11. Kapitel

 

Kato

 

Mr. Newton hatte den Grundsatz, eine Räuberei auf möglichst höfliche Weise auszuführen, um vollen Erfolg zu haben. Nur einmal in seinem Leben wich er hiervon ab, und ließ sich zu einer unbesonnenen Gewalttat verleiten. Aber die Erinnerung an den Japaner Kato ging noch jahrelang wie ein furchtbares Schreckgespenst durch seine Träume.

 

Der Einbruch war von Anfang an ein böser Irrtum gewesen, und Anthony hätte beinahe in jungen Jahren weiße Haare bekommen. Sollte er jemals seine Autobiographie schreiben, so würde er wahrscheinlich Mr. Poltue und seinen großen Smaragden vollkommen unerwähnt lassen; auch von Kato, der seinen Herrn so bitter haßte, würde er nichts sagen.

 

Die Geschichte beginnt damit, daß an einem Frühlingsmorgen zwei Herren an der Rotten Row Promenade im Hyde Park saßen und die eleganten Leute an sich vorüberziehen ließen. Sie waren beide tadellos gekleidet und gehörten anscheinend zu der Klasse jener vornehmen Müßiggänger, die man jeden Morgen im Hyde Park antreffen kann. Ihr einziges Interesse schien darin zu bestehen, die Menschen zu beobachten.

 

Sie hatten ihre Stühle von den anderen so weit abgerückt, daß sie sich ungestört unterhalten konnten und nicht fürchten mußten, daß andere Leute ihr Gespräch belauschten.

 

Anthony Newton klemmte ein Monokel ins Auge, was sonst nicht seine Gewohnheit war, rückte den Zylinder etwas tiefer ins Gesicht und legte dann ein Bein über das andere. Weder er noch sein Begleiter machten den Eindruck von Briganten.

 

»Dort kommt unser Mann, Bill«, sagte Anthony und zeigte mit dem Kopf leicht nach der Richtung, wo ein großer, stattlicher Herr langsam vorbeiritt. »Das ist der ungeheuer reiche Millionär Poltue, der aus Japan zurückgekommen ist.«

 

»Ich wußte gleich, als ich ihn sah, daß er ein großes Vermögen haben muß«, erklärte Bill. »Er sieht nämlich so verflucht uninteressant und dumm aus.«

 

Anthony nickte.

 

»Mein Plan gegen ihn wird sich ausführen lassen«, meinte er. »Ich habe ein künstlerisches Empfinden und kann einen fetten Millionär nicht auf einem schönen Araberhengst sehen, ohne daß sich meine bösen Instinkte regen. Damit sich aber dein Gewissen nicht wieder meldet, will ich dir von vornherein sagen, daß Mr. Poltue das Schicksal wohl verdient, das ihn nächstens treffen wird.«

 

Bill Farrel wandte sich plötzlich um.

 

»Was, ich soll ein Gewissen haben?« protestierte er heftig. »Nun höre einmal …«

 

Aber Anthony beachtete den Einwurf gar nicht.

 

»Poltue hat mit allen möglichen Dingen Millionen verdient. Er hat ein großes Handelshaus geführt, Kohlenminen und Schiffe besessen, aber niemals hat er etwas für die Allgemeinheit getan. Bei Ausbruch des Krieges war er in Japan und hat es so geschickt einzurichten verstanden, daß er Einkaufsagent für einen unserer Verbündeten wurde. Und den armen Staat hat er dann nach allen Regeln der Kunst ausgeplündert.«

 

»Das scheint mir auch ganz in der Ordnung zu sein. Bundesgenossen sind dazu da, daß sie gerupft werden. Aber welche Gemeinheiten hat er denn wirklich begangen? Verzeihe mir, wenn ich danach frage, aber ich habe seit langer Zeit nicht mehr die Berichte über die Verbrechen in den Zeitungen gelesen, und ich kümmere mich ja im allgemeinen wenig darum.«

 

»Er ist ein ganz niederträchtiger Kerl«, sagte Anthony und beobachtete den stattlichen Reiter, der sich mehr und mehr entfernte. »Er ist nicht nur ein schlechter Mensch, weil er Geld verdiente, das wir nicht verdienten – obwohl das meiner Meinung nach schon ein genügend großes Vergehen ist–, sondern er hat auch seinen Reichtum während der Zeit erworben, als wir im Felde waren. Außerdem hat er einen ganz üblen moralischen Ruf. Er unterhält ein schlecht beleumundetes Unternehmen in der Nähe des Grosvenor Square, und man sagt, daß er an Bord eines Reisbootes außer Landes geschmuggelt werden mußte, als er Japan verließ. Eine Anzahl empörter Japaner wollten ihm einen bösen Abschied bereiten.«

 

»Ach, von der Art ist er?« fragte Bill nachdenklich. »Es ist doch eigentlich merkwürdig, wie diese großen Bösewichter es stets verstehen, ihr Schäfchen ins trockne zu bringen. Nun erzähle mir einmal von deinem Plan.«

 

Anthony sprach jetzt mit gedämpfter Stimme:

 

»Er hat einen japanischen Diener namens Kato, und ich glaube, daß dieser ein ebenso gemeiner Lump ist wie sein Herr. Aus irgendeinem Grunde haben sich die beiden überworfen, und neulich hat Mr. Poltue seinen Diener furchtbar verprügelt. Kato versuchte zwar, sich mit einigen Jiu-Jitsu-Griffen aus der Affäre zu ziehen, aber der große, starke Mann war ihm gewachsen, und schließlich lag Kato auf dem Boden, und sein Herr schlug ihn windelweich.«

 

»Woher weißt du denn das alles?«

 

»Kato selbst hat es mir erzählt. Ich war letzte Woche dabei, ein großes Unternehmen vorzubereiten. Unglücklicherweise ist aber der Mann, den ich beobachtete, nach Amerika abgereist. Das war unangenehm, denn ich hatte mir wegen der Sache schon viel Arbeit und Unkosten gemacht. Eine ganze Woche lang habe ich mich in der Uniform eines Chauffeurs herumgetrieben und speiste in demselben Restaurant wie Kato. Du kennst doch auch Ho Sings Restaurant in der Wardour Street. Dort begegnete ich ihm zuerst, während ich hinter einem anderen Japaner her war. Glücklicherweise spricht der Mensch englisch, sonst wäre es mir wohl sehr schwer geworden, mit ihm in Verbindung zu treten, da sich meine Kenntnisse des Japanischen auf einige Schimpfworte und Flüche beschränken.«

 

»Und was war das Ergebnis deiner Bekanntschaft mit dem Japaner?«

 

»Ich habe durch meine feinen und machiavellistischen Methoden die Andeutung weitergegeben, daß ich wirklich ein Gentlemanräuber bin.«

 

Bill schaute ihn ein wenig bestürzt an.

 

»Es gibt Augenblicke, in denen man offen sein muß«, entgegnete Anthony in geheimnisvoller Weise. »Ich bin jetzt soweit. Kato glaubt, daß ich einer amerikanischen Bande angehöre, die früher in Paris arbeitete, und er hat ein liebenswürdiges Interesse an meiner späteren Karriere.«

 

Er sprach noch leiser und dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern.

 

»Hast du schon einmal von Poltues großem und berühmtem Smaragden gehört?«

 

Bill schüttelte den Kopf.

 

»Es ist der wundervollste Stein, von dem ich jemals gehört habe«, sagte Anthony begeistert. »Sein Wert beträgt fünfzigtausend Pfund. Macht dir das nicht auch den Mund wässerig? Mr. Poltue bewahrt ihn in einem eingebauten Geldschrank neben seinem Bett auf. Aber er ist ein todsicherer Revolverschütze, und der Geldschrank ist durch elektrische Alarmglocken geschützt. Es ist gut, daß du das alles weißt, denn du sollst auch dein Leben riskieren, wenn wir beide uns den kostbaren Smaragden aneignen.«

 

»Bist du denn schon zu irgendwelchen Abmachungen mit Kato gekommen?«

 

»Noch nicht, aber ich bin nahe daran. Heute treffe ich ihn wieder.«

 

Drei Stunden später ging ein geschäftiger junger Chauffeur in tadellosen, glänzenden Ledergamaschen und einer schönen Schirmmütze über die Wardour Street und trat gleich darauf in Ho Sings Restaurant ein. Es waren schon ein paar Leute da. Die Hälfte der Gäste bestand offensichtlich aus Asiaten. Aber auch Europäer aßen hier, denn Ho Sing führte eine sehr gute Küche, die manchen Feinschmecker anzog.

 

Der Chauffeur nickte einem kleinen Japaner zu, der an einem Tisch für sich saß, nahm den Stuhl, der angelehnt war, und setzte sich. Der Japaner begrüßte ihn mit einem freundlichen Grinsen.

 

»Ich dachte nicht, daß ich heute kommen könnte«, sagte er mit einem merkwürdigen Akzent und so abgehackt, wie es die meisten Japaner tun, wenn sie englisch sprechen. »Aber das Schwein ist ausgeritten, und hinterher speist er zu Mittag. Denken Sie, er zieht sich vor dem Essen nicht einmal um, er ist ein ganz gemeiner Kerl.«

 

Anthony war offensichtlich belustigt über den Ärger des Japaners.

 

»Aber der Schuft soll noch eine böse Zeit durchmachen! Wenn er eines Tages seinen schönen Smaragd nicht mehr hat, wird er im Herzen sehr krank sein!«

 

Kato sah Anthony lauernd von der Seite an.

 

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, mein liebenswürdiger Freund aus Nippon, aber wie soll er denn seinen prachtvollen Stein verlieren?«

 

Der Japaner schaute ihn mit seinen schwarzen Perlaugen an, und in seinem Blick lag etwas Unheimliches und Unergründliches.

 

»Nehmen wir einmal an, die Räuber kommen am Donnerstagabend«, begann der Japaner. »Sie kommen durch die Küchentür herein, die wahrscheinlich offensteht, und gehen dann die Treppe hinauf. Und oben steht eine kleine japanische Laterne vor der Tür dieses gemeinen Kerls?«

 

Einen Augenblick zitterte Anthonys Herz.

 

»Das scheint eine günstige Gelegenheit zu sein. Die Sache ist sogar sehr klug angelegt. Da braucht man sich nicht mehr die Mühe zu machen und Pläne von dem Hause zu zeichnen. Auch braucht man dann keinen Führer – mit anderen Worten sind Sie dann überhaupt nicht in die Sache verwickelt.«

 

»Ja, das stimmt. Ich habe alles genau bedacht.«

 

»Und wenn es uns gelingt, den Smaragd zu bekommen – wenn ich ›wir‹ sage, so meine ich damit den geheimnisvollen Räuber – und wenn wir ihn gut unterbringen können, wohin könnten wir dann den Anteil des Gentleman senden, der die Küchentür offenläßt und die kleine japanische Laterne vor die Tür von Mr. Poltues Schlafzimmer stellt?«

 

Der Japaner schüttelte den Kopf.

 

»Ich will nichts haben«, sagte er nachdrücklich. »Ich bin zufrieden, wenn es diesem Hund schlecht geht.«

 

»Nun, darauf können Sie sich verlassen, er wird sich furchtbar ärgern.« Dann fragte Anthony ganz offen: »Was hat er Ihnen denn eigentlich getan, Kato?«

 

Der Japaner preßte die Lippen zusammen, und es schien, als ob er nichts sagen wollte, aber plötzlich erzählte er in leidenschaftlichen und abgerissenen Worten von einer neuen Vergewaltigung, die Poltue erst gestern verübt hatte.

 

Am Abend berichtete Anthony seinem Freunde Bill, was er erfahren hatte.

 

»Ich habe mir aber nicht viel daraus gemacht, daß er wieder Prügel bekommen hat, denn er scheint wirklich ein geriebener Kerl zu sein. Eigentlich könnten wir ihn ebensogut bestrafen wie Mr. Poltue. Kato hat nämlich alle gemeinen Pläne seines Herrn in Japan ausgeführt, und auch er mußte unter polizeilichen Schutz gestellt werden, als er sein Vaterland verließ. Daß diese beiden Lumpen in Streit geraten sind, hat nicht viel zu sagen, nur hilft es uns beträchtlich, wenn wir diesen aufgeblasenen Millionär ein wenig erleichtern.«

 

»Dann werden wir also am Donnerstag die Sache ausführen?« fragte Bill interessiert.

 

Anthony bejahte.

 

»Wir brauchen Filzschuhe, einen Wagen, der am Eingang der Nebenstraße wartet – du mußt den schnellsten nehmen, den du überhaupt bekommen kannst –, Masken, einige Revolverattrappen, ein ziemlich langes, dickes Tau, dann noch einige seidene Taschentücher – für den Fall, daß Mr. Poltue Widerstand leisten sollte. Willst du das alles beschaffen, Bill?«

 

Der andere zögerte.

 

»Das sieht aber verteufelt nach gewalttätigem Einbruch aus, und ich muß ganz offen sagen, daß mir die Sache nicht recht geheuer vorkommt.«

 

»Ich gebe ja gern zu, daß es etwas Außergewöhnliches ist und aus dem Rahmen unserer bisherigen Tätigkeit herausfällt. Aber die Beute ist so kostbar, und die gute Gelegenheit, die beleidigte Menschheit an diesem Lumpen zu rächen …«

 

»Mache keine großen Sprüche. Die Frage ist nur, wie wir diesen kostbaren Smaragd später zu Geld machen?«

 

»Erst müssen wir ihn einmal haben.« Und hierin stimmte Bill schließlich mit seinem Freund überein.

 

Am Donnerstagabend regnete es, und der Wind blies ungestüm, aber dieses Wetter war für ihr Unternehmen günstig. Die Straßen waren leer, als der große Wagen an der Rückseite des palastähnlichen Hauses hielt, das Mr. Poltue gehörte. Es war für die Autos noch zu früh, die Theaterbesucher nach Hause zu bringen, und schon zu spät, die Leute zum Essen in die Restaurants zu fahren.

 

Mr. Poltue hatte offenbar eine gute Eigenschaft. Er ging jeden Abend um neun zu Bett und stand jeden Morgen um sechs auf. Kato hatte Anthony erzählt, daß sein Herr stets sehr fest schlief. Es war auch interessant und wichtig, daß der Millionär darauf bestand, daß alle seine Angestellten seinem Beispiel folgten. Er lebte allein, was die Sache bedeutend leichter machte, denn wenn Frauen im Hause sind, finden sie meistens vor zwei Uhr nachts keine Ruhe.

 

Als die beiden ausgestiegen waren, gingen sie die hintere Straße entlang, bis sie. an das kleine, grüne Tor in der Mauer kamen. Von hier aus gelangten sie durch einen engen Gang zu den Räumen des Hausmeisters. Anthony drückte vorsichtig gegen die Tür – sie gab nach. Er trat ein und betrachtete das Schloß eingehend, um sich zu vergewissern, daß sie auf ihrem Rückweg nicht behindert würden.

 

Kato hatte alles der Verabredung gemäß angeordnet. Die Türen öffneten sich lautlos, und sie kamen in die große Eingangshalle des Hauses. Man konnte von ihren Fußtritten nichts hören; nur eine große Wanduhr tickte unheimlich im Treppenhaus.

 

Beide trugen Filzschuhe. Anthony hielt in der einen Hand einen langen Strick, in der anderen seine elektrische Taschenlampe. Aber er brauchte sie nicht, denn ein schwacher Lichtschimmer fiel durch ein buntes Glasfenster oben an der Treppe. Geräuschlos schlichen sie die Treppe in die Höhe und erreichten den ersten Stock, aber sie konnten hier nichts von der versprochenen japanischen Laterne entdecken. Sie stiegen noch eine Etage höher, und hier fanden sie das kleine Licht.

 

Anthony wartete nur so lange, bis er die Kerze in der Laterne ausgeblasen hatte, dann drückte er vorsichtig die Türklinke herunter. Sein Herz schlug zum Zerspringen. Ein wirklicher Einbruch war doch etwas Sonderbares.

 

Die beiden traten in das Zimmer ein und schlossen die Tür leise hinter sich. Zuerst konnten sie nichts erkennen, aber nach einer Weile, als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, unterschieden sie undeutlich die Umrißlinien der Möbel. Schwaches Licht kam durch die Schlitze der Jalousien, so daß sie das Bett in der Mitte der linken Wand stehen sahen.

 

Anthony schlich sich vorwärts. Der Teppich war so dick und so weich, daß unmöglich ein Laut das Ohr des Schläfers erreichen konnte. Trotzdem bewegte sich Anthony mit der größten Vorsicht, während sich sein Kamerad im Schatten des großen Kleiderschrankes verborgen hielt und wartete, was geschehen würde.

 

Anthony sah undeutlich einen Mann in dem Bett liegen. Jetzt hatte er den kleinen Geldschrank erreicht und tastete behutsam nach den elektrischen Drähten, die die Tür des Schrankes mit den Alarmklingeln verbanden. Kato hatte ihm alles genau beschrieben. Man hörte ein schwaches Knipsen, als er die Drähte durchschnitt. Nun bewegte Anthony die Drehschlösser, um die richtige Buchstabenkombination einzustellen. Er brauchte dazu seine Lampe, aber das Licht blitzte nur ein paarmal ganz kurz auf, und er blendete den Lichtschein mit der Hand so ab, daß unmöglich ein Strahl auf den Schläfer fallen konnte.

 

Die Tür öffnete sich, er griff hinein und faßte auch sofort das große Lederetui, in dem Mr. Poltue nach Katos Angabe seinen Smaragden aufbewahrte. Krampfhaft schlossen sich seine Finger um den Kasten. Er machte sich nicht die Mühe, ihn zu öffnen, denn er konnte schon an seinem Gewicht und seiner Gestalt fühlen, daß der Stein in seinen Händen war. Schnell ließ er ihn in seine Tasche gleiten, aber in dem Augenblick entfiel ihm die elektrische Taschenlampe und schlug polternd auf dem Tisch neben dem Bett auf. Anthony hielt den Atem an, aber Poltue bewegte sich nicht. Der ruhige Schlaf dieses Mannes erschien ihm sonderbar, daß er sich schnell niederbeugte, seine Lampe aufnahm und das Bett einen Augenblick beleuchtete. Bill hörte einen erschrockenen Ausruf und eilte zu seinem Freund.

 

»Was ist los?« flüsterte er.

 

»Sieh dorthin!« erwiderte Anthony und beleuchtete Mr. Poltue.

 

Es war nicht nötig, irgendwelche Erklärungen zu geben. Der Millionär war tot. Der Griff eines Messers steckte, in seiner Seite, und die Lagerstatt war völlig mit Blut befleckt.

 

»Das sieht ganz wie eine Falle aus!« sagte Anthony schnell. »Wir müssen aus dem Hause, so rasch es geht!« Schweigend flohen sie die breite Treppe hinunter und erreichten die erste Etage. Plötzlich faßte Bill Anthonys Arm und hielt ihn zurück.

 

»Hörst du nicht jemand sprechen?«

 

»Er telefoniert«, zischte Anthony.

 

Sie hörten ein schwaches Klingeln und schlichen sich den Gang entlang, bis sie an die Tür kamen, hinter der sie das leise Sprechen hörten.

 

Anthony drückte die Klinke herunter. Es war Licht in dem Raum, und sie sahen, wie sich Kato mit dem Rücken zur Tür über einen Tisch beugte. Er hatte den Telefonhörer in der Hand.

 

»Ist dort die Polizeistation?« fragte er. »Kommen Sie schnell zu Mr. Poltues Haus am Grosvenor Square. Es ist ein Mord geschehen …«

 

So weit war er gekommen, als Anthony sich auf ihn warf. Der Hörer polterte auf den Tisch, und die beiden rangen auf dem Boden miteinander. Anthony hielt dem Japaner den Mund zu und drückte ihm das Knie auf die Brust. Er und Bill hatten mehrere Minuten zu tun, bevor sie den sich heftig wehrenden Kato gefesselt und geknebelt hatten, und die Zeit war kostbar.

 

»Wir wollen ihn schnell nach oben in das Schlafzimmer tragen«, sagte Anthony wild.

 

Mit großer Mühe schleppten sie ihn die Treppe hinauf, denn er wehrte sich bei jedem Schritt.

 

»Löse schnell den Strick«, rief Anthony atemlos, und Bill gehorchte erstaunt.

 

Anthony ging zur Wand und drehte das Licht an.

 

»Sie sind aber ein niederträchtiger Kerl!« sagte er grimmig zu dem Geknebelten. »Sie haben noch das Blut des Ermordeten an Ihren Händen und rufen die Polizei! Sie dachten wohl, Sie könnten uns eine Falle stellen, wie? Und Sie könnten uns die Folgen Ihrer Privatrache aufbürden?«

 

Der Japaner antwortete nicht, sondern sprang ihn wieder wie ein wildes Tier an. Anthony wich einen Schritt zurück, hob seine Hand und ließ sie niedersausen. Kato fiel wie ein Stück Holz zu Füßen des Bettes nieder, auf dem sein Opfer lag.

 

»Nimm den Knebel aus seinem Mund! Beeile dich und nimm auch den Strick mit!«

 

»Hast du ihn mit dem Sjambok geschlagen?«

 

Anthony nickte, nahm die aus Rhinozeros verfertigte Waffe aus seiner Tasche und zeigte sie ihm. Sie war das, einzige Verteidigungsmittel, das er bei sich trug; aber es war wirksam genug.

 

Sie erreichten das Erdgeschoß und eilten durch die Hinterstraße, nachdem Anthony vorher die Tür verschlossen hatte. Den Schlüssel warf er über eine Gartenmauer. Sie waren gerade abgefahren, als das Polizeiauto um die Ecke der Straße bog.

 

»Das war noch zu rechter Zeit!« meinte Anthony. Er war aufgeregt und sah bleich aus.

 

»Aber der Japaner wird sprechen und uns beschuldigen«, sagte Bill bedrückt. »Er muß es ja schon sagen, um sich zu verteidigen.«

 

»Er wird nichts sagen«, entgegnete Anthony kurz.

 

»Wo ist denn der Smaragd? Hast du ihn?«

 

»Ich hatte ihn schon in meiner Tasche, aber ich habe ihn zurückgelassen.«

 

»Du hast ihn dort gelassen?« fragte Bill atemlos. »Wo denn?«

 

»In Katos Tasche. Wenn die Polizei kommt, Poltues Leiche mit einem japanischen Messer in der Seite auffindet und später seinen Smaragd in Katos Tasche entdeckt, dann gibt es nur eine Lösung.«

 

Und er hatte richtig prophezeit, denn sechs Wochen später wurde Kato auf einen Indizienbeweis hin wegen Mordes verurteilt.