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Stella hatte eine Nachricht mit demselben Inhalt auf ihrem Tisch zurückgelassen. Wenn sie zu einer gewissen Stunde nicht zurückgekehrt sei, solle die Polizei den Brief lesen, der auf ihrem Schreibtisch lag. Sie hatte jedoch nicht daran gedacht, daß der Brief nicht vor dem nächsten Morgen gefunden werden konnte. Für Stella Mendoza war die Unterredung, zu der sie fuhr, äußerst wichtig, ja sie konnte ausschlaggebend für ihr ganzes späteres Leben werden. Ihre Abreise verschob sie in der Hoffnung, daß Gregory Penne sich besser auf seine Verpflichtungen ihr gegenüber besinnen würde, obgleich sie nur wenig daran glaubte, daß er seine Meinung über den äußerst wichtigen Geldpunkt ändern würde. Und das war doch für sie die Hauptsache«.

 

Aber jetzt war er wie durch ein Wunder umgestimmt, sprach mit ihr am Telefon so liebenswürdig wie möglich und lachte herzlich, als sie sagte, unter welchen Vorsichtsmaßnahmen sie zu ihm kommen wollte. Erst als sie sich dann auf den Weg machte, stiegen doch wieder bange Gefühle in ihr auf.

 

Als sie in Griff Towers ankam, empfing der Baron sie nicht in der Bibliothek, sondern in dem großen Raum, der unmittelbar darüber lag. Er war viel länger, denn er zog sich nicht nur über die Bibliothek, sondern auch über den kleinen Salon hin. Er war ganz anders ausgestattet als alle anderen Räume im Haus. Nur einmal war Stella früher in dieser »Festhalle«, wie er sie nannte, gewesen. Der große leere Raum und die Dunkelheit, die darin herrschte, hatten ihr damals schon Furcht eingejagt. Nur sehr ungern erinnerte sie sich an die Orgie, die er damals für sie hatte aufführen lassen.

 

Der große Raum war mit einem dicken, weichen, schwarzen Teppich bedeckt. Nirgends sah man Möbel, nur an den Wänden standen niedrige, breite Diwans. Die Wände waren mit Dingen geschmückt, die er im Malaiischen Archipel gesammelt hatte. Die Decke wurde von zwei Reihen scharlachroter Pfeiler getragen. Drei mit gelber Seide verhangene Laternen verbreiteten gedämpftes Licht, machten den Raum aber nicht freundlicher.

 

Penne saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem seidenbedeckten Diwan und betrachtete den Tanz eines braunen Mädchens, das sich nach den seltsamen Melodien, die drei ernst aussehende Eingeborene ihren Gitarren entlockten, bewegte. Die Musikanten saßen in einer dunklen Ecke. Gregory trug einen feuerroten Pyjama. Der starre Blick seiner gläsernen Augen und der brutale Zug um seinen Mund sagten Stella genug über seinen Zustand.

 

Sir Gregory Penne war ganz der Sklave seiner Leidenschaften. Er war als Sohn eines reichen Mannes geboren und hatte sich niemals die Erfüllung seiner Wünsche versagen müssen. Sein Vermögen war automatisch gewachsen, und als die Freuden des Lebens keinen Reiz mehr für ihn hatten und er von Genüssen übersättigt war, suchte er Zerstreuung und wandte sich verbotenen Dingen zu. Die Plünderzüge, die seine Leute von Zeit zu Zeit in den Dschungeln von Borneo unternahmen, lieferten ihm Beute an Menschen und Dingen, die aber ihren Wert für ihn verloren, sobald er sie besaß.

 

Stella hatte einst Aussicht gehabt, die Herrin von Griff Towers zu werden. Aber da sie allzu schnell seinen Wünschen erlag, hatte sie bald alle Anziehungskraft für ihn verloren. Sie war ihm so gleichgültig geworden wie der Tisch, an dem er saß.

 

Der Arzt hatte ihm gesagt, daß ihn sein vieles Trinken unter die Erde bringen würde. Aber er trank um so mehr. Im Rausch hatte er herrliche Visionen. In seinen Phantasien begehrte er dann immer ein Mädchen, das ihn haßte. Übermäßig sinnlich und im Grunde feig, dachte er niemals an die unausbleiblichen unangenehmen Folgen seiner Abenteuer. Schließlich konnte er immer wieder durch Zahlung größerer oder kleinerer Summen alle Klagen, die sich gegen ihn erhoben, zum Schweigen bringen.

 

Der Eingeborene, der Stella in den Raum geführt hatte, verschwand, und sie ließ sich auf einem großen Diwan nieder. Lange blickte sie auf Gregory, bevor er sich bemüßigt fühlte, von ihr Notiz zu nehmen. Plötzlich drehte er sich zu ihr um und schaute sie mit seinen stupiden, leeren Augen an.

 

»Nimm Platz, Stella«, sagte er mit belegter Stimme. »Setz dich hin. Kannst du auch so tanzen wie die da? Keine von euch Europäerinnen kann das. Ihr habt alle nicht die Grazie und die Geschmeidigkeit. Sieh sie dir nur an!«

 

Das tanzende Mädchen drehte sich mit rasender Geschwindigkeit. Die Schleier, in die sie gehüllt war, umgaben sie wie eine Wolke. Plötzlich sank sie bei einem scharf abgerissenen Akkord der Gitarre mit dem Gesicht nach unten auf den Teppich. Gregory sagte etwas auf Malaiisch. Das Mädchen lächelte und zeigte seine weißen Zähne. Stella kannte sie schon von früher her. Damals traten immer zwei Tanzmädchen zusammen auf. Als die eine eines Tages an Scharlach erkrankte, wurde sie schnell wegtransportiert.

 

»Setz dich hierhin!« befahl er Stella. Dabei zeigte er mit seiner Hand auf den Platz neben sich. Alle Diener waren plötzlich wie durch einen Zauber aus dem Zimmer verschwunden. Es lief ihr kalt den Rücken hinunter.

 

»Ich habe meinen Chauffeur draußen gelassen und ihm den Auftrag gegeben, sofort zur Polizei zu gehen, wenn ich in einer halben Stunde nicht wiederkomme«, sagte sie laut.

 

Er lachte nur.

 

»Stella, du hättest besser dein Kindermädchen mitbringen müssen. Was ist überhaupt mit dir los in der letzten Zeit? Kannst du denn von nichts anderem als von der Polizei schwätzen? Ich will einmal mit dir reden«, sagte er in einem sanfteren Ton.

 

»Und ich muß mit dir sprechen, Gregory. Ich bin im Begriff, Chichester zu verlassen und ich werde nicht mehr hierher zurückkehren.«

 

»Willst du damit sagen, daß du mich nicht wiedersehen willst? Das macht gar nichts. Ich habe wirklich genug von dir und werde dir keine Träne nachweinen.« – »Meine neue Gesellschaft –«

 

Er brachte sie durch einen Wink zum Schweigen.

 

»Wenn die Gründung einer neuen Filmgesellschaft mit meinem Geld erfolgen soll, so ist es besser, daß du die ganze Geschichte vergißt«, sagte er brüsk. »Ich habe erst kürzlich meinet Rechtsanwalt gesprochen – wenigstens jemand, der die Sache genau kennt. Er sagte mir, daß du dich in ebenso große Gefahr bringst und mit dem Gericht schwer in Konflikt gerätst, wenn du eine Erpressung versuchst und mir drohst, die Geschichte mit Tjarji zu verraten. Ich will dir ja Geld geben«, fuhr er fort, »nicht mein ganzes Vermögen, aber immerhin genug. Du bist doch auch keine Bettlerin, ich habe dir schon so viel. geschenkt, daß du drei Filmgesellschaften damit gründen könntest. Stella, nun höre mal zu, ich möchte gern das Mädchen haben.«

 

Sie sah ihn erstaunt an.

 

»Was für ein Mädchen?« fragte sie ahnungslos.

 

»Helen – heißt sie nicht so – Helen Leamington?«

 

»Ach, du meinst die Statistin, die mir meine Rolle weggenommen hat?« stieß sie hervor.

 

Er nickte und sah sie mit seinen schläfrigen Augen an.

 

»Ja, die meine ich. Das ist mein Typ, und die gefällt mir besser, als du mir jemals gefallen hast. Deswegen brauchst du dich aber nicht beleidigt fühlen.«

 

Sie hörte ihm sprachlos zu.

 

»Es wird sehr schwer sein, sie zu bekommen«, fuhr er fort, »das weiß ich. Ich würde sie sogar heiraten, wenn sie das haben will – sowieso Zeit, daß ich daran denke. Du bist doch eine gute Freundin von ihr –«

 

»Eine Freundin?« rief Stella höhnisch, die plötzlich ihre Stimme wiederfand. »Wie kann ich denn ihre Freundin sein, wenn sie mir meine Position genommen hat! Und wenn ich es wäre, was würde das ausmachen? Bilde dir bloß nicht ein, daß ich ein Mädchen in diese Hölle auf Erden bringen würde!«

 

Er drehte den Kopf langsam zu ihr und schaute sie mit einem kalten, bösen und drohenden Blick an.

 

»Diese Hölle auf Erden war dein Himmel! Hier hast du erst Flügel bekommen, um dich zu entwickeln – geh nicht nach London zurück, Stella. Bleib noch ein oder zwei Wochen hier. Geh doch hin, lerne mal das Mädel kennen. Du hast dazu Gelegenheit wie kein anderer. Bring sie hierher, es soll nicht zu deinem Schaden sein. Du mußt ihr erzählen, was ich für ein netter Kerl bin und welche große Aussichten sie hat. Von der Heirat brauchst du noch nichts zu sagen, aber wenn es schließlich gar nicht anders geht, kannst du auch versuchen, ob sie darauf anbeißt. Zeig ihr den Schmuck, den ich dir geschenkt habe. Du weißt doch, das große Kollier –«

 

Und so schwatzte er weiter. Ihre Bestürzung wandelte sich allmählich in maßlosen Zorn.

 

»Du Schuft!« rief sie schließlich aus. »Daß du mir zumutest, dieses Mädchen nach Griff zu bringen! Ich kann sie gewiß nicht ausstehen, aber ich würde sie auf den Knien beschwören, nicht hierher zu gehen. Du denkst, ich bin eifersüchtig?« Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sein Grinsen sah. »Da täuschst du dich aber sehr, Gregory. Ich bin eifersüchtig, weil sie meine Stelle in dem Atelier eingenommen hat, aber soweit du in Frage kommst« – sie zuckte nur verächtlich die Schultern –, »du läßt mich überhaupt ganz kalt. Ich glaube nicht, daß du jemals etwas anderes für mich bedeutet hast als eine gewisse Einnahmequelle. Was sagst du nun?«

 

Sie sprang auf und begann ihre Handschuhe anzuziehen.

 

»Da du mir ja doch nicht helfen willst, Gregory, werde ich schon einen Weg finden, dich zu zwingen, dein Versprechen zu halten. Denn du hast mir die Gründung einer Gesellschaft versprochen, Gregory. Ich glaube, das hast du vergessen?«

 

»Damals hatte ich größeres Interesse an dir«, sagte er. »Wo willst du hingehen?«

 

»Ich gehe in meine Wohnung zurück, und morgen ziehe ich in die Stadt.«

 

Er sah zuerst nach dem einen Ende des Saales, dann nach dem anderen, und schließlich faßte er sie ins Auge.

 

»Du wirst nicht heimgehen, du bleibst hier«, sagte er kurz.

 

Sie lachte.

 

»Sprachst du nicht eben davon, daß dein Chauffeur zur Polizei gehen würde? Ich werde dir etwas sagen! Im Augenblick sitzt er in meiner Küche und ißt zu Abend. Wenn du glaubst, daß er dieses Haus eher verläßt als du, dann kennst du mich nicht, Stella!«

 

Er zog langsam seinen Hausmantel an, der auf dem Diwan lag. Stella blickte ihn an, er sah schrecklich aus. Etwas Gemeines und Niederträchtiges lag in seiner Haltung. Der feuerrote Pyjama gab seinem Gesicht obendrein noch einen dämonischen Zug, und sie fühlte tiefen Ekel und Abscheu vor ihm. Er hatte ihren Blick aufgefangen, merkte, was in ihr vorging und grinste schadenfroh.

 

»Bhag ist unten«, sagte er mit Nachdruck. »Er geht nicht gerade zart mit Leuten um, das ist dir bekannt. Neulich hat er einem Mädchen Räson beigebracht, aber gleich hinterher mußte ich den Arzt rufen. Du wirst mit mir kommen, ohne daß ich nachhelfen muß, wie?«

 

Sie nickte stumm. Ihre Knie schwankten, als sie mit ihm ging. Sie hatte Bhag in seinem Käfig oft gereizt.

 

Als sie den halben Gang hinter sich hatten, schloß er eine Tür auf.

 

»Geh da hinein und bleibe dort«, sagte er. »Morgen will ich mit dir sprechen – wenn ich nüchtern bin. Augenblicklich habe ich zuviel getrunken. Vielleicht schicke ich dir noch jemand zur Gesellschaft – das weiß ich jetzt noch nicht.« Er strich über sein wirres Haar und schien tatsächlich völlig betrunken. »Ich muß erst ganz nüchtern sein, wenn ich mit dir verhandle.«

 

Die Tür fiel ins Schloß, und sie hörte, wie der Schlüssel von außen umgedreht wurde. Sie stand in einem vollkommen dunklen Raum, der ihr unbekannt war. Einen Augenblick war sie starr vor Schrecken, denn sie wußte nicht, ob sie allein war.

 

Es dauerte einige Zeit, bis sie den Schalter fand. Sie machte Licht, und eine Glühbirne leuchtete hinter einer runden Kristallschale auf. Sie stand in einem kleinen Schlafzimmer. Es war keine Bettstelle da, nur eine Matratze und ein Kissen waren in einer Ecke als Lager zurechtgemacht. Schwere Eisengitter lagen vor dem einzigen Fenster des Raumes. Außer der Tür gab es keinen anderen Ausgang. Sie drückte die Klinke nieder. Von innen war kein Schloß vorhanden, und so konnte sie nicht einmal ihren eigenen Schlüssel versuchen.

 

Langsam ging sie ans Fenster und öffnete einen Flügel, denn die Luft in dem Raum war muffig. Als sie hinausschaute, sah sie, daß das Zimmer an der Rückseite des Hauses lag. Sie blickte über einen großen Rasenplatz auf eine Baumgruppe, die sie noch im Dunkeln erkennen konnte. Die Straße lief parallel mit der Vorderfront, und seihst wenn sie noch so laut geschrien hätte, niemand auf der Straße hätte sie hören können.

 

Sie ließ sich auf einen der Stühle fallen und überdachte ihre Lage. Ihre Furcht hatte sie nun überwunden. Wenn es zu einem Kampf kommen würde, so hatte sie eine Waffe bei sich. Sie zog ihren Rock hoch und schnallte einen weichen Ledergürtel ab, den sie um die Taille gelegt hatte. Aus der Ledertasche zog sie eine Browningpistole, die wie ein Spielzeug aussah, in Wirklichkeit aber eine gefährliche Waffe war. Sie nahm einen Rahmen Patronen aus ihrer Jackentasche und steckte ihn in die Kammer. Nachdem sie sich überzeugt hatte, daß alles in Ordnung war, verbarg sie den Revolver wieder.

 

»Nun kannst du kommen, Gregory!« sagte sie laut. In dem Augenblick drehte sie sich nach dem Fenster um und stieß einen Schrei aus. Sie sah zwei starke Hände an den Eisenstangen und das schreckliche Gesicht eines Strolches. Ihre zitternde Hand suchte nach der Pistole, aber bevor sie die Waffe entsichern konnte, war das Gesicht wieder verschwunden. Obgleich sie sofort zum Fenster eilte, konnte sie nichts mehr sehen. Die Eisengitter hinderten den Ausblick.