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Er würde einfach angeben, daß Bronson ihn getötet habe. Das war die beste Verteidigung für ihn. Bronson, der ihn jetzt rettete und im Fall der Not sein Leben für ihn gelassen hätte, wollte er die Tat in die Schuhe schieben.

 

Das Flugzeug lag ruhig in der Luft, und der Motor arbeitete tadellos. Der Abendwind, blies, und die Maschine schaukelte von einer Seite auf die andere. Zuerst fühlte sich Eunice elend, aber sie nahm sich zusammen und gewöhnte sich allmählich an diese Bewegung.

 

Sie konnte jetzt das Meer sehen. Die Lichtgarben der Leuchttürme erschienen von links und rechts. Bristol, ein einziges Lichtermeer, kam in Sicht. Kleine Lichter waren auf dem Strom und in der Bucht zu sehen, in die er mündete.

 

Sie überflogen die nördliche Küste des Kanals von Bristol, wandten sich dann nach Westen, dem Ufer folgend, und dann plötzlich nach Süden. Das Land mit seinem Lichtgürtel blieb hinter ihnen. Zwanzig Minuten später feuerte Bronson die Signalpistole ab. Eine leuchtende grüne Kugel erschien, und sofort kam von See aus die Antwort. Digby zog die Schnallen an der Schwimmweste des Mädchens enger an und kontrollierte seine eigene.

 

»Machen Sie auch meinen Schwimmgürtel fest«, rief Bronson durch das Telefon.

 

Digby erfüllte seinen Wunsch. Er machte sich lange damit zu schaffen und band auch noch einen anderen festen Riemen daran.

 

In langem Gleitflug ging die Maschine in der Richtung des grünen Lichts nieder, das dauernd brannte. Eunice konnte nun die eleganten Umrisse der Jacht und die grünen und roten Lichter an Bord erkennen.

 

Das Flugzeug beschrieb einen Kreis und kam immer niedriger und niedriger, bis es nur noch einige Meter über dem Meeresspiegel war. Bronson brachte den Motor zum Stehen und setzte die Maschine ins Wasser. Sie waren nicht mehr als fünfzig Meter von dem wartenden Rettungsboot entfernt.

 

Plötzlich sank das Flugzeug, aber sie schwammen auf dem Wasser. Es war ein merkwürdiges, nicht unangenehmes Gefühl, denn das Wasser war ungewöhnlich warm. Sie hörte einen Schrei und wandte sich um, aber Digby faßte ihre Hand.

 

»Bleiben Sie dicht bei mir, Sie können in der Dunkelheit verlorengehen.«

 

Sie wußte, daß er nur an sich selbst dachte. Plötzlich flackerte ein Lichtschein auf, der von dem Boot ausging, das auf sie zuruderte. Sie schaute sich wieder um.

 

»Wo ist der Flugzeugführer?«

 

Bronson war nirgends zu sehen. Digby gab sich nicht die Mühe, zu antworten. Er streckte seine Hand aus und packte den Rand des Bootes. In der nächsten Minute wurde auch Eunice aus dem Wasser gezogen. Sie befanden sich in einem kleinen Kutter, der mit braunen Männern besetzt war. Zuerst dachte sie, es seien Japaner.

 

»Wo ist Bronson?« fragte sie aufs äußerste erschreckt, aber Digby erwiderte nichts. Er saß unbeweglich und vermied es, sie anzusehen. Sie hätte vor Entsetzen laut aufschreien mögen. Bronson war mit dem Flugzeug versunken. Den Riemen, mit dem Digby Bronsons Schwimmweste befestigte, hatte er an den Sitz selbst angeschnallt, und zwar so fest, daß es dem Flieger unmöglich war, sich zu befreien.

 

Digby stieg zuerst an Deck. Er wandte sich um und reichte ihr die Hand.

 

»Willkommen an Bord des ›Pealigo‹«, sagte er spöttisch.

 

Es war also doch nicht Furcht, was ihn vorhin hatte schweigen lassen. Sie konnte nur mit Abscheu auf diesen Mann blicken.

 

»Willkommen, meine kleine Braut«, sagte er noch einmal.

 

Sie wußte nun, daß der Mann,, der nicht gezögert hatte, zwei seiner Kameraden kaltblütig zu morden, kein Mitleid mit ihr haben würde.

 

Eine weißgekleidete Stewardeß näherte sich ihr und sagte etwas zu ihr in einer Sprache, die sie nicht verstand. Aber sie vermutete, daß die Frau sie in ihre Kabine führen sollte. Sie war froh, von Digbys Gesellschaft befreit zu sein, ging die Treppe hinunter durch einen mit Rosenholz getäfelten Gang und kam dann in ihre Kabine. Der Luxus, mit dem dieser Raum ausgestattet war, machte trotz allem Eindruck auf sie. Der Brasilianer mußte ein Vermögen auf die Einrichtung dieses Schiffes verschwendet haben.

 

Der Salon nahm die ganze Breite der Jacht ein. Er erhielt sein Licht durch künstlerisch verzierte Fenster. Ein großer, mit schwerer Seide bezogener Diwan stand an der einen Seite des Raumes, an der anderen eine massiv silberne Bettstelle, die mit rosenfarbigen Vorhängen drapiert war. Mit roter Seide verhangene Beleuchtungskörper erhellten den Raum.

 

Eunice war neugierig, ob noch eine andere Frau an Bord war. Sie fragte die Stewardeß, aber die verstand kein Englisch, und die paar Brocken Spanisch, die Eunice gelernt hatte, reichten nicht aus, um sich mit ihr zu unterhalten.

 

Hinter den seidenen Vorhängen entdeckte sie eine Tür, die zu einem kleinen Wohnzimmer führte, und dahinter lag ein Badezimmer.

 

Auf dem Bett waren neue Kleider und Wäsche für sie ausgebreitet. Es war an alles bis in die letzte Kleinigkeit gedacht. Sie entließ die Stewardeß und verriegelte die Tür. Dann zog sie sich um. Zum drittenmal wechselte sie ihre Kleider vollständig, seitdem sie Groats Haus am Grosvenor Square verlassen hatte.

 

Das Schiff war jetzt in Fahrt. Sie konnte das Stampfen der Maschinen deutlich wahrnehmen, auch das leise Schaukeln, das die wenig bewegte See hervorbrachte.

 

Sie war gerade fertig, als Digby Groat sich meldete.

 

»Wollen Sie nicht mit nach oben kommen zum Essen?« sagte er.

 

Er war genau wie früher, vollständig beherrscht und ruhig.

 

Sie schrak zurück und wollte die Tür wieder schließen, aber er packte sie einfach am Arm und zog sie auf den Gang hinaus. »Sie werden sich anständig betragen, während Sie an Bord sind«, sagte er rauh.

 

»Ich bin hier der Herr und habe zu befehlen, und ich wüßte nicht, warum ich jetzt noch besonders höflich zu Ihnen sein sollte.«

 

»Sie gemeiner Mensch, Sie Schuft!« rief sie in flammendem Zorn.

 

Er lachte über ihre ohnmächtige Wut. »Glauben Sie ja nicht, daß Sie frei von Strafe ausgehen, weil Sie eine Frau sind. Seien Sie vernünftig, und kommen Sie mit zum Speisezimmer.«

 

»Ich will nicht essen!«

 

»Sie gehen sofort mit mir in den Speisesalon, ob Sie essen wollen oder nicht!«

 

Außer ihnen nahm niemand an der Tafel Platz. Ein dunkler Steward bediente sie. Auch dieser Raum war aufs prächtigste ausgestattet. Das ganze Schiff war ein Palast in kleinem Maßstab, mit hängenden, prächtigen Kronleuchtern, herrlichen Blumen und Marmorkaminen.

 

Ein hervorragendes Essen wurde aufgetragen, aber Eunice dachte, sie müßte ersticken, wenn sie auch nur einen Bissen nähme.

 

»Essen Sie!« sagte Digby und begann selbst mit der Suppe.

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Wenn Sie nicht wollen«, fuhr er böse fort und kniff die Augenlider zusammen, »wenn Sie hier widerspenstig sind, meine Freundin, dann werde ich schon einen Weg finden, Sie zu zwingen. Erinnern Sie sich daran?« Er zog den verhaßten schwarzen Kasten aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. »Wenn ich Ihnen eine Spritze gebe, folgen Sie mir!«

 

Sie nahm gehorsam ihren Löffel und begann zu essen. Er beobachtete sie mit einem ironischen Lächeln.

 

Zu ihrem Erstaunen erkannte sie, daß sie hungrig war und lehnte auch die späteren Gänge nicht ab. Nur den Wein, den der Steward für sie eingegossen hatte, wollte sie nicht trinken. Digby drängte sie auch nicht dazu.

 

»Sie sind töricht, Eunice, wirklich töricht.« Er steckte sich eine Zigarre an, ohne um Erlaubnis zu fragen, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schaute sie kritisch an. »Ein wunderbares Leben erwartet Sie, wenn Sie nur vernünftig sind. Warum machen Sie sich denn Gedanken wegen eines solchen Menschen wie Steele – er ist doch ein armer Bettler, der keinen Pfennig in der Tasche hat!.«

 

»Sie vergessen, daß ich kein Geld brauche, Mr. Groat.« Wenn er Jim erwähnte, fühlte sie sich immer besonders von ihm abgestoßen. »Ich besitze das Geld und die Liegenschaften, die Sie mir stehlen konnten, aber wenn Sie erst verhaftet und im Gefängnis sind, werde ich alles wiederbekommen, was Sie jetzt im Besitz haben, einschließlich dieser Jacht, wenn sie Ihnen gehört.«

 

Er lachte über ihre Antwort. »Ich liebe Ihren klaren Verstand. Sie können mich nicht ärgern, mein Liebling. Ich freue mich, daß Sie unsere Jacht lieben, auf der wir unsere Flitterwochen verbringen werden.«

 

Sie erwiderte nichts.

 

»Wenn Sie wüßten, wie sehr ich Sie liebe –«, er lehnte sich über den Tisch, nahm ihre Hand und sah sie begehrlich an, »wenn Sie wüßten, Eunice, daß ich bereit bin, mein Leben dafür zu geben, Sie glücklich zu machen, würde Sie das nicht umstimmen können?«

 

»Nichts kann meine Gefühle gegen Sie ändern! Sie könnten sich meine Dankbarkeit nur erringen, wenn Sie das Schiff im nächsten Hafen anlegen lassen und mich zur Küste bringen.«

 

»Und was soll dann aus mir werden?« fragte er kühl. »Versuchen Sie doch einmal so vernünftig wie schön zu sein, Eunice. Ich werde mich freuen, wenn ich Sie glücklich machen kann, solange ich dazu in der Lage bin. Aber ich wünsche nicht, ins Gefängnis oder an den Galgen zu kommen.« Er zitterte, und war wütend auf sich selbst, daß er sich so schwach zeigte. Und er haßte sie, weil sie es bemerkt hatte.

 

»Wohin geht diese Fahrt?« fragte sie.

 

»Das Schiff fährt nach Südamerika. Vielleicht interessiert es Sie, daß wir einer Route folgen, die gewöhnlich nicht genommen wird. Wir werden an der Küste von Irland entlangfahren und den Weg einschlagen, den die Seeleute die westliche Linie nennen. Erst wenn wir in einer Entfernung von etwa tausend Meilen von Long Island sind, werden wir uns nach Süden wenden. Hierdurch vermeiden wir es, von den amerikanischen Schiffen gesichtet und erkannt zu werden, und wir vermeiden ebenfalls –«

 

Der Mann, der in diesem Augenblick eintrat, mußte nach Eunices Vermutung der Kapitän sein. Er trug drei goldene Reifen ums Handgelenk, aber er konnte ihr als Seemann nicht gefallen. Er war klein und hatte einen lahmen Fuß. Sein lederartiges Gesicht und sein steifes, schwarzes Haar bestärkten sie noch mehr in ihrer Ansicht, daß es ein japanisches Schiff sein müsse.

 

»Darf ich Ihnen den Kapitän vorstellen?« sagte Digby. »Es wäre gut, wenn Sie sich mit ihm etwas anfreundeten.«

 

Eunice dachte bei sich, daß die Möglichkeit, sich mit diesem Mann zu verständigen, oder gar Freundschaft mit ihm zu schließen, sehr gering sei.

 

»Haben Sie etwas Besonderes, Kapitän?« fragte Digby auf portugiesisch.

 

»Wir haben soeben eine drahtlose Botschaft bekommen. Ich dachte, es sei gut, wenn Sie sie sehen und lesen würden.«

 

»Ich habe ganz vergessen, daß wir drahtlose Telegrafie an Bord haben«, erwiderte Digby, als er die Nachricht entgegennahm.

 

›An alle Schiffe, die nach Westen und nach Süden fahren sowie nach England zurückkehren. Achten Sie auf die Jacht ›Pealigo‹. Berichten Sie drahtlos Lage und Kurs an Polizeiinspektor Rite, Scotland Yard.‹

 

Eunice verstand nicht, worüber die beiden sprachen, aber sie sah, wie Digbys Stirn sich runzelte, und vermutete, daß es eine schlechte Nachricht war. Und wenn sie für ihn schlecht war, dann war sie gut für sie.

 

Ihre Stimmung wurde besser.

 

»Eunice, ich glaube, Sie gehen jetzt besser zu Bett. Ich muß noch mit dem Kapitän sprechen.«

 

Sie erhob sich, aber nur der Kapitän stand auf.

 

»Bleiben Sie doch sitzen«, sagte Digby verächtlich. »Sie sind doch nicht hier an Bord, um Mrs. Digby Groat Aufmerksamkeiten zu erweisen.«

 

Eunice hatte die letzten Worte nicht mehr gehört, denn sie war so schnell wie möglich aus dem Speisezimmer gegangen. Sie kehrte zu ihrer Kabine zurück, schloß die Tür und wollte den Riegel vorschieben, aber zu ihrem Entsetzen sah sie, daß er während des Abendessens abgeschraubt worden war. Auch fand sie keinen Schlüssel, mit dem sie die Tür hätte abschließen können.