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Die Leute, die Luke geschickt hatte, bewährten sich vorzüglich, und Edna Gray war ihm sehr dankbar für die gute Auswahl.

 

In den nächsten beiden Wochen wurden Haus und Garten gründlich in Ordnung gebracht, und als alles hübsch und behaglich eingerichtet war, hielt Edna eines Tages mit ihrer Zofe Einzug in Longhall House. An der Einweihungsfeier nahm nur ein Gast teil.

 

Sie fühlte sich etwas unbehaglich, als ihr zum Bewußtsein kam, wie abhängig sie von Mr. Luke geworden war. Er spielte bereits eine große Rolle in ihrem Leben. Stets blieb er ihr gegenüber gleich freundlich und liebenswürdig und wurde niemals auch nur im geringsten aufdringlich.

 

Eines Tages sagte er ihr, daß er sie wie einen jüngeren Bruder betrachte. Sie wußte nicht recht, ob sie sich über den Verwandtschaftsgrad, den er ihr zuteilte, freuen oder ärgern sollte.

 

Wenn sie nach London fuhr, traf sie ihn gelegentlich beim Mittagessen. Es war ihr sehr angenehm, öfter mit ihm zusammenzukommen. Er erzählte ihr immer viel Neues und berichtete auch über die Organisation Mr. Triggers.

 

Als sie wieder einmal mittags im Carlton-Hotel zusammensaßen, sagte er, daß er am Nachmittag eine Verabredung mit Trigger habe.

 

Edna machte sich eigentlich Vorwürfe, denn sie wußte sehr gut, daß Polizeibeamte nicht übermäßig hoch bezahlt wurden. Er lud sie immer in die teuersten Restaurants ein, und als sie einmal das Essen bezahlen wollte, hatte er es entschieden abgelehnt.

 

Er erwähnte später, daß er außer seinem Beamtengehalt Vermögen besitze.

 

Er hätte den Dienst längst quittiert, wenn er nicht den äußerst interessanten Auftrag erhalten hätte, die Firma Trigger genauer zu beobachten und das Geheimnis zu klären, das hinter den Transaktionen steckte.

 

Nach dem Essen brachte er Edna zu ihrem Hotel zurück und schlenderte dann die Lower Regent Street entlang, um seine Verabredung einzuhalten.

 

Ein Portier in glänzender Uniform führte ihn in den prachtvoll ausgestatteten Warteraum, erschien jedoch bald wieder und brachte ihn zu Mr. Triggers Büro, einem großen, luxuriös eingerichteten Zimmer, von dem aus man auf die Regent Street hinabschauen konnte. Obwohl der Tag nicht besonders heiß war, saß Mr. Trigger in Hemdsärmeln hinter seinem kostbaren Schreibtisch aus Rosenholz, auf dem Diktiergeräte, Telefone und andere Apparate standen.

 

»Nehmen Sie bitte Platz, Mr. Luke«, sagte der kleine Mann freundlich, erhob sich und schob seinem Besucher einen mit Maroquin bezogenen Sessel hin. Der Inhaber der Rennwettfirma war so höflich, daß er erst wieder Platz nahm, als sein Besucher sich gesetzt hatte. »Ich bin so stark beschäftigt, daß ich nicht recht weiß, wo ich mit der Arbeit anfangen soll.«

 

Trigger zeigte ein offenes, freies Wesen. Luke hatte diesen freundlichen, jovialen Mann im Grunde ganz gern.

 

»Ich weiß, warum Sie mich sprechen wollen – es handelt sich um Kalamu.« Das war der Name des Außenseiters, der in Newmarket gewonnen hatte. »Mr. Luke, ich will Ihnen gegenüber ganz offen sein. Ich verstehe überhaupt nichts von Pferden, und ich würde kaum eins vom anderen unterscheiden können. Für mich sind es nur Pferde, und wenn sie vorne Hörner haben, sind es Ochsen oder Kühe!«

 

Er lachte vergnügt und schob Luke eine Kiste Zigarren zu.

 

»Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Mr. Luke. Ich weiß niemals, ob ein Pferd eine Gewinnchance hat oder nicht. Noch nie in meinem Leben habe ich mir ein Buch über Pferdezucht angesehen, und selbst wenn ich versuchte, es zu lesen, würde ich es doch nicht begreifen. Ich halte mich genau an die Rennregeln, gegen die ich in keiner Weise verstoßen habe. Das weiß ich genau, denn die habe ich gründlich studiert. Ich setze mich nicht mit Stalljungen, Jockeis oder gar Trainern in Verbindung, ich betreibe diese ganze Sache hier rein kaufmännisch.«

 

»Aber ein anderer weiß sehr gut mit Pferden Bescheid – ich meine einen Ihrer Freunde.«

 

Mr. Trigger zuckte die Schultern.

 

»Selbstverständlich! Ich wende mich doch nicht an irgendwen, wenn ich mir ein Pferd nennen lasse. Mr. Luke, Sie wissen ebensogut wie ich, daß der Doktor und Mr. Goodie an dem Geschäft beteiligt sind. Auch Mr. Rüstern hat einen Anteil. Die drei kümmern sich um das Fachliche, das ist ein offenes Geheimnis. Sie haben ihr ganzes Leben dem Rennsport gewidmet und wissen alles, was sich darauf bezieht. Ich selbst will nichts damit zu tun haben. Ich bringe das Geld auf die Bank –«

 

»Alles Geld?«

 

Mr. Trigger lächelte vorwurfsvoll.

 

»Aber Inspektor, wie können Sie einen Geschäftsmann dergleichen fragen! Ich bringe das Geld auf die Bank, dann hebe ich die Summen wieder ab, die ich für Ausgaben brauche. Das ist das Ende des Geschäfts, soweit ich dafür in Frage komme.«

 

»Haben Sie jemals den Eigentümer von ›Kalamu‹kennengelernt?«

 

»Nein, ich komme niemals mit Besitzern von Rennpferden zusammen«, entgegnete Mr. Trigger vergnügt. »Ich darf wohl sagen, daß verschiedene meiner Klienten Besitzer von Rennpferden sind, aber ich komme nicht mit ihnen zusammen. Es ist meine Aufgabe, die Angestellten der Firma zu beaufsichtigen und dafür zu sorgen, daß sie ihre Arbeit tun. Übrigens bekommen die Leute sehr gute Gehälter. Sie haben von morgens neun bis nachmittags fünf Uhr Dienst. Ich habe einen großen Speisesaal für sie eingerichtet, und auf dem Dachgarten stehen Liegestühle für sie. – Vielleicht sehen Sie sich einmal meine Büroräume an?«

 

Er erhob sich, zog den Rock über und ging mit seinem Besucher in den großen Saal, wo Reihen von jungen Damen an ihren Schreibtischen saßen. Auf jedem der Arbeitsplätze standen eine Uhr und ein Kalender.

 

Luke ging die langen Reihen von Schreibtischen entlang. Die Angestellten sahen kaum auf und nahmen keine Notiz von ihm. Der Inspektor hatte bisher noch niemals das Büro der Organisation aufgesucht. Er bewunderte Mr. Trigger, der sich eine einzigartige Stellung geschaffen hatte, selbst nichts von irgendwelchen Schiebungen wußte und auch nichts davon wissen wollte. Selbstverständlich ahnte er, daß seine Partner dem Glück auf der Rennbahn gewaltig nachhalfen.

 

Trigger nahm Luke mit in seine privaten Räume, und der Inspektor war erstaunt über die einfache Ausstattung.

 

»Ich empfange keine Besuche und schlafe nur hier, wenn ich sehr viel zu tun habe. Was sagen Sie zu meinen jungen Damen? Finden Sie nicht auch, daß sie einen sehr guten Eindruck machen? Aber ich habe noch nie eine von ihnen eingeladen, mit mir zu speisen, und nur ein einziges Mal hat eine versucht, mit mir zu flirten. Die habe ich sofort vor die Tür gesetzt. Geschäft ist Geschäft, und Liebe ist Liebe. Ich dulde auch nicht, daß Mr. Goodie oder der Doktor oder Mr. Rustem hierherkommen.«

 

Luke verließ das Büro, ohne viel mehr erfahren zu haben, als er bereits wußte. Er hatte auch nicht erwartet, daß er bedeutende Aufschlüsse erhalten würde. Aber Mr. Trigger gefiel ihm als Mensch und als Organisator. Er war der einzige Mann in der ganzen Firma, dem man nichts anhaben konnte und der vom Gericht auch sicherlich nicht verurteilt werden würde. Das war für Luke eine wichtige Schlußfolgerung, denn er konnte es sich nun leisten, die polizeiliche Überwachung seines Büros fallenzulassen. Dadurch wurde es ihm möglich, sich den beiden anderen Leuten um so mehr zu widmen, auf deren Angaben hin Mr. Trigger derartig viel Geld verdiente. Rustem schloß er aus; er betrachtete ihn mehr als eine Art Agenten und als Werkzeug. Wahrscheinlich kannte der Mann die letzten Geheimnisse seiner Partner nicht und hatte nur dafür zu sorgen, daß sie nicht mit dem Gesetz in Konflikt gerieten.

 

*

 

Dr. Blanter trank unmäßig viel und verkehrte in gewissen Nachtklubs, die nicht gerade im besten Ruf standen. An jenem Abend kehrte er in einem der verrufensten Lokale ein. Zehn Minuten nach zwölf Uhr hielt die Polizei dort eine Razzia ab und schaffte alle Leute, die sie antraf, zur Polizeistation. Gewöhnlich wurden die Damen und Herren in solchen Fällen mit der größten Zuvorkommenheit behandelt. Man durchsuchte sie nicht, und man ließ ihnen auch eine gewisse Freiheit in den Wartezimmern, bis ihre Freunde kamen und eine Kaution stellten.

 

Dr. Blanter protestierte heftig, und gerade er wurde sehr genau durchsucht. Man nahm ihm Wertsachen und Schlüssel ab und sperrte ihn in einen besonderen Raum. Es war drei Uhr morgens, als man ihn endlich entließ und ihm zurückgab, was man in seinen Taschen gefunden hatte. Um diese Zeit hatte er sich einigermaßen beruhigt und machte keinen Spektakel mehr. Die drei Stunden Gefangenschaft waren aber die unglücklichsten seines ganzen Lebens gewesen, denn er durchschaute den Plan der Polizei. Er wußte, daß diese Razzia und seine Festnahme durchaus nicht erfolgt waren, weil der Klub die Polizeistunde für den Ausschank alkoholischer Getränke überschritten hatte.

 

Um vier Uhr kam er nach Hause. Äußerlich verriet seine Wohnung nichts davon, daß vier tüchtige Kriminalbeamte alle Winkel und alle Schubladen durchsucht hatten. Kein Schriftstück war ihnen entgangen, sie hatten alle Briefe gelesen.

 

Luke war dennoch sehr enttäuscht, denn er hatte nicht gefunden, was er erwartet hatte.