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Lady Tynewood gehörte zu den ruhelosen, unermüdlichen Naturen, die sich nie mit ihrer Lage zufriedengeben.

 

Am dem Tag, an dem Pretoria-Smith und seine junge Frau zurückkehrten, fuhr sie ins Dorf und besuchte Mrs. Smith, die frühere Haushälterin Dr. Fordhams.

 

Die alte Frau lebte in einem hübschen Häuschen, das etwas abseits von der Straße lag. Sie saß am Fenster in der Sonne, als Lady Tynewood an die Tür klopfte.

 

Sie öffnete und machte eine höfliche Verbeugung. Alma beobachtete sie, ob sie Widerwillen oder Feindseligkeiten zeigte, aber die Frau machte einen freundlichen und offenen Eindruck. Dr. Fordham hatte sie also nicht ins Vertrauen gezogen, und sie wußte nichts, was sie gegen diese Frau einnehmen konnte.

 

Alma ging mit ihr in den gutgehaltenen Garten, der an der Rückseite des Hauses lag, und setzte sich in einen Sessel.

 

»Ich habe nur selten Besuch, Mylady.«

 

»Ich wußte gar nicht, daß Sie hier wohnen, Mrs. Smith, sonst hätte ich Sie natürlich längst besucht.«

 

Alma konnte sehr glatt und gewandt lügen, und Mrs. Smith fand nichts Außergewöhnliches darin, daß die Dame mit Dr. Fordham befreundet war. Sie wußte von seinem Leben ja überhaupt sehr wenig. Vorsichtig lenkte Lady Tynewood die Unterhaltung auf Dr. Fordham, und die alte Frau erzählte gern.

 

»Das war ein merkwürdiger Mann, sehr still und ruhig. Ich habe kaum mit ihm gesprochen. Er war ja auch meistens auf weiten Reisen.«

 

»Hatte er Verwandte?«

 

»Nein, keinen einzigen.«

 

»Wer hat denn sein Vermögen geerbt?«

 

»Er hat nicht viel hinterlassen, Mylady, und das wenige vermachte er mir auf dem Totenbett. Es waren etwa dreihundert Pfund in bar und ein paar Möbel. Das Haus; in dem er wohnte, gehörte ihm nicht. Aber Sir James war so liebenswürdig und schenkte es mir nachher.«

 

»Doktor Fordham muß ein sehr interessanter Mensch gewesen sein. Hat er auch Bücher geschrieben?«

 

»Nein. Er hat nur wenige Papiere hinterlassen; sie liegen oben auf dem Boden. Es sind Tagebücher von Reisen und andere Aufzeichnungen, dann noch einige Schriftstücke, wie zum Beispiel seine ärztlichen Diplome und so weiter.«

 

Alma war enttäuscht. Sie hatte gehofft, die alte Haushälterin würde mehr von ihm wissen und ihr Dinge erzählen können, die das geheimnisvolle Verschwinden von Sir James Tynewood aufklärten.

 

»Ich habe schon oft gedacht«, fuhr Mrs. Smith fort, »daß ich die Sachen eigentlich dem Rechtsanwalt Vance hätte schicken müssen. Ich nehme mir auch immer wieder vor, sie einzupacken und zur Post zu tragen. Es ist noch nicht so lange her, daß ich sie in einer alten Kiste gefunden habe.«

 

Alma zögerte und wollte schon fortgehen.

 

»Die Tagebücher handeln doch vermutlich nur von seinen Reisen im Ausland?«

 

»Ja, Mylady. Wollen Sie einmal einen Blick hineinwerfen?«

 

Sie entfernte sich und kam nach einiger Zeit mit einem, plüschbezogenen Kasten wieder, den sie auf den Schoß setzte und öffnete. »Sehen Sie, hier ist eins.«

 

Sie reichte Alma ein umfangreiches Notizbuch.

 

Lady Tynewood blätterte es durch und sah fremde Namen und Orte, die ihr keinen weiteren Aufschluß geben konnten.

 

»Dann sind noch die beiden medizinischen Diplome oben«, erklärte dann Mrs. Smith. »Die sind in lateinischer Sprache verfaßt.«

 

Alma schüttelte den Kopf. »Sonst ist nichts vorhanden?«

 

»Nur noch eine Fotografie. Sie ist interessant, weil der Doktor auf die Rückseite geschrieben hat, ›das einzig existierende Bild›. Ich weiß aber nicht, wen es darstellt.«

 

Die alte Frau suchte danach und fand sie schließlich.

 

Alma las zuerst die Schrift auf der Rückseite, wandte sie dann um und fuhr erschrocken zurück, als sie die Gesichtszüge erkannte. »Endlich!« sagte sie laut.

 

Es war ein Bild von Sir James Tynewood!