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Lawley Foß hatte wieder neuen Grund, sich über das Leben zu beklagen, und er sammelte seine Streitkräfte, um sich an dieser Welt zu rächen, die ihn so ungerecht behandelte. Die erste und mächtigste seiner Bundesgenossen war Stella Mendoza. Im Salon der kleinen, schönen Villa, die Stella bezogen hatte, als sie bei der Knebworth-Filmgesellschaft eintrat, wurde ein regelrechter Kriegsrat abgehalten. Der Dritte im Bund war Mr. Reggie Connolly. Da sie alle drei denselben Gegner hatten, verbrüderten sie sich miteinander und schlossen in selbstloser Freundschaft ein Bündnis.

 

»Wir sind von Knebworth niederträchtig behandelt worden, besonders Sie, Mr. Foß. Mit Ihnen verglichen, ist mein Fall nicht von Bedeutung.«

 

»Aber wie er gegen Sie vorgegangen ist, bringt mich wirklich auf«, sagte Foß energisch. »Bedenken Sie doch, eine Künstlerin von Ihrem Rang!«

 

»Vergessen Sie nicht, was Sie alles für ihn getan haben«, sagte Stella wieder. »Und dann Reggie – hat er den nicht wie einen Hund behandelt?«

 

»Persönlich macht mir das ja nichts aus«, sagte Reggie. »Ich kann ja immer wieder in einen neuen Vertrag hineinrutschen. Mir ist es nur um Sie zu tun.«

 

»Wenn es darauf ankommt – jeder von uns kann leicht einen neuen Vertrag bekommen«, unterbrach ihn Stella etwas scharf. »Ich kann meine eigene Gesellschaft aufmachen, wenn ich will. Zwei Direktoren sind wild darauf, mich zu engagieren. Ich habe zwei Verehrer, die sich ein Vergnügen daraus machen würden, ihren letzten Penny herzugeben, um mir mein eigenes Unternehmen zu starten – mindestens würden sie eine Menge Geld aufbringen. Und Chauncey Seiler ist verrückt danach, als mein Partner zu spielen. Sie wissen doch, wie berühmt er ist! Er würde mich in den Vordergrund bringen und selbst mit einer kleineren Rolle zufrieden sein. Er ist ein reizender Mensch und der beste jugendliche Darsteller – nicht nur in England, sondern auf der ganzen Welt!«

 

Mr. Connolly räusperte sich.

 

»Die Frage ist, ob wir das Geld gleich bekommen«, sagte Foß, der die Sache von der praktischen Seite betrachtete. Aber Stella gab ihm keine bindende, direkte Antwort und schien auch durch seinen plötzlichen Eifer in dieser Richtung nicht sehr erfreut.

 

»Sollte das nicht der Fall sein, so glaube ich, daß es mir möglich sein wird, das ganze Geld aufzubringen«, sagte Foß zur Überraschung der beiden anderen. »Ich kann jetzt noch nicht sagen, von wem oder auf welche Art ich das Geld auftreibe. Aber soviel steht fest – ich kann große Summen flüssig machen, und es ist leichter, Kapital für einen bestimmten Plan aufzubringen, als für mich persönlich.«

 

»Sie glauben, das ist mit geringerem persönlichen Risiko verbunden?« meinte Connolly, der nur etwas sagen wollte, um auch an der Unterhaltung teilzunehmen.

 

Aber mit dieser Bemerkung hatte er Pech, um so mehr, als er hiermit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Foß wurde dunkelrot.. »Was zum Teufel verstehen Sie unter ›mit geringerem Risiko verbunden‹?«

 

Der arme Reggie hatte nichts Besonderes damit sagen wollen und beeilte sich, dies ohne weiteres zuzugeben. Er hatte doch nur helfen wollen und war nun verdrießlich über den Sturm, den er hervorgerufen hatte. Er war überhaupt unzufrieden, denn je weiter die Unterhaltung fortschritt, desto mehr wurde er in den Hintergrund gedrängt. Und nichts kann einen Verschwörer mehr in Wut bringen, als wenn er sieht, daß die Verschwörung ohne ihn gemacht wird. Er war überzeugt, daß er jetzt seine Persönlichkeit zur Geltung bringen müßte.

 

»Das ist alles ganz schön, Stella«, sagte er. »Aber es scheint mir fast so, als ob ich kaltgestellt werden soll. Was nun Chauncey Seiler angeht – natürlich hat er in mehr Filmen gespielt als zwei andere Darsteller zusammen, das weiß ich sehr wohl. Was Sie sonst noch alles von ihm erzählt haben, interessiert mich nicht. Ich weiß schon, Sie halten mich für einen schrecklichen Spielverderber, aber ich muß doch sagen, daß wir dem alten Jack Knebworth allerhand verdanken – denke ich wenigstens. Ihnen zuliebe habe ich meine Stellung aufs Spiel gesetzt. Ich bin auch bereit, alles zu tun, was Sinn und Vernunft hat. Aber wenn Sie Chauncey Seiler vorziehen wollen – nebenbei bemerkt, ein ganz übler Mensch – und wenn Foß mir gleich an die Kehle springt, wenn ich irgendeine Bemerkung mache, so muß ich schon sagen, daß ich mich besser nicht an der Neugründung beteilige.«

 

Die beiden hatten gar kein Interesse daran, ihn zu beruhigen, da sie so mit ihren Plänen für die Zukunft beschäftigt waren, daß sie nicht an die Gegenwart dachten. Reggie war über alle Maßen aufgebracht und verließ das Haus, noch bevor Stella überlegt hatte, daß sie besser getan hätte, ihn zurückzuhalten. Sie hätte dann Knebworth wenigstens dadurch geschädigt, daß er alle die Szenen, in denen Reggie bisher mitgespielt hatte, noch einmal aufnehmen mußte.

 

»Wir wollen uns über Connolly nicht den Kopf zerbrechen«, sagte sie. »Der Film wird sowieso eine böse Katastrophe mit der Statistin in der Hauptrolle, sie kann doch nichts.«

 

»Ich habe einen Freund in London«, erklärte Foß, nachdem das alte Thema wiederaufgenommen wurde, »der das ganze Geld aufbringen kann. Ich habe ihn gewissermaßen in der Hand. Tatsächlich – ich kann ihn sogar dazu zwingen. Heute abend noch werde ich zu ihm gehen.«

 

»Und ich will meinen Freund aufsuchen«, sagte Stella. »Wir werden das Unternehmen die Stella-Mendoza-Filmgesellschaft nennen.«

 

Lawley Foß hatte seine Bedenken dagegen. Ihm schwebte ein anderer Name vor. Schließlich war er bereit, einen Vergleich zu schließen und die Firma Foß-Mendoza- oder F.-M.- Gesellschaft zu nennen. Dieser Vorschlag wurde von Stella unter der Voraussetzung akzeptiert, daß die beiden Namen umgestellt wurden.

 

»Wer ist eigentlich Brixan?« fragte sie, als Foß aufbrechen wollte.

 

»Ein Detektiv.«

 

Sie machte große Augen.

 

»Ein Detektiv? Was tut er denn hier?«

 

Lawley Foß lächelte verächtlich.

 

»Er hat sich eine Aufgabe gestellt, die keiner seines Verstandes lösen wird. Er will nämlich den Kopfjäger ausfindig machen. Ich bin der einzige Mann auf der Welt, der ihm helfen könnte. Statt dessen«, lächelte er wieder, »helfe ich mir selbst.«

 

Mit dieser geheimnisvollen und mystischen Andeutung verließ er sie.

 

Stella Mendoza war eine ehrgeizige Frau, und wenn Ehrgeiz auf Reichtum und Ruhm gerichtet ist, müssen Gewissensskrupel zurücktreten. Um ihr Privatleben und ihren Ruf stand es nicht besser und nicht schlechter als um den tausend anderer Frauen, und ihre Vorliebe für eine luxuriöse Wohnung und teures Essen gehörte nun einmal zu ihrem Beruf. Man kann gewisse Sünden und Vergehen nicht immer einer bestimmten Klasse zuschreiben, denn die Selbsterziehung spielt eine größere Rolle. Die eine Frau würde lieber sterben als ihre Selbstachtung verlieren, die andere wiederum würde gerade das Gegenteil tun, um nicht in Elend und Not zu kommen, und würde sich über Mittel und Wege, die zu ihrem Ziele führen, keine Gedanken machen.

 

Als sich Foß verabschiedet hatte, ging sie nach oben, um sich umzuziehen. Es war noch zu früh, um den Besuch zu machen, den sie vorhatte, denn Sir Gregory wünschte keine Besuche bei Tag. Auf der einen Seite hatte er gar keine Bedenken, Bhag auf ein gefährliches und verbrecherisches Abenteuer auszuschicken, auf der anderen Seite war er bemüht, nach außen hin den guten Anstand nicht zu verletzen.

 

Sie schrieb einige Briefe und brachte sie zur Post. Als sie am Spätnachmittag mit ihrem Auto durch Chichester fuhr, sah sie, Mike Brixan in einer merkwürdigen Situation. Er stand mitten in einer großen Menschenmenge in der Nähe des Marktplatzes. Sogar ein Polizist war dort, sie sah seinen Helm. Sie war einen Augenblick versucht, auszusteigen, um ihre Neugierde zu befriedigen; aber dann änderte sie ihre Absicht. Als sie später wieder an der Stelle vorüberfuhr, war die Menge zerstreut und Mike Brixan verschwunden. Auf der Heimfahrt dachte sie darüber nach, ob der Detektiv dort wohl berufsmäßig zu tun gehabt hatte.

 

Mike war durch Chichester geschlendert und dabei auf eine große Ansammlung von Leuten gestoßen, die sich um einen Polizisten geschart hatte. Dieser bemühte sich vergeblich, sich mit einem kleinen, braunen Eingeborenen zu verständigen. Der Mann sah in seinem schlechtsitzenden, fertiggekauften Anzug furchtbar komisch aus. Auf dem Kopf trug er einen steifen Hut, der viel zu groß für ihn war. In der einen Hand hielt er ein Bündel, das mit einem hell leuchtenden, großen grünen Taschentuch zusammengeknüpft war. Unter dem Arm hatte er einen langen Gegenstand, der in Leinen eingenäht und stark verschnürt war. Mike dachte zuerst, daß er einer von Pennes malaiischen Dienern wäre, aber dann überlegte er sich, daß Sir Gregory nicht zulassen würde, daß einer seiner Leute sich in einem solchen Aufzug im Land umhertriebe.

 

Er bahnte sich einen Weg zu dem Polizisten, der ihn militärisch grüßte.

 

»Beim besten Willen kann ich den Kerl nicht verstehen«, sagte er. »Er will etwas wissen, aber ich kann nicht herausbringen, was er will. Gerade eben ist er in die Stadt gekommen.«

 

Der braune Mann wandte seine dunklen Augen auf Brixan. Er sagte etwas, was der Detektiv nicht verstand. Der Fremde hatte etwas Vornehmes in seinem Wesen, das selbst die lächerlich wirkende Kleidung nicht ganz verwischen konnte. Seine Haltung war aufrecht. Die unbeschreibliche Würde, die in seinem Benehmen lag, zog sofort Mikes Aufmerksamkeit auf sich. Plötzlich kam ihm ein guter Gedanke. Er redete den Mann auf Holländisch an. Die Augen des Eingeborenen leuchteten auf.

 

»Ja, Mynheer, ich spreche Holländisch.«

 

Mike vermutete mit Recht, daß er aus dem Malaiischen Archipel kam, wo die besseren Klassen der Eingeborenen Holländisch und Portugiesisch sprechen.

 

»Ich komme von Borneo und suche einen Mann, der Truji heißt. Er ist Engländer. Nein, Mynheer, ich will nur sein Haus sehen. Er ist ein großer Mann in meinem Lande. Wenn ich sein Haus gesehen habe, kehre ich nach Borneo zurück.«

 

Mike beobachtete ihn, als er sprach. Wenn man von der großen, langen, häßlichen Narbe absah, die von seiner Stirn bis zum Kinn reichte, hatte er ein schönes Gesicht.

 

Der Detektiv dachte sich, daß er ein neuer Diener für Gregory Penne sei, und beschrieb ihm den Weg dorthin.

 

Er beobachtete den merkwürdigen Fremden, bis er mit seinem Bündel verschwunden war.

 

»Eine seltsame Sprache«, sagte der Polizist. »Für mich war es dasselbe, als ob er Holländisch gesprochen hätte.«

 

»Für mich auch«, sagte Mike und lächelte. Dann setzte er seinen Weg zum Hotel fort.