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Red Gallway war ein mit allen Wassern gewaschener Verbrecher; auf seinem Sündenregister stand mehr als ein Unternehmen, das ihn in schweren Konflikt mit den Gesetzen brachte. Er hatte Geldschränke geknackt und sich als Hochstapler versucht, er hatte seinen Opfern die Pistole vor die Nase gehalten und ihnen ihr Geld abgenommen – und er hatte eine ganze Reihe fragwürdiger Nachtlokale aufgezogen. Trotz seiner eifrigen Bemühungen verdiente er jedoch nicht allzuviel dabei, und erst als er sich dem Alkoholschmuggel zuwandte, floß ihm das große Geld in die Tasche, von dem er immer geträumt hatte. Seitdem er mit einer regelrechten Schmugglerbande zusammenarbeitete, lebte er sorgenlos und zufrieden, zudem brauchte er keine Angst vor der Polizei zu haben. Allerdings stieg ihm der Erfolg zu Kopf. Er wurde faul, schwatzhaft und streitsüchtig und – was am schlimmsten war –: Er begann Kokain zu schnupfen.

 

Angelo Verona, der außerordentlich tüchtige Personalchef der Bande, machte ihm Vorwürfe.

 

»Laß das bleiben, Red! Tony kann keine Leute brauchen, die Koks schnupfen.«

 

Über Gallways nicht gerade einnehmendes Gesicht glitt ein böses Grinsen. »Wirklich?« meinte er verächtlich.

 

Angelo nickte gewichtig und sah ihn mit seinen ernsten braunen Augen durchdringend an.

 

»Kokain hat noch keinem geholfen. Anfangs fühlt man sich zwar so groß und stark wie ein Wolkenkratzer, aber das ist schnell vorüber – dann kommt der Katzenjammer, und man möchte sich am liebsten in ein Mauseloch verkriechen. Und vor allen Dingen – wenn sie einen solchen Burschen im Polizeipräsidium nach allen Regeln der Kunst verhören, dann hält er nicht dicht!«

 

Red verkehrte zu dieser Zeit viel mit seinem Freund Mike Leeson, einem früheren Maschinisten, der sich in elenden schmutzigen Spelunken mehr zu Hause fühlte als in den eleganten Lokalen der oberen Zehntausend.

 

Er hatte es im Leben nicht weit gebracht und schaute deshalb ehrfurchtsvoll zu Red Gallway empor, der für ihn der bedeutendste aller großen Gangster war. Er verhielt sich ungefähr so, wie ein Lakai gegenüber einem Monarchen.

 

Als sie eines Tages in einer Kneipe zusammensaßen, die Reds Bande gehörte, machte Mike seinen Freund großzügig auf eine gute Gelegenheit aufmerksam. Aber Red schüttelte gelangweilt den Kopf.

 

»Aus Chinesinnen mache ich mir nichts«, sagte er. »Die Tochter von Joe Enrico zum Beispiel ist ganz wild nach mir, aber ich drehe mich nicht einmal nach ihr um.«

 

»Wie du meinst«, entgegnete Mike.

 

Er jedenfalls drehte sich bei jeder Gelegenheit nach Minn Lee um. Meistens traf er sie auf der Treppe des nicht gerade sehr sauberen Hauses, in dem sie beide wohnten. Sie war eine hübsche kleine Chinesin, graziös und schmiegsam wie eine Gerte. Besonders faszinierten ihn ihre weißen Hände, ihre großen schwarzen Augen und ihre weiche Haut. Übrigens hatte ihr Haar nicht den bläulichen Schimmer der Ostasiaten, sondern war glänzend und tiefschwarz.

 

Mike grinste sie die erste Zeit nur an, später versuchte er auch mit ihr zu sprechen. Das gelang ihm ohne Schwierigkeiten, denn sie unterhielt sich gerne. Wie er erfuhr, war sie mit einem kranken Künstler verheiratet und machte Zeichnungen für Modejournale, um Geld zu verdienen.

 

Ihre Zutraulichkeit und Offenheit verblüfften Mike; er benützte die Gelegenheit, ihr persönlich näherzukommen. Als er sie aber nach einiger Zeit einmal in ein Luxusrestaurant zum Abendessen einlud, war sie sehr erstaunt.

 

»Mein Mann ist doch krank«, protestierte sie. »Ich kann ihn doch unmöglich allein lassen.«

 

»Aber Kleine, ich sorge natürlich dafür, daß jemand bei ihm bleibt und aufpaßt …«

 

Sie schüttelte energisch den Kopf, und als er ihre Hand fassen wollte, war sie verschwunden.

 

Nach diesem Zwischenfall ging sie ihm aus dem Weg.

 

Zu Hause hatte sie kein leichtes Leben. Ihr schwerkranker Mann machte ihr Vorwürfe, wo er nur konnte. Von seiner Großzügigkeit war nicht viel übriggeblieben, seitdem er leidend war und ihn die Reue quälte.

 

Minn Lee war über sein Verhalten weder glücklich noch traurig. John Waite war ihrer Meinung nach niemals ein bedeutender Künstler gewesen – aber er war ihr Mann. Das Leben und das Schicksal hatten sie zusammengekettet, wenn auch aus einer anfänglichen Leidenschaft nicht die große Liebe geworden war. Minn Lee machte sich nichts vor – sie liebte ihren Mann nicht mehr. Trotzdem war sie entschlossen, bei ihm zu bleiben. Jetzt lag er im Sterben, der Arzt hatte es ihr klipp und klar gesagt. Es mochte noch drei oder vier Monate dauern, dann war es zu Ende.

 

Im Dachgeschoß des Hauses lag noch ein anderer Kranker, Peter Melachini, ein alter Musiker, der durchaus nicht sehr arm war, sich aber entschlossen hatte, in der traurigen Umgebung zu sterben, die viele Jahre lang sein Zuhause gewesen war. Die schwatzhafte Frau eines Mechanikers aus dem ersten Stock erzählte Minn Lee, daß der alte Peter einen mächtigen Freund habe, ein As unter den Alkoholschmugglern.

 

»Können Sie sich vorstellen, Mrs. Waite«, sagte sie, »daß er Mr. Melachini eine Villa am Meer angeboten hat, die er ihm schenken will! Aber der Alte hat es nicht angenommen. Er entgegnete, daß er hier in der Stadt sterben wolle, wo er geboren sei. Der ist nicht ganz richtig im Kopf! Stellen Sie sich doch vor – eine Villa am Meer, und alles geschenkt.«

 

Der Gangster, in seinen Kreisen ein gefürchteter Pistolenschütze, besuchte Peter Melachini ab und zu. Er war ein schlanker, geschmeidiger Mann mit einer ungewöhnlich dunklen Gesichtsfarbe; seine Anzüge saßen stets wie angegossen. Wenn er aus seinem Wagen stieg, liefen die Leute ans Fenster und drückten sich die Nasen an den schmutzigen Scheiben platt. Die ganze Gegend geriet in Aufregung. Ein wirklicher Gangster, das war eine Sensation!

 

Gewöhnlich war es so, daß ein dunkler Wagen in schneller Fahrt in die Straße einbog und vor der Haustür hielt. Drei Männer sprangen heraus; der erste ging voran, dann kam die Hauptperson selber, und der dritte folgte als Nachhut.

 

Tony Perelli, so hieß der zweifelhafte Held, ging meist direkt in Melachinis Wohnung, unterhielt sich ein wenig mit ihm und verließ ihn unter Zurücklassung einiger kleiner Geschenke.

 

Die beiden hatten früher in der gleichen Kapelle bei Cosmolino gespielt, und seither war Tony Perelli mit Peter befreundet. Außerdem stammten sie beide aus Sizilien und waren im gleichen Dorf in der Nähe Palermos geboren.

 

Auch Minn Lee traf den Gangster manchmal auf der Treppe. Er war nicht sehr groß, aber sein vornehmes Auftreten und eine gewisse Zurückhaltung und Würde imponierten ihr. Sein Gesicht war ziemlich voll, und seine dunklen Augen glänzten eigentlich ganz lustig.

 

Minn Lee sah er freundlich an, als er ihr zum erstenmal begegnete, und sie erwiderte sein Lächeln zögernd. Als er vorbeigegangen war, drehte sie sich nach ihm um, und auch er wandte den Kopf, als ob er noch einen Blick von ihr erhaschen wolle.

 

Als sie ihn später einmal an derselben Stelle traf, sprach er sie an. Er war von einer unaufdringlichen Höflichkeit, und sie mußte über seine fröhlichen Worte sogar ein wenig lächeln. Es gefiel ihr, daß er ihr keine plumpen Komplimente machte und auch sonst in keiner Weise versuchte, zudringlich zu werden.

 

Am nächsten Tag wurden Blumen und Früchte für Mrs. Waite abgegeben; auf der Begleitkarte stand in flüssigen Zügen der Name Tony Perellis.

 

»Er ist außerordentlich einflußreich«, sagte die Frau des Mechanikers, die völlig atemlos vor Aufregung und Neugier war. »Er hat eine der teuersten und kostbarsten Wohnungen in ganz Chicago, ein Landhaus und ich weiß nicht wieviel Autos. Das ist einer von den wirklich großen Alkoholschmugglern – und was der alles auf dem Kerbholz hat, geht auf keine Kuhhaut.«

 

Auch jetzt war Minn Lee durchaus nicht empört und bestürzt; es gab viele Leute, die seltsame Dinge taten, und schließlich schien ihr in ihrer einfachen Vorstellungsweise Alkoholschmuggel noch viel anständiger als manches, was sie in ihrer Umgebung hatte sehen müssen.

 

Als sie Tony Perelli zum drittenmal traf, war es bei einem Besuch, den er bei ihr machte. Ihr Mann schlief gerade, und sie fühlte sich etwas unbehaglich, als sie Perelli in das kleine Wohnzimmer führte.

 

»Er schläft? Das ist gut. Ich war eben bei Ihrem Arzt; er sagte, daß Ihr Mann ans Meer gehen müsse. Die salzhaltige Luft würde ihm guttun. Das sollte ja auch mein alter Freund Peter machen – aber der ist zu eigensinnig und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um nur hier im Haus bleiben zu können. Mrs. Waite, ich möchte nicht aufdringlich sein – aber wenn es nur eine Geldfrage ist …«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Nein, Mr. Perelli, wir können das Geld von Ihnen nicht annehmen. Auf ehrliche Weise könnten wir es doch nicht zurückzahlen.«

 

*

 

Eine Woche später starb John Waite. Sein Ende war ruhig und friedlich. Minn Lee ließ ihn beerdigen und erklärte auf der Polizeiwache, auf der sie den Todesfall meldete, warum ihr Name nicht auch Waite lautete. Sie tat alles, was geschehen mußte, verhältnismäßig gefaßt, zahlte die dringendsten Schulden und teilte seiner Mutter mit, daß er gestorben sei. Dann machte sie sich daran, Arbeit zu suchen. Eigentlich hätte das für ein junges Mädchen, das sein Examen auf der Columbia Universität bestanden und früher schon dreißig Dollar in der Woche durch Modezeichnungen verdient hatte, nicht weiter schwer sein dürfen. Aber sie wählte vorerst einen anderen Weg und schrieb an den Inhaber eines Chinesenrestaurants, in dem Kellnerinnen gesucht wurden. Aber noch bevor sie Antwort erhielt, kam Mike Leeson und machte ihr einen Vorschlag.

 

Inzwischen war auch der alte Italiener gestorben, und Tony Perelli hatte ein glänzendes Begräbnis für ihn arrangiert. Als er nach der Beerdigung am Abend in die Wohnung des Musikers kam, um sich aus dem Eigentum seines alten Freundes einige Erinnerungen mitzunehmen, erschien zur gleichen Zeit Mike in der Wohnung Minn Lees. Niemand hatte Perelli gesehen, als er das Haus betrat, denn er war zu Fuß gekommen, selbstverständlich eskortiert von seiner Leibwache. Als er an Minn Lees Tür vorüberging, blieb er einen Augenblick stehen und lauschte.

 

An diesem Abend gab es wieder einmal ziemlich viel Lärm im Haus. Im zweiten Stock übte der Pole Laski auf seinem Schlagzeug; ab und zu packte ihn der Ehrgeiz, die Weltmeisterschaft im Trommeln zu gewinnen.

 

In Minn Lees Wohnung wehrte sich die kleine Chinesin verzweifelt gegen Mike Leeson, der sie an sich zog …

 

Leeson besaß den Instinkt eines Wilden; seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß man Frauen am besten durch blindes Drauflosgehen besiegen konnte.

 

»Schatz, verlaß dich auf das, was ich dir sage! Du wirst es bestimmt nicht schlecht bei mir haben …!«

 

Sie leistete ihm energisch Widerstand und versuchte verzweifelt, sich loszureißen. Tony Perelli hörte ihre erstickten Schreie und drückte auf die Türklinke. Die Tür war nicht verschlossen, und er trat ein.

 

»Was haben Sie hier zu schaffen, Sie Strolch?«

 

Mike schäumte vor Wut über die Störung und sah Perelli mit einem haßerfüllten Blick an.

 

»Scheren Sie sich ‚raus!« Tony Perellis Stimme klang hart und kühl.

 

»Ich gehe erst, wenn es mir paßt – vor einem sizilianischen Affen reiße ich nicht aus!«

 

Leeson holte zu einem wuchtigen Schlag aus, traf Perelli aber nicht. Dann hörten die Hausbewohner ein Geräusch, als ob der musikbegeisterte Pole noch lauter auf seine Trommel schlage. Das war alles – Tony, der die rauchende Pistole schußbereit hielt, brauchte nicht zum drittenmal zu feuern. Leeson hatte genug. Eine Sekunde lang klammerte er sich noch an das Bett, dann sank er lautlos zu Boden.

 

Minn Lee sah von dem Toten zu Tony.

 

»Nehmen Sie Ihren Mantel und kommen Sie mit.«

 

Wenn Perelli etwas befahl, klang es niemals wie eine Bitte. Sie gehorchte ohne Zögern und ging mit ihm. Wegen Mike Leeson machte er sich keine Sorgen; seine Leute würden diese Sache erledigen, wie es üblich war. Es würde keinen Spektakel geben – wahrscheinlich fand später irgendein Chauffeur den Toten draußen im Schnee, und die Zeitungen brachten eine lakonische Meldung, daß wieder ein Gangster von seinesgleichen erschossen worden war. Damit war die Sache erledigt.

 

Es dauerte nicht lange, dann war Minn Lee in Tonys Wohnung heimisch geworden, und man hatte sich daran gewöhnt, sie Mrs. Perelli zu nennen.