15

 

Die Matrosen hoben Jim ins Boot, und Margot folgte. Sie war nur noch wenig bekleidet, aber das fiel ihr weiter nicht auf, bis das Boot an Deck heraufgezogen war. Dann war sie allerdings dankbar, daß es oben dunkel war. Gleich darauf legte auch jemand einen warmen Mantel um ihre Schultern, und sie ging in ihre Kabine.

 

Nach einem heißen Bad kleidete sie sich um und ging trotz der Warnungen Ceciles sofort wieder an Bord, um nachzusehen, was aus Jim geworden war. Auch er hatte sich umgekleidet und war von einer Menge neugieriger Passagiere umringt, die wissen wollten, was passiert war. Er log das Blaue vom Himmel herunter.

 

»Ich bin oben auf dem Bootsdeck eingeschlafen, habe das Gleichgewicht verloren und bin ins Wasser gefallen. Miss Cameron sah mich – weiter kann ich mich auf nichts besinnen, bis ich wieder das Bewußtsein erlangte. Ich sah ein helles Kalklicht auf dem Rettungsgürtel brennen. Der Schein blendete mich, und Miss Cameron hielt mich an den Ohren über Wasser.«

 

Der Steuermann, der auf Wache war, hatte den ganzen Vorgang beobachtet und den Rettungsring so gut und sicher geworfen. Jim erfuhr das erst später. Der Schiffsarzt hatte die Kopfwunde verbunden, die zu Margots Beruhigung nicht schwer war. Der Mann, der von hinten angriff, mußte selbst sehr nervös gewesen sein, denn der Schlag hatte nicht richtig getroffen, so daß die Wunde mit ein paar Nadeln wieder geschlossen werden konnte.

 

»Ich verdanke dir mein Leben«, sagte Jim, als er mit Margot allein war.

 

»Ich werde dir in den nächsten Tagen auch eine Rechnung dafür schicken«, unterbrach sie ihn schnell. »Jetzt gehe ich in meine Kabine zurück. Du scheinst dich ja einigermaßen erholt zu haben, denn du sprichst wie der reinste Radioapparat.«

 

Sie drückte seinen Arm und verschwand.

 

Als er am nächsten Morgen aufwachte, mußte er sich erst besinnen, wo er war, denn man hatte ihm eine Kabine auf dem F-Deck gegeben. Die beiden Detektive von Scotland Yard besuchten ihn, später kam der Schiffsarzt und wechselte den Verband. Nachdem Jim einige Zeit geruht und vom Doktor noch ein Stärkungsmittel erhalten hatte, kam er nach und nach wieder zu Kräften.

 

Zur selben Zeit suchte Mr. Winter um ein Gespräch mit dem Kapitän nach und erhob Klage gegen Mr. Bartholomew. Der Kapitän hörte alles an, was der Mann zu sagen hatte, und erklärte dann, daß die Sache bereits von zuständigen Stellen untersucht würde. Aber damit war Mr. Winter nicht zufrieden.

 

»Wahrscheinlich wissen Sie auch, daß dieser Mr. Bartholomew ein Flüchtling ist. Die Polizei hat einen Steckbrief hinter ihm erlassen, weil er unter dem Verdacht steht, einen Mord begangen zu haben.«

 

»Das ist mir alles bekannt. Sind Sie denn ein Polizeibeamter?«

 

»Nein, das nicht«, erklärte Winter.

 

»Nun, dann kann ich Sie ja beruhigen. Es sind nämlich Beamte von Scotland Yard an Bord, die sich mit der Angelegenheit beschäftigen, und Sie können versichert sein, daß die Leute ihre Pflicht tun und den Schuldigen schon verhaften werden.«

 

Mrs. Markham hatte die Abwesenheit Winters dazu benützt, eine Unterredung mit Major Visconti herbeizuführen. Der Italiener ging an Deck auf und ab, als er sah, wie Stella Markham ihm von der Türe zum Salon winkte.

 

»Wollen Sie so liebenswürdig sein, zu meiner Kabine mitzukommen?« fragte sie ihn.

 

»Madame«, sagte er und verneigte sich formvollendet, »ich freue mich, Ihrem Wunsch nachkommen zu dürfen.«

 

»Ich wollte Ihnen die Tanagrafiguren zeigen, die ich voriges Jahr in Italien gekauft habe«, erklärte sie gleichgültig.

 

Er folgte ihr bis zum Ende des Ganges, wo ihre Kabine lag. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, lud Stella ihn durch eine Handbewegung ein, in einem Sessel Platz zu nehmen.

 

»Tony«, sagte sie vorwurfsvoll, »was ist denn geschehen? Warum habt ihr Talbot umgebracht?«

 

Der Italiener nahm seine Mütze ab, legte sie auf den Teppich neben sich und sah zu Boden.

 

»Hat er –?« begann sie wieder.

 

»Er hat uns verraten wollen.«

 

»Aber wie – wann?«

 

Er zuckte die Schultern.

 

»Er war während des letzten Monats in dauernder Angst. Das wissen wir doch, Madonna. Ich mußte immer an seiner Seite bleiben, als wir in Paris waren, und durfte ihn auch in London nicht aus den Augen lassen. Als er erfuhr, daß Detektive an Bord des Dampfers sind, hat er den Verstand vollends verloren, denn nachdem wir zwei Tage auf See waren, schickte er ein Telegramm nach Washington, ob sich die Behörden darauf einlassen würden, wenn eins der Mitglieder der Bande aus freien Stücken alles gestehen würde. Auch wollte er wissen, auf welches Entgegenkommen er dann rechnen könnte. Er erhielt darauf eine befriedigende Antwort und schickte noch ein längeres Telegramm ab. Winter sah, wie er es schrieb, und vermutete den Zusammenhang. Talbot hatte dummerweise Abschriften seiner Telegramme zurückbehalten, und als Winter seine Kabine durchsuchte, fand er sie.«

 

Mrs. Markham schwieg.

 

»Wer sind denn die Detektive? Kennen Sie die Leute?«

 

Er nickte.

 

»Ja, der eine hat unten im Heizraum mit Bartholomew gearbeitet, der andere fährt als Passagier erster Klasse.«

 

»Sind sie hinter uns her?«

 

Er lächelte.

 

»Das kann ich nicht genau sagen. Meiner Meinung nach nicht. Talbot hat in seinen Telegrammen nicht angedeutet, daß Sie an Bord sind.«

 

»Aber das werden sie erfahren.« Sie rückte ihr Kleid zurecht. Er erhob sieb langsam, ging zu ihr und legte seine Hände auf ihre Schultern.

 

»Madonna«, sagte er ernst, »es gibt einen Ausweg für Sie. Das heißt, wenn nicht Winter –« Er sprach nicht weiter und biß sich nachdenklich auf die Lippen.

 

»Was meinen Sie?« fragte sie und sah schnell zu ihm auf.

 

»Ich meine, man kann Ihnen in keinem Fall nachweisen, daß Sie an irgendeiner unserer Unternehmungen teilgenommen haben. Dieses Diamantenhalsband in Moorford – so hieß doch wohl das Nest –«

 

Sie nickte.

 

»Auch das kann Ihnen nicht zur Last gelegt werden. Das hat Winter getan. Ich möchte nur wissen, warum. Ich nahm immer an, daß das Schmuckstück Ihnen gehörte.«

 

Sie nickte wieder.

 

»Das ist das einzig ehrlich verdiente Wertstück, das ich in meinem Leben erhalten habe«, erwiderte sie bitter. »Jemand, der mich schätzte, hat mir Petroleumaktien geschenkt. Die sind kolossal im Wert gestiegen; das Halsband ist von dem Erlös gekauft. Auf Winters Rat hin legte ich das Geld in Diamanten an.«

 

»Das war nicht klug von Ihnen. Ich sehe jetzt den Zusammenhang deutlich. Winter wollte nicht haben, daß Sie eigenes, unabhängiges Vermögen besäßen, deshalb legte er das Geld so fest, daß Sie es nicht jeden Augenblick benützen konnten. Ich habe mich für das Schicksal dieser Halskette interessiert – und ich muß sagen, daß ich zufrieden bin.«

 

Er sah sie nachdenklich an.

 

»Darf ich Ihnen etwas sagen, Madonna?« fragte er dann leise und mit sanfter Stimme.

 

Sie blickte bestürzt zu ihm auf.

 

»Nein, bitte, tun Sie es nicht.«

 

Er machte eine kleine Handbewegung und schaute sie zärtlich an.

 

»Ich liebe Sie, Madonna. Ich weiß, daß Sie das nicht hören dürfen, denn ich bin ein Mensch, der viele Verbrechen begangen hat. Aber ich verehre Sie, wie kaum ein Mann eine Frau verehren kann.«

 

Er machte eine Pause und sprach dann langsam weiter.

 

»Ich will alles tun, was in meiner Macht steht, um Sie zu beschützen, so daß Sie nicht in die Sache hineingezogen werden können, wenn diese Reise schlecht enden sollte.«

 

»Aber Winter wird das nicht zulassen«, meinte sie.

 

Der Italiener lächelte böse und zeigte seine weißen Zähne.

 

»Ich bereue nicht, daß ich Talbot beiseite geschafft habe«, fuhr er fort, als ob er Gedanken laut äußerte. »Ich kannte ihn, er war ein schlechter Charakter. Wenn ich Blut an meinen Händen habe, so auch er. Sie wissen wohl nichts davon, daß er die kleine Chinesin Hien –«

 

In dem Augenblick öffnete sich die Tür heftig, und Winter trat wütend herein.

 

»Nun, was gibt es hier?« wandte er sich ärgerlich an Tony. »Was wollen Sie?«

 

Tony lächelte.

 

»Vor allem, daß du dich mir gegenüber etwas höflicher benimmst«, sagte er leichthin. »Mach nicht ein so brummiges Gesicht.«

 

»Höflich? Du scheinst wohl nicht zu wissen, daß Fire Island dicht vor uns liegt?«

 

»Das interessiert mich wenig«, erwiderte Tony in bester Stimmung. »Bei so nebligem Wetter könnte es höchstens angenehm sein, zu erfahren, daß ein Leuchtschiff in der Nähe ist.«

 

»Riskiere nur nicht so eine Lippe mir gegenüber. Du scheinst vergessen zu haben, welche Bedeutung das Leuchtschiff für uns beide hat.«

 

Winters Benehmen hatte sich vollkommen geändert. Er hatte nicht mehr die vornehme, wohlüberlegte Aussprache, und er sah den anderen mit zusammengekniffenen Augen an. »Warum soll ich dir nicht auch mal die Meinung sagen können?« fragte Tony.

 

Er war vollkommen ruhig und stand in nachlässiger Haltung da. Jeder andere wäre getäuscht worden, aber Winter wußte genau, daß er in seinen Taschen den Handgriff des Stiletts hielt. Er selbst hatte nicht mehr die Möglichkeit, seinen Revolver zu ziehen und zwang sich deshalb zu einem Grinsen.

 

»Nun, du kannst dich amüsieren, wenn es dir so paßt. Ich wüßte nicht, warum du das nicht tun solltest.«

 

»Was hat der Kapitän gesagt?« fragte Mrs. Markham.

 

»Was glaubst du wohl? Er hat mit mir gespielt wie die Katze mit der Maus. Du hast alles bei dir, Tony, und gut verwahrt?«

 

Der Italiener nickte.

 

»Das Diamantenhalsband?«

 

Tony nickte aufs neue.

 

»Wann hast du ihm das gegeben?« fragte Winter argwöhnisch.

 

»Ach, es war gestern«, entgegnete sie.

 

Winter sah argwöhnisch von einem zum anderen.

 

»Das ist eine gemeine Lüge«, platzte er heraus.

 

»Wo ist das Halsband?«

 

Er trat einen Schritt vor.

 

»Du kannst dir alle Mühe sparen«, erklärte Stella kühl. »Das Halsband ist an einer sicheren Stelle.«

 

Winter wurde furchtbar wütend und drehte sich plötzlich nach ihr um, aber bevor er sie anrühren oder Tony sich zwischen sie werfen konnte, klopfte es schüchtern an der Tür.

 

»Wer ist da?« fragte Winter.

 

Mrs. Markham war leise an den Eingang getreten, aber er stieß sie roh zur Seite und riß die Tür auf. Cecile Cameron stand draußen, und die Blicke der beiden trafen sich einen Augenblick. Der wütende Ausdruck wich aus seinen Zügen, und ein verschmitztes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

 

»Kommen Sie doch näher, Mrs. Cameron«, sagte er höflich. Sie sah aber nur Stella an und ging auf sie zu.

 

»Nun«, fragte Winter, »was wollen Sie tun, um Ihre Schwester aus der unangenehmen Lage zu befreien?«

 

Cecile wandte sich um.

 

»Ist sie – in Gefahr?« fragte sie leise.

 

»Wir sind alle in Gefahr, sehen Sie das nicht?«

 

»Ich will tun, was in meinen Kräften steht«, erwiderte Cecile Cameron müde.

 

»Da müssen Sie sich aber verdammt Mühe geben und sich vor allem beeilen«, entgegnete Winter brutal. »Sie können Ihre Schwester nicht retten, ohne nicht auch ihren Mann aus dem Schlamassel zu ziehen.«

 

Ohne mit der Wimper zu zucken, schaute sie ihn an.

 

»Ich glaube, ich kann etwas tun. Gegen sie ist keine Anklage erhoben, und die Detektive an Bord ahnen nicht, daß sie auf dem Schiff ist.«

 

»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Winter schnell.

 

Tony hatte während der letzten Unterhaltung geschwiegen. Jetzt lächelte er.

 

»Sie hat eben Bartholomew danach gefragt. Was sie uns eben gesagt hat, ist eine Bestätigung meiner Hoffnung.«

 

»Was, deiner Hoffnung?« fragte Winter und drehte sich wütend nach dem Spanier um.

 

»Ja, ich wünsche dringend, daß Madame nicht in diese Sache hineingezogen wird, wenn die Sache vor die Polizei kommt.«

 

Winter starrte ihn an.

 

»Ach so, darum handelt es sich!« sagte er leise. »Aus diesem Grund hast du deine Schwester hier jede Nacht getroffen! Und dabei hast du doch gesagt, daß sie nur versuche, dich von diesem Leben abzubringen. Belogen hast du mich also auch. Wahrscheinlich hast du die ganze Sache so gedreht, daß mich die Polizei fassen soll, nachdem Talbot tot ist. Und Tony ist auch an diesem Verrat beteiligt.«

 

»Laß doch das blöde Geschwätz«, entgegnete Tony ruhig.

 

»Ich muß doch alle Konsequenzen tragen, wenn die Sache vor Gericht kommt, und ich glaube, diesmal wird es eine recht böse Sache werden.«

 

Winter wandte sich langsam seiner Frau zu.

 

Stella hatte den Kopf an die Schulter ihrer Schwester gelegt und die Augen geschlossen. Sie sah müde und bleich aus; schwere, schwarze Schatten lagen unter ihren Augen, aber Mr. Winter kümmerte sich nicht darum.

 

»Wenn Sie glauben, daß Sie Ihre Schwester aus dem Skandal herausschmuggeln können, und daß ich als Sündenbock ins Gefängnis wandern soll, während meine teure Gattin in New York oder England die große Dame spielt, dann habt ihr euch aber mächtig in die Finger geschnitten«, sagte er und atmete schwer. »Stella, du hast genau dieselbe Schuld wie ich oder Magda oder was für blöde Namen du dir sonst noch gegeben hast. Wenn die Sache vor Gericht kommt, kannst du dich bombensicher darauf verlassen, daß ich als Zeuge auftrete und den Leuten beweise, wie sehr du an all den Geschichten beteiligt warst, die wir in Europa ausgefressen haben –«

 

»Und dann werde ich als Zeuge auftreten und beweisen, daß das nicht der Fall ist«, entgegnete der kleine Spanier.

 

»Das hätte gerade noch gefehlt.«

 

»Warum nicht? Die Leute werden mindestens ebenso auf mich hören wie auf dich.«

 

»Nun gut.« Winter wandte sich zur Tür.

 

Im nächsten Augenblick aber packte ihn wieder helle Wut, er drehte sich um und sprang mit einem Fluch auf seine Frau los. Gerade wollte er ihr die Kehle zudrücken, als er einen intensiven Schmerz unter der linken Schulter fühlte. Er schrie laut auf und fuhr herum.

 

»Das ist eine Warnung«, erklärte Tony ruhig. »Noch einen halben Zentimeter weiter wäre es ins Herz gegangen.«

 

John Winter sah auf die lange, blitzende Klinge in der Hand des Spaniers.

 

Winter sagte nichts. Er riß die Tür auf und stürzte hinaus. Als Stella wieder auf Tony sah, hatte er nichts mehr in der Hand. Auf geheimnisvolle Weise war der Dolch verschwunden.