Am folgenden Tage suchte Jurand weder Zbyszko zu meiden, noch stellte er ihm ein Hindernis in den Weg, Danusia die verschiedenen Dienste zu erweisen, die ihm seine Ritterpflicht auferlegte. Im Gegenteile – Zbyszko bemerkte trotz des Schmerzes, der ihm das Herz zerriß, daß der finstere Herr aus Spychow ihn zuweilen voll Wohlwollen, voll Wehmut betrachtete, gerade als ob es ihn schmerze, eine so grausame Antwort erteilt zu haben. Jurand bemühte sich sogar sichtlich, soviel wie möglich mit dem jungen Edelmanne zusammenzusein, um ein Gespräch mit ihm anknüpfen zu können. Während der Reise, nach dem Aufbruche aus Krakau, mangelte es nicht an Gelegenheit dazu, geleiteten doch beide die Fürstin zu Pferde. Der gewöhnlich unendlich schweigsame Jurand zeigte sich sogar zuweilen erstaunlich gesprächig; sobald jedoch Zbyszko die geheimnisvollen Gründe zu erforschen suchte, die ihn und Danusia trennten, brach Jurand das Gespräch plötzlich ab, sein Gesicht verfinsterte sich, und er blickte unruhig auf Zbyszko, als ob er fürchte, er könne sich diesem gegenüber verraten. In der Voraussetzung, die Fürstin sei in alles eingeweiht, ergriff der junge Ritter einen geeigneten Moment, um von ihr die ersehnte Antwort zu erlangen, allein auch sie vermochte ihm nicht viel zu sagen.

»Das alles ist ein Geheimnis,« bemerkte sie. »Jurand hat selbst einmal mit mir darüber gesprochen, er bat mich aber gleichzeitig, ihn nicht weiter zu befragen, denn er wolle nicht nur nicht, er dürfe auch nicht darüber reden. Vermutlich bindet ihn irgend ein Eid, wie dies ja häufig der Fall zu sein pflegt. Gott gebe wenigstens, daß sich mit der Zeit alles zum Guten wende.«

»Was soll ich auf der Welt thun ohne Danusia!« rief nun Zbyszko. »Ohne sie wäre es mir zu Mute wie dem Hunde nach den Schlägen, wie dem Bären in der Grube. Keine Freude, keine Lust gäbe es für mich. Nein, nur Kummer, nur Seufzen. Gleich jetzt würde ich mit dem Fürsten Witold gen Tawan ziehen, um den Tod im Kampfe gegen die Tataren zu finden, allein ich muß vor allem den Ohm in die Heimat geleiten und dann den Deutschen, mitsamt den Köpfen, die gelobten Pfauenbüsche abreißen. Vielleicht erschlagen die Feinde mich – denn wozu soll ich leben, wenn ich Danusia einem andern überlassen muß?«

Daraufhin richtete die Fürstin ihre gütigen blauen Augen auf ihn, indem sie verwundert fragte: »Und würdest Du dies gutwillig zugeben?«

»Ich? Niemals, solange ich noch einen Atemzug in der Brust habe. Es sei denn, daß mir die Hand verdorre, und ich das Schwert nicht mehr zu ziehen vermöge.«

»Nun also, was willst Du denn?«

»Kann ich vielleicht gegen den Willen des Vaters ankämpfen?«

»Gerechter Gott, ist dies denn noch nie vorgekommen?« murmelte die Fürstin vor sich hin. Dann aber, sich zu Zbyszko wendend, fügte sie hinzu: »Als ob der Wille Gottes nicht mächtiger wäre als der des Vaters! Und was sagte Jurand? ›Sobald dies der Wille Gottes sein wird‹, sprach er, ›bekommt er sie zum Weibe‹.«

»Das gleiche sagte er auch mir!« rief Zbyszko. »Ist es der Wille Gottes,« sprach er, »so bekommst Du sie zum Weibe.«

»Siehst Du nun?«

»Ach, daß ich auf Euere Gnade bauen darf, huldreiche Frau, das ist mein einziger Trost!«

»Ich bin Dir wohl gesinnt, und Danusia läßt nicht von Dir. Gestern erst sagte ich zu ihr: ›Danusia, wirst Du je von Zbyszko lassen?‹ Da antwortete sie: ›Außer Zbyszko will ich keinem angehören.‹ Jung ist Danusia freilich, allein was sie sagt, das hält sie auch, denn das Mägdlein ist edel geboren und nicht hergelaufener Leute Kind. Die Mutter ist ebenso gewesen!«

»Dem Himmel sei Dank!« rief Zbyszko.

»Nur vergiß nicht, daß auch Du treu zu ihr halten mußt, denn gar viele junge Burschen sind flatterhaft, sie schwören der einen Treue, um sich gleich darauf in eine andere zu verlieben, wenn sie nicht wie an einem Seile festgehalten werden. Ich rede die Wahrheit! Es kommt oft so weit, daß sie nach jedem Mädchen seufzen, wie das Pferd nach dem Futter wiehert.«

»Der Herr Jesus möge mich strafen, wenn ich dies thue!« erklärte Zbyszko voll Eifer.

»Denke also an das, was ich Dir gesagt habe. Sobald Du den Oheim heimgeleitet haben wirst, kehrst Du an unsern Hof zurück. Dort giebt es für Dich sicherlich Gelegenheit, Dir die Sporen zu verdienen, und dann wird sich Gottes Willen offenbaren. Danusia wird während dieser Zeit reifer werden, und sie wird zum liebenden Weibe erblühen, denn jetzt liebt sie Dich zwar innig – anders kann ich nicht sagen – aber doch nicht in der Weise, wie erwachsene Mädchen zu lieben verstehen. Vielleicht neigt sich Dir Jurands Herz immer mehr zu, denn nach meinem Ermessen ist er Dir nicht gram. Du kannst auch nach Spychow gehen, um gemeinsam mit Jurand gegen die Deutschen zu ziehen, vielleicht trifft es sich, daß Du ihm irgend einen Dienst zu erweisen vermagst und ihn dadurch vollständig auf Deine Seite bringst.«

»Das alles erwog ich längst bei mir, gnädigste Fürstin, jetzt aber, da Ihr mir die Erlaubnis dazu gebt, drängt es mich, es auszuführen.«

Dieses Gespräch spornte Zbyszkos Thatendurst noch mehr an. Aber schon auf dem ersten Fütterungsplatze verschlimmerte sich der Zustand des alten Macko in einem Maße, daß eine längere Rast erforderlich ward, damit der Kranke wenigstens wieder etwas zu Kräften komme für die Weiterreise. Die gütige Fürstin Anna Danuta überließ ihm zwar alle Heilmittel und Arzneien, die sie bei sich führte, sie selbst aber, so erklärte sie, dürfe nicht länger verweilen. Die beiden Edelleute aus Bogdaniec mußten sich daher von ihr und ihrem Hofstaate verabschieden. In seiner ganzen Länge warf sich Zbyszko zuerst der Fürstin und dann Danusia zu Füßen, indem er dieser nochmals treue Ritterdienste gelobte und ihr versprach, sobald wie möglich nach Ciechanow oder nach Warschau zu kommen, schließlich nahm er sie in seine starken Arme, hob sie empor und sagte mit bewegter Stimme: »Gedenke mein, Du meine holde Blume, gedenke mein, Du Heißgeliebte!«

Danusia dagegen umschlang ihn mit ihren Armen wie eine jüngere Schwester den älteren Bruder umschlingt, drückte ihr Stumpfnäschen an seine Wange und erklärte immer wieder, während große Thränen über ihre Wangen rannen: »Ohne Zbyszko gehe ich nicht nach Ciechanow, ohne Zbyszko gehe ich nicht nach Ciechanow!«

Von all dem war Jurand Zeuge, allein er zeigte keinerlei Zorn darüber. Im Gegenteile, er verabschiedete sich sehr wohlwollend von dem Jüngling, ja, als er bereits zu Pferde saß, wandte er sich nochmals zu ihm und sagte: »Gott befohlen! Trage mir die Kränkung nicht nach!«

»Wie könnte ich Euch eine Kränkung nachtragen, da Ihr doch der Vater Danusias seid!« entgegnete Zbyszko herzlich.

Und als er sich tief vor Jurand neigte, drückte ihm dieser kräftig die Hand und ließ sich also vernehmen: »Der Herr verleihe Dir in allem Glück! Verstehst Du mich?«

Nach diesen Worten machte er sich auf den Weg. Der junge Ritter begriff sofort, was dieser gütige Ausspruch, was diese letzten Worte für ihn bedeuten sollten, er kehrte daher zu dem Wagen zurück, worin Macko lag und bemerkte: »Seht Ihr nun? Er würde einwilligen, wenn nicht irgend etwas ihn daran hinderte. Ihr seid doch in Spychow gewesen und habt einen scharfen Verstand, Ihr müßtet es daher herausbringen, was das ist.«

Macko erteilte indessen keine Antwort. Sein Zustand hatte sich zusehends verschlimmert, war doch das Fieber, welches ihn schon seit frühem Morgen quälte, in solch hohem Grade gestiegen, daß er Zbyszko, den er nicht erkannte, wie erstaunt anstarrte und dann fragte: »Hörst Du die Glocken läuten?«

Zbyszko erschrak sehr, denn ihm schoß es durch den Kopf, daß ein Kranker, der Glockengeläute zu hören glaube, dem Tode nahe sei. Er sagte sich, wenn der Alte sterbe ohne den Zuspruch eines Geistlichen, werde er, wenn auch nicht in die Hölle, so doch mindestens in das Fegefeuer kommen, daher beschloß er, ihn weiter bringen zu lassen, um so rasch wie möglich eine Pfarre zu erreichen, wo Macko die letzte Oelung erhalten konnte. So brachen sie denn auf und fuhren die ganze Nacht hindurch. Zbyszko setzte sich zu dem Kranken, der auf Heu gebettet im Wagen lag, und wachte bei ihm bis zum hellen Morgen. Von Zeit zu Zeit reichte er ihm von dem Weine, den ihnen der Kaufmann Amylej mit auf den Weg gegeben hatte, und der durstige Macko trank gierig, was ihm sichtlich Erleichterung verschaffte. Nach dem zweiten Quart kehrte sogar sein Bewußtsein wieder zurück und nach dem dritten schlief er so fest ein, daß Zbyszko sich zuweilen über ihn beugte, um sich zu überzeugen, ob er noch lebe.

Der Gedanke allein schon, daß es vielleicht bald zu Ende mit dem Ohm sein werde, bereitete Zbyszko tiefen Schmerz. Bis zur Zeit seiner Gefangenschaft in Krakau hatte er sich selbst niemals Rechenschaft darüber abgelegt, wie sehr er diesen Oheim liebte, der ihm Vater und Mutter ersetzte. Jetzt aber wußte er dies nur zu wohl, und zugleich sagte er sich, das; er nach dessen Tode vollständig vereinsamt sein werde; hatte er doch keine Blutsverwandten außer jenem Abte, dem Bogdaniec verpfändet war, keine Freunde, kurz keinen Menschen, auf dessen Hilfe er jemals rechnen durfte. Als der Morgen dämmerte, fuhr er aus diesen Gedanken empor. Ein heller, aber kalter Tag brach an. Macko befand sich offenbar besser, denn er atmete gleichmäßiger und ruhiger. Doch erst als die Sonne schon eine gewisse Wärme verbreitete, erwachte er, öffnete die Augen und sagte: »Mir ist leichter zu Mute. Wo sind wir?«

»Ganz nahe bei Olkusz … Ihr wißt doch, wo die Silberbergwerke sind, deren Ergebnisse der Schatzkammer zufließen.«

»Wenn man doch alles haben könnte, was die Erde birgt! Oh, da könnte Bogdaniec wieder aufgebaut werden.«

»Man sieht, daß es Euch besser geht,« antwortete Zbyszko lachend. »Wahrlich für eine Burg aus Stein würde das Geld reichen … Doch nun wollen wir bis zur Pfarre fahren, dort wird man uns gastlich aufnehmen, und Ihr könnt dann auch beichten. Alles steht in Gottes Hand, aber es ist doch gut, wenn man mit seinem Gewissen im Reinen ist.«

»Ich bin ein sündiger Mensch und bin froh, wenn ich in Frieden dahinfahren kann,« versetzte Macko. »Mir träumte heute nacht, daß mir der Teufel die Haut von den Sohlen gezogen hätte. Allein Gott ist mir gnädig, denn jetzt ist mir leichter geworden. Hast Du ein wenig geschlafen?«

»Wie hätte ich schlafen können! Ueber Euch mußte ich ja wachen!«

»So lege Dich jetzt einige Zeit nieder, sobald wir ankommen, wecke ich Dich.«

»Ich kann nicht schlafen!«

»Was hindert Dich daran?«

Mit großen Augen schaut Zbyszko auf den Oheim.

»Die Liebe! Was denn sonst? Von dem ewigen Schmachten und Seufzen habe ich geradezu Stiche in der Seite bekommen. Doch wenn ich mich auch nur eine kurze Zeit aufs Pferd setze, wird mir besser werden.«

Er sprang vom Wagen herab und bestieg sein Roß, das ihm von einem Türken vorgeführt ward. Unterdessen preßte Macko vor Schmerz die Hände an seine Wunde, augenscheinlich dachte er aber dabei gar nicht an sein eigenes Leiden, denn er schüttelte heftig den Kopf, schnalzte mit der Zunge und sagte schließlich: »Das wundert mich in der That, ich kann mich nicht genug wundern, wieso Du so sehr nach Liebe dürstest, denn weder Dein Vater noch ich war so.«

Statt aller Antwort richtete sich Zbyszko im Sattel hoch auf, stemmte die Arme in die Seiten, warf den Kopf empor und hub mit voller Brust zu singen an.

»Meine Thränen, ach sie rinnen bei Tag und bei Nacht,
Wohin ist sie entschwunden, die Maid, der ich stets gedacht?
Umsonst ist mein Klagen, umsonst ist mein Leid,
Ich sehe sie nimmer, die wonnige Maid.
Hei!«

Und das »Hei« drang tief in den Wald hinein und rief einen Widerhall, ein Echo hervor, das allmählich im Dickicht wieder ausklang.

Macko aber, dem seine Wunde fortwährend Schmerzen verursachte, sagte seufzend: »Früher sind die Leute klüger gewesen, verstehst Du mich? – Nichtsdestoweniger hat es auch früher Thoren gegeben,« fügte er indessen nach kurzem Sinnen hinzu.

Mittlerweile hatten sie den Wald verlassen, vor ihnen lagen die Hütten der Bergleute, in der Ferne aber erblickten sie das von König Kasimir gegründete Olkusz mit seinen zackigen Mauern und mit seinem Pfarrturme, den Wladislaw Lokietek erbaut hatte.