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Daphne Olroyd saß in der Küche ihrer kleinen Wohnung vor ihrem Frühstück, als es an der Tür läutete. Sie öffnete und sah draußen Peter stehen.

 

»Ist das ein offizieller Gegenbesuch?« fragte sie und bat ihn einzutreten.

 

»Je nachdem – ich weiß noch nicht recht … Mir ist etwas eingefallen, was ich Sie unbedingt noch fragen wollte.«

 

Was er dann aber vorbrachte, war so offenkundig an den Haaren herbeigezogen, daß sie gleich wußte, daß der eigentliche Grund seines Morgenbesuches ein ganz anderer war.

 

Tatsächlich hatte er eine ruhelose Nacht verbracht; um vier Uhr morgens war er bereits; so nervös gewesen, daß er sich am liebsten angezogen hätte, um nachzusehen, ob es ihr auch gut ginge. Er konnte ihr doch aber jetzt nicht sagen, daß er nur deshalb gekommen war, weil er sie dauernd von irgendwelchen Gefahren umgeben sah.

 

Warum er überhaupt auf so dumme Gedanken kam, war ihm unbegreiflich. Der sonst so schlaue Peter war nicht einmal mehr imstande, seinen eigenen Gemütszustand richtig zu beurteilen.

 

»Ich habe eine Einladung zum Abendessen von … Raten Sie mal von wem«, sagte Daphne, nachdem sie ihm einen Platz angeboten hatte.

 

»Doch nicht von Miss Creed?« fragte er auf gut Glück und war verblüfft, als sie bejahte.

 

Sie nickte, ging in ihr Schlafzimmer und holte das Schreiben, das er verwundert las:

 

»Meine liebe Miss Olroyd,

 

ich würde mich gerne über verschiedene Dinge mit Ihnen unterhalten. Wären Sie so liebenswürdig, mich heute abend am Theater abzuholen? Wir könnten dann irgendwo miteinander zu Abend essen. Wir sind uns nun schon so oft begegnet, ohne daß wir richtige Bekanntschaft geschlossen hätten. Vor allem möchte ich auch einige Fragen an Sie richten, die den Tod meines armen Freundes Mr. Farmer betreffen. Vielleicht wird es Sie bei dieser Gelegenheit interessieren, auch einmal einen Blick hinter die Kulissen eines Theaters zu werfen? Bitte rufen Sie mich doch in meiner Wohnung in St. John’s Wood an.

 

Mit freundlichen Grüßen

Ihre

Ella Creed«

 

Er faltete den Brief wieder zusammen und gab ihn Daphne zurück.

 

»Werden Sie hingehen?«

 

Sie sah ihn nachdenklich an.

 

»Ich weiß noch nicht recht. Eigentlich wäre es sehr unhöflich, wenn ich ablehnte, andererseits kenne ich sie ja kaum. Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?«

 

»Ich wüßte keinen Grund, warum Sie nicht hingehen sollten«, entgegnete Peter. Dabei hatte er aber das unangenehme Gefühl, daß es besser sei, wenn sie diese unerwartete Einladung nicht annehmen würde.

 

»Ich werde es mir noch überlegen«, meinte Daphne und steckte den Brief wieder in ihre Handtasche. »Heute abend habe ich sowieso nichts vor – und eigentlich würde ich tatsächlich ganz gern einmal hinter die oft erwähnten Theaterkulissen schauen.«

 

An diesem Morgen hatten sie genügend Zeit, um zu Fuß zu Gregory Beales Haus zu gehen. Sorglos schlenderten sie durch den Park und fühlten sich ganz als zwei junge Leute, die momentan keine allzu großen Sorgen hatten.

 

»Wie wäre es denn, wenn ich Sie heute abend zum Essen einladen würde?« erkundigte er sich vorsichtig, als sie vor Mr. Beales Haus angelangt waren.

 

»Sie haben doch so viel zu tun«, erwiderte sie schnell. »Und ich möchte auch nicht, daß diese Einladungen zur Gewohnheit werden.«

 

»Es wäre die erste gute Gewohnheit, die ich jemals hatte!«

 

Sie lachte nicht, wie er erwartet hatte, und ihre Entgegnung war ziemlich zurückhaltend.

 

»Sie sollten nicht gar zu selbstsicher sein, Mr. Dewin noch nicht.«

 

Er glaubte, daß er sie durch irgendeine leichtsinnige Bemerkung beleidigt hätte, wußte aber beim besten Willen nicht, was er falsches gesagt oder getan hatte. Sie dagegen war über sich selbst verwundert, daß sie so unfreundlich zu ihm gewesen war.

 

Sie trennten sich etwas kühl, und während Peter Dewin weiterschlenderte, quälten ihn unangenehme Gedanken. Schließlich legte er sich die naheliegende Frage vor, ob er sich nicht bereits verliebt habe, brach diese nutzlosen Überlegungen aber mit einem tiefen Seufzer ab.

 

Mit dem Bus fuhr er nach Scotland Yard und ließ sich bei Oberinspektor Clarke melden. Er wurde sofort zu einem kleinen Kriegsrat zugezogen, der schon vor seiner Ankunft begonnen hatte.

 

»Kommen Sie herein, Dewin«, sagte Clarke. Der große, starke Mann mit dem grauen Schnurrbart war einer der fähigsten Männer von Scotland Yard. »Wir diskutieren gerade über die gefiederte Schlange. Vielleicht können Sie uns weiterhelfen.«

 

»Die Zusammenhänge sind mir auch noch nicht ganz klar«, erwiderte Peter prompt. »Ich kam eigentlich her, um mir bei Ihnen neue Informationen zu holen.«

 

»Hier können Sie wenig Neuigkeiten erfahren«, brummte Sweeney, ein Mitarbeiter von Clarke. »Wir sind auf einem toten Gleis festgefahren.«

 

»Worüber wollten Sie uns denn ausholen, Dewin?« fragte Clarke.

 

»Wissen Sie etwas über einen gewissen Hugg?«

 

Clarke nickte nach kurzem Nachdenken.

 

»Ich habe ihn einmal hinter schwedische Gardinen gebracht«, sagte er. »Er ist ein Einbrecher, der vor ein paar Monaten auf Bewährungsfrist entlassen wurde und sich regelmäßig bei der Polizeiwache von King’s Gross melden muß. Er hat mir das erzählt, als ich ihn vor einiger Zeit zufällig auf der Straße sah und ansprach. Was hat er denn jetzt wieder ausgefressen?«

 

»Er wollte mir nur Material für einen Artikel anbieten«, sagte Peter, »und das ist schließlich kein Verbrechen. Dann möchte ich noch gerne wissen, ob Sie mir Auskunft über die Ricks-Bande geben können?«

 

Sweeney, der sich gerade mit einem Kollegen unterhielt, schaute interessiert auf.

 

»Meinen Sie die Falschmünzerbande? Die habe ich seinerzeit ausgehoben – mit Ausnahme des Mädchens, das damals noch ein Kind war. Ist sie denn wieder in London aufgetaucht?«

 

»Sie hat doch eigentlich die Fälschungen gemacht, nicht wahr?« fragte Peter, indem er die Frage des andern überhörte. »Hatte sie denn so viel Talent?«

 

»Ja, sie war wirklich sehr geschickt«, antwortete Clarke. »Als sie zwölf Jahre alt war, erhielt sie einmal von der Chelsea-Gesellschaft eine Goldmedaille für ihre Zeichnungen.«

 

»Können Sie sich an ihren Namen erinnern?« fragte Peter.

 

Keiner wußte ihn mehr, aber er ließ sich ohne weiteres in den Akten feststellen.

 

»Sie hieß Paula.«

 

Peter bekam Herzklopfen vor Aufregung.

 

»Paula – Paula Ricks – sie hat also die Entwürfe für die falschen Banknoten gezeichnet?«

 

Clarke nickte langsam.

 

»Daran ist nicht zu zweifeln. Mag sein, daß sie keine englischen Noten gemacht hat, aber bestimmt hat sie die französischen Tausendfrancscheine gefälscht. Der Sachverständige der Bank von Frankreich erklärte damals, die Fälschungen seien ganz raffiniert ausgeführt. Es waren keine Photographien, sondern Zeichnungen, die später geätzt wurden. Wir konnten damals allerdings nicht gegen das Mädchen vorgehen, weil es noch zu jung war. Ihr Vater betrieb die Falschmünzerei geradezu als Hobby und konnte nicht mehr davon lassen. Wenn er sich nicht erschossen hätte, wäre er für immer im Zuchthaus gelandet. – Glauben Sie, daß die Zeichnungen der gefiederten Schlange von ihr stammen?«

 

Peter schüttelte entschieden den Kopf.

 

»Gegen diese Vermutung möchte ich einiges wetten.«

 

»Nanu«, rief Clarke verdrießlich, als der Reporter ihnen lässig zuwinkte und zur Tür ging. »Was sind denn das für Manieren? Nichts als Fragen stellen und dann wieder verschwinden?«

 

Peter drehte sich um.

 

»Ich habe mir nun verschiedene Meinungen über die gefiederte Schlange und den Mord angehört und mir allerlei daraus zusammengereimt. Ich verspreche Ihnen das eine, Clarke, daß Sie alles Material meiner Geschichte bekommen, bevor sie in Druck geht. Zuerst muß ich aber noch ein Schloß finden, das sich mit einem bestimmten Schlüssel öffnen läßt. Und außerdem muß ich noch wissen, wozu Joe Farmer das verdammte Wort Gucumatz gebraucht hat.«

 

Dann ging er, ohne eine Antwort abzuwarten.