Die Frau von Athos.

»Wir müssen uns nun noch Kunde von Athos verschaffen,« sagte d’Artagnan dem munter gewordenen Aramis, als er ihn von dem, was seit ihrer Abreise in der Hauptstadt vorgefallen war, in Kenntniß gesetzt, und nachdem ein vortreffliches Mittagsbrod den Einen seine These, den Andern seine Müdigkeit vergessen gemacht hatte.

»Glaubt Ihr also, es könnte ihm ein Unglück widerfahren sein?« fragte Aramis. »Athos ist so kaltblütig, so muthig und weiß seinen Degen so geschickt zu handhaben.« – »Allerdings, und Niemand ist mehr geneigt, als ich, den Muth und die Geschicklichkeit von Athos anzuerkennen, aber ich lasse mich lieber mit Lanzen als mit Knitteln angreifen. Ich fürchte, Athos ist von dem Bedientenvolk gestriegelt worden. Die Knechte sind Leute, welche gewaltig schlagen und nicht so bald aufhören. Das ist der Grund, warum ich so schnell als möglich abzureisen wünsche.« – »Ich werde es versuchen, Euch zu begleiten,« sagte Aramis, »obgleich ich mich kaum im Stande fühle, zu Pferd zu steigen. Gestern versuchte ich die Geißel, welche Ihr dort an der Wand seht, und der Schmerz nöthigte mich diese fromme Übung zu unterbrechen.« – »Man hat auch noch nie gesehen, mein lieber Freund, daß Büchsenschüsse mit Geißelhieben geheilt werden. Aber Ihr wäret krank, und Krankheit schwächt, weßhalb ich Euch entschuldige.« – »Und wann gedenkt Ihr abzureisen?« – »Morgen mit Tagesanbruch. Ruhet diese Nacht so gut als möglich, und morgen, wenn Ihr könnt, reisen wir mit Tagesanbruch.« – »Morgen also,« sagte Aramis, »denn so sehr Ihr auch von Eisen seid, so müßt Ihr doch wohl der Ruhe bedürfen.«

Als d’Artagnan am andern Morgen bei Aramis eintrat, stand dieser an seinem Fenster.

»Was betrachtet Ihr da?« fragte d’Artagnan. – »Meiner Treu! ich bewundere diese drei prächtigen Pferde, welche die Stallknechte am Zaume halten; es ist ein fürstliches Vergnügen, auf solchen Pferden zu reisen.« – »Nun, mein lieber Aramis, Ihr werdet Euch dieses Vergnügen machen, denn eines von den drei Pferden gehört Euch.« – »Ah! ah! und welches?« – »Dasjenige, welches Ihr auswählt. Ich gebe keinem den Vorzug.« – »Und die reiche Decke gehört auch mir?« – »Allerdings.« – »Ihr scherzt, d’Artagnan.« – »Ich scherze nicht mehr, seitdem Ihr wieder französisch sprecht.« – »Also gehören mir diese vergoldeten Halfter, diese Sammetschabracke, dieser silberbeschlagene Sattel?« – »Euch selbst, wie jenes sich bäumende Pferd mir, und das andere tänzelnde Athos gehört.« – »Teufel, das sind drei herrliche Thiere!« – »Es freut mich, daß sie Eurem Geschmack entsprechen.« – »Also der König hat Euch dieses Geschenk gemacht?« – »Sicherlich nicht der Kardinal, aber kümmert Euch nicht darum, woher sie kommen, und denkt nur daran, daß eines derselben Euch gehört.« – »Ich nehme das, welches der rothe Bediente hält.« – »Vortrefflich.« – »Bei Gott,« rief Aramis, »das befreit mich von dem Rest meines Schmerzes. Ich würde es mit dreißig Kugeln im Leibe besteigen. Ah, bei meiner Seele, die schönen Steigbügel! Hollah! Bazin, komm hieher; sogleich!«

Bazin erschien trübe und lahm auf der Schwelle.

»Putze meinen Degen, stülpe meinen Hut auf, bürste meinen Mantel und lade meine Pistolen!«

»Letzteres ist unnöthig,« unterbrach ihn d’Artagnan, »es sind geladene Pistolen in Euren Holstern.«

Bazin seufzte.

»Auf, Meister Bazin, beruhigt Euch. Man gewinnt das himmlische Reich in allen Lebenslagen.«

»Der gnädige Herr war ein so guter Theolog,« sagte Bazin weinerlich, »er wäre Bischof oder vielleicht Kardinal geworden.«

»Nun, mein armer Bazin, sieh und bedenke ein wenig: ich bitte Dich, wozu nützt es, ein Mann der Kirche zu sein? Man muß darum doch in den Krieg ziehen. Du siehst, daß der Kardinal den ersten Feldzug mit der Pickelhaube auf dem Kopf und mit der Partisane in der Faust macht, und Herr von Nogaret de la Valette – was sagst Du von ihm? er ist ebenfalls Kardinal. Frage seinen Lakai, wie oft er Charpie für ihn gezupft hat.«

»Ach, ich weiß es, gnädiger Herr,« seufzte Bazin. »Alles ist heutzutage verkehrt in der Welt.«

Während dieser Zeit waren die zwei jungen Leute und der arme Lakai die Treppe hinabgegangen.

»Halte mir den Steigbügel, Bazin,« sprach Aramis.

Und er sprang mit seiner gewöhnlichen Anmuth und Leichtigkeit in den Sattel; aber nach einigen Volten und Courbetten des edlen Thieres fühlte sein Reiter so unerträgliche Schmerzen, daß er erbleichte und wankte. D’Artagnan, der ihn in der Voraussicht dieses Unfalles nicht aus dem Gesicht verloren hatte, lief hinzu, faßte ihn in seinen Armen auf und führte ihn in sein Zimmer.

»Es ist gut, mein lieber Aramis, pflegt Euch,« sagte er, »und ich werde Athos allein aufsuchen.« – »Ihr seid ein eherner Mann,« erwiederte Aramis. – »Nein, ich habe Glück, das ist das Ganze. Aber wie wollt Ihr leben, bis ich zurückkomme? Keine These? keine Glosse über die Finger und die Segnungen mehr, nicht wahr?«

Aramis lächelte.

»Ich werde Verse machen,« sprach er.

»Ja, Verse so duftend wie das Billet der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse. Lehrt Bazin die Verskunst, das wird ihn beruhigen. Was Euer Pferd betrifft, so reitet es jeden Tag ein wenig, damit Ihr Euch an seine Manöver gewöhnt.«

»O, was das betrifft, seid unbesorgt,« sprach Aramis, »Ihr werdet mich bereit finden. Euch zu folgen.«

Sie nahmen Abschied, und zehn Minuten nachher trabte d’Artagnan in der Richtung von Amiens, nachdem er zuvor seinen Freund der Wirthin und Bazin empfohlen hatte.

Wie sollte er Athos wiederfinden und durfte er ihn überhaupt zu finden hoffen?

D’Artagnan hatte Athos in einer äußerst kritischen Lage zurückgelassen und er konnte wohl unterlegen sein. Dieser Ge danke verdüsterte d’Artagnan’s Stirne und veranlaßte ihn zu ganz leisen Racheschwüren. Von allen seinen Freunden war Athos der älteste und folglich derjenige, welcher ihm in Geschmack und Sympathien scheinbar am wenigsten nahe stand. Er hegte jedoch für diesen Edelmann eine sichtbare Vorliebe. Das edle stolze Aussehen von Athos, diese Blitze von Größe, welche von Zeit zu Zeit aus den Schatten hervorsprangen, in denen er sich freiwillig eingeschlossen hielt, diese unveränderliche Gleichheit der Gemüthsart, die ihn zum angenehmsten Kameraden von der Welt machte, und diese beißende Heiterkeit, dieser Muth, den man hätte blind nennen können, wenn er nicht das Resultat der seltensten Kaltblütigkeit gewesen wäre, alle diese Eigenschaften nöthigten d’Artagnan mehr als Achtung, mehr als Freundschaft, sie nöthigten ihm volle Bewunderung ab.

Selbst Herrn von Treville, dem eleganten und edlen Hofmann gegenüber, konnte Athos in seinen Tagen schöner Laune mit Vortheil eine Vergleichung aushalten. Er war von mittlerer Gestalt, aber diese Gestalt war so bewundernswürdig gebaut, so verhältnißmäßig, daß er bei seinen Kämpfen mit Porthos diesen Riesen, dessen Körperkraft unter den Musketieren sprüchwörtlich geworden war, mehr als einmal bezwungen hatte. In seinem Kopf mit den blitzenden Augen, mit der Adlernase, mit dem Brutuskinn lag ein Charakter unbeschreiblicher Größe und Anmuth; seine Hände, auf die er keine Sorgfalt verwendete, brachten Aramis zur Verzweiflung, der die seinigen mit Hülfe von sehr viel Mandelteig und wohlriechendem Oel pflegte; der Ton seiner Stimme war zugleich durchdringend und melodisch, und dabei hatte Athos, der sich immer klein und dunkel machte, etwas ganz Unerklärliches an sich, diese genaue Vertrautheit mit der Welt und den Gebräuchen der guten Gesellschaft, diese Gewohnheit an ein vornehmes Leben, die sich ganz unwillkürlich selbst in seinen geringsten Handlungen kundgab.

Sollte ein Festmahl stattfinden, so vermochte es Niemand in der Welt besser zu ordnen, als er, indem er jeden Gast an den Platz und nach dem Range setzte, den er vermöge seiner Ahnen oder seines eigenen Verdienstes ansprechen durfte. War von heraldischer Wissenschaft die Rede, so kannte Athos alle edlen Familien des Königreichs, ihre Genealogie, ihre Verbindungen, ihre Wappen und den Ursprung ihrer Wappen. Die Etikette hatte keine, wenn auch noch so kleinliche Rücksichten, die ihm fremd gewesen wären; er war vertraut mit den Rechten der großen Grundeigenthümer, er besaß vollkommene Kenntnisse in dem Jagdwesen und in der Falknerei, und er hatte eines Tags, als er über diese große Kunst sprach, den König Ludwig XIII., der doch für einen Meister galt, in Erstaunen gesetzt. Wie alle große Herren dieser Zeit, war er ein vollendeter Reiter und ein ausgezeichneter Fechter.

Mehr noch: man hatte seine Erziehung, sogar hinsichtlich der scholastischen Studien, welche damals unter Edelleuten so selten zu finden waren, so wenig vernachlässigt, daß er oft bei den lateinischen Brocken, welche Aramis zum Besten gab und Porthos verstehen wollte, sich eines Lächelns nicht enthalten konnte. Einige Male war es sogar zum großen Erstaunen seiner Freunde vorgekommen, daß er, wenn Aramis sich eines Fehlers in den Rudimenten schuldig machte, das Verbum in sein Tempus und das Nomen in seinen Casus setzte. Ueberdies war seine Redlichkeit unantastbar in einem Jahrhundert, wo es die Kriegsmänner mit ihrer Religion und ihrem Gewissen, die Liebenden mit dem strengen Zartgefühl und die Armen mit dem siebenten Gebot des Herrn so leicht nahmen. Athos war also ein sehr ungewöhnlicher Mann.

Und doch sah man diese so ausgezeichnete Natur, dieses so schöne Geschöpf, dieses so gesund organisirte Wesen sich unmerklich dem materiellen Leben zuwenden, wie sich die Greise den körperlichen und geistigen Schwächen zuwenden. In seinen Mußestunden, und diese kamen sehr häufig vor, erlosch Athos ganz in seinem leuchtenden Theil, und seine glänzende Seite verschwand in einer tiefen Nacht. Wenn dann der Halbgott unsichtbar wurde, blieb kaum noch ein Mensch übrig. Mit gesenktem Kopf, mattem Auge und schwerer Zunge schaute Athos Stunden lang seine Flasche, sein Glas oder Grimaud an, der gewöhnt war, ihm auf Zeichen zu gehorchen, und in dem stummen Blick seines Gebieters sein geringstes Verlangen las, das er auch sogleich befriedigte. Fand in einem solchen Augenblick eine Zusammenkunft der vier Freunde statt, so war ein gewaltsam ausgestoßenes Wort das einzige Kontingent, das Athos zu ihrem Gespräche lieferte. Dagegen trank Athos ganz allein für vier, und zwar ohne daß dies durch etwas Anderes, als durch ein stärkeres Runzeln der Stirne und durch eine tiefere Traurigkeit sichtbar wurde.

D’Artagnan, dessen forschenden durchdringenden Geist wir kennen, hatte bis jetzt, so sehr ihm daran lag, auch seine Neugierde in dieser Beziehung zu befriedigen, noch keinen Grund für diese seltsame Erscheinung aufzufinden, und die Ereignisse die ihr vorangegangen sein mußten, noch nicht zu erforschen vermocht. Nie empfing Athos Briefe, nie that er einen Schritt, der nicht allen seinen Freunden bekannt gewesen wäre. Man konnte nicht sagen, der Wein versetzte ihn in diese Traurigkeit, denn er trank im Gegenteil nur, um diese Traurigkeit zu bekämpfen, welche sich, wie bemerkt, durch dieses Gegenmittel noch düsterer gestaltete. Man konnte dieses Uebermaß von Mißmuth nicht dem Spiel zuschreiben, denn im Gegensatz gegen Porthos, welcher alle Wechselfälle des Spieles mit seinen Flüchen oder Liedern begleitete, blieb Athos eben so unempfindlich, wenn er gewonnen, als wenn er verloren hatte. Man hat ihn in Gesellschaft der Musketiere an einem Abend dreitausend Pistolen gewinnen, sein Pferd, seine Waffen, ja sogar das goldgestickte Wehrgehänge für Galatage verlieren, und später das Alles und noch hundert Louisd’or dazu wieder gewinnen gesehen, ohne daß sich seine schönen schwarzen Augenbrauen auch nur um eine halbe Linie erhöht oder gesenkt hätten, ohne daß seine Hände ihre Perlmutterfarbe verloren, ohne daß seine Unterhaltung, welche an diesem Abend sehr angenehm war, aufgehört hätte, ruhig und freundlich zu sein.

Eben so wenig war es, wie bei unsern Nachbarn, den Engländern, ein atmosphärischer Einfluß, der sein Gesicht verdüsterte, denn diese Traurigkeit nahm gewöhnlich in der schönen Jahreszeit überhand: Juni und Juli waren die furchtbarsten Monate von Athos.

Für die Gegenwart hatte er keinen Kummer; er zuckte die Achseln, wenn man von der Zukunft mit ihm sprach. Sein Geheimniß lag also in der Vergangenheit, wie man dies auf eine unbestimmte Weise d’Artagnan gesagt hatte.

Diese geheimnißvolle, über seine ganze Person verbreitete Färbung machte den Mann noch viel interessanter, der nie, selbst nicht einmal im Zustand vollkommener Trunkenheit, weder mit den Augen noch mit dem Munde etwas verrathen hatte, so geschickt auch die Fragen gestellt gewesen sein mochten, die man an ihn richtete.

»Der arme Athos ist vielleicht schon todt,« dachte d’Artagnan, »und todt durch meine Schuld, denn ich habe ihn in diese Angelegenheit verwickelt, deren Ursprung er nicht kannte, deren Erfolg er nicht erfahren, und woraus er nicht den geringsten Nutzen ziehen wird.«

»Abgesehen davon, gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »daß wir ihm wahrscheinlich das Leben zu verdanken haben. Ihr erinnert Euch, wie er schrie: ›Fort, d’Artagnan, ich bin gefangen!‹ Und nachdem er seine zwei Pistolen abgefeuert hatte, was für einen furchtbaren Lärm machte er mit seinem Degen! man hätte glauben sollen, es wären zwanzig Menschen, oder vielmehr zwanzig rasende Teufel!«

Diese Worte verdoppelten den Eifer d’Artagnans, der sein Pferd antrieb, welches, keines Antriebs bedürftig, seinen Reiter im schnellsten Galopp forttrug. Gegen elf Uhr Morgens erblickte man Amiens; um halb zwölf Uhr war man vor der Thür« des schlimmen Wirthshauses.

D’Artagnan hatte oft gegen den treulosen Wirth auf eine Rache gesonnen, deren Hoffnung den Menschen tröstet. Er trat also, den Hut in die Augen gedrückt, die linke Hand am Degengriff und die Reitpeitsche mit der Rechten schwingend, in den Gasthof ein.

»Erkennt Ihr mich?« sprach er zu dem Wirthe, der ihm begrüßend entgegen trat.

»Ich habe nicht die Ehre, gnädigster Herr,« antwortete der Wirth, dessen Auge noch von dem glänzenden Aufzuge d’Artagnans geblendet war.

»Ah, Ihr kennt mich nicht?«

»Nein, gnädiger Herr.«

»Gut. Zwei Worte sollen Euch das Gedächtniß zurückgeben. Was habt Ihr mit dem Edelmann gemacht, den Ihr vor vierzehn Tagen der Falschmünzerei zu bezichtigen die Frechheit hattet?«

Der Wirth erbleichte, denn d’Artagnan hatte seine drohendste Stellung angenommen und Planchet formte sich nach seinem Gebieter.

»Ach, gnädiger Herr, sprecht mir nicht hievon!« rief der Wirth mit äußerst kläglicher Stimme. »Ach, gnädiger Herr, wie theuer mußte ich dieses Versehen bezahlen! Ach ich bin ein unglücklicher Mann!«

»Sprecht, was ist aus diesem Edelmann geworden?«

»Hört mich gnädigst an und verfahrt glimpflich. Habt die Gnade, setzt Euch.«

Stumm vor Zorn und Aufregung, setzte sich d’Artagnan drohend wie ein Richter. Planchet lehnte sich stolz an seinen Stuhl.

»Hört die ganze Geschichte, gnädiger Herr,« fuhr der Wirth zitternd fort; denn jetzt erkenne ich Euch. Ihr seid weggeritten, als ich den unseligen Streit mit dem Edelmann hatte, von dem Ihr sprecht.« – »Ja, das war ich. Ihr seht also, daß Ihr keine Gnade zu erwarten habt, wenn Ihr nicht die volle Wahrheit bekennt.« – »Wollt mich gnädigst anhören, und Ihr sollt Alles erfahren.« – »Ich höre.« – »Ich war von den Behörden in Kenntniß gesetzt worden, es würde ein berühmter Falschmünzer mit mehreren seiner Gefährten, die sich alle als Garden oder Musketiere verkleidet hätten, in meinen Gasthof kommen. Eure Pferde, Eure Lakaien, Eure Gesichter, gnädigster Herr, Alles war mir genau bezeichnet worden.« – »Weiter, weiter,« sprach d’Artagnan, welcher alsbald erkannte, woher ein so scharfes Signalement gekommen war. – »Ich ergriff also auf Befehl der Behörde, die mir eine Verstärkung von sechs Mann zuschickte, diejenigen Maßregeln, die ich für zweckmäßig hielt, um mich der angeblichen Falschmünzer zu versichern.« – »Auch noch!« rief d’Artagnan, dem der Ausdruck Falschmünzer furchtbar die Ohren erhitzte. – »Vergebt mir, gnädiger Herr, daß ich solche Dinge sage, aber sie dienen gerade zu meiner Rechtfertigung. Die Behörde hatte mir bange gemacht, und Ihr wißt, daß ein Wirth der Behörde gehorchen muß.« – »Aber noch einmal, wo ist dieser Edelmann? was ist aus ihm geworden? ist er todt? lebt er?« – »Geduld, gnädiger Herr, wir kommen sogleich daran. Es geschah, was Ihr wißt, und Eure schleunige Abreise schien zu dem Verfahren zu berechtigen,« fügte der Wirth mit einer Schlauheit bei, welche d’Artagnan nicht entging. »Dieser Edelmann, Euer Freund, vertheidigte sich wie em Verzweifelter. Sein Bedienter, der durch ein unvorhergesehenes Unglück Streit mit den Leuten von der Behörde gesucht hatte, welche als Stallknechte verkleidet waren …« – »Ha, Elender,« rief d’Artagnan, »Ihr wäret also einverstanden, und ich weiß nicht, warum ich Euch nicht sogleich Alle umbringe?« – »Ach, nein, gnädiger Herr, wir waren nicht alle einverstanden, wie Ihr sehen werdet. Euer Herr Freund (vergebt, daß ich ihn nicht bei dem ehrenwerthen Namen nenne, den er ohne Zweifel führt, aber wir wissen diesen Namen nicht). Euer Herr Freund zog sich, nachdem er zwei Menschen mit seinen zwei Pistolenschüssen kampfunfähig gemacht hatte, fechtend zurück, indem er sich mit seinem Degen vertheidigte, wobei er einen von meinen Leuten zum Krüppel hieb und mich durch einen Schlag mit der flachen Klinge betäubte.« – »He, Henkersknecht, wirst Du bald zu Ende kommen?« rief d’Artagnan. »Athos! was geschah mit Athos?« – »Indem er sich fechtend zurückzog, wie ich dem gnädigen Herrn gesagt habe, fand er hinter sich die Kellertreppe, und da die Thüre offen war, so sprang er hinein. Sobald er sich im Keller befand, zog er den Schlüssel ab und verrammelte sich von innen. Da man überzeugt war, daß man ihn hier wieder finden konnte, so ließ man ihn frei.« – »Ja,« sprach d’Artagnan, »man kümmerte sich nicht darum, ihn zu tödten, man suchte ihn nur einzukerkern.« – »Gerechter Gott! Ihn einzukerkern, gnädiger Herr? Er kerkerte sich selbst ein, das schwöre ich Euch. Er hatte zuvor ein tüchtiges Stück Arbeit gemacht. Ein Mann lag todt auf dem Platze, zwei andere waren schwer verwundet. Der Todte und die zwei Verwundeten wurden von ihren Kameraden weggebracht, und nie habe ich mehr von dem Einen oder von den Andern sprechen hören. Ich selbst, als ich wieder zum Bewußtsein kam, suchte den Herrn Gouverneur auf, dem ich Alles erzählte, was vorgefallen war; ich fragte ihn, was ich mit dem Gefangenen machen sollte, aber der Gouverneur sah aus, als wäre er aus den Wolken gefallen. Er sagte mir, er verstehe gar nicht, was ich da spreche, die Befehle, die ich erhalten, seien nicht von ihm ausgegangen, und wenn ich so unglücklich wäre, gegen irgend Jemand zu äußern, daß er den geringsten Antheil an diesem heillosen Streite gehabt habe, so würde er mich hängen lassen. Es scheint, ich hatte mich getäuscht, gnädiger Herr, und den Einen für den Andern genommen, und derjenige, welcher verhaftet werden sollte, war gerettet.« – »Aber Athos?« rief d’Artagnan, dessen Ungeduld sich noch durch die Art und Weise verdoppelte, wie die Behörde die ganze Sache von sich abgelehnt hatte; »was ist aus Athos geworden?« – »Da mir daran liegen mußte, eiligst mein Unrecht gegen den Gefangenen gut zu machen,« antwortete der Wirth, »so lief ich nach dem Keller, um ihn wieder in Freiheit zu setzen. Ach, gnädiger Herr, das war kein Mensch mehr, das war ein Teufel. Bei meinem Freiheitsantrag erklärte er, es sei eine Falle, die man ihm stellen wolle, und ehe er herausgebe, werde er Bedingungen machen. Ich erwiederte ihm ganz demüthig, denn ich verhehlte mir die schlimme Lage nicht, in die ich mich dadurch gebracht hatte, daß ich an einen Musketier Seiner Majestät Hand legte; ich erwiederte ihm, ich sei bereit, mich allen seinen Bedingungen zu unterziehen.« – »Vor Allem,« sprach er, »verlange ich, daß man mir meinen Bedienten vollständig bewaffnet zurückgibt.« – »Man beeilte sich, diesem Befehl zu gehorchen, denn Ihr begreift wohl, gnädiger Herr, daß wir bereit waren. Alles zu thun, was Euer Freund verlangte. Herr Grimaud (dieser hat seinen Namen genannt, obgleich er nicht viel spricht), Herr Grimaud wurde also, obschon verwundet, in den Keller hinabgelassen. Sobald er sich bei seinem Herrn befand, verrammelte dieser wieder die Thüre und befahl uns, in unserer Schenkstube zu bleiben.« – »Aber wo ist er denn?« rief d’Artagnan, »wo ist Athos?« –

»Im Keller, gnädiger Herr.« – »Wie, Unglücklicher? Ihr haltet ihn seit dieser Zeit im Keller fest?« – »Gütiger Gott! nein, gnädiger Herr. Wir ihn im Keller festhalten! Ihr wißt also nicht, was er in dem Keller gemacht hat? Ach! wenn Ihr ihn herausbringen könntet, ich wäre Euch mein ganzes Leben dankbar, ich würde Euch anbeten, wie meinen Schutzpatron!« – »Also ist er da? ich finde ihn dort?« – »Allerdings, gnädiger Herr. Er besteht darauf, nn Keller zu bleiben. Jeden Tag reicht man ihm durch das Luftloch Brod an einer Gabel, und Fleisch, wenn er es verlangt. Aber sein stärkster Verbrauch besteht leider nicht in Brod und Fleisch. Einmal versuchte ich es, mit zwei von meinen Aufwärtern hinabzusteigen, aber er gerieth in eine furchtbare Wuth. Ich hörte das Geräusch seiner Pistolen, die er lud, und seiner Muskete, die sein Bedienter lud. Als wir sie sodann fragten, was sie beabsichtigten, so antwortete er: sie hätten zusammen noch vierzig Schüsse abzufeuern, und sie würden sie eher abfeuern, als daß sie einem von uns den Eintritt in den Keller gestatteten. Ich ging sodann zu dem Gouverneur, gnädiger Herr, um mich zu beklagen. Dieser aber erwiederte mir, es geschehe mir ganz recht, und das würde mich wohl lehren, in Zukunft ehrenwerthe Edelleute, welche bei mir einkehren, nicht mehr zu beleidigen.« – »Und seit dieser Zeit …« versetzte d’Artagnan, der sich eines lauten Lachens über das erbarmungswürdige Gesicht des Wirthes nicht enthalten konnte. – »Und seit dieser Zeit, gnädiger Herr,« sprach dieser, »führen wir das traurigste Leben, das man sich denken kann, denn Ihr müßt wissen, daß alle meine Vorräthe im Keller aufbewahrt find: unser Flaschen- und unser Faßwein, das Bier, das Öl und die Specereien, der Speck und die Würste. Und da es uns verboten ist, hinabzusteigen, so sind wir genöthigt, den Reisenden, die bei uns ankommen, Essen und Trinken zu verweigern, so daß unser Gasthof von Tag zu Tag abnimmt. Verweilt Euer Freund noch eine Woche in unserm Keller, so sind wir geschlagene Leute.« – »Und das wäre nicht mehr als billig. Schuft! Sagt, hat man uns nicht an unserer Miene angesehen, daß wir Leute von Stand und keine Falschmünzer waren?« – »Ja, gnädiger Herr, ja, Ihr habt Recht. Aber hört, hört, wie er wüthet!« – »Ohne Zweifel wird man ihn gestört haben.« – »Man muß ihn wohl stören,« rief der Wirth. »Es sind soeben zwei vornehme Engländer bei uns angekommen.« – »Was weiter?« – »Was weiter! Die Engländer lieben den guten Wein, wie Ihr wißt, und diese haben vom besten verlangt. Meine Frau wird von Eurem Freund sich die Erlaubniß erbeten haben, eintreten zu dürfen, um diese Herren befriedigen zu können. Und er hat es wahrscheinlich wie gewöhnlich abgeschlagen. Ach, gütiger Gott! der Teufelslärm verdoppelt sich!«

D’Artagnan hörte wirklich auf der Seite des Kellers ein gewaltiges Getöse. Er stand auf. Der Wirth schritt, die Hände ringend, vor ihm her, Planchet folgte ihm, das geladene Gewehr in der Hand, und so näherte er sich dem Orte der Handlung.

Die zwei fremden Herren waren in Verzweiflung. Sie hatten einen langen Ritt gemacht, und starben beinahe vor Hunger und Durst.

»Das ist eine wahre Tyrannei!« riefen sie in sehr gutem Französisch, obgleich mit etwas fremdem Accent; »es ist eine wahre Tyrannei, daß dieser Hauptnarr die guten Leute nicht über ihren Wein verfügen lassen will. Aus! treten wir die Thüre ein, und wenn er zu wüthend ist, so schlagen wir ihn todt.«

»Warum nicht gar, meine Herren,« sagte d’Artagnan, seine Pistolen aus dem Gürtel ziehend. »Ihr werdet Niemand todtschlagen, wenn’s beliebt.«

»Gut, gut,« sprach Athos ruhig hinter der Thür, »man lasse sie nur ein wenig eintreten, diese Kleinkinderfresser, und wir werden sehen.«

So muthig die beiden englischen Herren sich geberdet hatten, so schauten sie doch jetzt zögernd einander an; man hätte glauben sollen, im Keller befinde sich ein ausgehungerter Wehrwolf, einer jener riesigen Helden der Volkssage, in deren Höhle Niemand ungestraft eindringt.

Nach einer kurzen Pause stieg der Händelsüchtigste von ihnen die fünf oder sechs Stufen der Treppe hinab, und gab der Thüre einen Fußtritt, daß eine Mauer hätte bersten müssen.

»Planchet,« sprach d’Artagnan, seine Pistolen rüstend, »ich übernehme den obern, übernimm Du den untern. Ah! meine Herren, Ihr wollt eine Schlacht! Ganz gut, sie soll Euch geliefert werden.«

»Mein Gott,« rief Athos mit hohler Stimme, »ich höre d’Artagnan, wie es mir scheint.«

»In der That!« schrie d’Artagnan, »ich bin es, mein Freund.«

»Ah, dann ist es gut,« sprach Athos, »wir wollen sie bearbeiten, diese Thürenstürmer!«

Die Fremden hatten ihre Degen ergriffen, aber sie fanden sich zwischen zwei Feuer gestellt; sie zögerten noch einen Augenblick; doch der Stolz trug wie das erste Mal den Sieg davon, und ein zweiter Fußtritt machte die Thüre in ihrer ganzen Höhe erkrachen.

»Halt‘ Dich fertig, d’Artagnan, halt‘ Dich fertig!« brüllte Athos, »halt‘ Dich fertig! ich schieße!«

»Meine Herren!« rief d’Artagnan, den die Ueberlegung nie verließ, »meine Herren, bedenkt wohl! Geduld, Athos. Ihr fangt einen schlimmen Handel an, bei dem Ihr sicherlich den Kürzeren ziehet. Ich und mein Bedienter, wir feuern dreimal, eben so viele Kugeln werden Euch vom Keller aus zugeschleudert; dann haben wir noch unsere Degen, mit denen mein Freund und ich ziemlich gut zu spielen wissen, das versichere ich Euch. Laßt mich Eure und meine Sache abmachen. Ihr werdet sogleich zu trinken bekommen, darauf gebe ich Euch mein Ehrenwort.«

»Wenn noch etwas übrig ist,« knurrte Athos mit spöttischer Stimme.

Dem Wirth lief der kalte Schweiß über den Rücken.

»Wie so? wenn noch etwas übrig ist!« murmelte er.

»Der Teufel! es wird wohl noch etwas übrig sein,« erwiederte d’Artagnan. »Seid unbesorgt, sie werden zu zwei nicht den ganzen Keller ausgetrunken haben. Meine Herren, steckt Eure Degen in die Scheide!«

»Gut, aber steckt Ihr ebenfalls Eure Pistolen in den Gürtel!«

»Gern!«

D’Artagnan gab das Beispiel, wandte sich sodann gegen Planchet um und deutete ihm durch ein Zeichen an, er solle seine Muskete abspannen.

Hiedurch überzeugt, steckten die Engländer ihre Degen brummend in die Scheide. Man erzählte ihnen die Geschichte der Einkerkerung von Athos, und da sie gute Edelleute waren, so gaben sie dem Wirth Unrecht.

»Nun, meine Herren,« sagte d’Artagnan, »geht in Euer Zimmer hinauf, und in zehn Minuten sollt Ihr Alles bekommen, dafür stehe ich Euch, was Ihr nur wünschet.«

Die Engländer grüßten und entfernten sich.

»Da ich jetzt allein bin, mein lieber Athos,« sagte d’Artagnan, »so öffnet mir gefälligst die Thüre.«

»Sogleich,« erwiederte Athos.

Dann vernahm man ein Geräusch von unter einander geworfenen Reißbündeln und knarrenden Balken. Dies waren die Contreescarpen und Basteien von Athos, welche der Belagerte selbst zerstörte. Nach einem Augenblick wankte die Thüre und man sah den bleichen Kopf von Athos erscheinen, der mit raschem Blick das Terrain musterte.

D’Artagnan warf sich ihm an den Hals und umarmte ihn zärtlich; dann wollte er ihn aus seinem feuchten Aufenthalt herausziehen. Nun aber merkte er erst, daß sein Freund wankte.

»Ihr seid verwundet,« sprach er.

»Nicht im Mindesten, ich bin schwer betrunken, das ist das Ganze. Und um dies zu bewerkstelligen, ist nie ein Mensch in der Welt besser verfahren. Bei Gott! Herr Wirth, ich habe für meinen Theil wenigstens hundert und fünfzig Flaschen getrunken.«

»Barmherzigkeit!« rief der Wirth, »wenn der Diener nur halb so viel getrunken hat, als der Herr, so bin ich zu Grund gerichtet.«

»Grimaud ist ein Lakai von gutem Hause, der sich nicht erlaubt haben würde, auf dieselbe Weise ein Tägliches zu sich zu nehmen, wie ich. Er trank nur aus dem Fasse. Halt! ich glaube, er hat vergessen, den Zapfen wieder hineinzustecken. Hört Ihr, das läuft!«

D’Artagnan brach in ein schallendes Gelächter aus, das den Schauder des Wirths in ein hitziges Fieber verwandelte.

In demselben Augenblick erschien auch Grimaud hinter seinem Herrn, die schwere Büchse auf der Schulter mit wackelndem Kopf, wie trunkene Satyrn auf den Gemälden von Rubens. Lr war hinten und vorn mit einer fetten Flüssigkeit benetzt, worin der Wirth sein bestes Olivenöl erkannte.

Der Zug ging durch den großen Saal und verfügte sich in das schönste Zimmer des Gasthofes, welches d’Artagnan aus eigener Machtvollkommenheit in Beschlag nahm.

Während dieser Zeit stürzten der Wirth und seine Frau in den Keller, der für sie so lange verschlossen gewesen war. Hier aber harrte ihrer ein furchtbares Schauspiel.

Jenseits der Festungswerke, die aus Reißbüscheln, Brettern, Balken und leeren Fässern bestanden, welche Athos nach allen Regeln der Strategie aufgehäuft, nun aber eingerissen hatte, um herausgehen zu können, sah man in Teichen von Oel und Wein die Gebeine aller verspeisten Schinken schwimmen, während eine Masse zerbrochener Flaschen den linken Winkel des Kellers füllte, und ein Faß, dessen Hahn offen geblieben war, durch diese Oeffnung die letzten Tropfen seines Blutes vergoß. Das Bild der Verwüstung und des Todes herrschte hier, nach den Worten eines alten Dichters, wie auf dem Schlachtfelde.

Von fünfzig an den Balken aufgehängten Würsten waren kaum noch zehn übrig.

Das Jammergeschrei des Wirthes und der Wirthin durchdrang nun das Kellergewölbe, und selbst d’Artagnan ward von ihrem lauten Wehklagen bewegt. Athos wandte nicht einmal den Kopf um.

Auf den Schmerz folgte die Wuth. Der Wirth bewaffnete sich mit einem Bratspieß und rannte in seiner Verzweiflung in das Zimmer, in das sich die zwei Freunde zurückgezogen hatten.

»Wein!« sprach Athos, als er den Wirth erblickte. – »Wein!« rief der Wirth ganz außer sich. »Wein! Ihr habt mir für mehr als hundert Pistolen getrunken, ich bin ein geschlagener, verlorener zu Grunde gerichteter Mann!« – »Bah!« sagte Athos, »unser Durst ist immer gleich geblieben.« – »Wenn Ihr Euch nur mit dem Trinken begnügt hättet, aber Ihr habt alle Flaschen zerbrochen.« – »Ei, warum mußtet Ihr mich aus einen Haufen treiben, der herunterrumpelte? Das ist Euer Fehler.« – »All mein Oel ist zu Grunde gegangen.« – »Das Oel ist ein vortrefflicher Balsam für die Wunden, und der arme Grimaud mußte doch die, welche Ihr ihm beigebracht habt, ein wenig einschmieren.« – »Alle meine Würste sind aufgegessen.« – Es gibt eine ungeheure Menge Ratten in diesem Keller.« – »Ihr werdet mir Alles bezahlen,« rief der Wirt verzweiflungsvoll. – »Dreifacher Schurke,« sagte Athos aufstehend, aber er fiel sogleich wieder zurück und gab dadurch einen Maßstab von seinen Kräften. D’Artagnan kam ihm, die Reitpeitsche schwingend, zu Hülfe.

Der Wirth wich einen Schritt zurück und machte sich durch einen Thränenstrom Luft.

»Das wird Euch die Gäste, welche Euch Gott schickt, auf eine höflichere Weise behandeln lehren,« sprach d’Artagnan.

»Gott schickt? sagt lieber der Teufel.«

»Mein lieber Freund,« erwiederte d’Artagnan, »wenn Ihr unsere Ohren noch länger peinigt, so schließen wir uns alle vier in den Keller ein, und wir werden dann sehen, ob der Schaden wirklich so groß ist, als Ihr sagt.«

»Ja, ja,« sprach der Wirth, »ich gestehe, ich habe Unrecht, aber es gibt Gnade und Barmherzigkeit für jede Sünde. Ihr seid vornehme Herren und ich bin ein armer Wirth; Ihr werdet Mitleid mit mir haben.«

»Ah! wenn Du so sprichst,« sagte Athos, »so zerreißest Du mir das Herz, und die Thränen entströmen meinen Augen, wie der Wein deinen Fässern entströmte. Man ist kein so eingefleischter Teufel, wie man aussieht. Komm her, schwatzen wir miteinander.«

Der Wirth trat unruhig näher.

»Komm her, sage ich Dir, und fürchte Dich nicht,« fuhr Athos fort. »In dem Augenblick, wo ich Dich bezahlen wollte, hatte ich meine Börse auf den Tisch gelegt.« – »Ja, gnädiger Herr.« – »Diese Börse enthielt sechszig Pistolen; wo ist sie!« – »In der Gerichtskanzlei deponirt; man sagte, es sei falsche Münze.« – »Gut! laß Dir meine Börse zurückgeben und behalte die sechszig Pistolen.« – »Aber, der gnädige Herr weiß doch, daß die Gerichtskanzlei nichts mehr zurückgibt, was sie einmal in ihrer Kasse hat; wenn es falsche Münze wäre, dann dürfte man noch hoffen, aber leider sind es gute Goldstücke.« – »Mach das mit der Kanzlei ab, mein braver Mann; darum kümmere ich mich um so weniger, als mir kein Livre mehr übrig bleibt.« – »Hört,« sagte d’Artagnan, »wo ist das alte Pferd von Athos?« – »Im Stalle.« – »Wie viel ist es werth?« – »Höchstens fünfzig Pistolen.« – »Es ist achtzig wert, nimm es und Alles ist abgethan’« – »Wie, Du verkaufst mein Pferd?« sprach Athos, »Du verkaufst meinen Bajazet? und auf was soll ich den Feldzug machen? auf Grimaud?« – »Ich bringe Dir ein anderes,« sagte d’Artagnan. – »Ein herrliches!« rief der Wirth. – »Wenn ein schöneres und jüngeres für mich vorhanden ist, so nimm das alte, und – jetzt Wein her!« – »Von welchem?« fragte der Wirth wieder erheitert. – »Von dem, welcher hinten bei den Latten liegt; es sind noch fünfundzwanzig Flaschen davon übrig; die andern zerbrachen insgesammt bei meinem Sturze. Rasch hinab!« – »Das ist ein wahrer Teufelskerl von einem Menschen,« sagte der Wirth bei Seite; bleibt er nur vierzehn Tage hier und bezahlt Alles, was er trinkt, so bin ich wieder geborgen.« – »Und vergiß nicht,« fuhr d’Artagnan fort, »vier Flaschen von demselben zu den englischen Herren hinaus zu tragen.« – »Nun, mein Freund,« sprach Athos, »während er den Wein holt, erzähle mir, was aus den Anderen geworden ist; laß hören.«

D’Artagnan theilte ihm mit, wie er Porthos mir einer Quetschung im Bette, und Aramis an einem Tische zwischen zwei Theologen gefunden hatte. Als er seine Erzählung endigte, erschien der Wirth mit den verlangten Flaschen und mit einem Schinken, der zu seinem Glück außerhalb des Kellers geblieben war.

»Das ist gut,« sagte Athos sein und d’Artagnans Glas füllend, »so viel von Porthos und Aramis; aber Ihr, mein Freund, was habt Ihr und was ist Euch persönlich begegnet? Ihr seht so trübselig aus.« – »Ach! ich bin wahrlich der Unglücklichste von uns Allen.« – »Du unglücklich, d’Artagnan?« sprach Athos. »Laß hören, sprich, auf welche Art bist Du unglücklich?« – »Später,« sagte d’Artagnan. – »Später, und warum später? weil Du glaubst, ich sei betrunken, d’Artagnan? Merke Dir wohl, ich habe nie klarere Ideen, als wenn ich im Wein schwimme. Sprich also, ich bin ganz Ohr.«

D’Artagnan erzählte sein Abenteuer mit Madame Bonacieux. Athos hörte ihm zu, ohne eine Miene zu verändern; als er vollendet hatte, rief der Musketier:

»Erbärmlichkeiten, lauter Erbärmlichkeiten!«

»Erbärmlichkeiten! das ist immer Euer Wort,« sprach d’Artagnan; »das steht Euch sehr schlecht. Euch, der Ihr nie geliebt habt.«

Das todte Auge von Athos flammte plötzlich, aber es war nur ein Blitz; es wurde wieder matt, wie vorher.

»Das ist wahr,« sagte er ruhig, »ich habe nie geliebt.« – »Ihr seht also wohl, Marmorseele,« sprach d’Artagnan, »daß Ihr Unrecht habt, gegen uns, die wir ein zärtlich Herz besitzen, hart zu sein.« – »Zärtliches Herz, durchlöchertes Herz.« – »Was sagt Ihr da?« – »Ich sage, daß die Liebe eine Lotterie ist, wo derjenige, welcher gewinnt, den Tod gewinnt. Glaubt mir, mein lieber d’Artagnan, Ihr seid sehr glücklich, daß Ihr verloren habt. Wenn ich Euch rathen soll, so verliert immer.« – »Sie hatte das Ansehen, als liebte sie mich so sehr.« – »Sie hatte das Ansehen.« – »Oh! sie liebte mich.« – »Kind! es gibt keinen Menschen, der nicht geglaubt hätte, sein Liebchen liebe ihn, und der nicht von seiner Geliebten betrogen worden wäre.« – »Euch ausgenommen, Athos, der Ihr nie geliebt habt.« – »Das ist wahr,« sprach Athos nach kurzem Stillschweigen, »ich habe nie geliebt. Laß uns trinken.« – »Aber unterstützt mich, belehrt mich, Ihr, der Ihr ein Philosoph seid,« sprach d’Artagnan, »ich bedarf der Weisheit und des Trostes.« – »Des Trostes, worüber?« – »Ueber mein Unglück.« – »Euer Unglück macht mich lachen,« sagte Athos die Achseln zuckend, »ich möchte wohl wissen, was Ihr sagtet, wenn ich Euch eine Liebesgeschichte erzählen würde.« – »Die Euch begegnet ist?« – »Oder einem von meinen Freunden, was ist daran gelegen?« – »Sprecht, Athos, sprecht.« – »Wir wollen trinken, das wird besser sein.« – »Trinkt und erzählt.« – »Wirklich, das läßt sich machen,« sagte Athos, sein Glas leerend und wieder füllend; »diese zwei Dinge gehen vortrefflich zusammen.«

Athos sammelte sich, aber je mehr er sich sammelte, desto bleicher sah ihn d’Artagnan werden; er hatte die Periode der Trunkenheit erreicht, wo gewöhnliche Trinker fallen und einschlafen.

»Ihr wollt es durchaus haben?« fragte er.

»Ich bitte Euch darum,« sagte d’Artagnan.

»Euerem Wunsche soll willfahrt werden. Einer von meinen Freunden, hört Ihr wohl? nicht ich,« sprach Athos sich mit einem düstern Lächeln unterbrechend; »einer von den Grafen meiner Provinz, das heißt im Berry, hochgeboren wie ein Dandolo oder ein Montmorency, verliebte sich in seinem fünfundzwanzigsten Jahr in ein sechszehnjähriges Mädchen, das so schön war wie eine Liebesgöttin. Durch die Naivetät ihres Alters leuchtete ein glühender Geist, kein Frauengeist, sondern ein Dichtergeist; sie gefiel nicht, sie berauschte; sie lebte in einem kleinen Dorf bei ihrem Bruder, der Pfarrer war. Beide waren in die Gegend gekommen, ohne daß man wußte, woher; aber wenn man sah, wie schön sie, und wie fromm ihr Bruder war, so dachte man nicht daran, sie zu fragen, woher sie kämen. Ueberdies behauptete man, sie seien von guter Herkunft. Mein Freund, welcher der Gebieter dieser Ländereien war, hätte sie nach seinem Belieben verführen oder mit Gewalt wegnehmen können, denn er war der Herr; wer wäre zwei Fremden, zwei Unbekannten zu Hülfe gekommen? Zu seinem Unglück war er ein ehrlicher Mann und heirathete sie. Der Narr, der Dummkopf, der Tropf!«

»Aber warum dies, da er sie liebte?« fragte d’Artagnan.

»Nur Geduld,« erwiederte Athos. »Er führte sie in sein Schloß und machte sie zur ersten Dame der Provinz; und man muß ihr hierin Gerechtigkeit widerfahren lassen; sie wußte ihren Rang vortrefflich zu behaupten.«

»Nun?« fragte d’Artagnan.

»Nun! eines Tages, als sie mit ihm auf der Jagd war,« fuhr Athos mit gedämpfter Stimme und sehr schnell sprechend fort, »fiel sie vom Pferde und wurde ohnmächtig; der Graf eilte ihr zu Hülfe, und da sie in ihren Kleidern beinahe erstickte, so schlitzte er diese mit seinem Dolche und entblößte ihre Schulter. Errathet, was sie auf ihrer Schulter hatte, d’Artagnan?«

»Kann ich es wissen?«

»Eine Lilie,« sprach Athos. »Sie war gebrandmarkt.« Und Athos leerte mit einem Zuge das Glas aus, das er in der Hand hatte.

»Gräßlich!« rief d’Artagnan, »was erzählt Ihr mir da?«

»Die Wahrheit, mein Lieber. Der Engel war ein Teufel. Das arme Mädchen hatte gestohlen.«

»Und was that der Graf?«

»Der Graf war ein hoher Herr; er hatte auf seinen Gütern die hohe und die niedere Gerichtsbarkeit; er zerriß die Kleider der Gräfin vollends, band ihr die Hände auf den Rücken und knüpfte sie an einem Baume auf.«

»Himmel! Athos, ein Mord!« rief d’Artagnan.

»Ja, ein Mord, nicht mehr« sprach Athos bleich wie der Tod. »Aber es scheint, es fehlt uns an Wein.«

Und er ergriff die letzte Flasche, welche noch übrig war, am Halse, setzte sie an den Mund und leerte sie auf einen Zug, als wäre es ein gewöhnliches Glas gewesen.

Dann ließ er den Kopf zwischen seine beiden Hände sinken, d’Artagnan aber blieb stumm vor Schrecken.

»Das heilte mich von allen Frauen, von den schönen, von den poetischen und von den verliebten,« sprach Athos sich wieder erhebend und ohne daran zu denken, die Fabel von dem Grafen fortzusetzen. »Gott gewähre Euch eben so viel! Trinken wir!«

»Sie ist also todt?« stammelte d’Artagnan.

»Beim Teufel!« erwiederte Athos. »Doch reicht mir Euer Glas. Schinken, Schuft!« rief er. »Wir können nicht mehr trinken!«

»Aber ihr Bruder?« fügte d’Artagnan schüchtern bei.

»Ihr Bruder?« versetzte Athos.

»Ja, der Priester.«

»Ich schickte nach ihm, um ihn ebenfalls aufhängen zu lassen, aber er war mir zuvorgekommen und hatte seinen Pfarrhof am Abend zuvor verlassen.«

»Wußte man, wer der Elende war?«

»Er war der erste Liebhaber und der Mitschuldige der Schönen, ein würdiger Mann, der sich den Anschein gab, als wäre er Pfarrer, um sie zu verheirathen und ihr eine Zukunft zu sichern; er wird hoffentlich geviertheilt worden sein.«

»Oh! mein Gott! mein Gott!« rief d’Artagnan ganz betäubt von dieser furchtbaren Begebenheit.

»Eßt doch von diesem Schinken, d’Artagnan, er ist vortrefflich,« sagte Athos und legte eine Schnitte auf den Teller des jungen Mannes. »Wie Schade, daß nicht wenigstens nur vier wie dieser in dem Keller gewesen sind! Ich hätte fünfzig Flaschen mehr getrunken.«

D’Artagnan vermochte dieses Gespräch nicht länger zu ertragen, denn es hätte ihn toll gemacht, er ließ den Kopf auf seine Hände sinken und stellte sich als entschliefe er.

»Die jungen Leute können nicht mehr trinken,« sprach Athos und schaute ihn mitleidig an, und doch ist dieser noch einer von den besten! …«