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Eine Woche war vergangen, in der Milton Sands alle Hände voll zu tun hatte.

 

John President war von morgens bis abends auf den Beinen und dauernd mit seinem Lieblingspferd beschäftigt.

 

Am Sonnabend vor dem Rennen in Epsom schien es so, als ob die Leute nur noch über die Aussichten der einzelnen Pferde in dem Derby sprechen würden.

 

Eric Stanton ritt mit Milton über die Ebene. Am Abend vorher hatte er John President besucht und mit ihm über Donavan gesprochen. Der alte Herr hatte unerschütterliches Zutrauen zu seinem Pferd und war so optimistisch, als ob er mindestens fünfzig Jahre jünger wäre.

 

Milton Sands war zu Gast bei Stanton, der in der Nähe einen größeren Landsitz hatte.

 

»Ich mache mir keine Sorgen darüber, daß der alte President eventuell sein Geld verlieren wird«, sagte Eric. »Einen solchen Schaden kann man leicht wieder gutmachen. Aber ich fürchte den niederschmetternden Eindruck, den eine Niederlage Donavans auf ihn machen wird. Er ist wirklich sehr alt, und er glaubt felsenfest an den Erfolg seines Pferdes. Ich weiß nicht, ob er eine Niederlage Donavans überstehen wird. Und ich habe einen ganz besonderen Grund, warum ich ihn gerade jetzt glücklich und zufrieden sehen möchte.«

 

Milton schaute ihn verständnisvoll an.

 

»Ich glaube, ich verstehe den Zusammenhang. Aber Sie müssen mir jetzt Ihr volles Vertrauen schenken. Meiner Meinung nach kommt es gar nicht darauf an, was in Epsom passiert.«

 

»Wie meinen Sie denn das?« fragte Eric erstaunt.

 

»Genauso, wie ich es sage. Sie müssen mir gestatten, daß ich nicht alle meine Geheimnisse ausplaudere. Ich bin eben ein Detektiv. Gestern traf ich Soltescu. Er war in bester Stimmung und beging die Taktlosigkeit, mich an einen Spielverlust zu erinnern, den er mir früher beibrachte. Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr sagen, aber gerade jetzt habe ich alle Hände voll zu tun. Vor allem beschäftige ich mich mit Ihrer Privatangelegenheit, und ich hoffe, bald vorwärtszukommen. Die Dinge entwickeln sich.«

 

»Haben Sie tatsächlich Hoffnung, meine Schwester zu finden?« fragte Eric schnell.

 

»Ja, ich habe sogar große Hoffnung. Es ist mir gelungen, die Spuren Ihrer Mutter und Ihrer Schwester bis zu einer Pension in einer Vorstadt Londons zu verfolgen. Dort werde ich wahrscheinlich weitere Anhaltspunkte erhalten.«

 

Eric nickte.

 

»Sie wissen nicht, wieviel das für mich bedeutet. Kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht an meine Schwester denke. Es kommt mir so vor, als ob ich sie um ihr Geld betröge. Ich lebe hier in Wohlsein und Luxus, während sie sich vielleicht mühselig durchkämpfen muß und in bitterer Armut steckt.«

 

Milton klopfte ihm auf die Schulter.

 

»Ich würde mir nicht zu große Sorgen machen«, erwiderte er freundlich. »In der nächsten Woche erleben wir allerhand Enthüllungen. Ich werde die Hauptrolle dabei spielen, und hoffentlich den Dank und den Applaus meiner Freunde ernten.«

 

Milton trennte sich von Stanton, weil er sich bei der Frau angemeldet hatte, in deren Pension Mrs. Stanton früher gewohnt hatte.

 

Madame Burford war inzwischen glückliche Besitzerin eines Privathotels in Brighton geworden, und dort suchte Milton sie auf.

 

Sie konnte sich deutlich an Mrs. Stanton erinnern und ihm viele wertvolle Einzelheiten mitteilen, die ihm bis dahin unbekannt waren, Mrs. Stanton war von Hornsey aus in eine andere Pension in Bloomsbury gezogen, die Madame Burford ihm angeben konnte, da sie sorgfältig Buch über die Adressen ihrer Mieter führte.

 

Als sie ihm den Namen und die Straße aufschrieb, sah sie ihn lächelnd an.

 

»Sie kommen aber verhältnismäßig spät, um sich zu informieren.«

 

»Wie meinen Sie das?«

 

»Sie sind schon der zweite, der sich bei mir nach Mrs. Stanton und ihrer Tochter erkundigt.«

 

»Wer hat denn vor mir nach ihnen gefragt?« sagte Milton erstaunt.

 

»Eine Dame, eine gewisse Mrs. Thompson.«

 

Milton unterdrückte einen Ausruf.

 

Warum interessierte sich plötzlich Mrs. Thompson für die Gesuchten? Aber dann fiel ihm die Belohnung ein, die Stanton ausgesetzt hatte, und er lächelte. Er mußte schnell arbeiten, wenn er nicht noch zu guter Letzt um die Früchte seiner Bemühungen kommen wollte.

 

Seine Furcht war begründet, denn Mrs. Thompson war in den letzten Tagen sehr tätig gewesen. Sie hatte sich in London erkundigt, war von da nach Bloomsbury gefahren, dann nach Balham und wieder zurück nach Bloomsbury. Und sie hatte sehr viel erfahren.

 

Sir George Frodmere erhielt daraufhin ein kurz und bündig abgefaßtes Telegramm von ihr.

 

»Komme um elf Uhr vierzehn. Schicke Auto zur Bahn. Georgina.«

 

»Was, zum Teufel, will sie denn schon wieder?« sagte er ärgerlich.

 

Es bestand kein allzu herzliches Verhältnis zwischen den Geschwistern. Sie standen sich zwar nicht feindlich gegenüber, aber Sir George hielt sich seine Schwester so fern als möglich, weil er bis zu einem gewissen Grade ihre scharfe Zunge fürchtete. Manchmal konnte er sie allerdings gut gebrauchen, aber er hatte sie noch niemals auf seinen Landsitz eingeladen.

 

»Ich kann ihr nicht mehr abschreiben«, wandte er sich an Toady. »Fahren Sie zur Bahn und holen Sie Mrs. Thompson ab. Ich muß morgen zur Stadt. Sie können sich ja mit ihr beschäftigen.«

 

Toady war durchaus nicht entzückt von dieser Aussicht und entschuldigte sich mit einer Verabredung, die er einhalten müßte.

 

»Ach, das ist nicht so wichtig«, erklärte Sir George. »Sie müssen sich um meine Schwester kümmern. Mir fällt sie sowieso immer furchtbar auf die Nerven mit ihrem dauernden Gerede und ihren Skandalgeschichten.«

 

Toady fuhr zum Bahnhof.

 

»Wir freuen uns sehr über Ihr Kommen«, begrüßte er Mrs. Thompson.

 

»Lügen Sie nicht, Toady«, sagte sie schroff. »George ist wütend, daß ich gekommen bin. Aber er muß schon zwei Tage mit mir vorlieb nehmen. Und wahrscheinlich hat die Sache für ihn große Vorteile.«

 

Sie stieg in den Wagen. Toady machte noch mehrmals den Versuch, eine Unterhaltung mit ihr zu beginnen, aber da er keinen Erfolg hatte, lehnte er sich schließlich schweigend in seinen Sitz zurück.

 

Erst als sie sich dem Herrenhaus näherten, wandte sich Mrs. Thompson plötzlich an ihren Begleiter.

 

»Wie steht es mit George? Wird er das Derby gewinnen?«

 

»Wir hoffen es alle stark«, entgegnete Toady vorsichtig.

 

»Sir George legt sein Geld nicht nur auf bloße Hoffnungen hin an«, sagte sie entschieden. »Wenn er so viel Geld wettet, dann muß er ganz besondere Sicherheiten haben. Und ich bin neugierig, warum er die Aussichten seines Pferdes so günstig beurteilt.«

 

»Das wird er Ihnen sicher erklären«, erwiderte Toady diplomatisch. Er liebte es nicht, sich von dieser entsetzlich schwatzhaften Frau ausfragen zu lassen.

 

Erleichtert atmete er auf, als der Wagen vor der Freitreppe des Hauses hielt. Sir George wartete mit düsterem Gesicht oben auf der Terrasse, und sein Willkommensgruß war ziemlich frostig.

 

»Hallo«, sagte er unfreundlich, als seine Schwester die Stufen hinaufstieg. »Warum kommst denn du hierher?«

 

»Aus Sorge um deine Zukunft und dein Wohlergehen, George«, erklärte sie kurz.

 

Er führte sie in die Bibliothek. Sie nahm eine Zigarette aus dem Etui, das auf dem Schreibtisch lag, und zündete sie an.

 

»Sie brauchen nicht hier zu warten, Toady«, sagte sie dann barsch.

 

Wilton ging fort und verwünschte sie wegen ihrer Unhöflichkeit.

 

Als die beiden allein waren, drehte sich Sir George um. Er hatte bis jetzt zum Fenster hinausgesehen.

 

»Nun, Georgina, was führt dich hierher?«

 

»Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, daß du heiratest.« Sie ging direkt auf ihr Ziel los.

 

»Wie kommst du denn plötzlich zu dieser Überzeugung?« fragte er ironisch, aber doch etwas erstaunt.

 

»Eine reiche Heirat könnte dich aus deiner unangenehmen Situation befreien. Ich weiß alles über dich und deine Unternehmungen. Du schwebst ständig in Gefahr, mit dem Gericht in Konflikt zu kommen.«

 

»Willst du mir hier etwa Religionsunterricht geben?«

 

»Nein, das weißt du selbst sehr gut«, entgegnete sie kühl. »Ich bin hergekommen, um geschäftlich mit dir zu sprechen. Und glaube mir, Ehrlichkeit macht sich immer bezahlt.«

 

»Inwiefern soll ich denn meine Ehrlichkeit betätigen?’« fragte er lächelnd.

 

»Du sollst eine vorteilhafte Ehe schließen. Ich kenne eine Dame mit einer halben Million Vermögen. Was sagst du dazu?«

 

»Das kommt mir allerdings sehr komisch vor. Ich bin doch nicht mehr der Jüngste. Aber wo und wie hast du denn diese sagenhafte Dame gefunden? Ich muß gestehen, daß ich seit den letzten zwanzig Jahren erfolglos nach ihr gesucht habe. Ich bin durchaus kein Verächter des schönen Geschlechtes, aber Damen mit großem Vermögen waren nie sehr huldreich zu mir.«

 

Sie setzte sich auf eine Ecke des Diwans.

 

»Ich will dir also meinen Vorschlag machen. Ich habe eine Dame entdeckt, die du wahrscheinlich sofort heiraten kannst. Sie lebt augenblicklich in ärmlichen Verhältnissen, und du brauchst nur nett, liebevoll und ritterlich zu ihr zu sein. Sicher wird sie dich nehmen, da sie nicht von Adel ist. Und dann heiratest du sie einfach.«

 

Er kniff die Augenlider zusammen und sah sie forschend an.

 

»Welchen Vorteil hast du denn davon?« fragte er ruhig.

 

»Ich bekomme zehn Prozent von ihrem Vermögen als Provision«, erwiderte sie geschäftstüchtig. »Wahrscheinlich wirst du nicht gleich über das ganze Vermögen verfügen können, aber vielleicht bist du ein Jahr nach der Heirat in der Lage, mir meinen Anteil auszuzahlen. Sie weiß augenblicklich noch nicht, was für eine große Erbschaft sie machen wird, und du hast Zeit, dich um ihre Gunst zu bewerben, so daß sie dir später willig die Verwaltung ihrer Geldangelegenheiten übertragen wird.«

 

»Ich verstehe. Wer ist denn die Dame?«

 

Mrs. Thompson sah ihn belustigt an.

 

»Glaubst du auch nur einen Augenblick, daß ich dir das jetzt sagen würde? Mein lieber George, für wie einfältig hältst du mich denn? Nein, zuerst müssen wir einen schriftlichen Vertrag machen zwischen George Mortimer Maxwell Frodmere einerseits und Georgina Heloise Gordon Thompson andererseits. Der Vertrag muß in vollkommen einwandfreier juristischer Form aufgesetzt, gestempelt, gesiegelt und mit allen Sicherungen versehen sein, die mein Rechtsanwalt nur ausfindig machen kann. Vorher unternehme ich auch nicht einen Schritt weiter in der Sache.«

 

Sir George blieb eine Weile ruhig am Schreibtisch stehen und betrachtete seine Schwester.

 

»Die Idee ist im Grunde nicht schlecht«, sagte er dann liebenswürdig, ganz im Gegensatz zu seiner früheren Haltung. »Bis jetzt habe ich allerdings kein Glück gehabt mit meinen Heiratsangelegenheiten.«

 

»Du bist doch nicht etwa schon heimlich verheiratet?« fragte sie schnell.

 

Er schüttelte lächelnd den Kopf.

 

»Nein, ich meine nur, meine nutzlosen Bemühungen, mich günstig zu verheiraten, sind alle fehlgeschlagen. Aber ich halte deinen Plan für absolut durchführbar und gut. Wir wollen auch sofort an die Ausführung gehen. Mein Rechtsanwalt soliden Vertrag gleich aufsetzen. Ich werde ihn telegrafisch herrufen.«

 

»Dann telegrafiere auch sofort an den meinen.«

 

»Das ist doch nicht notwendig.«

 

»Das ist wichtiger als alles andere, wenn ich mit dir verhandle. Ich bin. vorsichtig geworden, denn ich kenne dich.«

 

*

 

Sir George Frodmere reiste am nächsten Morgen nicht nach London, wie er ursprünglich beabsichtigt hatte. An seiner Stelle fuhr Toady Wilton, der über den Stimmungswechsel seines Freundes angenehm überrascht war. In der. letzten Zeit war so viel Geld auf Donavan gewettet worden, daß Portonius etwas ins Hintertreffen geriet, und diese Chance wollte sich Toady nicht entgehen lassen. Er suchte seine letzten Geldreserven zusammen, um sie auf Portonius zu setzen, und er war mit sich und seiner Lage augenblicklich sehr zufrieden. In der letzten Zeit hatte Portonius sehr gute Fortschritte gemacht und mußte das Rennen unweigerlich gewinnen. Das Pferd war noch nie in so guter Form gewesen. Die Gefahr, daß der Klimawechsel ihm schaden könnte, war glücklich vorübergegangen. Die für dieses Derby gemeldeten Dreijährigen waren nicht gerade besonders hervorragend, so daß sich schon dadurch die Aussichten Sir Georges verbesserten.

 

Toady fuhr direkt von der Bahn zu dem Büro seines Wettagenten. Der junge Mann saß hinter seinem Schreibtisch und sah keineswegs wie ein Buchmacher aus. Er war unauffällig gekleidet, hatte vornehme Gesichtszüge, trug nicht den geringsten Schmuck und unterschied sich auch sonst vorteilhaft von seinen Kollegen. Man hätte eher annehmen können, daß man sich in dem Büro eines Bankdirektors befände.

 

»Wie geht es mit Ihrem Pferd?« fragte er, als er seinem Besucher eine Zigarette anbot.

 

»Großartig«, entgegnete Toady. »Aber es ist merkwürdig, daß so viel Geld auf Donavan gesetzt wird.«

 

Mr. Gursley nickte.

 

»Sie wissen wahrscheinlich, daß jemand gegen Sie setzt? Sie können soviel Geld eins zu sechs auf Portonius setzen, wie Sie wollen. Gestern wurden mir noch Wetten angeboten mit sechstausend zu eintausend oder dreißigtausend zu fünftausend. Ich hätte abschließen können, wenn ich gewollt hätte.«

 

»Wer hat Ihnen denn das angeboten?« fragte Toady eifrig. »Ist der Mann auch sicher? Hat er genügend Deckung?«

 

»Da können Sie vollkommen beruhigt sein. Er hat das Angebot nicht von sich aus gemacht, er handelt im Auftrag eines anderen. Sie können die Wette heute noch abschließen, wenn Ihnen etwas daran liegt.«

 

Er nahm den Hörer vom Telefon und rief eine Nummer in der Jermyn Street an.

 

»Sie haben mir gestern dreißigtausend zu fünf auf Portonius für das Derby angeboten. Halten Sie Ihr Angebot noch aufrecht?«

 

»Selbstverständlich.«

 

Gursley sah Wilton bedeutungsvoll an.

 

»Wollen Sie die Wette abschließen?«

 

Toady nickte.

 

»Gut, dreißigtausend zu fünf auf Portonius. Die Sache ist abgemacht.«

 

Der Buchmacher legte den Hörer wieder auf.

 

»Sie wissen, daß Sie und Ihre Freunde sich sehr stark für Portonius engagiert haben?«

 

»Wieviel müßten wir zahlen, wenn wir verlören?«

 

»Etwa zwanzigtausend Pfund. Und bis jetzt habe ich erst zehntausend von Ihnen in der Hand.«

 

Toady lächelte.

 

»Ist es nötig oder gesetzliche Bestimmung, daß man das Geld für Wetten vor dem Rennen einzahlt?«

 

»Nein, das Gesetz schreibt es nicht vor. Aber es ist äußerst notwendig, bevor ich weitere Schritte unternehme. Selbst jetzt kann ich die eben telefonisch verabredete Wette erst dann schriftlich bestätigen, wenn Sie mir die betreffende Summe einzahlen. Wenn man mit so großen Beträgen arbeitet, kann man nicht vorsichtig genug sein. Ich weiß, es ist gegen die Gewohnheit, aber ich habe Ihnen das ja gleich zu Anfang unserer Geschäftsverbindung gesagt. Sie müssen das Geld bis morgen früh auf mein Bankkonto überweisen.«

 

»Wird erledigt«, erklärte Toady.

 

Soltescu war in London und konnte ihm das Geld leicht beschaffen.

 

Wilton fuhr sofort zu dem Hotel des Rumänen und traf ihn auch an. Soltescu war in bester Stimmung und Toady hatte in einer Viertelstunde alles erreicht, was er wollte.