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Spinner sprach jetzt spanisch, er wandte sich offenbar an eine Respektsperson. John vermutete, daß er sich mit dem Polizeioffizier unterhielt, den er in der vorigen Nacht überfallen hatte.

 

»Befindet sich hier eine Höhle?«

 

»Auf der anderen Seite der Klippen werden wir eine große Höhle finden. Ich kann mich nicht darauf besinnen, daß auf dieser Seite eine liegt, und ich bin seit meiner frühesten Jugend in Vigo.«

 

»Was hat er eben, gesagt?« fragte Whiplow ungeduldig.

 

»Er sagt, daß die Höhle –« Die nächsten Worte des Kriminalbeamten gingen in dem Geräusch der Ruder unter. Das Boot entfernte sich immer weiter.

 

»Whiplow – ja, das ist der Mann. Bobby hat schon immer vermutet, daß er es sei. Aber wir konnten niemals Gewißheit darüber bekommen.« Er sprach halb zu sich selbst, und sie konnte nicht alles verstehen, was er sagte. Aber dann wandte er sich ihr wieder zu. »Sind Sie ganz sicher, daß Sie Whiplows Stimme erkannt haben?« fragte er leise.

 

»Ja – ich würde seine Stimme stets wiedererkennen.«

 

Nach einem langen Schweigen begann John wieder zu sprechen, aber er schien nur laut zu denken.

 

»Es handelt sich jetzt darum, ob sie nicht noch einmal zurückkommen, wenn sie die andere Höhle vergeblich durchsucht haben. Aber es handelt sich noch um etwas viel Wichtigeres.«

 

Sie warteten eine ganze Stunde und lauschten angestrengt. Endlich hörten sie das Geräusch der Ruder wieder, aber das Boot fuhr an dem Eingang der Höhle vorbei, nach Vigo zu.

 

Das Tageslicht dämmerte jetzt, und Penelope war sehr erschöpft.

 

John konnte sie zwar nicht sehen, doch mußte er gespürt haben, wie müde sie war, denn er befahl ihr in ziemlich scharfem Ton, sich nun hinzulegen.

 

»Wollen Sie mir immer noch nicht sagen, was das alles bedeuten soll?« bat sie ihn. »Ich bin so verwirrt – und fürchte mich auch.«

 

»Sie brauchen sich nicht im mindesten zu fürchten. Ich soll Ihnen alles sagen?« Er lachte leise vor sich hin. »Nun, ich glaube, Sie werden noch heute abend alles erfahren müssen. Auf jeden Fall werden Sie bald eingeweiht werden.«

 

Er knipste seine Taschenlampe an, um ihr den Weg in ihre Höhle zu zeigen. Mrs. Dorban stand an der Ecke der erhöhten Plattform.

 

»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte sie aufgeregt.

 

»Es ist alles in Ordnung«, antwortete John vergnügt.

 

»Ich dachte, Sie hätten draußen mit jemandem gesprochen!«

 

John gab ihr keine Antwort, bis er Penelope auf die Plattform geholfen hatte.

 

»Ja, ein Freund von Ihnen war draußen«, sagte er dann. »Aber er hat nicht mit mir gesprochen.«

 

»Ein Freund?« fragte sie schnell. »Wen meinen Sie denn?«

 

»Whiplow.«

 

Er hatte eine Laterne angezündet, und bei ihrem Licht sah er, wie sich der Ausdruck ihres Gesichtes änderte.

 

»Whiplow?« wiederholte sie fast ungläubig. »Sie lügen! Wie sollte denn der hierherkommen! Wer ist denn überhaupt dieser Mr. Whiplow?«

 

John lächelte.

 

»Ich dachte mir schon, daß Sie ihn vielleicht gar nicht kennen«, antwortete er ironisch, »aber trotzdem war er hier. Miss Pitt hat seine Stimme wiedererkannt.«

 

Cynthia erholte sich allmählich wieder.

 

»Wie lächerlich Sie sich benehmen! Natürlich kenne ich Mr. Whiplow. Er hat meinen Mann einmal besucht, als ich in London war. Aber es ist einfach absurd, zu behaupten, daß er mein Freund sei. Haben Sie ihn gesprochen?« Sie sah John argwöhnisch an.

 

»Nein, ich habe ihn nicht gesprochen. Allein die Tatsache, daß ich wieder hierher zurückgekommen bin, beweist, daß er mich überhaupt nicht gesehen hat. Aber eines Tages werde ich noch mit ihm sprechen, und ich weiß, daß dies ein sehr böser Tag für Sie sein wird, Mrs. Dorban!«

 

Die Selbstbeherrschung dieser Frau war ungewöhnlich. Sie konnte selbst in diesem kritischen Augenblick lächeln.

 

»Ach, wie romantisch!« sagte sie höhnisch. »Diese Phrase klingt, als ob sie aus einem Kriminalroman stammte!«

 

Sie zuckte die Schultern und ging in die Höhle zurück, in der ihr Mann schlief. Sie fand den Weg im Dunkeln und weckte ihn auf.

 

»Was gibt es?« fragte er leise.

 

»Whiplow ist hier.«

 

»Hier in der Höhle?«

 

»Nein, du Narr! In Vigo! Und offensichtlich sucht er uns. Wahrscheinlich war er in einem Boot, unser Freund John hat ihn gesehen.«

 

Arthur Dorban war ganz wach geworden.

 

»Was, Whiplow ist hier? Dieses Schwein! Er hat mir doch geschworen, mit dem nächsten Schiff nach Amerika zu fahren!«

 

»Für einen Mann mit deiner Vergangenheit bist du noch reichlich naiv«, erwiderte sie spöttisch. »Whiplow ist schon die ganze Zeit hinter uns her, er muß uns durch Frankreich und Spanien gefolgt sein. Und wenn du es dir überlegst, ist es doch verständlich, daß er das Nest mit den goldenen Eiern nicht so ohne weiteres im Stich läßt. Dieses verdammte Mädchen hat seine Stimme erkannt!«

 

»Du glaubst also, daß John alles weiß?«

 

»Er hat es anscheinend schon lange vermutet«, entgegnete sie kühl. »Aber solange er seine Stimme nicht auch wiedererkannt hat, haben wir eigentlich nichts zu fürchten. Wir dürfen jetzt aber keine Zeit mehr verlieren. Hast du mit Hollin gesprochen?«

 

»Ja.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Ich glaube, daß er sich leicht gefügig machen läßt, wenn wir es nur richtig anfangen. Aber hier in der Höhle können wir nichts unternehmen.«

 

Sie machte eine ungeduldige Bewegung.

 

»Hier ist doch die beste Gelegenheit dazu – worauf willst du denn noch warten?« fragte sie wild. »Ihr seid doch beide bewaffnet –«

 

»Unglücklicherweise stimmt das nicht«, unterbrach er sie. »Während Hollins Abwesenheit von dem Schiff sind die Patronen in seinen Pistolen durch Platzpatronen ersetzt worden. Er hat es erst heute nacht entdeckt. Ich habe daraufhin sofort auch meine Pistole untersucht und habe hier denselben Wechsel vorgefunden. Das Magazin ist vollkommen leer und im Lauf befindet sich nur eine leere Patronenhülse. Meine liebe Cynthia, wir haben es mit sehr klugen Leuten zu tun. Und es war sehr töricht von uns, zu glauben, wir könnten sie so leicht fangen. Als ich meine Pistole unter das Sofa steckte, hätte ich mir überlegen müssen, daß die Kabine bei der nächsten Gelegenheit genau durchsucht werden würde. Während wir in den Salon gebracht wurden, war Zeit genug dazu.«

 

Es wurde wieder Tag – das Warten war sehr langweilig. Die einzige Unterbrechung brachte die Flut.

 

Um zehn Uhr abends hörte John, der am Eingang der Höhle stand, das leise Geräusch eines Motorbootes, und bald darauf knirschte ein Kiel im Sand.

 

»Ist alles in Ordnung, John?«

 

»Ja, es ist alles gut gegangen.«

 

»Kommt schnell an Bord, wir haben eine weite Fahrt. Die ›Polyantha‹ liegt zehn Meilen weit draußen auf See. Glücklicherweise ist das Meer spiegelglatt.«

 

John ging in die Höhle zurück und rief alle zusammen.

 

Der Korb war schon gepackt, und ein paar Minuten später waren sie in dem Motorboot, das in die offene See hinaussteuerte.

 

Es war schon fast Mitternacht, als sie am Fallreep anlegten. Cynthia wurde unterwegs seekrank und war froh, wieder an Bord des großen Schiffes zu kommen. Auch Penelope freute sich‘ auf ihr schönes, weiches Bett.

 

Sie sah John nicht mehr, sie war zu müde und schlief schon lange, bevor die ›Polyantha‹ ihre Fahrt wieder aufnahm.

 

In der Nacht wurde sie durch das Heulen der Sirene aufgeweckt und schaute durch das Kabinenfenster hinaus. Das Schiff fuhr mit beträchtlich verminderter Geschwindigkeit durch eine dichte Nebelbank.

 

Als sie am nächsten Morgen erwachte, schien die Sonne hell in ihre Kabine herein. Die Uhr neben ihrem Bett zeigte halb elf, und dicht neben der Tür stand ein Tablett. Der Kaffee war schon ganz kalt und das Toastbrot trocken und unschmackhaft geworden. Sie zog schnell ihren Morgenrock an und klingelte.

 

Gleich darauf klopfte es an die Tür, und John wünschte ihr guten Morgen.