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Als er in sein Büro kam, war das junge Mädchen im Begriff, auf dem elektrischen Kocher Tee zu bereiten.

 

»Hallo!« stutzte er. »Ich hatte Sie tatsächlich vergessen. – Sagen Sie mal«, fragte er dann eilig, »hatte Stuart denn keine Manschettenknöpfe?«

 

Sie nickte und nahm ein kleines Päckchen vom Tisch.

 

»Der Kommissar hatte vergessen, sie mitzuschicken; sie wurden gebracht, als Sie gerade fortgegangen waren.«

 

Er öffnete das Papier und fand zwei einfache, goldene Knöpfe ohne Monogramm oder Wappen.

 

Larry nahm den halben Manschettenknopf in Emaille und Brillanten aus der Tasche und untersuchte ihn sorgfältig.

 

»Was ist das?« fragte sie. »Haben Sie das in seiner –« Sie zauderte.

 

»Ja, ich habe das in seiner Hand gefunden«, sagte er kopfnickend.

 

»Sie glauben also, es ist Mord?«

 

»Ich bin absolut davon überzeugt«, sagte er ruhig. »Es wird aber ungeheuer schwierig sein, den Mord zu beweisen, und wenn sich nicht ein Wunder ereignet, wird der Schuft, der dies Verbrechen begangen hat, frei ausgehen.«

 

Er nahm die Schale aus dem Wandschrank und legte die beiden goldenen Manschettenknöpfe und den halben, den er in der Hand des Toten gefunden hatte, zu den übrigen Gegenständen.

 

Dann fiel ihm ein, daß er die kleine braune Papierrolle noch nicht näher untersucht hatte. »Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll; er hatte die Rolle in der Tasche.«

 

Er wickelte sie auseinander und legte das Papier flach auf den Tisch. Das junge Mädchen, das ihm gegenüber an der anderen Seite des Tisches stand, beugte sich vor und sah zu, wie er den ungefähr zehn Zentimeter langen und kaum halb so breiten Papierstreifen glättete.

 

»Hier ist nichts zu sehen«, sagte er und drehte es um, »und auf der anderen Seite auch nichts. Ich werde es mal morgen photographieren lassen.«

 

»Einen Augenblick, bitte«, sagte sie auf einmal, nahm ihm das Papier aus der Hand und fuhr vorsichtig mit ihren zarten Fingerspitzen über die Oberfläche.

 

Er sah, wie sie erbleichte.

 

»Ich habe es mir gedacht«, flüsterte sie, »und ich war beinah sicher, als ich die Erhabenheiten sah.«

 

»Was ist es denn?« fragte er hastig.

 

»Hier sind einige Worte in Braille geschrieben – Blindenschrift«, sagte sie und ließ ihre Fingerspitzen langsam über das Papier hin und her gleiten.

 

»Braille?« wiederholte er erstaunt.

 

Sie nickte.

 

»Ich habe es in der Blindenanstalt gelernt, aber mehrere Worte sind beschädigt, wahrscheinlich durch das Wasser. Wollen Sie bitte aufschreiben, was ich Ihnen vorbuchstabiere?«

 

Er ergriff einen Bleistift, riß ein Stück Papier von dem Block und wartete.

 

Das erste Wort ist ›gemordet‹«, begann sie, »und dann kommt ein Zwischenraum, dann das Wort ›dear‹; Lieber. Hier in Hinsicht auf das weitere Verständnis unübersetzbar. dann kommt wieder ein Zwischenraum, und jetzt das Wort ›See‹ – das ist alles.«

 

Die unheimliche Mitteilung lag zwischen ihnen auf dem Tisch, und sie starrten einander an. Welcher bedauernswerte Blinde hatte inmitten all der trüben Schatten, die aus dem Nebel um ihn herum stammelten und schnatterten, diese Botschaft gesandt? Wessen Knopf hielt der tote Mann krampfhaft in seinen erstarrten Fingern? Warum hatte man ihn ermordet?

 

Eine Tatsache stand unumstößlich fest, und Larry wußte, daß diese alle seine ferneren Handlungen beeinflussen würde.

 

»Mord«, sagte er leise, »Mord, und ich werde den Mann finden, der das getan hat, und wenn ich ihn aus der Hölle holen muß!«