13. Kapitel

… Das Wetter schien sich bessern zu wollen. In der Tat begann der nasse Schnee, der bisher in dichten Massen gefallen war, allmählich spärlicher zu werden und hörte zuletzt fast ganz auf. Der Himmel wurde sichtbar, und hier und da glänzten an ihm die Sterne auf. Aber es war immer noch naß, schmutzig, feucht und drückend, namentlich für Herrn Goljadkin, der ohnehin schon nur mit Mühe Atem holen konnte. Sein durchnäßter, schwer gewordener Mantel teilte allen seinen Gliedern eine unangenehm-warme Feuchtigkeit mit und lähmte durch sein Gewicht seine sowieso schon recht schwach gewordenen Beine. Ein fieberhaftes Zittern lief ihm wie ein Gekribbel bissiger Ameisen über den ganzen Körper; die Ermattung ließ einen kalten, krankhaften Schweiß aus allen Poren heraustreten, so daß Herr Goljadkin sogar vergaß, bei dieser passenden Gelegenheit mit der ihm eigenen Festigkeit und Entschlossenheit seine Lieblingsredensart zu wiederholen, daß er dennoch vielleicht, möglicherweise, irgendwie, wahrscheinlich, unbedingt obsiegen und alles sich ja allerdings alles ganz gut; aber warum rede ich gar nicht über das, worauf es ankommt?« Hier erhellte der Gedanke an die gegenwärtige Lage wieder Herrn Goljadkins Gedächtnis. Er blickte um sich. »Ach, Herr du mein Gott! Herr du mein Gott! Wovon rede ich denn da jetzt?« dachte er ganz verstört und griff sich an den glühenden Kopf …

»Wollen Sie nicht bald fahren, Herr?« sagte eine Stimme über dem Kopfe des dasitzenden Herrn Goljadkin. Herr Goljadkin fuhr zusammen; vor ihm stand sein Kutscher, ebenfalls völlig durchnäßt und durchfroren; vor Ungeduld und Langerweile war er auf den Gedanken gekommen, sich einmal nach Herrn Goljadkin hinter dem Holzhaufen umzusehen.

»Ich weiß nicht, mein Freund … ich werde bald fahren, mein Freund, sehr bald, sehr bald; warte noch ein bißchen! …«

Der Kutscher ging, etwas vor sich hin brummend, wieder weg. »Was mag er da brummen?« dachte Herr Goljadkin, und die Tränen kamen ihm in die Augen. »Ich habe ihn doch für den ganzen Abend genommen; also kann ich … hm … ich bin jetzt in meinem Rechte … so ist das! Ich habe ihn für den ganzen Abend genommen; also ist die Sache in Ordnung. Wenn er auch so dasteht, das ist ganz gleich. Das hängt alles von meinem Belieben ab. Wenn ich fahren will, kann ich fahren, und wenn ich nicht fahren will, kann ich es unterlassen. Und wenn ich hier hinter dem Holze stehe, so ist auch dagegen nichts einzuwenden … und er darf sich nicht erdreisten, etwas darüber zu sagen; wenn der Herr Lust hat, hinter dem Holze zu stehen, nun, dann steht er eben hinter dem Holze … und damit befleckt er niemandes Ehre; so ist das! Ja, so ist das, mein Fräulein, wenn Sie es wissen wollen. Und in einer Hütte, mein Fräulein, hm, in einer Hütte lebt in unserem Zeitalter niemand. So ist das! Und ohne Moralität kann man in unserem Zeitalter der Industrie nichts erreichen, mein Fräulein; dafür dienen Sie selbst jetzt als trauriges Beispiel … Also Ihrer Meinung nach soll ich das Amt eines Tischvorstehers bekleiden und in einer Hütte am Gestade des Meeres leben. Erstens, mein Fräulein, gibt es am Gestade des Meeres keine Tischvorsteher, und zweitens können wir beide mir keine Stelle als Tischvorsteher verschaffen. Denn gesetzt z. B. ich reiche eine Bittschrift ein und sage darin: ›So und so, ich bitte, mich zum Tischvorsteher zu machen und mich vor meinem Feinde zu schützen …‹, dann werden Sie merken, mein Fräulein, daß es viele Tischvorsteher gibt, und daß Sie hier nicht bei der Emigrantin Falbala sind, wo Sie Moralität gelernt haben, wofür Sie selbst als trauriges Beispiel dienen. Moralität, mein Fräulein, das bedeutet: zu Hause sitzen, seinen Vater ehren und nicht vorzeitig an Freier denken. Die Freier, mein Fräulein, werden sich zur rechten Zeit schon finden; so ist das! Gewiß, man muß unstreitig auch allerlei Fertigkeiten und Kenntnisse besitzen, als da sind: ein bißchen Klavierspielen, Französisch sprechen, Geschichte, Geographie, Religion und Rechnen, – so ist das! Aber mehr ist nicht vonnöten. Dazu kommt noch die Küche; zu dem Wissensgebiete eines jeden wohlgesitteten Mädchens gehört unbedingt auch die Küche! Aber was wird mit Ihnen werden? Erstens, mein schönes gnädiges Fräulein, Wesen nicht ausstehen kann und auch, offen gestanden, kein schönes Äußeres besitze. Lügenhafte Prahlerei und Ziererei werden Sie bei mir nicht finden; das gestehe ich Ihnen jetzt mit aller Offenherzigkeit. So ist das; ich besitze nur einen geraden, offenen Charakter und einen gesunden Verstand; mit Intrigen gebe ich mich nicht ab. Ich bin kein Intrigant und bin stolz darauf; so ist das! … Ich bewege mich unter guten Menschen ohne Maske, und um Ihnen alles zu sagen …«

Auf einmal fuhr Herr Goljadkin zusammen. Der rötliche, völlig durchnäßte Bart seines Kutschers blickte wieder zu ihm hinter das Holz.

»Ich komme gleich, mein Freund; weißt du, mein Freund, sogleich; sofort komme ich, mein Freund!« antwortete Herr Goljadkin mit zitternder, gramvoller Stimme.

Der Kutscher kratzte sich im Nacken, strich sich dann den Bart glatt und trat einen Schritt vor. Hierauf blieb er stehen und blickte Herrn Goljadkin mißtrauisch an.

»Ich komme sofort, mein Freund; ich will nur … siehst du, mein Freund … ich will nur noch ein wenig … siehst du, mein Freund, ich will nur noch eine Sekunde hier … siehst du, mein Freund …«

»Wollen Sie vielleicht überhaupt nicht mehr fahren?« sagte endlich der Kutscher, indem er entschlossen an Herrn Goljadkin herantrat.

»Doch, mein Freund; ich komme gleich. Siehst du, mein Freund, ich warte nur noch …«

»Na, gut …«

»Siehst du, mein Freund, ich … Aus welchem Dorfe bist du denn, mein Lieber?«

»Wir sind Leibeigene …«

»Hast du eine gute Herrschaft? …«

»Es geht …«

»Ja, mein Freund, bleib nur noch ein bißchen bei mir, mein Freund! Siehst du, mein Freund, bist du schon lange in Petersburg?«

»Ich fahre schon ein Jahr …«

»Und geht es dir gut, mein Freund?«

»So ziemlich.«

»Ja, mein Freund, ja. Danke der Vorsehung, mein Freund! Einen guten Menschen kannst du jetzt lange suchen, mein Freund. Heutzutage sind gute Menschen selten geworden, mein Lieber; ein guter Mensch hält dich sauber, mein Lieber, und gibt dir zu essen und zu trinken. Aber siehst du, manchmal fließen Tränen auch auf das Gold, mein Freund … siehst du, hier hast du ein bedauernswertes Beispiel vor dir; so ist das, mein Lieber …«

Dem Kutscher schien Herr Goljadkin leid zu tun. »Na, wenn Sie wollen, werde ich noch warten. Wollen Sie denn noch lange hierbleiben?«

»Nein, mein Freund, nein; ich werde jetzt, weißt du, hm … ich werde jetzt nicht mehr warten, mein Lieber … Wie denkst du darüber, mein Freund? Ich schenke dir Vertrauen. Ich werde hier nicht mehr warten …«

»Werden Sie vielleicht überhaupt nicht mehr fahren?«

»Nein, ich fahre nicht mehr, mein Freund, nein; aber ich danke dir, mein Lieber … so ist das. Wieviel bekommst du denn, mein Lieber?«

»Was wir abgemacht haben, Herr, das müssen Sie mir auch geben. Ich habe lange gewartet, Herr; Sie werden ja einen armen Menschen nicht zu Schaden bringen wollen, Herr.«

»Nun, da hast du dein Geld, mein Lieber, da hast du es!« Damit gab Herr Goljadkin dem Kutscher die ganzen sechs Rubel. Er entschloß sich nun im Ernst, keine Zeit weiter zu verlieren, sondern sich davonzumachen, um so mehr da die Sache bereits endgültig entschieden und der Kutscher entlassen war und es folglich keinen Zweck mehr hatte, länger zu warten; so verließ er denn den Hof, ging durch den Torweg, wandte sich links und begann, ohne sich umzusehen, keuchend und froh davonzulaufen. »Vielleicht gestaltet sich noch alles gut,« dachte er, »und ich bin auf diese Art dem Unheil entronnen.« Wirklich war es Herrn Goljadkin auf einmal sehr leicht ums Herz geworden. »Ach, wenn sich doch alles gut gestalten wollte!« dachte unser Held, obwohl er selbst wenig daran glaubte. »Nun will ich, hm …« dachte er. »Nein, ich will es lieber so machen; ich will die Sache von einer andern Seite angreifen … Oder soll ich lieber so verfahren? …« Während sich unser Held so mit seinen Zweifeln abmühte und zur Klarheit zu gelangen suchte, war er bis zur Semjonowski-Brücke gelaufen und faßte nun den verständigen, endgültigen Beschluß, wieder umzukehren. »Das wird das beste sein,« sagte er sich. »Ich will die Sache lieber von einer anderen Seite angreifen, d. h. folgendermaßen: ich werde ganz einfach unbeteiligter Beobachter sein, weiter nichts; ich bin nur ein Beobachter, eine unbeteiligte Person; dann mag sich dort begeben, was da will, ich trage keine Schuld daran. So ist das! So soll es jetzt sein!«

Nachdem unser Held beschlossen hatte umzukehren, führte er diesen Beschluß auch aus, um so mehr, da er seiner glücklichen Idee zufolge jetzt die Rolle einer ganz unbeteiligten Person übernommen hatte. »Das ist besser; einerseits bin ich für nichts verantwortlich, und andrerseits sehe ich alles Nötige mit an … so ist das!« Also die Rechnung war durchaus richtig und die Sache damit erledigt. Beruhigt schlich er wieder in den friedlichen Schatten des ihn schützenden Holzstoßes und begann, aufmerksam nach den Fenstern hinzuschauen. Diesmal brauchte er nicht lange zu schauen und zu warten. Auf einmal machte sich an allen Fenstern gleichzeitig eine sonderbare Bewegung bemerklich, Gestalten wurden sichtbar, die Vorhänge zurückgeschlagen, ganze Gruppen von Menschen drängten sich an Olsufi Iwanowitschs Fenstern; alle blickten sie auf den Hof hinaus und suchten dort etwas. Durch seinen Holzstoß geschützt, begann unser Held seinerseits ebenfalls neugierig die allgemeine Bewegung zu verfolgen und streckte, lebhaft interessiert, seinen Kopf nach rechts und links vor, wenigstens soweit es ihm der kurze Schatten des ihn verbergenden Holzstoßes erlaubte. Auf einmal bekam er einen großen Schreck, fuhr zusammen und hätte sich vor Bestürzung beinahe auf dem Fleck, wo er stand, hingesetzt. Es schien ihm oder richtiger er erriet auf das bestimmteste, daß sie da nicht irgendetwas und irgendwen suchten, sondern ganz einfach ihn, Herrn Goljadkin. Alle blickten sie nach seiner Seite hin. Davonzulaufen war unmöglich; man hätte ihn gesehen … Ängstlich drückte sich Herr Goljadkin so dicht wie möglich an das Holz und bemerkte jetzt erst, daß der verräterische Schatten ihm treulos geworden war und ihn nicht mehr ganz verbarg. Mit dem größten Vergnügen wäre unser Held jetzt in ein Mauseloch zwischen dem Holze gekrochen und hätte dort friedlich gesessen, wenn es nur möglich gewesen wäre. Aber es war entschieden unmöglich. In seiner Pein begann er schließlich, mit Entschlossenheit geradezu nach allen Fenstern hinzusehen, weil ihm das noch als das beste erschien. Und plötzlich wurde er glühend heiß vor Scham. Man hatte ihn deutlich bemerkt; alle zusammen hatten ihn bemerkt; alle winkten ihm mit den Händen; alle nickten ihm zu; alle riefen ihn; da klappten ein paar Luftscheiben und wurden geöffnet; einige Stimmen schrien ihm zugleich etwas zu … »Ich wundere mich, warum man diesem dummen Mädchen nicht von klein auf die Rute gegeben hat,« murmelte unser Held ganz fassungslos vor sich hin. Auf einmal kam er (man weiß schon, wer) die Stufen vor der Haustür herabgelaufen, im bloßen Uniformrock, ohne Hut, atemlos, hastig, trippelnd und hüpfend, wahrscheinlich um seine gewaltige Freude darüber an den Tag zu legen, daß er Herrn Goljadkin endlich erblickt hatte.

»Jakow Petrowitsch,« schnatterte der durch seine Niederträchtigkeit bekannte Mensch. »Jakow Petrowitsch, Sie hier? Sie werden sich erkälten. Es ist hier kalt, Jakow Petrowitsch. Bitte, kommen Sie doch in die Wohnung!«

»Nein, Jakow Petrowitsch, nein, das tut mir nichts, Jakow Petrowitsch,« murmelte unser Held in demütigem Tone.

»Nein, das geht nicht, Jakow Petrowitsch; alle lassen Sie bitten, lassen Sie ganz ergebenst bitten; sie erwarten uns. ›Machen Sie uns die Freude,‹ haben sie zu mir gesagt, ›und bringen Sie Jakow Petrowitsch her!‹ So ist das!«

»Nein, Jakow Petrowitsch; sehen Sie, ich … ich würde am besten tun, wenn ich … Ich würde am besten nach Hause gehen, Jakow Petrowitsch,« sagte unser Held, der ein Gefühl hatte, als ob er auf gelindem Feuer geröstet würde, und ganz starr war vor Scham und Angst.

»Nein, nein, nein, nein!« schnatterte der widerwärtige Mensch. »Nein, nein, nein, unter keinen Umständen! Kommen Sie!« sagte er energisch und zog Herrn Goljadkin den älteren zur Haustür hin. Herr Goljadkin der ältere wollte ganz und gar nicht mitgehen; aber da alle nach ihm hinsahen und es dumm herausgekommen wäre, wenn er sich widersetzt und sich gesträubt hätte, so ging unser Held doch mit; übrigens kann man eigentlich nicht sagen, daß er ging, da er schlechterdings selbst nicht wußte, was mit ihm geschah. Aber es war ja nun doch schon alles egal!

Ehe unser Held noch einigermaßen zur Besinnung kommen und sich zurechtmachen konnte, befand er sich schon im Saale. Er war blaß, zerzaust, sein Anzug in Unordnung; seine trüben Augen irrten über die ganze Menge hin, – o weh: der Saal und alle Zimmer, alles, alles, war dicht gedrängt voll! Es war eine Unmasse von Menschen da, ein ganzer Flor von Damen. Alle Anwesenden strebten zu Herrn Goljadkin hin; alle umdrängten ihn; alle schoben Herrn Goljadkin vorwärts, Herrn Goljadkin dem jüngeren hin; dann, dann streckte er auch den Kopf zum Kusse vor. Dasselbe tat auch der andere Herr Goljadkin … In diesem Momente schien es Herrn Goljadkin dem älteren, daß sein treuloser Freund lächelte und der ganzen umstehenden Menge schnell und listig zublinkte, daß ein boshafter Zug auf dem Gesichte des unedlen Herrn Goljadkin des jüngeren zum Ausdruck kam, und daß er sogar im Augenblicke seines Judaskusses eine Grimasse schnitt … In Herrn Goljadkins Kopfe dröhnte es; vor den Augen wurde es ihm dunkel; es kam ihm vor, als ob eine Unmenge, eine ganze Reihe ganz ähnlicher Goljadkins lärmend durch alle Türen des Saales hereindränge; aber es war zu spät … Der Verräter hatte ihm schon einen schallenden Kuß gegeben, und …

Da begab sich etwas ganz Unerwartetes … Die Saaltür wurde geräuschvoll geöffnet, und auf der Schwelle erschien ein Mensch, dessen bloßer Anblick Herrn Goljadkin zu Eis erstarren ließ. Seine Füße wuchsen am Boden fest. Ein Schrei erstarb in seiner beengten Brust. Übrigens hatte Herr Goljadkin alles vorher gewußt und schon längst etwas Ähnliches geahnt. Der Unbekannte näherte sich Herrn Goljadkin würdevoll und feierlich. Herr Goljadkin kannte diese Gestalt sehr gut. Er hatte sie schon gesehen, sehr oft gesehen, noch an diesem selben Tage gesehen … Der Unbekannte war ein hochgewachsener, kräftig gebauter Mann, in schwarzem Frack, mit einem hohen Orden am Halse, mit dichtem, sehr schwarzem Backenbart; es fehlte nur die Zigarre im Munde, um die Ähnlichkeit vollständig zu machen. Der Blick des Unbekannten bewirkte, daß, wie schon oben gesagt, Herr Goljadkin vor Angst zu Eis erstarrte. Mit würdevoller, feierlicher Miene trat der furchtbare Mensch auf den bedauernswerten Helden unserer Erzählung zu … Unser Held streckte ihm die Hand entgegen; der Unbekannte ergriff sie und zog ihn hinter sich her … Verstört und niedergedrückt blickte unser Held rings um sich.

»Das ist Krestjan Iwanowitsch Rutenspitz, Doktor der Medizin und Chirurgie, Ihr alter Bekannter, Jakow Petrowitsch!« schnatterte eine widerwärtige Stimme dicht an Herrn Goljadkins Ohr. Er sah sich um: es war der wegen seiner Nichtswürdigkeit hassenswerte Zwillingsbruder des Herrn Goljadkin. Eine unedle, boshafte Freude glänzte auf seinem Gesichte: entzückt rieb er sich die Hände; entzückt drehte er seinen Kopf nach allen Seiten; entzückt trippelte er um all und jeden herum; er schien Lust zu haben, gleich auf dem Flecke vor Entzücken loszutanzen; zuletzt sprang er vor, nahm einem der Diener eine Kerze aus der Hand und ging voran, um Herrn Goljadkin und Krestjan Iwanowitsch zu leuchten. Herr Goljadkin hörte deutlich, wie alle, die im Saale waren, hinter ihm herströmten, wie alle sich stießen und drängten und ihm einhellig immer dasselbe wiederholten: »Das hat nichts zu bedeuten; fürchten Sie sich nicht, Jakow Petrowitsch! Das ist ja Ihr alter Freund und Bekannter Krestjan Iwanowitsch Rutenspitz …« Endlich traten sie auf die hellerleuchtete Treppe hinaus; auch auf der Treppe standen eine Menge Leute. Geräuschvoll wurde die Haustür geöffnet, und nun stand Herr Goljadkin mit Krestjan Iwanowitsch auf den davor befindlichen Stufen. Vor der Tür stand eine Kutsche, mit vier Pferden bespannt, die vor Ungeduld schnaubten. Der schadenfrohe Herr Goljadkin der jüngere kam in großen Sätzen die Treppe herabgesprungen und öffnete selbst die Kutsche. Krestjan Iwanowitsch ersuchte durch eine einladende Handbewegung Herrn Goljadkin, einzusteigen. Übrigens bedurfte es einer solchen einladenden Handbewegung gar nicht; es waren genug Leute da, um ihm hineinzuhelfen … Halbtot vor Angst blickte Herr Goljadkin zurück: die ganze hellerleuchtete Treppe war mit Menschen besetzt; von allen Seiten blickten neugierige Augen nach ihm hin; selbst Olsufi Iwanowitsch saß in seinem bequemen Lehnstuhl auf dem oberen Treppenflur und verfolgte aufmerksam mit lebhaftem Interesse den ganzen Vorgang. Alle warteten. Ein Gemurmel der Ungeduld lief durch die Menge, als Herr Goljadkin sich umwandte und zurückblickte.

»Ich hoffe, daß darin nichts … nichts Anstößiges liegt … nichts, was der Behörde zu strengem Verfahren gegen mich Anlaß geben … oder die allgemeine Aufmerksamkeit mit Bezug auf meine amtliche Stellung erregen könnte?« sagte unser Held ganz fassungslos. Ringsum wurde lärmend darauf geantwortet; alle schüttelten verneinend die Köpfe. Die Tränen stürzten Herrn Goljadkin aus den Augen.

»In diesem Falle bin ich bereit … ich vertraue mich ganz Krestjan Iwanowitsch an … ich lege mein Schicksal in seine Hände …«

Kaum hatte Herr Goljadkin gesagt, daß er sein Schicksal ganz in Krestjan Iwanowitschs Hände lege, als schließlich vollständig. Herr Goljadkin fühlte einen dumpfen Schmerz im Herzen; das Blut pochte ihm wie eine heiße Quelle im Kopfe; es war ihm drückend heiß; er wollte sich gern die Kleider aufknöpfen, seine Brust entblößen, sie mit Schnee beschütten und mit kaltem Wasser begießen. Endlich versank er in Bewußtlosigkeit … Als er wieder zu sich kam, sah er, daß der Wagen auf einem ihm unbekannten Wege dahinfuhr. Rechts und links lag schwarzer Wald; alles war öde und menschenleer. Auf einmal wurde er starr vor Schreck: zwei feurige Augen blickten ihn in der Dunkelheit an und funkelten in boshafter, teuflischer Freude. »Das ist nicht Krestjan Iwanowitsch!« dachte Herr Goljadkin. »Wer ist das? Oder ist er es doch? Er ist es! Es ist Krestjan Iwanowitsch; aber nicht der frühere, sondern ein anderer Krestjan Iwanowitsch! Das ist ein entsetzlicher Krestjan Iwanowitsch!…«

»Krestjan Iwanowitsch, ich… ich… ich glaube, es fehlt mir nichts, Krestjan Iwanowitsch,« begann unser Held zaghaft und zitternd, in dem Wunsche, durch Unterwürfigkeit und Demut den furchtbaren Krestjan Iwanowitsch ein wenig milder zu stimmen.

»Sie bekommen vom Staate freie Wohnung, Heizung, Beleuchtung und Bedienung; das ist mehr, als Sie verdienen,« antwortete Krestjan Iwanowitsch; die Antwort klang streng und furchtbar wie ein Urteilsspruch.

Unser Held schrie auf und griff sich nach dem Kopfe. O weh! Das hatte er schon längst geahnt.

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