8

 

Es war ein großer Orang-Utan. Obwohl er gebückt ging, war er doch über sechs Fuß hoch. Mit einem bösen Blick aus seinen schwarzen Augen schaute er zu Brixan hinüber. Seine haarige Brust war hochgewölbt, seine Arme reichten bis auf den Boden und hatten den Umfang eines menschlichen Oberschenkels. Er trug dunkelblaue Drillichhosen, die mit breiten Trägern über seinen Schultern befestigt waren. »Bhag!« rief Gregory mit einer so milden Stimme, daß Brixan erstaunt aufhorchte. »Komm her!«

 

Die riesige Gestalt kam quer durch den Raum zu dem Kamin, an dem sie saßen.

 

»Das ist mein Freund, Bhag!«

 

Der große Affe streckte seine Hand aus, und einen Augenblick fühlte Brixan, wie die große weiche Samthand des Affen die seine vollkommen umschloß. Als Bhag wieder losließ, hob er sie zu seiner Nase und schnüffelte daran.

 

»Hole mir Zigarren!« sagte Penne.

 

Sofort ging der Affe zu einem kleinen Schrank, zog eine Schublade auf und brachte eine Kiste.

 

»Die nicht«, sagte Gregory. »Die kleinen!«

 

Er sprach sehr deutlich und gut betont, als ob er einem Tauben etwas klarmachen wollte. Aber Bhag nahm ohne Zögern die Kiste wieder mit und brachte eine andere dafür.

 

»Schenk mir einen Whisky Soda ein!«

 

Der Affe gehorchte und verschüttete nicht einen einzigen Tropfen. Als Gregory sagte: »Genug!« nahm er den Glasstöpsel und verschloß die Karaffe.

 

»Danke – gut so, Bhag!«

 

Ohne einen Laut zog sich der Affe wieder in seinen Raum zurück. Gregory schloß die Tür hinter ihm.

 

»Das Tier benimmt sich wie ein Mensch«, sagte Brixan noch ganz starr vor Verwunderung.

 

Sir Gregory Penne lachte leise.

 

»Der nützt mir mehr als ein menschlicher Diener. Bhag schützt mich gegen jeden Angriff.«

 

Gregorys Blicke schweiften zu dem Schwert über dem Kamin.

 

»Wo hält er sich auf?«

 

»Er hat einen eigenen Raum für sich, den er auch sauberhält. Er ißt mit den Dienern.«

 

»Alle Wetter!« sagte Brixan überwältigt, und der andere lachte wieder über das Erstaunen, das Bhag hervorgerufen hatte.

 

»Ja, er nimmt seine Mahlzeiten mit den Dienern zusammen ein. Sie fürchten ihn sehr, aber sie verehren ihn auch. Für sie ist er eine Art Dämon – wissen Sie, was passiert wäre, wenn ich ihm gesagt hätte: Dieser Mann ist mein Feind?« Dabei wies er mit seinem dicken Finger auf Brixans Brust. »Er hätte Sie in Stücke zerrissen, und Sie hätten sich nicht gegen ihn wehren können. Er kann aber auch sehr liebenswürdig sein, außerordentlich liebenswürdig.« Gregory nickte vor sich hin. »Schlau ist er auch. Jede Nacht geht er aus. Bis jetzt ist noch keine Klage über ihn gekommen. Es ist noch kein Schaf gestohlen worden, er hat niemanden erschreckt. Er streift nur durch die Wälder und hat noch niemandem etwas zuleide getan, nicht einmal einem Huhn.«

 

»Wie lange haben Sie ihn schon?«

 

»Acht oder neun Jahre«, sagte der Baron gleichgültig, indem er den Whisky trank, den ihm der Affe eingegossen hatte. »Jetzt wollen wir aber zu den Schauspielern und Schauspielerinnen nach unten gehen. Sie ist doch ein zu hübsches Mädel – vergessen Sie auch ja nicht, sie mit zum Essen zu bringen. Wie heißen Sie eigentlich?«

 

»Brixan«, sagte der andere. »Mike Brixan.«

 

Sir Gregory brummte etwas. »Ja, ich will den Namen nicht vergessen – Brixan. Ich muß ihn auch Bhag sagen, der muß das auch wissen.«

 

»Würde er mich denn wiedererkennen, wenn Sie ihm den Namen genannt haben?« fragte Brixan lächelnd.

 

»Sie wiedererkennen?« fragte der Baron verächtlich. »Er wird Sie nicht nur wiedererkennen, sondern er wird auch Ihre Spur verfolgen und Sie finden. Haben Sie nicht gesehen, wie er Witterung an seiner Hand nahm? Er hat sich Ihren Geruch gemerkt, mein Freund, und wenn ich ihm jetzt sagen würde: Geh, und bringe Brixan diese Botschaft, würde er Sie sicher finden.«

 

 

Als sie in den schönen Garten auf der Rückseite des Hauses kamen, war die erste Szene schon aufgenommen. Jack Knebworth lächelte, und das bedeutete, daß Helens Befürchtungen sich nicht erfüllt hatten. Die Aufnahmen waren tatsächlich gut gelungen.

 

»Das Mädchen ist wirklich so zart und süß wie ein Pfirsich«, sagte Jack begeistert. »Eine geborene Schauspielerin! Sie eignet sich ganz besonders für diese Rolle – es ist eigentlich zu schön, um es glauben zu können. Was wünschen Sie?« Mit diesen Worten wandte er sich an Mr. Reggie Connolly, dem wieder einmal etwas nicht paßte, wie das ja immer bei Filmschauspielern ist, die eine besondere Stellung einnehmen. Connolly war der Ansicht, daß ihm der Film nicht genügend Möglichkeiten gäbe, seine Talente zu entfalten.

 

»Mr. Knebworth«, sagte er in einem tieftraurigen Ton, »mein Anteil an diesem ganzen Film ist zu gering. Im ganzen werden nur etwa fünfzehn Meter von mir in Großaufnahme gezeigt. Sie müssen doch einsehen, daß das nicht geht. Wenn ein junger Mann eine gute Figur hat –«

 

»Sie haben überhaupt keine gute Figur«, sagte Jack kurz. »Die Mendoza hat sich hauptsächlich darüber beschwert, daß Sie in dem Film eine viel zu große Rolle spielen.«

 

Mike schaute sich um. Sir Gregory Penne war schon wieder zu Helen gegangen. Aber in ihrer Begeisterung vergaß sie den Widerwillen und Haß, den sie gegen den Mann empfand.

 

»Liebes Fräulein, ich möchte Sie noch sprechen, bevor Sie gehen«, sagte er leise.

 

Sie lächelte ihn sogar an.

 

»Sie finden mich in günstiger Stimmung, Sir Gregory.«

 

»Ich möchte Ihnen sagen, daß mir sehr leid tut, was neulich passiert ist. In Zukunft werde ich Ihre Ansicht respektieren, daß ein Mädchen nur den Mann zu küssen braucht, den sie gern mag. Habe ich nicht recht?« fragte er.

 

»Selbstverständlich haben Sie recht. Aber bitte vergessen Sie doch die ganze Geschichte, Sir Gregory.«

 

»Also, ich werde Sie nicht gegen Ihren Willen küssen, besonders wenn Sie in meinem Hause sind. Bitte, verzeihen Sie mir.«

 

»Ich will Ihnen gern verzeihen.« Sie wandte sich um und wollte gehen, aber er faßte sie am Arm.

 

»Sie kommen doch zum Abendessen?« Er wies mit dem Kopf nach Brixan, der die beiden keinen Augenblick aus den Augen gelassen hatte. »Ihr Freund hat mir versprochen, daß er Sie zu mir begleiten will.«

 

»Welcher Freund?« fragte sie und runzelte die Stirn. »Meinen Sie etwa Mr. Brixan?«

 

»Ja, den meine ich. Warum lassen Sie sich eigentlich mit derartigen Leuten ein? Ich will damit nicht sagen, daß er ein schlechter Mensch ist, im Gegenteil, ich habe ihn persönlich sogar sehr gern… Werden Sie zum Essen kommen?«

 

»Nein; ich kann nicht kommen«, sagte sie. Ihre alte Abneigung kam wieder zum Durchbruch.

 

»Mein liebes Fräulein«, sagte er ernst, »Sie können von mir alles haben. Warum zerbrechen Sie sich Ihr schönes Köpfchen, um diese blöden Filme zu spielen? Wenn Sie wollen, gründe ich Ihnen eine eigene Filmgesellschaft, und Sie sollen die besten Autos haben, die überhaupt für Geld zu haben sind.«

 

Seine Augen glühten auf, als er dies sagte, und sie schüttelte sich vor Widerwillen.

 

»Ich brauche nichts, Sir Gregory. Ich habe alles, was ich brauche«, antwortete sie kurz.

 

Sie war sehr böse auf Brixan. Wie durfte er eine Einladung für sie annehmen? Wie durfte er sich überhaupt ihren Freund nennen? Ihr Ärger über Brixan machte ihre Abneigung gegen Gregory im Augenblick geringer.

 

»Kommen Sie heute abend – lassen Sie sich von ihm begleiten«, sagte Gregory mit heiserer Stimme. »Ich möchte Sie gern heute abend bei mir haben. Verstehen Sie mich? Sie werden die Nacht bei dem alten Longvale logieren, da können Sie sich leicht frei machen.«

 

»So etwas werde ich nie tun. Ich glaube, Sie wissen selbst nicht, was Sie sagen, Sir Gregory«, entgegnete sie ihm. »Alles, was Sie mir da eben gesagt haben, beleidigt mich aufs tiefste.«

 

Sie wandte sich brüsk von ihm ab. Mike Brixan hätte sie gern angeredet, aber sie warf den Kopf in den Nacken und ging schnell an ihm vorbei. Er erschrak, als er sie ansah. Einen Augenblick dachte er nach und ahnte dann die Ursache ihres Verhaltens.

 

Als die verschiedenen Apparate alle eingepackt waren und die ganze Gesellschaft wieder in dem Autobus saß, sah Mike, daß Helen ihren Platz zwischen Jack Knebworth und dem schmollenden Connolly gewählt hatte. Er war klug genug, sich jetzt nicht in ihre Nähe zu drängen. Der Wagen wollte gerade anfahren, als Sir Gregory zu Brixan kam und auf das Trittbrett stieg.

 

»Sie sagen doch, daß Sie sie zu mir bringen würden –« begann er.

 

»Wenn ich das gesagt hätte, wäre ich betrunken gewesen«, entgegnete Mike. »Und dazu gehört mehr als ein Glas Whisky! Miss Leamington kann tun und lassen, was sie will. Sie wäre sicherlich schlecht beraten, wenn sie mit Ihnen oder einem anderen Mann allein zu Abend speisen würde.«

 

Er erwartete eine zornige Erwiderung, aber zu seinem größten Erstaunen lachte der dicke Mann nur und winkte ihm freundlich zum Abschied. Als der Wagen durch das Parktor fuhr, blickte sich Mike um und sah Gregory mit einem Mann sprechen. Bei näherem Zusehen erkannte er Foß, der aus irgendeinem Grund zurückgeblieben war.

 

Dann blickte er über die beiden Männer noch einmal auf die Fenster der Bibliothek. Dort saß der ungeheure Bhag in seinem dunklen Raum und wartete nur auf die Befehle seines Herrn, um sie ohne Vernunft und Mitleid restlos auszuführen. Mike Brixan, der doch schon durch viele Gefahren gegangen war, zitterte bei diesem Gedanken.