10. Kapitel

 

Der Witzbold

 

Mr. Anthony Newton hatte sich über manche Erfahrung gefreut, aber manche hatte er auch stillschweigend ertragen müssen. Seine Wahl in das Parlament hatte ihm großes Vergnügen bereitet, denn die Wählerschaft war erstaunt, als sie plötzlich im Unterhaus durch einen Mann vertreten war, von dessen Existenz sie bisher noch nichts gewußt hatte. Aber er hatte auch die Petition über sich ergehen lassen müssen, daß ihm sein Sitz genommen werden sollte, und nach einer aufregenden und nicht ganz angenehmen Woche in dem bedeutendsten Parlament der Welt hatte er seinen Platz aufgegeben.

 

»Es ist immer besser, freiwillig zu gehen, mein alter Freund«, sagte sein Rechtsanwalt, »als hinausgeworfen zu werden. Und obendrein drohte Ihnen auch noch eine Klage wegen Komplotts.«

 

Aber Anthony Newtons Wahl ins Parlament hatte wenigstens ein glänzendes Resultat – sein Name wurde dadurch äußerst bekannt. Die Folgen dieses Abenteuers waren in mancher Beziehung belustigend und auch vorteilhaft, denn Lammer-Green wurde hierdurch auf ihn aufmerksam. Anthony saß in der Halle seines Hotels und rauchte nach Tisch eine Zigarre, als die nähere Bekanntschaft begann. Ein paar große Hände legten sich plötzlich auf seine Schultern, er wurde buchstäblich von seinem Stuhl in die Höhe gehoben, und eine rauhe Stimme sagte zu ihm:

 

»Geben Sie mir meinen Schilling wieder!«

 

Dann wurde er heftig gerüttelt, und man hörte eine Münze auf den Boden fallen.

 

»Ich danke Ihnen auch«, sagte die Stimme wieder, und Mr. Lammer-Green bückte sich, um ein Schillingstück aufzunehmen, das aus Anthonys Hosen gefallen war.

 

Vorher hatte er es ihm nämlich zwischen Hals und Kragen gesteckt und ihn dann so lange geschüttelt, bis es wieder auf den Flur fiel.

 

Anthony schaute wütend in das grinsende Gesicht Mr. Lammer-Greens. Er hätte ihn am liebsten umgebracht.

 

»Ach, Sie sind es!« rief er dann, denn erkannte den Witzbold und Spaßmacher von früher her oberflächlich.

 

Der ehrenwerte Mr. Lammer-Green war ein langer, knochiger, junger Mann, der keinen anderen Lebenszweck kannte, als Witze und Possen zu machen und seinen Spaß mit einer harmlosen Welt zu treiben. Früher war er einmal an Bord des französischen Kreuzers »Arlot« in der Verkleidung eines Sultans von Muskwash erschienen. Der Admiral war auch darauf hereingefallen und hatte zu seinen Ehren einen königlichen Salut abfeuern lassen.

 

Ein andermal war er mit einer großen Menge von Arbeitern erschienen und hatte die Fahrstraße von Piccadilly Circus aufgerissen, kurz vor Schluß der letzten Theatervorstellungen. Dadurch hatte er den Verkehr im Herzen Londons auf zwölf Stunden lahmgelegt. Auch hatte er schon drei Bürgermeister von drei Provinzstädten verhaftet und sie in einem extra für diese Zwecke gebauten schwarzen Gefangenenwagen nach London gebracht.

 

Er war der Sohn eines Lords und sollte später einmal den Titel erben. Außerdem war er sehr reich und Junggeselle.

 

»Man hat Leute schon für Geringeres als das totgeschlagen«, sagte Anthony etwas böse. »Na, nehmen Sie Platz, Sie lange, nutzlose Latte!«

 

Sie hatten sich, seit sie im Kriege zusammengekommen waren, nicht mehr getroffen. Anthony erwähnte es dem anderen gegenüber.

 

»Mit Krieg mag ich nicht gern etwas zu tun haben«, erwiderte Mr. Green entschieden. »Die Sache macht eigentlich keinen Spaß. Ich muß Frieden haben. Wissen Sie schon, welche großartige Sache ich in Greenwich angestellt habe? Beinahe hätte ich drei Monate Gefängnis dafür bekommen! Donnerwetter, das war einmal ein Vergnügen! Ich habe einen Kerl gemietet und ihm den Auftrag gegeben, auf das große Fernrohr des Observatoriums hinaufzuklettern und kleine, schwarze Flecke auf die Linse zu machen. Verstehen Sie, alter Freund, das waren dann Sonnenflecke!«

 

Er lachte laut auf und schlug sich vor Begeisterung auf die Knie.

 

Anthony sah ihn verwundert an.

 

»Ich kann gar nicht verstehen, wie ein großer, verständiger Mensch mit so viel Geld seine Zeit damit zubringen kann, nur dummes Zeug zu machen. Warum zum Teufel, heiraten Sie denn nicht und lassen sich irgendwo auf dem Lande nieder?«

 

»Das paßt mir ganz und gar nicht in den Kram.« Lammer-Green schüttelte sich. »Wissen Sie, ich kann Weiber nicht leiden. Ich bekomme immer eine Gänsehaut, wenn ich davon höre. Eine Frau würde mich bald unter dem Pantoffel haben und mich beherrschen. Das ist meine schwache Seite.«

 

Plötzlich begann er wieder zu lachen.

 

»Ist doch ein merkwürdiger Zufall, daß Sie ausgerechnet das Heiraten erwähnen. Ich habe nämlich von Ihnen gehört.«

 

»Von mir?« fragte Anthony verwundert. »In Verbindung mit Heiraten?«

 

Mr. Green nickte heftig.

 

»Sie werden ja den Rechtsanwalt – so eine Art Heiratsmakler –, den Sie an der Nase herumführten, noch nicht vergessen haben?«

 

Anthony konnte sich sehr gut darauf besinnen.

 

»Ich habe auch von dem Spaß erfahren, den Sie sich mit der Wahl gemacht haben. Ich habe es mir überlegt und zu mir selbst gesagt: ›Diesen verrückten Kerl mußt du dir einmal ansehen.‹«

 

Nun war Anthony Newton alles andere, nur kein Spaßvogel. Er betrachtete die Methoden und Praktiken, durch die sich Mr. Lammer-Green einen Namen gemacht hatte, als kindisch und verächtlich. Die beiden hatten zwar zusammen im selben Regiment gedient, aber man hätte sie unter keinen Umständen Freunde nennen können. Green wurde als ein liebenswürdiger Narr angesehen, trotzdem er auch beachtenswerten Mut besaß. Er war der letzte, dessen Bekanntschaft Anthony erneuern wollte. Selbst in den Tagen, als es ihm so schlecht ging, war ihm niemals der Gedanke gekommen, sich an ihn um Hilfe zu wenden.

 

»Ich muß Ihnen einmal etwas erklären, – ich habe nämlich eine große Sache vor.« Mr. Green sprach jetzt ganz leise. »Das wird ein Hauptspaß – das ist noch viel besser als die Geschichte mit dem Admiral. Unter allen Umständen ist es schon eine gute Vorbedeutung, daß Sie etwas von Heiraten erwähnt haben. Kennen Sie den alten Gaggle?«

 

Anthony schüttelte den Kopf.

 

»Der Mann hat Millionen in Margarine verdient«, erklärte Green schnell. »Er hat einen Landsitz in Oxton, ist geadelt worden und besitzt eine Tochter mit einem schrecklichen Gesicht im Alter von dreißig Jahren. Wenn die in London über die Straße geht, hält sie den ganzen Verkehr auf. Sie ist ganz fürchterlich, mein alter Junge, geradezu häßlich. Färbt obendrein noch ihr Haar und hat Füße so groß wie Ruderboote. Der alte Gaggle ist ganz verrückt und will sie an einen alten Aristokraten verheiraten. Haben Sie auch alles verstanden?«

 

Seine Augen glänzten vor Erregung, und er quietschte vor Vergnügen, als er an seinen herrlichen Plan dachte. Anthony hatte schon davon gehört, daß sich Mr. Lammer-Green die Hilfe anderer Leute verschaffte, aber er hatte sich auch in seinen wildesten Träumen nie eingebildet, daß er sich an ihn wenden würde, und war begreiflicherweise sehr neugierig. Wenn Lammer-Green als Endziel seiner Pläne irgendeinen rohen Witz betrachtete, so liefen alle Pläne Anthony Newtons auf Geldverdienen hinaus.

 

»Was haben Sie denn vor?« fragte er. Aber es dauerte noch einige Zeit, bevor Green zu lachen aufhörte und sich wieder so weit in der Gewalt hatte, daß er antworten konnte.

 

»Der alte Gaggle ist scharf auf Lords. Er hat ganz offen erklärt, daß er seiner Tochter eine halbe Million Mitgift gibt, wenn sie einen wirklichen Lord heiratet. Mein alter Herr hat auch von der Sache gehört und mir sofort die Neuigkeit übermittelt – er liebt auch einen kräftigen Spaß.«

 

Der Vater Lammer-Greens war Lord Latherton, der auch noch andere Dinge als die Witze seines Sohnes liebte, wenn das Gerücht nicht log.

 

»Ich habe folgenden Plan«,.sagte Mr. Green vertraulich. »Ich werde in Begleitung meines Sekretärs – den sollen Sie spielen, Newton, alter Knabe – in der Nachbarschaft des Landsitzes vom alten Gaggle eine Autotour machen und werde in der Nähe des Hauses krank werden. Sie gehen hinein, bitten um Hilfe und lassen dabei die Worte ›Seine Hoheit‹ fallen – haben Sie mich auch verstanden? Der alte Gaggle wird uns dann in sein Haus einladen, – ich werde in einem fremden Akzent sprechen, und der alte Gaggle wird sich sagen: Aha, das ist ein fremder Prinz, den wollen wir uns für Gertie oder wie seine Tochter sonst heißen mag, angeln! Ich werde dann erwidern: ›O ja, ich will mich in aller Stille trauen lassen, niemand darf um die Sache wissen, sonst werde ich meinen Thron verlieren.‹ Haben Sie verstanden?«

 

»Sehr gut«, sagte Anthony.

 

»Der Papa, der Prinz und Gertie werden dann zusammen zu irgendeinem Hause fahren, wo ein Geistlicher wartet. Sie müssen irgendeinen falschen Pfarrer besorgen, einer von Ihren Kameraden oder Freunden wird Ihnen zuliebe die Rolle schon übernehmen. Dann wird der Prinz zur Stadt fahren und geheimnisvoll verschwinden. Alle Zeitungen sind dann voll davon. ›Romantische Hochzeit. Das mysteriöse Verschwinden des prinzlichen Bräutigams. Wo ist Prinz Opscotch?‹ Was denken Sie von dem Spaß?«

 

»Und was soll denn mit mir geschehen? Soll ich auch verschwinden?« fragte Anthony trocken.

 

Er wollte eigentlich die ganze Sache ablehnen und nichts mit diesem phantastischen Vorhaben zu tun haben, das eigentlich recht roh und niederträchtig war. Anthony war Damen gegenüber immer sehr höflich, selbst wenn sie Füße wie Ruderboote hatten. Und er war auch etwas empört darüber, daß dieser verrückte Spaßmacher so selbstverständlich annahm, daß er ihm bei seinen dummen Streichen helfen würde.

 

Aber er war auch ein schneller Denker und wies infolgedessen den Auftrag nicht zurück.

 

»Das ist ein sonderbarer Plan. Aber er ist doch etwas grausam für die junge Dame«, sagte er vermittelnd.

 

»Ach was«, entgegnete Lammer-Green verächtlich. »Das tut gar nichts. Mein lieber, alter Freund, das wird mein Hauptspaß. Das ist eine ganz grandiose Idee, die größte, die mir jemals gekommen ist. Die ganze Welt wird darüber sprechen. Ich werde eine größere Sensation hervorrufen als der deutsche Schneider, der vorgab, Kaiser Wilhelm zu sein!«

 

»Ich werde mir die Sache noch überlegen.«

 

Als Mr. Green am nächsten Morgen Anthony wieder besuchte, erhielt er eine Zusage.

 

Sir Joshua Gaggle lebte auf seinem Gut in Oxton Manor. Es war ein alter Besitz, der früher einem normannischen Freiherrn gehörte.

 

Aber Sir Joshua hatte die Besitzung weniger wegen ihres Alters als vielmehr wegen des klingenden Titels gekauft.

 

Matilda Gaggle war eine schlanke Dame im Alter von neunundzwanzig Jahren. Sie hatte eine rötliche, gesunde Gesichtsfarbe, die man schließlich bei einem liebenswürdigen, großzügigen Charakter noch ertragen hätte, aber Matilda besaß auch eine scharfe Zunge und war verbittert, weil noch niemand um ihre Hand angehalten hatte.

 

Sie wollte aber nicht den ersten besten nehmen, da sie von einem gewissen Ehrgeiz besessen war.

 

»Ich glaube nicht, daß wir es hier auf dem Lande zu etwas bringen«, sagte sie vorwurfsvoll. »Es wäre besser, wenn wir die Hälfte der Zeit in Hampstead wohnten, Vater. Durch deinen Adelstitel könntest du wenigstens in Hampstead eine gewisse Rolle spielen, aber diese Gegend wimmelt ja von Lords und ihrem Anhang, und niemand hält etwas von einem gewöhnlichen Sir. Du weißt doch, welche Erfahrungen wir gemacht haben. Wenn wir sie zum Essen eingeladen haben, waren sie immer irgendwo anders verabredet.«

 

»Es wird schon jemand kommen, mein Liebling«, meinte Sir Joshua hoffnungsvoll. »In Hampstead gibt es erst recht keinen richtigen Umgang für uns. Dort leben meistens nur gewöhnliche Leute, mit denen es sich nicht lohnt, zu verkehren.«

 

»Aber hier ist überhaupt niemand«, erwiderte Matilda ärgerlich.

 

Vater und Tochter saßen im Wohnzimmer, von dem aus sie den Park überblicken konnten. Beide sahen zugleich einen fremden Herrn, der die Zufahrtsstraße entlangkam.

 

Er war jung und tadellos gekleidet, auch sah er sehr hübsch aus. Matilda stand auf und ging ans Fenster.

 

»Wer mag das sein?« fragte sie, als Sir Joshua an ihre Seite trat.

 

»Ich weiß nicht, wer das sein könnte«, entgegnete er stirnrunzelnd und eilte in die Halle, um die Ankunft des Fremden zu erwarten.

 

»Es tut mir furchtbar leid, daß ich Ihnen Unannehmlichkeiten mache«, sagte dieser bescheiden, »aber Seine Hoheit … ich meine, mein Herr hat einen leichten Ohnmachtsanfall erlitten, und ich möchte Sie fragen, ob Sie uns erlauben würden, eine Weile hier zu bleiben?«

 

»Aber gewiß, natürlich!« antwortete Sir Joshua erregt. »Bitten Sie seine Hoheit … wie darf ich ihn denn nennen?«

 

Anthony biß sich auf die Lippen.

 

»Sagte ich Hoheit – ach, wie indiskret von mir.« Offenbar war es ihm peinlich, daß er sich versprochen hatte. »Der Name meines Herrn ist Mr. Smith …«

 

»Würden Sie dann so liebenswürdig sein, Seiner … Mr. Smith zu sagen, daß er uns willkommen ist?«

 

Als Anthony gegangen war, eilte der aufgeregte Sir. Joshua strahlend ins Wohnzimmer zurück.

 

»Es ist ein Prinz, Tilda, eine Hoheit – nein, nicht der Mann, der an die Tür kam. Das ist nur sein Angestellter, oder so etwas Ähnliches. Ich meine den anderen. Er hat draußen einen Ohnmachtsanfall gehabt und ließ anfragen, ob er einige Zeit hereinkommen könnte, um sich auszuruhen.«

 

Miss Gaggle erhob sich schnell und ging rasch zur Tür. Ein prächtiges Auto fuhr die Zufahrtsstraße herauf. Der junge Mann, den sie eben gesehen hatte, saß am Steuer, und hinten im Wagen lehnte, ganz in seinen Pelz gewickelt, ein großer Herr von vornehmem Äußeren.

 

Er hatte die Augen geschlossen, und als der Wagen hielt, half ihm Anthony beim Aussteigen, denn er schien sehr schwach und angegriffen zu sein.

 

»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, gnädiges Fräulein«, sagte er leise. »Wir werden Ihre Freundlichkeit niemals vergessen.«

 

Tilda machte einen Hofknicks.

 

»Seien Sie versichert, daß wir es uns zur hohen Ehre rechnen, Euer … Mr. Smith«, sagte sie beinahe atemlos.

 

Der fremde Herr wurde in das Gastzimmer gebracht, und einige Minuten später kam Anthony mit sehr ernstem Gesicht die Treppe herunter.

 

»Ich fürchte, daß wir Ihre Gastfreundschaft diese Nacht in Anspruch nehmen müssen – ich kann einfach nicht zulassen, daß wir weiterfahren. Ach nein, er mag keinen Arzt sehen«, fügte er hinzu, als Sir Joshua diesen Vorschlag machte.

 

Sir Joshua hatte die Freude, daß sein hoher Gast mehrere Tage bei ihm blieb. Es waren für ihn hoffnungsfrohe, für seine Tochter angenehme Tage.

 

»Ich weiß noch nicht, ob er wirklich ein Prinz ist oder nicht«, sagte Matilda zu ihrem Vater, als sie allein in seinem Arbeitszimmer waren. »Aber er ist irgend jemand. Ich habe genügend Leute gesehen, die nichts vorstellten in der Welt, und ich weiß das. Er ist eine große, stattliche Erscheinung, und ich glaube, daß man ihn leicht leiten kann. Er ist ganz verliebt in mich.«

 

In der Abgeschlossenheit seines eigenen Zimmers sprach Mr. Lammer-Green über seine Hoffnungen und Befürchtungen zu Anthony.

 

»Ich hasse Frauen, die immer das Regiment führen, wollen, Newton. Sie ist das herrschsüchtigste Mädchen, dem ich jemals begegnet bin. Es wäre besser, wenn die ganze Sache schon vorbei wäre, ich fühle mich schon gelangweilt. Ist es Ihnen gelungen, einen Geistlichen aufzutreiben?«

 

Anthony nickte.

 

»Dann werde ich ihr morgen meine Erklärung machen. Wie die wohl erstaunt sein wird!«

 

»Das glaube ich auch«, pflichtete Anthony bei.

 

Am Abend saß Anthony noch spät bei Sir Joshua, der nach einigen einleitenden Phrasen auftaute.

 

»Sehen Sie einmal, Mr. Newton«, sagte er, denn Anthony hatte seinen richtigen Namen angegeben, »ich bin ein einfacher Mann, und ich möchte einmal offen mit Ihnen reden. Wer ist denn eigentlich Seine Hoheit?«

 

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

 

»Ist er – irgend jemand – ich meine, eine Persönlichkeit mit einem Titel?«

 

Anthony bejahte.

 

»Mehr wollte ich ja auch nicht wissen. Hat er Vermögen?«

 

»Er ist steinreich«, erwiderte Anthony prompt, aber Sir Joshua schien wenig damit zufrieden zu sein.

 

»Ich hoffte, daß er nicht über große Mittel verfügte. Im übrigen muß ich Ihnen sagen, daß meine Tochter für ihn schwärmt. Er ist doch noch nicht verheiratet?«

 

»Nein.«

 

»Haben Sie eigentlich einigen Einfluß auf ihn?«

 

»O ja, ich glaube schon.«

 

Nun ging Sir Joshua zum letzten Angriff über.

 

»Um es geradeheraus zu sagen, wenn Sie es fertigbringen, daß er meine Tochter heiratet, dann können Sie schon ein paar tausend Pfund verdienen!«

 

Anthony sah den Versucher lange Zeit an, bevor er antwortete.

 

»Auch ich bin ein Geschäftsmann«, sagte er schließlich. »Geben Sie mir Ihr Versprechen schriftlich.«

 

Sir Joshua streckte seine Hand aus.

 

»Geschäft ist Geschäft«, sagte er geheimnisvoll. Dann ging er zu seinem Schreibtisch und brachte unter gewissen Schwierigkeiten ein Dokument zustande, das unmißverständlich und klar abgefaßt war.

 

»Genügt das?«

 

Anthony las es durch und nickte.

 

»Wenn sich die Angelegenheit durchführen läßt, so werden Sie wohl verstehen, daß die Hochzeit in möglichst unauffälliger Weise vor sich gehen muß? Es wäre möglich, daß mein Freund unter einem angenommenen Namen heiraten muß.«

 

»Das habe ich mir auch schon alles überlegt«, erwiderte der geschäftstüchtige Sir Joshua. »Ich kenne auch ein wenig das Gesetz. Wenn man im Handel vorwärtskommen will, so muß man schon rechtskundig sein. Und es ist mir bekannt, daß eine Eheschließung eine Eheschließung bleibt, ob sie nun auf den eigenen oder auf einen anderen Namen vollzogen ist. Ich weiß, daß er irgend jemand ist, denn ich habe meinen Diener neulich beauftragt, seine Briefe durchzusehen. Ihrer Meinung nach habe ich mir sicherlich zuviel herausgenommen, aber ich will lieber Ihren Vorwurf ertragen, als ein Risiko auf mich nehmen. Mein Diener sah also einen Brief mit einer Krone und der Anrede: Mein lieber Sohn.«

 

Anthony war einen Augenblick bestürzt. Offenbar war Sir Joshua nicht so dumm, wie sich Mr. Lammer-Green einbildete.

 

»Ich erwarte nicht, einen Prinzen als Schwiegersohn zu bekommen«, fuhr der kleine, untersetzte Mann fort. »Sollte dies der Fall sein, so wäre ich natürlich aufs freudigste überrascht. Bringen Sie nur die Hochzeit zustande, mein Junge, dann werde ich Ihnen zweitausend Pfund auszahlen.«

 

Mr. Green lag in seinem Bett, als Anthony in sein Zimmer trat.

 

»Schließen Sie einmal die Tür«, sagte Mr. Green, »und sehen Sie die Zeitungsnotizen durch, die ich aufgesetzt habe. Lassen Sie alles mit der Maschine schreiben und schicken Sie es an möglichst viele Zeitungen, wenn die Hochzeit vorüber ist. Ich werde ihr sagen, daß ich der Großherzog von Litauen bin.«

 

»Aber Sie werden sich doch nicht unter diesem Namen und Titel trauen lassen?«

 

»Aber warum denn nicht? Das ist doch der beste Teil des ganzen Spaßes. Haben Sie sich denn schon nach einem Geistlichen umgesehen?«

 

»Ich habe auch schon die Kirche.«

 

Mr. Green richtete sich im Bett auf.

 

»Was meinen Sie?«

 

»Ich habe mir eine Kirche geliehen zu diesem Zweck, eine kleine Kapelle, die abseits am Wege liegt, ungefähr zwölf Meilen von hier, sie gehört zu einer, größeren Pfarrgemeinde, und der Geistliche kommt nur einmal in der Woche dorthin. Mein Freund hat den Schlüssel.«

 

Mr. Green warf sich wieder in die Kissen und brüllte vor Vergnügen.

 

»Sie sind der beste Assistent, den ich jemals hatte«, erklärte er und wischte sich die Augen. »Das war wirklich ein schlauer Gedanke, mich an Sie zu wenden, Newton. Ganz London wird vor Freude schreien, wenn das bekanntwird!«

 

»Ich möchte Sie aber etwas fragen«, unterbrach ihn Anthony. »Angenommen, dies sei der größte Spaß, der jemals gemacht wurde, seitdem die Albert Memorial Hall steht sind Sie auch davon überzeugt, daß Sie kein Unrecht begehen? Dieses unglückliche junge Mädchen hat Ihnen niemals etwas zuleide getan …«

 

»Aber sie versucht doch, mich für die Ehe anzufangen, und sie ist furchtbar herrschsüchtig. Sie fängt schon jetzt an, mich zu kommandieren, und es ist so selbstverständlich, daß ich ihr gehorche, daß ich mich schon wahnsinnig über sie geärgert habe. Sie ist ein entsetzlich herrschsüchtiger Teufel, Newton, ich habe tatsächlich keine Frau getroffen, die ihr ähnlich ist.«

 

Anthony verließ ihn, damit er sich alle Einzelheiten seines Planes noch genau überlegen konnte.

 

Am nächsten Nachmittag kam die große Stunde, in der Mr. Lammer-Green Miss Matilda Gaggle seinen Antrag machen wollte. Sie waren im Rosengarten, Und er lehnte sich in seinen großen Ruhestuhl zurück.

 

»Ach, Miss Matilda«, sagte er seufzend, »ich werde mich immer an diese glückliche Zeit erinnern!«

 

Er bedeckte seine Augen mit seiner großen Hand, und die praktische Miss Gaggle steckte ihm ihr Taschentuch zwischen die Finger.

 

»Ja, es waren sehr schöne Tage«, stimmte sie ihm bei. »Aber bewegen Sie doch Ihre Füße nicht so unvorsichtig, Sie werden noch die Weintrauben zertreten. Mr. Smith, warum tragen Sie eigentlich die Haare nicht auf der einen Seite gescheitelt? Ich kann diese zurückgebürsteten Haare nicht leiden!«

 

Mr. Lammer-Green hörte es und war verärgert.

 

»Ihr Diener hat Ihren Rock auch nicht ordentlich ausgebürstet.« Sie klopfte ihn leicht mit den Fingerspitzen ab.

 

Mr. Green zitterte. Sie war wirklich das unausstehlichste und herrschsüchtigste Mädchen, das er jemals getroffen hatte.

 

»Matilda«, sagte er so leise, daß sie einen Augenblick sogar ihren Ordnungssinn vergaß, »Matilda, müssen wir uns denn trennen?«

 

»Ich weiß nicht, warum wir das müßten«, erwiderte sie und küßte ihn einfach aufs Ohr …

 

Anthony Newton arrangierte alles.

 

»Der junge Mann hat eine große Zukunft, meine Liebe«, sagte Sir Joshua strahlend.

 

»Das glaube ich auch«, meinte Matilda. »Aber ich weiß nicht, ob ich ihn nach der Hochzeit noch zu sehen wünsche. Die Idee, die Flitterwochen zu verschieben …«

 

»Das schlug doch John vor. Er will doch nach der Trauung gleich zur Stadt fahren, um die Familienjuwelen zu holen.«

 

»Warum können wir denn das nicht zusammen tun? Nein, ich liebe diesen Mr. Newton nicht – er ist mir zu anmaßend.«

 

Der Bräutigam hatte allerhand Wünsche, die Anthony erfüllen sollte.

 

»Lassen Sie uns nur nicht allein, alter Junge«, bat er inständig. »Sie hat schon ohne weitere Umstände mein Ohr geküßt, ohne daß ich sie im mindesten dazu ermutigte. Sie ist eine schreckliche Frau, der man nicht trauen kann. Bleiben Sie bloß an meiner Seite, bis die Zeremonie vorüber ist. Ich habe Ihnen als Belohnung hundert Pfund versprochen, ich werde sie auf zweihundert erhöhen. Aber geben Sie nur nicht zu, daß sie mich noch einmal küßt.«

 

»Aber eine junge Dame hat doch auch ihre Rechte«, sagte Anthony bestimmt. »Wenn sie Sie küssen will, dann steht ihr das doch frei.«

 

Trotzdem blieb er an dem Vorabend der Hochzeit immer an der Seite Mr. Lammer-Greens, worüber sich Miss Gaggle nicht wenig ärgerte.

 

Anthony hatte auch noch eine ernste Unterredung mit ihm.

 

»Ich habe mir alles überlegt, Mr. Green, Es scheint mir, daß Ihr kleiner Scherz sehr böse für Sie enden kann. Kennen Sie das Gesetz über diesen Punkt?«

 

»Ach, lassen Sie mich mit dem Gesetz in Frieden«, erwiderte der erzürnte Freier.

 

»Es gibt nur eine Möglichkeit, einer Gefängnisstrafe zu entgehen«, sagte Anthony. »Sie müssen beweisen können, daß Sie das Opfer einer Intrige sind, Und ich will ja ganz gern den Schuft in diesem Stück spielen.«

 

Anthony erklärte ihm seinen Plan.

 

Morgen auf dem Wege zur Kirche sollte Mr. Green sich die Ohren mit Watte zustopfen.

 

»Aber mein lieber, alter Junge, dann höre ich ja nichts!« protestierte der Bräutigam.

 

»Aber das rettet Sie doch. Sie brauchen doch auch gar nichts zu hören. Wenn ich nicke, dann sagen Sie ja, und wenn ich Ihnen winke, dann sprechen Sie die bekannten Worte: ›Ich, der und der, und so weiter, nehme dich und so weiter.‹ Es ist gut, wenn Sie die Worte leise sagen. Das ist so Brauch, wenn die Leute heiraten. Wenn nachher irgendwie Unannehmlichkeiten kommen, können Sie ja sagen, daß Sie nichts gehört haben und dachten, ich heirate die junge Dame und Sie wären mein Brautführer. Die Zeitungen werden eine große Geschichte aus der Sache machen.«

 

Am nächsten Morgen waren sie eine Viertelstunde vor der Ankunft der Braut in der Kirche. Der Verabredung gemäß trug sie ein ganz einfaches weißes Kleid. Mr. Lammer-Green schüttelte sich, als er sie sah. Aber er war sehr zufrieden mit Anthony, denn der »Geistliche« sah ganz echt aus. Er hatte einen Schnupfen und war erkältet, genau wie die richtigen Landpfarrer. Seine Gewänder waren etwas alt und abgetragen, und seine Finger steif vor Kälte. Offensichtlich langweilte ihn die ganze Geschichte.

 

Mr. Lammer-Green paßte genau auf, schaute immerfort Anthony an und sagte auch richtig »Ja«, als die Zeremonie soweit gediehen war. Mit heiserer, kaum vernehmlicher Stimme murmelte er die Trauungsformel, als ihre beiden Hände vereinigt waren.

 

Als das glückliche junge Paar in die Sakristei ging, nahm Anthony Sir Joshua beiseite.

 

»Es tut mir leid, daß ich jetzt schon gehen muß«, sagte er. Sir Joshua nahm einen Scheck aus seiner Westentasche und überreichte ihn Anthony.

 

»Ich sah draußen zwei Wagen warten – einer davon ist wohl der Ihrige?«

 

»Es ist ein Mietauto«, erwiderte Anthony lakonisch. »Ich nehme immer Mietautos, wenn ich schnell fortkommen will.«

 

Sir Joshua eilte in die Sakristei und kam noch zur rechten Zeit, um dem ersten Familienstreit beizuwohnen, dem noch viele folgen sollten.

 

»Dein Name ist John Lammer-Green«, rief die neugebackene junge Frau mit schriller Stimme. »Das ist der Name, auf den die Heiratslizenz ausgestellt ist, und das ist der Name, auf den du geheiratet hast. Nun sei doch nicht verrückt!«

 

Mr. Lammer-Green verfärbte sich, und seine Hand zitterte beim Schreiben. Er hatte die Watte aus den Ohren genommen und konnte jetzt sehr gut hören. Er starrte entsetzt auf den Pfarrer.

 

»Entschuldigen Sie eine Frage … sind Sie wirklich ein Geistlicher?«

 

Der andere nickte.

 

»Ich bin der Kurator der St. Margaretenkirche.«

 

Der Bräutigam machte ein langes Gesicht.

 

»Dann bin ich ja wirklich … verheiratet?«

 

»Aber natürlich … Sie haben auf eine besondere Lizenz hin heiraten können. – Ihr Freund hat alles arrangiert.« –

 

Mr. Lammer-Green atmete schwer.

 

»Nein, der war nicht mein Freund«, stöhnte er, »er war wirklich nicht mein Freund!«