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Lady Tynewood kam die Treppe herunter und trat in das eichengetäfelte Speisezimmer, wo sie Mr. Javot bei der Lektüre der Sportberichte störte.

 

Er war der alte geblieben und sah so schlank und stattlich aus wie früher. Die Zeit schien keinen Einfluß auf ihn zu haben. Trotz seines französischen Namens stammte er aus einer altenglischen Familie. Seine Verwandten schwiegen ihn allerdings am liebsten tot, denn sie waren nicht besonders stolz auf ihn. Man nahm im allgemeinen an, daß er die Stelle eines Sekretärs und Rechtsbeistands bei Lady Tynewood versah, aber er benahm sich ihr gegenüber sehr frei und durchaus nicht wie ein Angestellter.

 

Lady Tynewood war eine schöne Frau, und nicht einmal das wenig schmeichelhafte Morgenlicht beeinträchtigte ihr Aussehen.

 

»Javot!« sagte sie nervös.

 

Er schaute nicht auf.

 

»Javot!!« rief sie jetzt scharf.

 

Resigniert wandte er sich zu ihr um.

 

»Warum unterbrichst du mich denn immer?« fragte er vorwurfsvoll. »Du weißt doch, daß ich es nicht leiden kann, wenn man mich beim Lesen stört.«

 

Sie hatte eine kleine Zigarette aus ihrem goldenen Etui genommen und zündete sie jetzt an.

 

»Erinnerst du dich noch an alles, was ich dir gestern abend erzählte?«

 

»Ja, ich weiß es noch ganz genau. Es hat einen Spektakel gegeben, weil der fremde Herr aus Südafrika in den Saal kam. Nachher hat ihn der Prinz hinausgewiesen.«

 

»Du hast überhaupt nicht zugehört«, erwiderte sie heftig. »Der Prinz hat ihn in der liebenswürdigsten Weise aus dem Saal gebracht. Du verwechselst wieder einmal alles. Dein Gedächtnis leidet anscheinend unter Altersschwäche! Lance Kelman ist vom Prinzen fortgeschickt worden.«

 

»Ein alberner Mensch.«

 

»Aber wir können ihn vorzüglich für unsere Zwecke brauchen«, entgegnete Alma etwas ruhiger. »Er ist halb in das Mädchen verliebt, und wenn wir ein wenig nachhelfen und ihn aufputschen, tut er, was wir wollen. Ich kann dir nicht sagen, Javot, wie ich dieses kleine Biest hasse!«

 

Er lehnte sich zurück, steckte die Hände in die Taschen seiner Breeches und lächelte.

 

»Die kleine Stedman ist ein entzückendes Ding«, sagte er nachdenklich. »Ich besinne mich noch –« Er sprach nicht weiter.

 

Mr. Javot gehörte nicht zu den mitteilsamen Naturen und sprach sich auch Alma gegenüber nicht aus. Er hatte Marjorie sofort erkannt, als er sie zum erstenmal in Tynewood wiedersah, obwohl sie sich anscheinend nicht mehr an ihn erinnern konnte.

 

»Und sie will tatsächlich diesen Südafrikaner heiraten? Am Ende ist er selbst ein roher Diamant, der nur noch ein wenig geschliffen werden muß.«

 

Alma setzte sich auf die Tischkante und baumelte mit den Beinen, während sie den Zigarettenrauch in die Luft blies.

 

»Gestern bin ich zum Schloß gegangen, aber dieser unverschämte Pförtner hat mich wieder nicht hineingelassen.«

 

»Wozu gehst du denn überhaupt noch hin? Du blamierst dich doch nur jedesmal aufs neue. Ein dutzendmal habe ich dir mindestens schon gesagt, daß du das unterlassen sollst. Warum bist du nicht mit dem zufrieden, was du hast? Warte doch deine Zeit ab. Früher oder später wird dieser Sir James einmal sterben, dann erbst du die ganze Besitzung und obendrein das berühmte Brillanthalsband der Familie.«

 

Sie antwortete nicht darauf, denn sie war mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

 

»Ich möchte eigentlich zu gern diesen Pretoria-Smith näher kennenlernen«, meinte sie nach einer Weile. »Er ist ein Mann, der viel in Afrika herumgekommen ist. Vielleicht hat er James getroffen. Er sieht übrigens gut aus, hat interessante Züge und gefällt mir gar nicht übel –«

 

»Du hast aber auch jeden Augenblick eine andere Marotte«, sagte er argwöhnisch.

 

Sie warf den Kopf zurück.

 

»Es wäre doch sehr leicht möglich, daß wir Nachricht über James von ihm bekommen könnten.«

 

»Das glaube ich nicht. Laß diesen James Tynewood in Frieden, und verhalte dich ruhig. Du hast doch ein glänzendes Einkommen, bist noch jung und kannst ein paar Jahre warten. Oder willst du mir vielleicht weismachen, daß du dir seinetwegen Sorgen machst und dich nach ihm sehnst?« fügte er ironisch hinzu. »Es kann dir doch ganz egal sein, ob er lebendig oder tot ist. Spiele bloß nicht die verliebte und verlassene Frau. Du hast ihn doch nur kurze Zeit gekannt, und er war total betrunken, als er dich heiratete.«

 

»Sei doch nicht so gemein und roh, Javot!« Sie sprang vom Tisch hinunter und warf die Zigarette fort. »Er war allerdings betrunken, als er mich heiratete, sonst hätte er diese Dummheit wahrscheinlich nicht gemacht. Wenn wir ihn nicht die Nacht vorher mit Kartenspiel unterhalten und ihm das nötige Quantum Absinth und Kognak beigebracht hätten, wäre aus der Sache nichts geworden. Du hast ihn schließlich so weit gebracht, daß er mit mir zum Standesamt in Marylebone ging. Das rechne ich, dir hoch an. Ohne deine Hilfe wäre diese Heirat wohl nie zustande gekommen, und ich säße jetzt nicht in aller Ruhe in einer so komfortablen Villa.«

 

Er strich sich über das Haar.

 

»Du hast vermutlich recht«, gab er zu. »Aber dasselbe sage ich doch auch. Laß diesen Sir James in Frieden.«

 

»Aber es ginge mir doch noch viel besser, wenn ich beweisen könnte, daß James Tynewood tot ist. Wir haben es beide früher nicht sehr glänzend gehabt und sind durch eine harte Schule gegangen. Wir wissen, wie schnell es mit Leuten zu Ende geht, die sich dem Trunk ergeben und derartig mit ihrer Gesundheit wüsten, wie es James machte. Ein heißes Klima mußte ihm eigentlich den Rest geben.«

 

»Wenn wir nur eine Fotografie von ihm hätten, die wir in Umlauf setzen könnten. Das wäre die einzige Möglichkeit, Nachrichten über ihn zu erhalten«, erwiderte Javot. »Aber es scheint kein Bild von ihm zu existieren. Ich habe schon bei allen bedeutenden Fotografen Londons nachgefragt, ob sie eine Aufnahme von ihm gemacht haben, aber überall mit negativem Erfolg.«

 

»Und doch sollte es nicht zu schwer sein, ihn aufzufinden«, entgegnete sie hartnäckig. »Er hat den kleinen Finger der linken Hand verloren, und das ist ein sicheres Kennzeichen.«

 

Er nickte.

 

»Er hat ihn sich einmal im Leichtsinn selbst abgeschossen, als er noch ein Junge war«, fuhr sie fort.

 

Javot beschäftigte sich wieder mit seiner Sportzeitung und brummte nur undeutlich ein paar Worte vor sich hin.

 

»Ich gehe jetzt aus.«

 

»Wohin?«

 

»Ich besuche meine liebe Maud Stedman«, sagte sie spöttisch und ahmte die Stimme der alten Dame nach.

 

»Wie steht es denn mit dem Geld?«

 

»Ich habe ihr geschrieben, daß ich große Rechnungen zu bezahlen hätte.«

 

»Glaubst du, daß sie zahlen kann?« fragte er plötzlich lebhaft, denn für Finanzangelegenheiten interessierte er sich stets.

 

»Sie wird schon zahlen. Ihre Tochter heiratet doch einen reichen Mann. Lance hat mir gestern abend alles haargenau erzählt. Es war eigentlich sehr dumm von mir, daß ich sie unter diesen Umständen gemahnt habe. Aber ich hatte den Brief schon in den Kasten gesteckt, bevor mir Lance sein Herz ausschüttete. Vor allem darf ich jetzt keinen schlechten Eindruck bei der Alten machen. Deshalb will ich zu ihr gehen und ihr sagen, daß ich das Geld vorläufig nicht brauche und daß sie sich deswegen keine Sorgen machen soll.«

 

Sie lachte laut auf, und auch Mr. Javot grinste vergnügt.

 

*

 

Mrs. Stedman stand auf dem Rasen und fütterte die Vögel, als Lady Tynewood in einem eleganten Straßenkostüm durch das Gartentor trat und ihren kleinen Spazierstock in der Luft wirbelte. Alma küßte die alte Dame und begrüßte sie aufs herzlichste.

 

»Ach, meine Liebste, wir müssen noch wegen des Geldes miteinander sprechen«, begann Mrs. Stedman nervös.

 

»Nein, das ist schon erledigt«, entgegnete Alma mit ihrem süßesten Lächeln. »Ich habe es so eingerichtet, daß ich meine Rechnungen bezahlen kann, ohne meine Freunde zu beunruhigen. Betrachten Sie die Sache bitte so, als ob ich den Brief gar nicht geschrieben hätte. Aber geben Sie mir eine Tasse Tee, die tut mir auch am Vormittag sehr gut.«

 

Mrs. Stedman machte ihr ein geheimnisvolles Zeichen und schaute unsicher zum Haus hinüber. Dann dämpfte sie die Stimme, obwohl sie allein auf dem Rasen stand und in einem Umkreis von fünfzig Metern kein Mensch zu sehen war.

 

»Wir können leider nicht hineingehen. Er – er ist da.«

 

»Er?« fragte Alma verwundert. »Von wem sprechen Sie denn eigentlich?«

 

»Von dem Verlobten meiner Tochter«, erklärte Mrs. Stedman naiv. »Es ist ein gewisser Smith.«

 

»Aber diesen Mann möchte ich doch gerade so gern kennenlernen«, erwiderte Alma und ging quer über den Rasen auf das Haus zu.