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Mike starrte, von Schrecken ergriffen, auf den Kopf des Toten. Er schloß den Kasten wieder und bedeckte ihn scheu mit einem Tuch. Dann ging er mit Staines auf den gepflasterten Hof hinaus.

 

»Kennen Sie ihn?« fragte Staines.

 

Mike nickte.

 

»Ja. Es ist Lawley Foß, früher Dramaturg bei der Knebworth-Filmgesellschaft. Gestern abend um elf ist er zuletzt beobachtet worden. Ich selbst habe ihn um diese Zeit sprechen hören, obgleich ich ihn nicht sah. Er besuchte Griff Towers, den Wohnsitz Sir Gregory Pennes in Sussex. War eine Nachricht dabei wie sonst?« fragte er.

 

»Ja. Aber sie war ganz ungewöhnlich.«

 

Er zeigte ihm ein mit Maschine beschriebenes Stück Papier im Büro des Inspektors. Nur eine charakteristische Zeile in derselben Schrift wie früher:

 

»Dies ist der Kopf eines Verräters.«

 

Weiter nichts.

 

»Ich habe die Dorking-Polizeistation angerufen. Es war eine regnerische Nacht, und obgleich mehrere Autos dort durchgekommen sind, konnte man keine Nummer feststellen.«

 

»Ist die Annonce erschienen?.« fragte Mike.

 

Staines schüttelte den Kopf.

 

»Nein. Wir dachten gleich daran. Die Zeitungen sind sorgfältig beobachtet worden, und die Chefredakteure aller Blätter im Lande haben versprochen, uns augenblicklich zu benachrichtigen, wenn eine ähnliche Anzeige bei ihnen inseriert wird. Aber es ist keine Annonce von verdächtigem Charakter aufgegeben worden.«

 

»Ich möchte einmal verfolgen, wie sich die Sache möglicherweise zugetragen hat«, sagte Mike. »Es ist klar, daß der Mann zwischen elf Uhr abends und drei Uhr morgens ermordet wurde, und wahrscheinlich näher an elf als an drei. Denn wenn der Mörder in Sussex wohnt, muß er den Kopf nach Chobham bringen, und zwar so früh, daß er im Dunkeln dort wieder fortfährt und vor Tagesanbruch zurückkommt.«

 

Mike fuhr in seinem Wagen in rasendem Tempo nach Chichester zurück. Kurz bevor er die Stadt erreicht hatte, bog er von der Hauptstraße ab, um nach Griff Towers zu gelangen. Es war spät, als er dort ankam. Das Haus zeigte sein gewöhnliches, lebloses Gesicht. Er klingelte, aber es meldete sich niemand. Als er noch einmal läutete, rief ihn Sir Gregory aus einem der oberen Fenster an: »Wer ist dort?«

 

Er ging aus der Unterführung heraus und schaute nach oben. Sir Gregory Penne erkannte ihn nicht in der Dunkelheit und rief wieder: »Wer ist dort?«

 

Dann sagte er etwas in malaiischer Sprache.

 

»Ich bin es – Brixan. Ich muß Sie sprechen.«

 

»Was wollen Sie von mir?«

 

»Kommen Sie herunter, ich werde es Ihnen sagen.«

 

»Ich habe mich schon zur Ruhe gelegt, kommen Sie morgen früh zu mir.«

 

»Ich will Sie jetzt sprechen«, sagte Mike sehr bestimmt. »Ich habe eine Vollmacht, Ihr Haus zu durchsuchen.« In Wirklichkeit hatte er keine Vollmacht, denn er hatte um keine gebeten.

 

Sir Gregory warf das Fenster zu, und es verging eine so lange Zeit, daß Mike schon dachte, der Baron würde ihm den Zutritt verwehren. Aber er hatte sich geirrt. Als er schon lange gewartet hatte, wurde die Tür endlich geöffnet, und beim Schein der elektrischen Lampe am Eingang sah er Sir Gregory Penne in einem etwas seltsamen Aufzug.

 

Er war vollkommen angezogen und trug einen Gürtel, in dem zwei schwere Revolver steckten. Aber das fiel Mike nicht so sehr auf. Der Kopf des Mannes war vollständig verbunden, nur ein Auge war sichtbar. Sein linker Arm lag in einer Bandage, und er hinkte beim Gehen.

 

»Ich hatte einen Unfall«, sagte er trotzig.

 

»Ja, Sie sehen ein bißchen schlecht aus«, sagte Mike, als er ihn näher betrachtete.

 

»Ich möchte hier nicht mit Ihnen sprechen, kommen Sie mit nach oben«, sagte Gregory.

 

In der Bibliothek sah man die Spuren eines harten Kampfes. Ein langer Spiegel, der an der einen Wand hing, war vollständig zertrümmert, die Scherben lagen auf der Erde herum. Über dem Kamin fehlte eines der beiden Schwerter.

 

»Es ist Ihnen etwas abhanden gekommen?« fragte er. »Hängt das auch mit ihrem Unfall zusammen?«

 

Sir Gregory nickte.

 

Die Lage der zweiten Waffe kam Mike merkwürdig vor, und ohne um Erlaubnis zu fragen, nahm er sie von der Wand. Die Klinge war dunkel von Blut.

 

»Was hat das zu bedeuten?« fragte er scharf.

 

Sir Gregory schluckte.

 

»In der letzten Nacht ist ein Kerl bei mir eingebrochen«, sagte er langsam. »Ein Malaie. Er schäumte vor Eifersucht – ich hätte sein Weib gestohlen! Er griff mich an, und ich verteidigte mich natürlich.«

 

»Haben Sie denn tatsächlich seine Frau gestohlen?«

 

Der Baron zuckte die Achseln.

 

»Das ist doch völliger Unsinn. Die meisten dieser Borneo-Leute sind verrückt und werden sofort zu Amokläufern, wenn man sie reizt. Ich tat mein Bestes, um ihn zu beruhigen –«

 

Mike sah auf das blutbefleckte Schwert.

 

»Wie ich sehe«, sagte er trocken. »Und haben Sie ihn – beruhigt?«

 

»Ich habe mich selbst verteidigt. Wenn Sie das meinen – ich erwiderte seine Hiebe, so gut ich konnte. Sie werden doch nicht etwa annehmen, daß ich mich ruhig hinsetze und mich in meinem eigenen Haus ermorden lasse? Ich kann ebensogut ein Schwert führen wie der andere.«

 

»Dem Anschein nach haben Sie es gebraucht!« sagte Mike. »Was ist mit Foß geschehen?«

 

Man merkte nicht, daß diese Frage den geringsten Eindruck auf Penne machte.

 

»Von wem sprechen Sie?«

 

»Von Lawley Foß, der gestern abend in Ihrem Haus war.«

 

»Ach, Sie meinen den Dramaturgen – den habe ich seit Wochen nicht gesehen.«

 

»Sie lügen«, sagte Mike ruhig. »Er war gestern abend hier. Ich weiß das, weil ich im Zimmer nebenan war.«

 

»Ach, das waren Sie«, sagte der Baron sichtlich erleichtert. »Ja, er kam zu mir, um Geld zu leihen. Ich habe ihm fünfzig Pfund gegeben, dann ging er fort. Das ist das letzte, was ich von ihm weiß.«

 

Brixan sah wieder auf die Klinge.

 

»Sind Sie erstaunt, wenn ich Ihnen sagte, daß Foß‘ Kopf im Chobham Common aufgefunden worden ist?« fragte er.

 

Gregory sah ihn mit einem kalten, forschenden Blick an.

 

»Ich bin sehr erstaunt«, sagte er kühl. »Wenn es nötig ist, so habe ich einen Zeugen, daß Foß mein Haus verließ. Aber ich möchte nicht gerne den Namen einer Dame in diese Angelegenheit verstricken. Miss Stella Mendoza war hier und hat mit mir zu Abend gespeist, wie Sie wahrscheinlich wissen, da Sie ja im nächsten Zimmer waren. Er ging vor ihr weg.«

 

»Und er kam wieder zurück«, sagte Mike.

 

»Ich habe ihn nicht wieder gesehen«, schrie der Baron heftig. »Wenn Sie jemanden finden, der ihn nach seinem ersten Besuch noch einmal in dieses Haus kommen sah, können Sie mich verhaften. Denken Sie vielleicht, ich habe ihn getötet?«

 

Mike antwortete nicht.

 

»Oben im Turm war eine Frau. Was ist aus ihr geworden?«

 

Sir Gregory feuchtete seine Lippen an, bevor er sprechen konnte.

 

»Die einzige Frau in dem Turm war eine kranke Dienerin. Sie ist nicht mehr hier.«

 

»Das möchte ich gerne selbst sehen«, sagte Mike.

 

Eine Sekunde lang blickte Gregory nach Bhags Zelle. Dann sagte er:

 

»Gut, folgen Sie mir.«

 

Er ging in den Gang, wandte sich aber nicht zur Halle, sondern in entgegengesetzte Richtung. Zehn Schritte weiter unten hielt er an und öffnete eine Tür, die so unauffällig in der Vertäfelung angebracht war und so im Schatten zwischen den beiden Lichtern lag, die den Korridor erhellten, daß es schwer war, ihr Vorhandensein zu entdecken. Er drehte ein Licht an, und Mike sah eine lange Flucht von Stufen, die rückwärts zur Halle führten.

 

Als er dem Baron folgte, erkannte er, daß der »Turm« nur eine Illusion war. Es war nur von der Vorderseite des Hauses aus ein Turm. Sonst war es ein Anbau von zwei engen Stockwerken an den einen Flügel.

 

Sie gingen durch eine Tür, dann eine Wendeltreppe hoch und kamen zu dem Gang, auf dem Mike in der letzten Nacht den lauernden Bhag gesehen hatte.

 

»Hier ist das Zimmer«, sagte Penne und öffnete eine Tür.