich werde es dreimal versuchen, mit verschiedenen Mengen, und du mußt dir merken, welche am natürlichsten klingt.«

 

Gegen zehn Uhr desselben Abends bummelte Kurz durch die Hauptstraße und fühlte, daß viele neugierige Blicke sich auf ihn richteten. Er paßte eifrig auf, was kommen sollte, und hörte bald eine sehr schwache Explosion, die aus weiter Ferne zu kommen schien. Dreißig Sekunden später erfolgte eine zweite, die schon so stark war, daß sie die Aufmerksamkeit der Passanten erregte. Und endlich folgte eine dritte, die so gewaltig war, daß alle Bewohner auf die Straße stürzten.

 

»Du hast sie herrlich aufgerüttelt«, erklärte Kurz, als er eine Stunde später atemlos die Hütte in Tra-li erreichte. Er ergriff Kids Hand. »Du hättest sie nur sehen sollen: Bist du nie in einen Ameisenhaufen getreten? Genauso sah Dawson aus. Die ganze Hauptstraße war voll von summenden Menschen, als ich mich dünnemachte. Morgen werden wir Tra-li vor lauter Menschen nicht sehen können. Und wenn nicht schon in diesem heiligen Augenblick ein paar draußen herumkriechen, dann weiß ich nicht, wie ein Goldsucher beschaffen ist.«

 

Kid grinste, trat zur Winde und ließ sie ein paarmal quietschen und knarren. Kurz zupfte etwas Moos zwischen den Wandbalken heraus, so daß man durch die Löcher hereingucken konnte. Dann blies er die Kerze aus.

 

»Jetzt«, flüsterte er, als eine halbe Stunde vergangen war.

 

Kid drehte langsam das Spill, hörte aber nach einigen Minuten auf, nahm einen verzinkten, mit Erde gefüllten Eimer und zog ihn scharrend, schleifend und kratzend über den Haufen von Steinen, die sie in die Hütte geschleppt hatten.

 

Dann steckte er sich eine Zigarette an, hielt aber die Hand vor die Flamme des Streichholzes.

 

»Es sind drei draußen«, flüsterte Kurz. »Du hättest sie sehen sollen. Als du vorhin das dumpfe Geräusch mit dem Eimer machtest, wären sie fast geplatzt. Jetzt steht einer am Fenster und versucht hereinzugucken.«

 

Kid ließ seine Zigarette aufglühen und sah auf die Uhr.

 

»Wir müssen die Sache jetzt aber auch durchführen«, flüsterte er. »Jede Viertelstunde müssen wir einen Eimer heraufziehen. Und in der Zwischenzeit…«

 

Er begann mit einem Meißel auf einen Stein zu hämmern, nachdem er zuerst einen dreifach zusammengelegten Sack darübergelegt hatte.

 

»Herrlich… wunderbar«, stöhnte Kurz begeistert. Er schlich sich lautlos an sein Guckloch… »Jetzt stecken sie die Köpfe zusammen… ich kann beinahe sehen, wie eifrig sie miteinander reden.«

 

Von da an bis gegen vier Uhr morgens wiederholten sie jede Viertelstunde den Trick mit dem Eimer, der scheinbar mit der Winde heraufgezogen wurde, die in der natürlichsten Weise quietschte und knarrte. Dann verschwanden die Besucher, und Kid und Kurz konnten endlich ins Bett gehen. Als es hell geworden war, untersuchte Kurz die Mokassinfährten. »Der lange Bill Saltman war jedenfalls mit dabei«, stellte er fest.

 

Kid guckte nach der andern Seite des Flusses.

 

»Mach dich bereit, Besuch zu empfangen«, sagte er. »Es kommen zwei jetzt über das Eis.«

 

»Hoho… warte nur, bis Breck die Geschichte von den Goldclaims erzählt hat, dann kommen zweitausend über den Fluß.«

 

Kurz war inzwischen auf einen hohen Felsen geklettert und betrachtete von dort aus mit dem Auge des Kenners das Gelände, das sie abgezeichnet hatten. »Es sieht tatsächlich wie ein richtiger Claim aus«, sagte er. »Ein Experte würde fast die Linien ziehen können, wo die Ader unter dem Schnee läuft. Selbst der Klügste würde sich hinters Licht führen lassen. Die Rutschbahn da füllt den ganzen Vordergrund aus, und guck dir nur die Ausläufer da an… Es sieht alles ganz echt aus… und doch steckt nichts dahinter!«

 

Als die beiden Männer, die soeben den Fluß überquerten, den gewundenen Pfad die glatten Felswände heraufgeklettert waren, fanden sie die Hütte verschlossen. Bill Saltman, der den Führer machte, ging leise zur Tür und lauschte. Dann gab er Wild Water ein Zeichen, daß auch er kommen und lauschen sollte. Von drinnen hörten beide das Knarren und Quietschen einer Winde, die eine schwere Last heraufzog. Sie warteten die Pause ab, dann hörten sie endlich, wie der Eimer hart gegen die Felswand schlug. Viermal im Laufe einer Stunde hörten sie, wie dieselben Geräusche sich wiederholten. Dann klopfte Wild Water an die Tür. Von drinnen kamen noch einige leise, verstohlene Geräusche… dann wurde es still. Wieder hörte man einige noch verdächtigere Laute… und als schließlich mindestens fünf Minuten vergangen waren, öffnete Kid, schwer atmend, die Tür auf Zollbreite und spähte vorsichtig hinaus. Auf seinem Gesicht und Hemd sahen sie noch den grauen Staub von dem Gestein, in dem er gearbeitet hatte. Sein Gruß war so freundlich, daß er ihnen doppelt verdächtig erschien.

 

»Wartet nur noch einen Augenblick«, sagte er. »Ich bin gleich bei euch.«

 

Während er sich die Handschuhe anzog, schlüpfte er zur Tür hinaus und stellte sich in den Schnee vor dem Haus neben seine Besucher. Ihre raschen Blicke stellten sofort fest, daß sein Hemd, besonders an den Schultern, schmutzig und voll Staub war und daß die Knie seiner Arbeitshosen deutliche Spuren von Erde trugen, die er offenbar ebenso schnell wie oberflächlich abzuwischen versucht hatte.

 

»Ein bißchen früh für einen Besuch«, sagte er. »Aber was hat euch über den Fluß gebracht?«

 

»Wir haben euch durchschaut«, sagte Wild Water vertraulich. »Und ihr könnt uns ebensogut die ganze Geschichte verraten… ihr habt was Feines vor, ihr beiden.«

 

»Wenn Sie Eier haben wollen«, begann Kid.

 

»Na, lassen wir die Geschichte. Wir wollen doch Geschäfte machen.«

 

»Ihr meint, daß ihr Parzellen kaufen wollt, nicht wahr?« leierte Kid schnell ab. »Es sind tatsächlich pikfeine Grundstücke hier. Aber, seht, wir können noch nicht verkaufen! Wir haben die Stadt noch nicht parzelliert. Wenn Sie nächste Woche vorbeikommen wollen, Wild Water, und wenn Sie Ruhe und Frieden lieben und im Ernst hier wohnen möchten, dann werde ich Ihnen etwas ganz besonders Schönes zeigen. Also nächste Woche, ihr beiden, dann haben wir alles in Ordnung. Auf Wiedersehen… Tut mir leid, daß ich euch nicht hereinbitten kann, aber Kurz… na, ihr kennt ihn ja… er ist ja etwas sonderbar… Er sagt, er ist hierhergekommen, um Ruhe und Frieden zu finden… und er hat sich eben schlafen gelegt. Ich würde ihn nicht um ein Kaiserreich zu wecken wagen…«

 

Während Kid noch redete, schüttelte er ihnen freundschaftlich die Hände. Und noch immer sprechend und die Hände schüttelnd, schlüpfte er schnell wieder ins Haus und schlug, bevor sie ein Wort sagen konnten, die Tür zu.

 

Sie guckten sich an und nickten.

 

»Hast du seine Hosen gesehen?« flüsterte Saltman heiser.

 

»Natürlich! Und seine Schultern? Er ist ordentlich herumgekrochen drinnen im Schacht.«

 

Bei diesen Worten ließ Wild Water seine Blicke über die verschneite Schlucht gleiten, bis sie an etwas hängenblieben, das seinen Lippen einen verständnisinnigen Pfiff entlockte.

 

»Guck mal da hinauf, Bill. Siehst du, wo ich hinzeige? Wenn das nicht ein Minenloch ist… und dann guck auch nach beiden Seiten… siehst du, wie sie da im Schnee herumgestampft sind? Wenn das kein Randfelsen ist… und zu beiden Seiten, du, Bill… dann weiß ich nicht, was ein Randfelsen ist… da ist der Eingang zu einer Ader… kein Zweifel!«

 

»Und sieh dir mal an, wie groß er ist!« brüllte Saltman. »Da haben sie was gefunden, so wahr ich hier stehe.«

 

»Und da… guck dir mal den Erdrutsch an… da, wo die Felswände herausgucken und gleich wieder abfallen… Der ganze Abhang gehört bestimmt mit zur Ader!«

 

»Ja, du, aber schau jetzt mal aufs Eis hinaus… auf den Weg da unten…«, und Saltman zeigte mit dem Finger… »Es sieht aus, als ob das halbe Dawson unterwegs wäre, nicht?«

 

Wild Water warf einen Blick hinab und sah, daß der Weg bis zu dem fernen Hang bei Dawson schwarz von Menschen war, und selbst ganz drüben strömte eine ununterbrochene Reihe von Menschen den Hang hinunter.

 

»Na, ich werde mir jedenfalls mal das Loch angucken, bevor die Leute herkommen«, sagte er und begann schnell nach der Schlucht zu gehen.

 

Aber im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und die beiden Bewohner traten heraus.

 

»Hallo, Sie!« rief Kid. »Wo wollen Sie hin?«

 

»Mir einen Claim abstecken«, rief Wild Water zurück.

 

»Schaut euch den Fluß an. Ganz Dawson ist unterwegs, um sich Claims abzustecken, und da wollen wir ihnen doch zuvorkommen und uns selbst welche aussuchen… Das ist ja unser gutes Recht, nicht wahr, Bill?«

 

»Todsicheres Recht«, bestätigte Saltman. »Hier scheint ja die richtige Stelle zu sein, um eine Vorstadt zu gründen. Und offenbar wird sie eine zahlreiche Bevölkerung bekommen.«

 

»Wir werden aber dort, wo Sie jetzt hingehen, keine Parzellen verkaufen«, antwortete Kid. »Die Grundstücke liegen rechts drüben, weiter hinter den Felsblöcken. Dieser Teil, vom Fluß bis zum obersten Rand des Abhangs ist reserviert! Kehren Sie lieber gleich wieder um.«

 

»Das ist aber die Stelle, die wir uns ausgesucht haben«, wandte Saltman ein.

 

»Da habt ihr aber nichts zu suchen… sage ich euch«, gab Kid ihm scharf zurück.

 

»Habt ihr denn etwas dagegen, daß wir dort herumspazieren?« fragte Saltman hartnäckig.

 

»Ja, wahrhaftig… Dein Herumspazieren fängt an, mich zu langweilen… Kommt jetzt zurück!«

 

»Aber ich denke, daß wir trotzdem hier herumspazieren werden«, knurrte Saltman. »Komm, Wild Water!«

 

»Ich warne euch… es ist eine Verletzung des Besitzrechtes«, lautete Kids letztes Wort.

 

»Ach wo, wir wollen ja nur Spazierengehen«, antwortete Saltman gut gelaunt und ging weiter.

 

»Halt… Komm sofort zurück, Bill, oder ich knall dich nieder«, donnerte Kurz und hob zwei unfreundlich aussehende 44er Colts. »Wenn du nicht sofort umkehrst, schieße ich dir elf Löcher in deinen verflucht gemeinen Bauch. Verstanden?«

 

Saltman blieb ganz überrascht stehen.

 

»Er weiß schon Bescheid«, murmelte Kurz Kid zu. »Aber wenn er weitergehen sollte, bringt er mich in eine verdammt schwierige Lage. Ich kann doch nicht einfach auf ihn schießen. Was zum Deibel soll ich machen?«

 

»Hör mal, Kurz, sei doch vernünftig«, bat Saltman.

 

»Komm hierher, dann werden wir vernünftig miteinander reden«, lautete Kurz‘ Antwort.

 

Und sie standen noch und sprachen »vernünftig« miteinander, als die Spitze der Goldsucherkolonne am Ende des geschlängelten Weges auftauchte und sich ihnen näherte.

 

»Ihr könnt nicht sagen, daß ein Mann sich gegen das Eigentumsrecht vergeht, wenn er auf einem Baugrundstück herumgeht, um sich eine Parzelle auszuwählen, die er kaufen will«, rechtfertigte sich Wild Water, und Kurz antwortete: »Selbst auf einem Stadtareal gibt es Privatbesitz, und das Stück dort oben ist eben Privatbesitz. Ich wiederhole es Ihnen: Die Parzellen dort werden nicht verkauft!«

 

 

»Jetzt müssen wir das Geschäft aber schnell abwickeln«, murmelte Kid, »wenn die Leute auf eigene Faust herumzugehen beginnen.«

 

»Du mußt verdammt viel Selbstvertrauen haben«, flüsterte Kurz zurück, »wenn du glaubst, daß du all die Leute zurückhalten kannst. Es kommen mindestens zweitausend aus Dawson herüber… oder noch mehr. Sie werden unsere Absperrung einfach durchbrechen.«

 

Die Sperrlinie lief am Rande der Schlucht entlang, und Kurz hatte sie geschaffen, indem er die zuerst Gekommenen angehalten hatte, so daß sie dort stehenblieben. Unter der Menge befanden sich auch einige Beamte der Nordwest-Polizei mit einem Leutnant. Kid unterhielt sich flüsternd mit ihm.

 

»Es strömen immer noch neue Scharen aus Dawson herbei«, sagte er, »und es wird nicht lange dauern, dann sind fünftausend Menschen hier. Die Gefahr besteht darin, daß sie früher oder später anfangen werden, sich auf eigene Faust Claims auszusuchen. Wenn Sie bedenken, daß es im ganzen nur fünf Claims gibt, so bedeutet das also tausend Mann pro Feld, und vier- von den fünftausend werden versuchen, das ihnen Zunächstliegende zu bekommen! Das ist natürlich unmöglich, und wenn es wirklich so weit kommt, wird es mehr Tote geben als in der ganzen Geschichte Alaskas. Außerdem sind diese fünf Felder schon heute morgen angemeldet und eingetragen worden und können also gar nicht mehr belegt werden. Mit anderen Worten: es darf gar nicht erst so weit kommen.«

 

»Gut, mein Herr«, sagte der Leutnant. »Ich werde meine Leute zusammenrufen und ihnen ihre Posten anweisen. Wir dürfen keine Unruhen bekommen, und wir wollen sie auch nicht haben. Aber ich glaube, es wird besser sein, wenn Sie mit den Leuten sprechen.«

 

»Hier muß ein Mißverständnis vorliegen, Kameraden«, begann Kid mit lauter Stimme. »Wir sind noch gar nicht so weit, daß wir Parzellen verkaufen. Die Straßen sind noch nicht einmal abgesteckt. Aber nächste Woche werden wir mit dem öffentlichen Verkauf beginnen können.«

 

Er wurde durch einen gewaltigen Ausbruch von Ungeduld und Entrüstung unterbrochen.

 

»Wir wollen gar keine Bauparzellen kaufen«, rief ein junger Goldgräber. »Wir sind gekommen, um zu kriegen, was im Boden ist.«

 

»Wir haben keine Ahnung, was im Boden ist«, antwortete Kid. »Aber wir wissen, daß eine pikfeine Stadt hier oben entstehen wird, wenn es erst so weit ist.«

 

»Eine verdammt feine Stadt«, fügte Kurz hinzu. »Mit wunderbarer Aussicht und herrlicher Einsamkeit.«

 

Wieder hörte man ungeduldige Ausbrüche, und Saltman rückte jetzt heran.

 

»Wir sind hierhergekommen, um Goldclaims zu belegen«, begann er. »Wir wissen schon, was ihr getan habt… Ihr habt euch nicht weniger als fünf Quarzclaims einregistrieren lassen, und sie liegen alle in einer Linie quer durch die Bauplätze, am Erdrutsch und der Schlucht. Aber ihr habt einen Fehler gemacht! Denn zwei von den Eintragungen sind einfach Schwindel! Wer ist Seth Talbot? Keiner hat je etwas von so einem Kerl gehört. Und doch habt ihr heute morgen einen Claim auf seinen Namen eintragen lassen! Und ein zweites Feld habt ihr auf den Namen von Harry Macewell eintragen lassen. Aber der wohnt in Seattle. Ist schon letzten Herbst von hier weggezogen. Diese beiden Felder müssen also neu belegt und eingetragen werden.«

 

»Wie könnt ihr wissen, ob ich nicht Vollmacht von ihnen habe?« fragte Kid.

 

»Die hast du nicht«, antwortete Saltman. »Und wenn du sie wirklich hast, so bist du verpflichtet, sie vorzulegen… Jedenfalls werden wir die Claims neu belegen.«

 

Saltman hatte schon die Sperrlinie überschritten und wandte sich eben zu den andern, um sie anzutreiben, als der Polizeileutnant rief: »Zurück da… Das ist nicht erlaubt.«

 

»Ich handle in Übereinstimmung mit dem Gesetz… oder etwa nicht?« fragte Saltman herausfordernd den Leutnant.

 

»Mag sein, daß es gesetzlich ist«, lautete die ruhige Antwort. »Aber ich kann und werde nicht erlauben, daß fünftausend Mann den Versuch machen, zwei Claims zu belegen und abzustecken. Es würde äußerst gefährlich sein! Hier, an dieser Stelle und in diesem Augenblick ist es die Nordwest-Polizei, die das Gesetz vertritt. Der erste Mann, der die Sperrlinie überschreitet, wird erschossen. Und Sie, Bill Saltman, treten sofort zurück!«

 

Saltman gehorchte widerstrebend. Die ganze Menge aber, die sich in unregelmäßigen Haufen zusammenballte, wurde von einer Unruhe ergriffen, die wenig Gutes verhieß.

 

»Donnerwetter«, flüsterte der Leutnant Kid zu. »Sehen Sie doch die Leute, die wie Fliegen dort am Rande des Felsens kleben.«

 

Kid trat heraus.

 

»Ich bin gern bereit, mit offenen Karten zu spielen, Kameraden«, sagte er. »Wenn ihr durchaus Bauplätze haben wollt, bin ich bereit, sie euch zum Preise von hundert Dollar das Stück zu verkaufen, und dann könnt ihr ja, sobald wir alles vermessen haben, über die Lage würfeln.« Die Menge zeigte deutlich ihren Unwillen gegen diesen Vorschlag, aber Kid hob abermals die Hand, um sie zu beruhigen. »Bleibt doch stehen… sonst geraten Hunderte von euch in Lebensgefahr.«

 

»Das ist uns ganz egal… deshalb sollt ihr uns doch nicht beschwindeln«, rief eine Stimme. »Wir verlangen eine neue Belegung der Felder.«

 

»Aber es sind ja nur zwei Felder, die überhaupt in Frage kommen«, wandte Kid ein. »Wenn sie neu belegt werden, was macht dann der Rest von euch?« Er wischte sich mit dem Hemdsärmel die Stirn, und im selben Augenblick rief eine Stimme: »Nehmt uns alle mit… mit gleich großen Anteilen!«

 

Keiner von den vielen, die diesem Vorschlag ihren Beifall zubrüllten, hatte eine Ahnung, daß er verabredet war, sobald Kid sich die Stirn mit dem Hemdsärmel wischte.

 

»Ihr müßt eure Chancen mit uns teilen! Schmeißt die gesamten Bauplätze in einen Topf«, rief der Mann weiter… »Und das Gold kommt mit in den Topf.«

 

»Aber es ist ja der reine Unsinn mit dem Gold«, wandte Kid ein.

 

»Das ist uns gleichgültig! Dann könnt ihr sie ja ruhig mit in denselben Pott schmeißen. Das Risiko wollen wir schon laufen.«

 

»Kameraden«, sagte Kid. »Ihr übt ja einen mordsmäßigen Zwang auf mich aus. Mir wäre es lieber, wenn ihr alle am anderen Ufer geblieben wäret.«

 

Aber sein Versuch, die Entscheidung zu verzögern, war so unzweideutig, daß die Menge ihn unter gewaltigem Gebrüll nötigte, sofort seine Zustimmung zu geben. Saltman und die andern in der vordersten Reihe murrten.

 

»Kameraden«, rief Kid. »Bill Saltman und Wild Water wollen euch nicht alle teilnehmen lassen!«

 

Dadurch machten sich Bill Saltman und Wild Water unter sämtlichen Anwesenden gründlich unbeliebt.

 

»Aber wie sollen wir’s jetzt anfangen?« fragte Kid. »Kurz und ich wollen natürlich die Majorität behalten. Wir sind die Entdecker.«

 

»Das ist euer gutes Recht«, riefen mehrere.

 

»Drei Fünftel für uns«, schlug Kid vor. »Und ihr, Kameraden, kriegt zwei Fünftel. Und ihr müßt eure Anteile natürlich bezahlen.«

 

»Zehn Cent per Dollar«, rief einer. »Und steuerfrei…«

 

»Und der Präsident der Gesellschaft muß persönlich herumgondeln und euch die Dividende auf einem silbernen Teller bringen, nicht?« spottete Kid. »Nein, mein Herr. Aber zehn Cent per Dollar wird die ganze Geschichte schon in Schwung bringen. Ihr bekommt zwei Fünftel vom Aktienpaket, hundert Dollar pro Aktie zum Kurs von zehn Dollar, die sofort zahlbar sind. Mehr kann ich beim besten Willen nicht für euch tun.«

 

»Keine Vertrustung hier«, ertönte eine Stimme, und dieser Ausruf war es, der all die vielen Köpfe Kids Vorschlag einstimmig billigen ließ.

 

»Es sind rund fünftausend Mann hier anwesend… das macht also fünftausend Aktien«, rechnete Kid laut nach. »Und diese fünftausend Aktien sollen zwei Fünftel des gesamten Kapitals ausmachen. Die Tra-li-Grundstücksgesellschaft wird demnach mit einem Kapital von einer Million zweihundertfünfzigtausend Dollar gegründet, also mit zwölftausendfünfhundert Aktien zu je hundert Dollar, und ihr, Kameraden, bekommt fünftausend von diesen Aktien zum Vorzugskurse von zehn Dollar die Aktie. Mir persönlich ist es vollkommen gleichgültig, ob ihr sie nehmt oder nicht.«

 

Die Menge fühlte sich vollständig überzeugt, ihn auf frischer Tat ertappt zu haben, daß er die beiden Claims auf falsche Namen hatte eintragen lassen. Sie traute ihm deshalb nicht ganz, sondern verlangte sofortige Erledigung der Angelegenheit. Ein Komitee wurde gewählt, das in großen Zügen die Organisation der Tra-li-Gesellschaft entwarf. Das Komitee lehnte den Vorschlag, die Aktien am nächsten Tage in Dawson zu liefern, ab, und zwar weil man befürchtete, daß die übrige Bevölkerung von Dawson, die an dem heutigen Rennen nach dem Golde nicht teilgenommen hatte, sonst auch noch einen Anteil an den Aktien fordern würde. Es wurde deshalb auf dem Eis unterhalb des Erdrutsches ein großes Feuer angezündet, und hier saß nun das Komitee und schrieb jedem Teilnehmer eine Quittung über zehn Dollar aus. Die zehn Dollar wurden an Ort und Stelle in Goldstaub abgewogen.

 

Gegen Abend war die Arbeit vollbracht, und Tra-li lag wieder still und öde da. Nur Kid und Kurz waren zurückgeblieben. Sie saßen jetzt in ihrer Hütte und verzehrten ihr Abendbrot, während sie sich über die Goldsäcke und das Verzeichnis der Aktionäre, das nicht weniger als viertausendachthundertvierundsiebzig Namen umfaßte, belustigten.

 

»Aber du hast das Geschäft noch nicht zu Ende geführt«, meinte Kurz.

 

»Das kommt schon noch«, versicherte Kid im Brustton der Überzeugung. »Er ist der geborene Hasardeur, und wenn Breck ihm unsern Tip zuflüstert, hält ihn nicht einmal eine Herzlähmung zu Hause.«

 

Es dauerte kaum eine Stunde, als es an die Tür klopfte und Wild Water in Begleitung Bill Saltmans eintrat. Ihre Blicke durchsuchten sofort eifrig die Hütte.

 

»Wenn ich nun aber im ganzen zwölfhundert Aktien haben möchte«, erklärte Wild Water, als sie schon eine halbe Stunde hin und her geredet hatten. »Mit den fünftausend, die heute verkauft worden sind, würde das nur sechstausendzweihundert Aktien ausmachen. Sie und Kurz würden dann immer noch sechstausenddreihundert behalten. Ihr hättet also doch die Majorität.«

 

»Aber Bill will ja auch welche haben«, sagte Kid widerstrebend. »Wir geben auf keinen Fall mehr als fünfhundert ab.«

 

»Wieviel kannst du denn anlegen?« fragte Wild Water Bill Saltman.

 

»Na… sagen wir fünftausend Dollar.«

 

»Nun gut, Wild Water«, sagte Kid dann. »Wenn ich Sie nicht so gut kennen würde, gäbe ich Ihnen keine einzige von diesen dummen Aktien. Aber Kurz und ich wollen keinesfalls mehr als fünfhundert Aktien abgeben und verlangen fünfzig Dollar für die Aktie. Das ist unser letztes Wort in dieser Sache. Bill kann hundert haben, und die übrigen vierhundert kannst du ja nehmen.«

 

 

Schon am nächsten Tage erhielt Dawson Anlaß zum Lachen.

 

Es begann frühmorgens, kurz vor Tagesanbruch, als Kid zum Warenhaus der A. C. Company kam und auf der schwarzen Tafel vor dem Eingang eine Bekanntmachung mit Reißnägeln befestigte. Es versammelten sich sogleich mehrere Zuschauer.

 

Sie lasen die Mitteilung über seine Schulter hinweg und begannen schon, ehe der letzte Reißnagel saß, zu schmunzeln.

 

Sofort strömten Hunderte von Leuten herbei, die nicht nahe genug an die schwarze Tafel kommen konnten, um die Bekanntmachung zu lesen; sie wählten deshalb einstimmig einen Vorleser, und im Laufe des Tages wurden viele ernannt, die mit lauter Stimme die von Kid am Eingang des Warenhauses angeschlagene Bekanntmachung vorlesen mußten. Viele Männer blieben stundenlang im Schnee stehen und hörten immer wieder zu, um all die heiteren Einzelheiten auswendig zu lernen. Die Bekanntmachung lautete wie folgt:

 

»Die Tra-li-Grundstücksgesellschaft veröffentlicht ihren Geschäftsbericht an der Mauer des Warenhauses A. C. Company. Der vorliegende Bericht ist der erste und letzte zugleich.

 

Sämtliche Aktionäre, die nicht bereit sind, für das allgemeine Krankenhaus in Dawson zehn Dollar zu stiften, können diesen Betrag durch persönliche Rücksprache mit Herrn Wild Water Charley oder, falls diese nicht zum Erfolge führen sollte, durch Rücksprache mit Herrn Alaska-Kid zurückerhalten.

 

 

Einnahmen und Ausgaben:

 

 

* * *

 

 

Einnahmen Ausgaben 4874 Aktien à 10 Dollar 48.740$

 

An Dwight Sanderson für Grundstücke 10.000$

 

An verschiedene Unkosten: Pulver,

 

Bohrer, Winde, Eintragungsgebühren 1.000$

 

An Allgemeines Krankenhaus, Dawson 37.740$

 

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insgesamt 48.740$ 48.740$ Von Bill Saltman für 100 Aktien

 

Privatverkauf à 50 Dollar 5.000$

 

Von Wild Water Charley für

 

400 Aktien à 50 Dollar 20.000$

 

An Bill Saltman zur Deckung

 

von Unkosten als freiwilliger Aktionär 5.000$

 

An Allgemeines Krankenhaus, Dawson 3.000$

 

An Alaska Kid und Kurz als

 

Entschädigung für Verlust an

 

Eiern und für moralisches Guthaben 17.000$

 

———————————————————-

 

insgesamt 25.000$ 25.000$

 

 

Übriggebliebene Aktien: 7126. Diese Aktien, die keinen Wert haben, befinden sich im Besitz von Alaska-Kid und Jack Kurz und werden auf Wunsch an Interessenten, die geneigt sind, nach dem einsamen und friedlichen Gelände von Tra-li überzusiedeln, gratis abgegeben. Anmerkung: Ruhe und Einsamkeit werden auf den Bauplätzen von Tra-li für alle Ewigkeit garantiert.

 

Gezeichnet: Alaska-Kid, Präsident & Jack Kurz, Sekretär.«