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Am Vorabend seiner Abfahrt nach Kishlastan hatte Rikisivi zwei wichtige Unterredungen. Die erste ganz öffentlich mit Colley Warrington, die zweite aber, von der niemand wußte, mit Tiger Trayne, Sie fand in einem geschlossenen Auto statt, das im Park spazierenfuhr. Das war eine Lieblingsmethode von Tiger, die Möglichkeit, ihn zu beobachten und zu belauschen, auf ein Minimum herabzusetzen. Mit Colley traf sich Rikisivi im Hotel. Dieser aalglatte, gewandte Mann gab einen unterhaltsamen Bericht von seiner Zusammenkunft mit Eli Boß.

 

»Er fährt in der Nacht zum Sechsundzwanzigsten. Ich habe alles mit ihm ausgemacht, und die Sache geht in Ordnung.«

 

»Haben Sie gute Möbel an Bord gebracht?« fragte Riki. »Sie muß von Luxus umgeben sein.«

 

Colley schüttelte den Kopf.

 

»Das war unmöglich«, sagte er. »Das Schiff wird von Zollbeamten bewacht, und wahrscheinlich auch –«, er wollte eigentlich sagen »von der Polizei«, aber er verbesserte sich schnell, um den Fürsten nicht zu sehr zu beunruhigen, und sagte, »von den Behörden. Wenn eine Ladung außergewöhnlich luxuriöse Möbel an Bord gehen würde, müßte das unbedingt Verdacht erregen. In dem Augenblick, wo ihr Verschwinden bekannt wird, würde man sich sofort darauf besinnen. Auf keinen Fall darf herauskommen, daß sie an Bord der ›Pretty Anne‹ reist.«

 

»Sind Sie mit ihr im reinen?«

 

Colley nickte.

 

»Ja. Sie speist mit mir am Sechsundzwanzigsten zu Abend. Ich habe ihr gegenüber eine Bemerkung fallenlassen, daß ich etwas von ihren Eltern wüßte, und habe ihr tatsächlich halb versprochen, dieses Geheimnis aufzuklären. Darauf ist sie sofort eingegangen. Wir werden in einem kleinen Restaurant in der Villiers Street zu Abend essen, und ich bat sie, im Straßenkleid zu kommen, weil ich sie eventuell noch zu einer anderen Stelle bringen möchte, wo Abendtoilette Mißtrauen erregen könnte, und auch darauf ist sie eingegangen. Jetzt scheint mir die Sache nicht mehr schwierig zu sein.«

 

»Man wird aber wissen, daß Sie mit ihr zusammen zu Abend gespeist haben.« Der Fürst sah gedankenvoll drein. Er schien von dem Erfolg nicht so ganz überzeugt zu sein.

 

Colley schüttelte lachend den Kopf.

 

»Darüber wird sie unter keinen Umständen sprechen. Ich habe es ihr besonders eingeschärft und ihr gesagt, daß ich selbst mein Wort gebrochen hätte und niemand wissen dürfe, woher sie ihre Informationen erhält. Ich hatte große Sorge, daß sie Hallowell etwas darüber sagen könnte, aber ich habe sie dazu gebracht, daß sie mir hoch und heilig Stillschweigen gelobte. Und sie gehört zu den Mädchen, die ihr Wort halten.«

 

Riki ging in dem Raum auf und ab. »Ist dieser Eli Boß – der Vorname klingt beinahe indisch – denn auch vertrauenswürdig?«

 

Bei dieser Frage zeigte sein Gesicht einen merkwürdigen Ausdruck. Es schien fast so, als ob er in anderer Beziehung an Elis Vertrauenswürdigkeit zweifelte.

 

»Vollständig zuverlässig, sollte ich denken, wenn Sie ihn gut genug bezahlen«, sagte Colley. Dabei huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Wäre es nicht besser, wir würden eine Zofe mitnehmen, die auf der Reise nach Hope Joyner sehen könnte?«

 

»Das ist unnötig, wenn Sie mitgehen«, unterbrach ihn der Radscha schnell. »Ich wünsche nicht, daß eine Frau mit ihr fährt. Wenn es eine Inderin wäre, ja – aber ich habe keine, die mitfahren könnte.«

 

»Da haben Hoheit recht, obgleich es wirklich besser wäre, wenn eine indische Frau an Bord wäre und ihr helfen könnte.«

 

Er nahm ein Papier aus seiner Brieftasche und händigte es dem Fürsten aus.

 

»Hier ist der vorläufige Fahrplan – wir erreichen den Treffpunkt an der indischen Küste achtundvierzig Stunden nach diesem Tag.« Dabei zeigte er auf ein bestimmtes Datum. »Ich habe die Signale genau besprochen, und die Landung wird glattgehen.«

 

Sie sprachen noch über Einzelheiten des Planes, und Colley verließ das Hotel nach einer Stunde mit der ersten Rate seiner Belohnung.

 

Colley bereute keinen Augenblick das unerhörte Verbrechen, das er plante. Wenn er einen Wunsch hatte, so war es nur der, daß der Fürst sein anderes großes Unternehmen für ein oder zwei Monate aufschieben sollte. Er wußte nur, daß Trayne seine Hand im Spiel hatte und daß irgendeine große Sache inszeniert werden sollte – vielleicht noch ein Mädchen … Wenn er gewußt hätte, daß Graham Hallowell ihn nach Indien begleiten sollte, dann hätte er der Reise ablehnend gegenübergestanden.

 

Auf seinem Heimweg besuchte er den Mousetrap-Klub und war gespannt, ob Trayne noch irgendeine Andeutung machen würde, welcher Art das zweite Unternehmen sei. Tiger saß in dem kleinen, hübschen Schreibzimmer, eine Tasse Kaffee vor sich. Eine zur Hälfte gerauchte Zigarre lag auf einer Glasschale neben ihm. Er schrieb einen Brief und hatte dazu eine Brille aufgesetzt. Als sich die Tür öffnete, schaute er sich um. Er war bisher allein im Raum gewesen. Unfreundlich begrüßte er Colley.

 

»Ich komme gerade von einem Besuch unseres gemeinsamen Freundes.«

 

Colley nahm sich eine Zigarre aus der Kiste, die neben Tiger auf dem Schreibtisch stand.

 

»Das ist die schlechteste Nachricht, die ich seit Jahren gehört habe.« Er nahm seine Brille ab und klappte sie sorgfältig zusammen. Auch wendete er den Bogen, auf dem er schrieb, um, so daß man nichts lesen konnte.

 

Mr. Warrington lächelte.

 

»Ich will Sie nicht stören«, sagte er, schnitt die Spitze seiner Zigarre ab, zündete sie an und ließ sich dann in dem bequemen Sessel nieder.

 

»Ich wußte bis jetzt noch gar nicht, daß wir einen gemeinsamen Freund haben. Wer ist denn dieser Unglückliche?« fragte Trayne, indem er die Augenbrauen zusammenzog.

 

»Wollen wir ihn nicht den Herrn aus Indien nennen?«

 

»Riki? Haben Sie ihm das Pikettspiel beigebracht?« Es lag eine böse Anspielung in dieser Frage. Colleys Gewandtheit in diesem Spiel hatte viel dazu beigetragen, seinen gesellschaftlichen Ruf zu untergraben.

 

Colley lachte. Man konnte ihn nicht beleidigen.

 

»Sie kennen ihn doch? Er sagte mir, daß Sie einen Plan für ihn ausführen. Kann ich mich auch an dieser Sache beteiligen?«

 

Trayne nahm seine halbgerauchte Zigarre aus der Kristallschale und steckte sie wieder an.

 

»Nein. Weder der Fürst noch ich würden damit einverstanden sein. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen: er ist Ihrer überdrüssig. Er fragte mich, ob ich nicht ein paar Leute wüßte, die Sie erledigen könnten. Aber Jagd nach Lumpen war niemals mein Fall.«

 

Colley war noch immer nicht gekränkt.

 

»Ich habe mich schon so oft gewundert«, sagte er, »warum wir beide nicht bessere Freunde sind.«

 

Tiger lachte.

 

»Wundern Sie sich nicht mehr«, antwortete er prompt. »Ich mag Sie nicht, und ich traue Ihnen nicht – das sind doch sicher zwei gute Gründe, nicht wahr?«

 

»Ich bewundere Offenheit, selbst bei Ihnen«, lächelte Colley.

 

»Was werfen Sie mir eigentlich vor?«

 

Trayne antwortete ihm sofort, und er gebrauchte dabei ein Wort, das das schlimmste war, was er Colley Warrington sagen konnte. Und diesmal hatte er ihn getroffen. Colley wurde blaß, nur zwei hektisch rote Flecken waren auf seinen Wangen zu sehen.

 

»Das Wort kann ich nicht hören«, sagte er scharf.

 

»Deswegen sage ich es ja. Hätte ich es selbst dem gemeinsten Dieb gegenüber gebraucht, so würde er sofort auf mich geschossen haben, und das mit Recht. Aber ich weiß kein anderes Wort, das besser auf einen Mann paßt, der Frauen so schamlos ausbeutet wie Sie, Warrington. Und wenn Sie jetzt nichts dagegen haben, möchte ich meinen Brief zu Ende schreiben.«

 

Colley Warrington verließ den Mousetrap-Klub zitternd vor Wut – nicht das erstemal in seinem Leben hatte Tiger eine seiner empfindlichen Stellen getroffen. Er sann auf einen Weg, wie er diesem großen Verbrecher schaden könnte, aber obwohl er den rasenden Wunsch hatte, sich zu rächen, war doch seine Furcht vor der weitverzweigten Organisation Tiger Traynes noch größer.

 

Er hätte sich die Unruhe und Mühe sparen können, Rachepläne auszuhecken, denn das Schicksal wollte es, daß er und Tiger Trayne einander nie mehr begegnen sollten.