Der Domherr der Pfarrgemeinde nahm Macko die Beichte ab und bot ihm und Zbyszko so dringend Nachtherberge bei sich an, daß die beiden erst in der Frühe des folgenden Tages wieder aufbrachen.

Bei Olkusz wandten sie sich der Richtung nach Schlesien zu, an dessen Grenzen sie sich bis nach Großpolen halten mußten.

Auf beiden Seiten des Weges zog sich größtenteils dichter Wald hin, aus dem nach einbrechender Dämmerung häufig das donnerähnliche Gebrüll der Auerochsen und Büffeln erscholl. Des Nachts aber blitzten die Augen von Wölfen aus dem Dickicht hervor.

Eine weit größere Gefahr jedoch, als von den wilden Tieren, drohte dem Wanderer und dem Kaufmann auf dieser Straße von seiten der Räuber, sowie von seiten der Ritter aus Schlesien, deren Burgen sich da und dort an der Grenze erhoben. Wohl waren viele dieser Burgen durch polnische Hände zerstört worden, immerhin mußte man jedoch auf seiner Hut sein und durfte es nie unterlassen, nach Sonnenuntergang Waffen zu tragen.

So unbehelligt fuhren aber jetzt die Reisenden dahin, daß Zbyszko dieser Ruhe überdrüssig wurde, und erst als sie nur noch eine Tagreise von Bogdaniec entfernt waren, vernahmen sie plötzlich in der Nacht Schnauben und Pferdegetrappel hinter sich.

»Was für Leute mögen uns wohl nahe sein?« rief Zbyszko.

Macko, der gerade nicht schlief, schaute zu den Sternen empor und antwortete als erfahrener Mann: »Die Morgendämmerung bricht an, die Nacht geht zur Neige. Räuber werden es daher wohl schwerlich sein, denn vor dem Tageslichte bergen sie sich hinter ihren Mauern.«

Zbyszko ließ nichtsdestoweniger den Wagen anhalten, stellte seine Leute, welche den Ankommenden die Spitze bieten sollten, quer über den Weg und wartete, vor die Front reitend, was da geschehen werde.

Aber erst nach geraumer Zeit unterschied er in der Dämmerung etliche zwanzig Reiter. Einer von ihnen ritt den andern mehrere Schritte voraus. Nichts schien ihm ferner zu liegen, als sich verbergen zu wollen, schmetterte er doch mit kräftiger Stimme ein Lied in die Morgenluft. Zbyszko vermochte zwar nicht die Worte zu verstehen, nur das fröhliche »Juchhe«, das der Unbekannte fast nach jeder Strophe wiederholte, drang deutlich an sein Ohr.

»Einer von den Unsrigen!« sagte er sich. Gleichwohl aber rief er: »Halt!«

»Ruhe! Ruhe!« gebot eine Stimme in scherzhaftem Ton.

»Was seid Ihr für Leute?«

»Wo kommt Ihr denn her?«

»Weshalb folgt Ihr uns nach?«

»Weshalb verstellt Ihr uns den Weg?«

»Antworte, denn die Armbrust ist gespannt.«

»Ich bin gespannt, schießt nur!«

»Gebt eine vernünftige Antwort, sonst kommt Ihr ins Elend.«

Dem Gebot Zbyszkos ward indessen nicht entsprochen, sondern der fröhliche Gesang ertönte:

Ein Elend mit dem andern Elend
Am Scheideweg zum Tanze geht.
Juchhe, Juchhe, Juchhe!
Was taugt für beide der Tanz?
Schön ist’s zu tanzen, wenn auch groß das Elend.
Juchhe, Juchhe, Juchhe!

Staunend lauschte Zbyszko dem Liede, das indessen plötzlich abgebrochen wurde, weil der Sänger die Frage stellte: »Und wie steht es mit dem alten Macko? Lebt er noch?«

Daraufhin erhob sich Macko in dem Wagen, indem er rief: »Dem Herrn sei Dank, das sind von den Unsrigen.«

Zbyszko aber, sein Roß vorwärts treibend, bemerkte: »Wer fragt nach Macko?«

»Euer Nachbar, Zych aus Zgorzelic. Schon acht Tage lang reite ich hinter Euch her und erkundige mich bei allen Leuten, wohin Euere Fahrt geht.«

»Herbei, herbei! Ohm! Zych aus Zgorzelic ist hier!« rief Zbyszko.

Dann begrüßte er freundlich den Ankömmling, denn Zych war in der That ihr Nachbar und dazu ein guter, wegen seines Frohsinns allgemein beliebter Mensch.

»Nun, wie befindet Ihr Euch?« fragte Zych, indem er Macko die Hand schüttelte. »Geht’s noch immer so fröhlich bei Euch zu, oder ist es aus damit?«

»Ach, bei mir ist es mit dem Frohsinn vorbei! Doch sehe ich frohe Menschen gern. Lieber Gott, wenn ich nur erst wieder in Bogdaniec wäre.«

»Was ist’s mit Euch? Ich hörte ja, daß die Deutschen auf Euch geschossen haben?«

»Sie schossen auf mich. Das Eisen steckt mir noch zwischen den Rippen.«

»Gerechter Gott! Was läßt sich da thun? Habt Ihr noch nicht versucht, Bärenfett zu trinken?«

»Ihr seht, daß jeder zu Bärenfett rät,« rief Zbyszko. »Laßt uns nur erst in Bogdaniec sein. Dann werde ich des Nachts an die Bienenstöcke gehen.«

»Vielleicht wird Jagienka Bärenfett haben, und ist dies nicht der Fall, so werde ich anderswo darnach fragen lassen.«

»Wer ist Jagienka, die Eurige hieß doch Malgochna?« fragte Macko.

»Ach, Malgochna! Am heiligen Michael wird es drei Herbste, daß Malgochna in der Erde ruht. Sie war ein kraftstrotzendes Weib. Der Herr sei ihrer Seele gnädig. Jagienka ist an ihre Stelle getreten, trotzdem sie noch sehr jung ist.

Ueber dem Grabe erhebt sich ein Hügel,
So wie die Mutter, so ist auch die Tochter.
Juchhe, Juchhe, Juchhe.

Zu Malgochna sprach ich: ›Klettere nicht auf die Tanne, da Du fünfzig Jahre alt bist‹. Sie hörte nicht und kletterte hinauf. Mit einem Male brach der Ast und dann gab es einen Krach. Ich sage Euch, sie grub sich ganz in die Erde ein, und nach drei Tagen that sie den letzten Atemzug.«

»Der Herr sei ihr gnädig,« sagte Macko. »Wenn ich denke, wenn ich denke, wie sich die Burschen verkriechen mußten, wenn sie die Hände in die Seite stemmte. Und was für eine gute Wirtschafterin sie war! Also von einer Tanne stürzte sie herab? Nein, seht mir nur!«

»Wie ein Tannenzapfen fiel sie zur Erde. Ach, das war ein Kummer. Denkt nur, nach dem Begräbnis habe ich mich vor Kummer so betrunken, daß man drei Tage hindurch mich nicht wecken konnte. Man glaubte, ich werde auch alle viere von mir strecken, und später habe ich so geweint, daß meine Thränen einen Eimer gefüllt hätten. Zur Wirtschaft ist indessen Jagienka auch befähigt. Sie muß mit allem allein fertig werden.«

»Ich erinnere mich ihrer kaum. Sie war nicht größer, als ich fortzog, als eine Streitaxt und konnte unter einem Pferde hindurchgehen, ohne an dessen Bauch zu stoßen. Bah, das ist schon lange her, jetzt muß sie ausgewachsen sein.«

»Am Tag der heiligen Agnes wurde sie fünfzehn Jahre. Fast ein Jahr habe ich sie nicht mehr gesehen.«

»Und was habt Ihr getrieben? Woher kommt Ihr?«

»Aus dem Kriege. Glaubt Ihr, daß ich gern fortgezogen bin, da Jagienka doch allein zurückgeblieben ist?«

Trotzdem sich Macko recht krank fühlte, horchte er doch neugierig auf, als vom Kriege die Rede war und fragte: »Wart Ihr vielleicht mit dem Fürsten Witold bei Worskla?«

»Ja, ich bin mit ihm gewesen,« erwiderte fröhlich Zych aus Zgorzelic. »Nun, unser Herrgott zeigte sich ihm nicht gnädig, wir erlitten durch Edyga eine entsetzliche Niederlage. Die Tataren kämpfen nicht im Handgemenge, wie dies jeder christliche Ritter thut, sondern sie schießen Dich aus der Ferne in den Hals. Da könnt Ihr machen, was Ihr wollt! Doch hört nur! In unserm Heere prahlten die Ritter maßlos und sprachen also: ›Wir werden weder die Lanzen werfen, noch die Schwerter aus der Scheide ziehen, denn nur Gewürm wird vor uns herkriechen‹, so prahlten sie, aber dann, als es galt, das Eisen schwirren zu lassen, da rächte sich dies schwer – denn wie stand es nach dem Scharmützel? Kaum einer von zehn blieb am Leben. Wollt Ihr dies glauben? Mehr als die Hälfte der Krieger, siebzig litauische und russische Fürsten blieben auf dem Felde, ganz abgesehen von den Bojaren und den verschiedenen Edelleuten; kurz, zwei Wochen reichten kaum hin, um die gefallenen Mannen zu zählen.«

»Das hörte ich,« fiel hier Macko ein. »Und unseren Hilfstruppen lähmten die Ritter auch die Kraft?«

»Bah, sogar auch den neun Kreuzrittern, denn auch die mußten dem mächtigen Witold dienen. Und die Unsrigen tragen die Schuld, denn die, das wißt Ihr ja, sind da nicht vorsichtig, wo alle andern vorsichtig sind. Der Großfürst vertraute zu sehr unseren Rittern und wollte keine andere Wache um sich wie allein die Polen. Ha! ha! Die Schutzwehr um ihn ist gefallen, ihm selbst geschah nichts. Es fielen der Herr Spytko aus Mielsztyn, der Schwertträger Bernat, der Mundschenk Mikolaj, und Prokop, Przelaw, Dobrogost, Jasko aus Lazewice, Pilik Mazur, Warsz aus Michowo, der Wojwode Socha, Jasko aus Dabrewa, Pietrko aus Milaslaw, Syzzepiecki, Oderski und Famko Lagoda. Wer könnte die alle zählen! Und manche von ihnen waren mit solch zahllosen Eisenspitzen gespickt, daß sie nach dem Tode Igel glichen und man lachen mußte, wenn man sie anschaute.«

Und hier brach er in der That nicht nur in ein Lachen aus, als ob er die heiterste Geschichte erzählte – sondern er hub auch plötzlich wieder zu singen an:

»Ah, dann weißt du, was ein Tatar ist,
Wenn er die Haut dir tüchtig zerfetzt hat …«

»Und weiter, was geschah dann?« fragte Zbyszko.

»Dann wich der Großfürst zurück, aber seine Willenskraft erstarkte, wie das bei ihm gewöhnlich der Fall ist. Je größer die Bedrängnis wird, desto rascher schnellt er, wie die Haselnußstaude, wieder empor. In einem Satz befanden wir uns an der Furt beim Tawan, um sie zu schützen. Zu uns stieß hierauf noch eine Handvoll neuer Ritter aus Polen. Nun, das schadete nichts, das war ganz gut. Des andern Tages aber kam Edyga mit einem Haufen angerückt. Hei, jetzt ging’s lustig zu! Er will über den Fluß, wir aber geben ihm eins auf das Maul. Da konnte er viel ausrichten! Wir versetzten ihm tüchtige Hiebe und fingen nicht wenig Tataren. Ich selbst nahm fünf Gefangene, die ich jetzt mit nach Zgorzelic führe. Am Tage könnt Ihr wahrnehmen, welche Hundsschnauzen sie haben.«

»In Krakau war die Meinung verbreitet, der Krieg werde sich in das Königreich ziehen.«

»Da müßte Edyga thöricht sein. Er wußte es genau, was er von unsern Rittern zu halten habe, er wußte aber ebensowohl, daß die tapfersten Ritter zu Hause geblieben sind, weil der König es nicht gerne gesehen hat, daß Witold den Krieg auf eigene Faust unternahm. Ei, er ist klug – der alte Edyga! Beim Tawan merkte er sofort, daß die Streitmacht des Fürsten sich vergrößert hatte, und er schlug sich durch und zog sich bis ans Ende der Welt zurück.«

»Und Ihr kehrtet heim?«

»Ich kehrte heim, denn dort giebt es nichts mehr zu thun. In Krakau aber ließ ich mir sagen, daß Ihr nur einen kurzen Vorsprung vor mir gewonnen hättet.«

»Woher wußtet Ihr aber, daß wir es seien?«

»Das wußte ich bestimmt, hielt ich doch an allen Fütterungsplätzen Nachfrage. Hei,« fuhr er fort, sich zu Zbyszko wendend, »hei, mein Gott, wie warst Du noch klein, als ich das letzte Mal Dich sah, und jetzt bist Du, so viel ich wenigstens in der Dunkelheit bemerke, ein wahrer Auerochs. Du verstehst es gewiß längst die Armbrust zu spannen … An Kriegsläufte scheinst Du gewohnt zu sein.«

»Von klein auf wurde ich zum Kriege erzogen. Der Ohm soll Euch sagen, ob es mir an Erfahrung gebricht.«

»Das brauche ich mir nicht erst von dem Ohm bestätigen zu lassen. Ich habe in Krakau den Herrn aus Taczew gesprochen, der mir von Dir erzählte. Vielleicht will Dir aber jener Masur die Maid nicht geben, und ich wäre nicht so sehr darauf erpicht, denn mir will scheinen … Ja, Du vergißt jener Maid, wenn Du nur ein einziges Mal meine Jagienka siehst. Dann wird es Dir gar nicht schwer fallen.«

»Ihr täuscht Euch! Selbst wenn ich zehn solcher wie Euere Jagienka sehen sollte, vergesse ich das Mädchen nicht.«

»Sie hat die Anwartschaft auf Maczydoly, wo eine Mühle ist, und als ich wegging, grasten auf den Wiesen zehn gute Stuten mit Hengsten. Mehr als ein Ritter wird sich wegen Jagienka vor mir neigen. Das kannst Du mir glauben.«

Zbyszko wollte antworten: »Ich aber thue es nicht,« allein Zych aus Zgorzelic hub aufs neue zu singen an:

»Die Kniee will ich vor euch beugen,
Auf daß sie, Jagna, mein wird.«

»Euch steht der Sinn doch stets nach Scherz und Gesang!« bemerkte Macko.

»Traun, was glaubt Ihr, daß die seligen Geister im Himmel thun?«

»Sie singen!«

»Also, da seht Ihr. Die Verdammten aber vergießen Thränen. Ich ziehe es indessen vor, mich zu den Singenden und nicht zu den Weinenden zu halten. Der heilige Petrus aber wird einst folgendermaßen sprechen: ›Wir müssen ihn in das Paradies eingehen lassen, denn er ist nicht im Zaume zu halten und würde in der Hölle singen. Das schickt sich aber nicht.‹ Doch schaut, der Tag bricht an.«

Es tagte in der That. Schon nach wenigen Minuten wurde es in der weiten Ebene, auf der sie dahinzogen, völlig hell. Auf dem kleinen, inmitten der Ebene liegenden See waren etliche Leute mit dem Fischfange beschäftigt. Sobald sie indessen die bewaffneten Mannen erblickten, warfen sie ihr Geräte weg, sprangen aus dem Wasser, nahmen Hacken und Stangen zur Hand und stellten sich, zum Kampfe bereit, in drohender Stellung auf.

»Sie halten uns wohl für Räuber!« rief Zych lachend. »Heda, Ihr Fischer, wem seid Ihr unterthan?«

»Dem geistlichen Abte aus Tuleza.«

»Unserem Blutsverwandten,« rief Macko, »Ihm, dem Bogdaniec verpfändet ist. Das müssen also seine Wälder sein, die er vor Turzam gekauft haben soll.«

»Ach, was gekauft!« versetzte Zych. »Er kämpfte darum mit Wilk aus Brzezowa, und zweifellos war er siegreich. Es ist jetzt ein Jahr her, daß sie sich dieses Gefildes wegen, beritten, mit Lanze und langem Schwerte ausgerüstet, treffen wollten. Wie der Kampf endigte, weiß ich nicht, denn ich war abwesend.«

»Nun, wir sind Heimatsgenossen, der Abt und wir, er wird sich durch uns nicht bereichern wollen, vielleicht läßt er sogar etwas an der Schuld nach.«

»Vielleicht. Nur keinen Streit mit ihm. Dann wird er sich freigebig erweisen. Er ist ein ritterlicher Kämpe, dieser Abt, für ihn ist es nichts Neues, das Haupt mit dem Helm zu bedecken. Und dazu ist er gottesfürchtig, und sehr schön hält er die Andachten ab. Ihr müßt Euch doch erinnern … dermaßen singt er bei der Messe, daß davon die Schwalben aus ihren Nestern unterm Dache aufgescheucht werden. Nun, den Ruhm Gottes verbreitet er dadurch.«

»Weshalb sollte ich mich nicht erinnern! Selbst wenn er noch zehn Schritte vom Altar entfernt steht, kann er die Lichter ausblasen. – War er inzwischen einmal in Bogdaniec?«

»Gewiß. Er ist dort gewesen. Fünf neue Bauern mit den Frauen siedelte er in den ausgerodeten Wälder an. Und bei uns, in Zgorzelic, ist er auch gewesen, denn er taufte Jagienka. Gar häufig besucht er sie und nennt sie nicht anders wie Töchterchen.«

»Gebe Gott, daß er mir die Bauern überlasse!« rief Macko.

»Traun, was liegt einem solch ungeheuer Reichen an fünf Bauern, und wenn auch noch Jagienka ihn darum bittet, wird er es sicherlich thun.«

Das Gespräch verstummte nun auf einige Augenblicke, denn die Morgenröte wurde lichter und lichter, bis plötzlich hinter den dunkeln Wäldern so strahlend die Sonne emporstieg, daß alles rings umher in ihrem Lichte erglänzte. »Gelobt sei Jesus Christus!« lautete der Gruß der Ritter, die, sich bekreuzend, das Morgengebet sprachen.

Zych kam früher als die andern damit zu Ende. Er schlug sich mehrere Male auf die Brust und wandte sich dann folgendermaßen zu den Gefährten: »Nun kann ich Euch doch gut sehen. Ei, wie habt Ihr Euch verändert … Ihr, Macko, müßt vor allem erst wieder gesunden … Jagienka wird für Euch sorgen, denn auf Eurem Gehöfte fehlt es an pflegekundigen Frauenhänden. Schau, schau, daß Euch aber auch ein solches Ding zwischen den Rippen stecken muß … Das läßt sich schwer heilen. So, nun laß Dich anschauen!« wandte er sich hierauf zu Zbyszko. »Herr, Du mein Gott! Dich habe ich als ein winziges Kerlchen in der Erinnerung, das am Pelzzipfel dem Holzhauer auf den Rücken kletterte, und nun, traun, was für ein Ritter bist Du geworden! Vom Kopf bis zu den Füßen ein ganzes Herrlein, aber dabei ein breitschultriger Bursche … So einer, wie Du, kann’s mit jedem Bären aufnehmen.«

»Ach was, mit einem Bären!« rief jetzt Macko. »Viel jünger war er noch, als ihn ein Friese ›Milchbart‹ nannte; dies gefiel ihm aber ganz und gar nicht, und ohne weiteres riß er jenem mit der Hand alle Barthaare aus, so …«

»Ich weiß es,« unterbrach Zych den Sprechenden. »Es ist zwischen Euch zum Kampfe gekommen, und Ihr habt es Euerm Feinde schon heimgezahlt. Das alles hat mir der Herr aus Taczew berichtet:

Einen großen Gewinn trug der Friese davon,
Man begräbt ihn mit leerer Tasche.
Juchhe, Juchhe!«

Während des Gesanges ruhten seine Augen voll Bewunderung auf Zbyszko, der wieder seinerseits die große, kräftige Gestalt Zychs, dessen hageres Gesicht mit der ungeheuern Nase und den runden lachenden Augen neugierig musterte.

»Oh,« erklärte der junge Ritter endlich, »mit einem solchen Nachbarn kann es uns nicht schlimm ergehen, wofern Gott meinen Ohm gesunden läßt.«

»Am besten versteht man sich mit einem frohen Nachbarn, denn Frohsinn läßt keinen Hader aufkommen,« rief Zych. »Jetzt aber hört, was ich Euch als guter Christ sage. Gar lange seid Ihr nicht mehr in Eurer Heimat gewesen, wie werdet Ihr daher Bogdaniec finden? Ich rede jetzt nicht von der Bewirtschaftung – denn der Abt versteht zu wirtschaften … Ein ganzes Stückchen Wald ließ er ausroden und siedelte neue Bauern an. Aber da er fast immer abwesend ist, steht die Speisekammer sicherlich leer, und im Hause wird es, traun, ebenso an Geräten fehlen, wie an Strohbündeln zum Schlafen – ein Kranker bedarf aber der Fürsorge. Deshalb, wißt Ihr was? Begebt Euch mit mir nach Zgorzelic. Mir liegt daran, daß Ihr einen, daß Ihr zwei Monate bleibt, und während dieser Zeit kann Jagienka an Bogdaniec denken. Beratet Euch nur mit ihr, dann wird Euch der Kopf nicht schmerzen. Zbyszko soll sich der Bewirtschaftung annehmen, den geistlichen Abt aber bringe ich zu Euch nach Zgorzelic, damit Ihr sofort mit ihm ins reine kommt … Eurer, Macko, wird das Mädchen wie eines Vaters warten, für Kranke ist weibliche Pflege besser als jede andere. Nun, zu was entschließt ihr Euch? Erfüllt meine Bitte!«

»Es ist eine bekannte Sache, welch guter Mensch Ihr seid, wie gut Ihr stets wart,« entgegnete Macko, sichtlich gerührt, »aber seht Ihr, wenn ich denn doch durch diese verdammte Eisenspitze sterben muß, die mir zwischen den Rippen steckt, so möchte ich das auf meinem eigenen Grund und Boden. Denn, wenn man auch krank ist, kann man sich doch um manches kümmern, nach manchem fragen und manches erledigen. Wen der Herr ins Jenseits beruft, dem ist nicht mehr zu helfen. Ob ihm nun gute Pflege, ob ihm geringe Pflege zu teil wird, er muß dem Rufe folgen. An Beschwerden sind wir durch den Krieg gewöhnt. Selbst ein Erbsenbündel ist dem angenehm, der einige Jahre auf der nackten Erde schlief. Doch für Eure Güte danke ich Euch von Herzen, und so ich Euch nicht mehr dafür lohnen kann, wird Euch Zbyszko mit Gottes Hülfe dafür lohnen.«

Zych aus Zgorzelic, welcher thatsächlich wegen seiner Güte und seiner Hilfsbereitschaft weithin bekannt war, hörte jedoch nicht auf, den Verwundeten mit Bitten zu bestürmen. Macko aber blieb fest und erklärte stets von neuem, er wolle auf seinem eigenen Gehöfte sterben, wenn er denn doch aus dieser Welt scheiden müsse. Lange Jahre hindurch sei es ihm nicht vergönnt gewesen, Bogdaniec wieder zu sehen, jetzt aber seien sie nicht mehr weit davon entfernt, nichts könne ihn daher zurückhalten, wenn schon er vielleicht nur seine letzte Nacht daselbst zubringen werde. Gott, der Herr, sei gnädig, er gewähre ihm vielleicht seinen Wunsch, auf heimatlicher Erde die Augen zu schließen.

Bei diesen Worten trocknete er die Thränen, welche über seine Wangen flossen, dann schaute er umher und fügte hinzu: »Wenn dies die Wälder des Wilk aus Brzozowa sind, dann erreichen wir schon gegen Mittag die Heimat.«

Die Kreuzritter

… auf dem flinken Renner sprengte ein Mädchen auf ihn zu, das wie ein Mann zu Pferde saß, die Armbrust in der Hand hielt, den Jagdspeer über die Schultern trug.

»Des Wilk aus Brzozowa! Die Wälder sind ja gegenwärtig im Besitze des Abtes,« warf Zych ein.

Daraufhin flog ein Lächeln über das Antlitz des kranken Macko, und er bemerkte nach kurzem Sinnen: »Wenn sie der Abt im Besitze hat, dann werden sie vielleicht dermaleinst uns gehören.«

»Ei, ei, vor wenigen Minuten sprach er vom Tode,« rief Zych fröhlich, »und jetzt hofft er auf einmal vom Abte die Wälder zu erhalten.«

»Nicht für mich hoffe ich das, sondern für Zbyszko.«

Zych wollte antworten, doch er hielt plötzlich inne. Ein Hornsignal tönte aus dem Walde wie aus weiter Ferne zu ihnen herüber. Alle lauschten gespannt.

»Wer mag hier jagen?« rief Zych. »Seien wir auf unserer Hut.«

»Vielleicht der Abt. Sehr willkommen wäre es mir, wenn wir mit ihm zusammentreffen würden.«

»Verhaltet Euch still!« wandte sich nun Zych zu dem Gefolge. »Bewegt Euch nicht von der Stelle.«

Diesem Befehle wurde sofort Folge geleistet. Näher und näher klang das Hornsignal, und jetzt, mit einem Male hörte man Hundegebell.

»Ruhig gestanden!« wiederholte Zych. »Sie kommen –«

Zbyszko schwang sich inzwischen vom Pferde, indem er rief: »Reicht mir die Armbrust! Möglicherweise wird ein wildes Tier auf uns gejagt. Rasch, rasch!«

Schnell riß er einem Knechte die Armbrust aus der Hand, stützte sie auf die Erde, stemmte sich mit dem Bauche dagegen, beugte sich vor, drückte den Bügel zum Bogen zusammen, packte mit den Fingern beider Hände die Sehne, spannte sie wie der Blitz auf den eisernen Schneller, legte den Pfeil auf und hielt die Waffe vor sich, gegen den Wald gerichtet.

»Er hat sie gespannt! Ohne Kurbel hat er sie gespannt!« flüsterte Zych, von Staunen über diese unvergleichliche Kraft ergriffen.

»Hoho! Das ist ein Riesenbursche!« murmelte Macko voll Stolz.

Mittlerweile kam das Hornsignal und das Hundegekläffe immer näher. Auf der rechten Seite des Waldes wurde schweres Stampfen, das Krachen von Aesten und Sträuchern hörbar, bis plötzlich aus dem Dickicht, wie ein Sturmwind, ein alter zottiger Auerochse hervorbrach, den ungeheuren Kopf tief gesenkt, mit blutunterlaufenen Augen und weit heraushängender Zunge, Schrecken erregend, furchtbar anzuschauen. Das Gehölze auf der andern Seite der Straße zu erreichen suchend, setzte das Tier zum Sprunge an, fiel dabei auf die Vorderfüße, erhob sich jedoch rasch wieder und wollte gerade in das gegenüberliegende Dickicht eindringen, da schwirrte plötzlich, Unglück verheißend, die Sehne einer Armbrust, ein Pfeil sauste durch die Luft, der Auerochse bäumte sich wild auf, zuckte zusammen und stürzte, laut brüllend, wie von einem Blitzstrahle getroffen, zur Erde.

Zbyszko bewaffnete sich mit der Lanze und spannte aufs neue die Armbrust, dann näherte er sich, zum Schusse bereit, dem sich umherwälzenden Tiere, das mit seinen zottigen Beinen die Erde ringsum aufgewühlt hatte.

Nach einem kurzen Blick auf den Auerochsen wandte er sich zu dem Gefolge und rief ihm zu: »Das hat genügt, um ihm den Garaus zu machen.«

»Du bist aber einer!« ließ sich jetzt Zych vernehmen, indem er sich Zbyszko näherte, »ein einziger Schuß genügte?«

»Bah, das Tier kam ja ganz nahe, und so hat der Schuß eine furchtbare Wirkung gethan. Schaut nur her, nicht nur die Spitze, sondern der halbe Pfeil ist in die Schaufel eingedrungen.«

»Die Jäger müssen ganz in der Nähe sein; sicherlich nehmen sie das Tier für sich in Anspruch.«

»Ich gebe es ihnen nicht!« entgegnete Zbyszko. »Es ist auf der Heerstraße erlegt, und die Straße ist keines Herrn.«

»Wenn jedoch der Abt jagen sollte?«

»Selbst wenn es der Abt ist, darf er mir meine Beute nicht nehmen.«

Mittlerweile stürzte eine Meute Hunde aus dem Walde, die sich zuerst auf das Tier warfen, sich aber dann sofort unter einander zu bekriegen begannen.

»Jetzt werden auch die Jäger kommen!« rief Zych. »Oh, schaut nur! Einer von ihnen sprengt den anderen weit voran, doch sie sehen das Tier nicht. Hopp, hopp, hierher, hierher! Hier liegt es, hier!«

Mit einem Male verstummte er jedoch, bedeckte die Augen mit der Hand und bemerkte nach kurzem Schweigen: »Gerechter Gott, was ist das? Bin ich geblendet, weil mich dünkt …«

»Der auf dem Rappen« – warf Zbyszko rasch ein.

Doch Zych rief plötzlich: »Beim Herrn Jesus! Jawohl, das ist Jagienka!«

Und sofort begann er zu rufen: »Jagna! Jagna!«

Dann sprang er vorwärts, doch Zbyszko, der wie rasend dahinflog, überholte ihn, und seinen Augen bot sich der merkwürdigste Anblick in der Welt: auf dem flinken Renner sprengte ein Mädchen auf ihn zu, das wie ein Mann zu Pferde saß, die Armbrust in der Hand hielt, den Jagdspeer über den Schultern trug. Die von dem wilden Ritte aufgelösten Haare umfluteten einen schlanken Hals und ein Gesicht, das an Farbe mit der Morgenröte wetteiferte. Als die Reiterin den jungen Ritter erreicht hatte, hielt sie das Roß an, und während eines Augenblickes spiegelte sich aus ihrem Antlitz wechselsweise Zweifel, Staunen, Freude – schließlich jedoch schien sie Augen und Ohren Glauben zu schenken, denn sie rief mit einer zarten, fast noch kindlichen Stimme: »Vater, geliebtes Väterchen!«

Blitzschnell glitt sie vom Pferde, und als auch Zych zur Begrüßung abstieg, warf sie sich an seinen Hals. Geraume Zeit hindurch hörte Zbyszko nur Küsse und die beiden Worte: »Väterchen! Jagula! Väterchen! Jagula!« in freudigem Entzücken wiederholen.

Von beiden Seiten näherte sich das Gefolge. Macko fuhr in seinem Wagen herbei, und noch immer ertönten die Rufe: »Väterchen! Jagula!« und noch immer lagen sich Vater und Tochter in den Armen. Erst nach geraumer Zeit machte sich Jagienka frei und fragte: »So seid Ihr aus dem Kriege zurückgekehrt? Seid Ihr auch gesund geblieben?«

»Aus dem Kriege komme ich zurück. Meine Gesundheit blieb ungeschädigt. Doch wie steht’s mit Dir, wie steht’s mit den jüngeren Bürschlein? Ich denke, daß sie wohl sind, wie? Denn sonst würdest Du doch nicht im Walde umher schweifen. Was thust Du übrigens hier, liebstes Mägdlein?«

»Das seht Ihr doch. Ich jage,« antwortete lächelnd Jagienka.

»In fremden Wäldern?«

»Der Abt gab mir die Erlaubnis. Er schickte mir sogar zu dem Behufe Knechte und Hunde.«

Hier wendete sie sich an ihre Leute. »Scheucht die Hunde hinweg,« befahl sie, »denn sie verderben das Fell. O, wie froh, wie froh bin ich, daß ich Euch wiedersehe,« beteuerte sie hierauf dem Vater von neuem. »Bei uns ist alles wohlauf.«

»Und bin ich vielleicht nicht froh?« antwortete Zych. »Reich mir Dein Mäulchen.«

Und abermals küßten sie sich, als ob dies kein Ende nehmen wolle.

»Wir legten einen beschwerlichen Weg zurück, um diese Bestie zu erjagen. Abgesehen davon, daß zwei der Jägersleute stürzten, waren auch die Pferde ganz erschöpft. Das ist aber auch ein mächtiger Auerochse, seht nur! Drei Pfeile habe ich auf ihn abgeschossen, dem dritten erlag er.«

»Der letzte Pfeilschuß tötete ihn. Der Pfeil kam aber nicht von Dir. Dieser Ritter hier schoß ihn ab.«

Jagienka strich die Haare zurück, die ihr über die Augen fielen, und schaute scheu und nicht allzu wohlwollend auf Zbyszko.

»Weißt Du, wer das ist?« fragte Zych.

»Nein, das weiß ich nicht.«

»Ich glaube es, daß Du ihn nicht kennst. Wie ist er auch gewachsen. Aber vielleicht erinnerst Du Dich des alten Macko aus Bogdaniec?«

»Bei Gott, das ist Macko aus Bogdaniec!« rief Jagienka.

Unverweilt eilte sie auf den Wagen zu und küßte Macko die Hände. »So seid Ihr es wirklich?«

»Ich bin es, und im Wagen muß ich fahren, weil ich von den Deutschen verwundet worden bin!«

»Wieso von den Deutschen? Das geschah doch gewiß in dem Kriege mit den Tataren. Ich weiß davon, denn mehr als einmal habe ich den Vater gebeten, mich mit sich zu nehmen.«

»Wohl zog er gegen die Tataren aus, aber wir waren nicht dabei, wir gingen mit den Litauern in den Krieg, sowohl ich wie Zbyszko.«

»Wo ist aber jetzt Zbyszko?«

»Siehst Du denn nicht, daß dies Zbyszko ist?« bemerkte Macko lächelnd.

»Das ist Zbyszko?« rief das Mädchen, den jungen Ritter aufs neue anschauend.

»Freilich!«

»Gieb ihm zur Begrüßung einen Kuß!« meinte Zych fröhlich.

Jagienka wandte sich lebhaft zu Zbyszko, plötzlich aber fuhr sie zurück und erklärte, die Augen mit den Händen bedeckend: »Nein, das will ich nicht!«

»Wir kennen uns doch von klein auf!« ließ sich Zbyszko vernehmen.

»Ach ja, wir kennen uns gut. Ich erinnere mich wohl, ich erinnere mich! Vor acht Jahren ungefähr, da kamt Ihr mit Macko zu uns, und das verstorbene Mütterlein setzte uns Nüsse mit Honig vor. Kaum waren aber die Alten aus der Stube, da hieltet Ihr mir die Faust unter die Nase, die Nüsse aber verspeistet Ihr allein.«

»Das würde er jetzt nicht mehr thun!« rief Macko. »Bei dem Fürsten Witold ist er gewesen, im Schlosse in Krakau war er, die höfischen Sitten kennt er jetzt.«

Aber Jagienka schien etwas anderes durch den Kopf zu gehen, denn, sich zu Zbyszko wendend, fragte sie: »Ihr habt also den Auerochsen getötet?«

»Ja.«

»Ich möchte doch sehen, wo die Spitze steckt.«

»Ihr könnt das nicht sehen, denn der Pfeil steckt fast vollständig unter der Schaufel.«

»Beruhige Dich, er spricht die Wahrheit!« ergriff Zych das Wort. »Wir alle sahen es, daß er das Tier tötete, ich aber habe noch etwas ganz anderes wahrgenommen. Ich war Zeuge, wie er in einem Nu die Armbrust ohne Kurbel spannte.«

Zum drittenmale blickte Jagienka auf Zbyszko, diesmal jedoch voll Bewunderung.

»Ihr spanntet die Armbrust ohne Kurbel?« fragte sie.

Zbyszko bemerkte sofort an dem Ton ihrer Stimme, daß sie ihm mißtraute. Er stemmte daher sofort die Armbrust abermals zur Erde, spannte sie in einem Nu so stark, daß der Bogen krachte, und ließ sich dann, wohl zum Beweise, wie gut er höfische Sitte kenne, auf ein Knie nieder, um der Maid die Armbrust zu überreichen.

Statt die Waffe entgegenzunehmen, errötete indessen Jagienka, ohne zu wissen weshalb, und nestelte an dem Kleide, das sich während des tollen Rittes im Walde verschoben hatte.