Die These von Aramis.

D’Artagnan hatte Porthos weder von der Wunde noch von der Procuratorsfrau Etwas gesagt. Es war ein sehr kluger Bursche, unser Bearner, trotz seiner Jugend. Er stellte sich, als glaube er Alles, was ihm der ruhmredige Musketier erzählte, wobei er von der Ueberzeugung ausging, daß man immer eine moralische Ueberlegenheit über die Menschen hat, deren Leben man kennt, ohne es sie sogleich fühlen zu lassen und ihren Stolz dadurch zu verletzen. D’Artagnan aber, der fest entschlossen war, seine drei Gefährten zu Werkzeugen seines Glückes zu machen und sie bei seinen zukünftigen Intriguen zu benützen, freute sich zum Voraus, in seiner Hand die unsichtbaren Fäden zu vereinigen, mit deren Hülfe er sie zu lenken gedachte.

Auf dem ganzen Marsch schnürte ihm jedoch eine gewaltige Traurigkeit das Herz zusammen. Er dachte an die junge und hübsche Frau Bonacieux, die ihm den Preis für seine Ergebenheit reichen sollte. Fügen wir jedoch sogleich bei, daß diese Traurigkeit bei dem jungen Mann weniger von der Klage über sein verlornes Glück herrührte, als von seiner Furcht, es könnte der armen Frau ein Unglück widerfahren sein. Für ihn gab es keinen Zweifel mehr, sie war das Opfer einer Rache des Kardinals; die Rache Sr. Eminenz war bekanntlich furchtbar. Wie hatte er Gnade vor den Augen dieses Ministers gefunden? Das wußte er sich selbst nicht zu erklären, und der Herr von Cavois würde ihm dies wohl enthüllt haben, wenn ihn der Kapitän der Garden zu Haufe getroffen hätte.

Nichts leiht der Zeit raschere Flügel, nichts kürzt den Weg so sehr ab, als ein Gedanke, der alle Fähigkeiten der Organisation des Denkenden verschlingt. Das äußere Dasein gleicht sodann einem Schlummer, dessen Traum dieser Gedanke ist; durch seinen Einfluß hat die Zeit kein Maaß, der Raum keine Entfernung mehr; man geht von einem Ort aus und kommt an einem andern an, das ist das Ganze. Von dem durchlaufenen Zwischenraum ist unserm Gedächtniß nichts gegenwärtig geblieben, als ein unbestimmter Nebel, in dem sich tausend verworrene Bilder von Bäumen, Bergen und Landschaften gegenseitig verwischen. In dieser Geistesabwesenheit legte d’Artagnan bei dem Gang, den sein Pferd zu nehmen beliebte, die sechs bis acht Meilen, welche Chantilly von Crevecoeur trennen, zurück, ohne daß er sich bei seiner Ankunft in diesem Dorfe eines der Dinge erinnerte, denen er auf seinem Ritt begegnet war.

Hier erst kehrte sein Gedächtniß zurück; er schüttelte den Kopf, bemerkte die Schenke, wo er Aramis gelassen hatte, und trabte auf das Thor zu. Diesmal war es kein Wirth, sondern eine Wirthin, die ihn empfing. D’Artagnan war Physiognomiker; er überschaute mit einem Blick das dicke, heitere Gesicht der Herrin des Ortes und begriff, daß es hier keiner Verstellung bedurfte, und daß er von Seiten einer so lustigen Physiognomie nichts zu fürchten hatte.

»Meine gute Dame,« fragte sie d’Artagnan, »könnt Ihr mir wohl sagen, was aus einem meiner Freunde geworden ist, den wir vor etwa zwölf Tagen hier zu lassen genöthigt waren?« – »Ein hübscher junger Mann von drei- bis vierundzwanzig Jahren, sanft, liebenswürdig, wohlgebaut?« – »So ist es, überdies an der Schulter verwundet.« – »Ganz richtig. Nun, mein Herr, er befindet sich immer noch hier.« – »Ah, bei Gott, meine liebe Dame,« sprach d’Artagnan absteigend und Planchet den Zügel seines Pferdes zuwerfend, »Ihr gebt mir das Leben wieder; wo ist dieser theure Aramis, damit ich ihn umarme? denn ich gestehe, es drängt mich, ihn wieder zu sehen.« – »Um Vergebung, gnädiger Herr, ich zweifle, ob er Euch in diesem Augenblicke empfangen kann.« – »Warum? Ist eine Frau bei ihm?« – »Jesus, mein Gott! der arme Junge! nein, gnädiger Herr, es ist keine Frau bei ihm.« – »Nun, wer ist denn bei ihm?« – »Der Pfarrer von Montdidier und der Superior der Jesuiten von Amiens.« – »Gott im Himmel!« rief d’Artagnan. »Sollte es mit dem armen Jungen so schlimm stehen?« – »Nein, gnädiger Herr, im Gegentheil, aber in Folge seiner Krankheit hat ihn die Gnade berührt, und er ist entschlossen, in den geistlichen Stand einzutreten,« – »Ganz richtig,« sprach d’Artagnan, »ich hatte vergessen, daß er nur vorläufig Musketier war.« – »Besteht der gnädige Herr immer noch darauf, ihn zu sehen?« – »Mehr als je.« – »Nun, der gnädige Herr darf nur die Treppe rechts im Hof hinaufgehen, im zweiten Stock Nro. 5.«

D’Artagnan eilte in der angegebenen Richtung weg und fand eine von den äußern Treppen, wie man sie noch heut zu Tage in den Höfen der alten Gasthäuser sieht. Aber man gelangte nicht aus diese Art in die Wohnung des zukünftigen Abbé; die Zugänge zu den Zimmern von Aramis waren nicht mehr und nicht minder bewacht, als die Gärten der Armida. Bazin stand in der Hausflur Wache und versperrte ihm den Weg mit um so größerer Unerschrockenheit, als er sich endlich dem Ziele nahe sah, nach welchem er ewig mit frommem Ehrgeiz gestrebt hatte. Der arme Bazin hatte stets davon geträumt, einem Manne der heiligen Kirche zu dienen, und er erwartete mit Ungeduld den Augenblick, den er unablässig in der Zukunft erblickt hatte, wo Aramis endlich die Uniform mit der Sutane vertauschen würde; nur das oft wiederholte Versprechen des jungen Mannes, daß dieser Augenblick nicht mehr lange ausbleiben könne, hatte ihn im Dienst eines Musketiers zurückgehalten, einem Dienst, wo, wie er sagte, seine Seele nothwendig zu Grunde gehen müßte.

Bazin schwamm also in einem Meer von Freude. Aller Wahrscheinlichkeit nach konnte sein Herr diesmal nicht wieder zurücktreten.

Das Zusammentreffen des körperlichen Schmerzes mit dem moralischen hatte endlich die so lang ersehnte Wirrung hervorgebracht. An Leib und Seele leidend, hatte Aramis seine Augen und seinen Geist auf die Religion gerichtet, und sein doppelter Unfall, das heißt, das plötzliche Verschwinden seiner Geliebten und seine Verwundung an der Schulter, war ihm als eine Verkündigung des Himmels erschienen.

Man begreift, daß Bazin bei der gegenwärtigen Lage der Dinge nichts unangenehmer sein konnte, als die Ankunft d’Artagnans, welche seinen Herrn wieder in den Strudel weltlicher Gedanken, die ihn so lange fortgerissen hatten, zurückwerfen konnte. Er beschloß also, die Thüre muthig zu vertheidigen, und da er, insofern es bereits von der Wirthin verrathen war, nicht sagen konnte, Aramis befinde sich nicht zu Hause, so suchte er dem Ankommenden zu beweisen, es wäre der höchste Grad von Indiscretion, seinen Herrn in der frommen Konferenz zu stören, die schon am Morgen angefangen habe und nach der Aussage Bazins vor Abend nicht zu Ende gehen konnte.

Aber d’Artagnan nahm keine Rücksicht auf die Beredsamkeit des Meisters Bazin, und da er es nicht über sich gewinnen konnte, sich in eine Polemik mit dem Diener seines Freundes einzulassen, so schob er ihn ganz einfach mit einer Hand aus die Seite und drehte mit der andern den Knopf der Thüre von Nro. S.

Die Thüre öffnete sich und d’Artagnan trat in das Zimmer ein.

Aramis saß in einem schwarzen Oberrock mit einer runden und platten Kopfbedeckung, welche nicht wenig Ähnlichkeit mit einer Calotte hatte, vor einem länglichen, mit Papierrollen und ungeheuren Folianten bedeckten Tische. Zu seiner Rechten saß der Superior der Jesuiten, zu seiner Linken der Pfarrer von Montdidier. Die Vorhänge waren halb geschlossen und ließen nur ein mystisches, glückseliger Träumerei entsprechendes Licht eindringen. Alle weltlichen Gegenstände, welche das Auge berühren, wenn man in das Zimmer eines jungen Mannes eintritt, und besonders, wenn dieser junge Mann ein Musketier ist, waren wie durch einen Zauber verschwunden, und ohne Zweifel hatte die Furcht, ihr Anblick möchte seinen Herrn auf Gedanken von dieser Welt zurückbringen, Bazin veranlaßt, den Degen, die Pistolen, den Federhut und die Stickereien und Spitzen jeder Art und Gattung bei Seite zu schaffen.

Aber an ihrer Stelle glaubte d’Artagnan in einem dunkeln Winkel etwas wie eine Geißel an einem Nagel hängen zu sehen.

Bei dem Geräusch, das d’Artagnan verursachte, als er die Thüre öffnete, hob Aramis seinen Kopf in die Höhe und erkannte sogleich den Freund. Aber zum großen Erstaunen des jungen Mannes schien sein Anblick keinen großen Eindruck auf den Musketier hervorzubringen, so sehr hatte sich sein Geist von allen irdischen Dingen losgeschält.

»Guten Morgen, mein lieber d’Artagnan,« sprach Aramis, »glaubt mir, daß ich mich unendlich freue. Euch wiederzusehen.«

»Und ich Euch,« erwiderte d’Artagnan, »obgleich ich noch nicht ganz gewiß weiß, ob es Aramis ist, mit dem ich spreche.«

»Mit ihm selbst, mein Freund, mit ihm selbst, aber was konnte Dich zu einem Zweifel veranlassen …«

»Ich fürchtete mich im Zimmer zu täuschen und glaubte Anfangs in die Wohnung eines Tieners der heiligen Kirche einzutreten. Dann erfaßte mich ein neuer Schrecken, als ich Euch in Gesellschaft dieser Herren fand, denn ich glaubte, Ihr wäret ernstlich krank.«

Die zwei schwarzen Herren schleuderten d’Artagnan, dessen Absicht sie begriffen, einen drohenden Blick zu, aber d’Artagnan kümmerte sich nicht darum.

»Ich störe Euch vielleicht, lieber Aramis,« fuhr er fort, »denn nach dem, was ich sehe, muß ich glauben, daß Ihr diesen Herren Beichte ableget.«

Aramis erröthete unmerklich.

»Ihr mich stören! ei, ganz im Gegentheil, lieber Freund; das schwöre ich Euch. Und zum Beweise erlaubt mir vor Allem mich zu freuen, daß ich Euch gesund und wohlbehalten wiedersehe.«

»Ah, nun kommt er endlich,« dachte d’Artagnan, »es steht nicht ganz schlimm!«

»Denn dieser Herr, mein Freund, ist einer dräuenden Gefahr entgangen,« fuhr Aramis salbungsreich fort, indem er mit der Hand auf d’Artagnan deutete.

»Lobet Gott, mein Herr,« erwiederten die zwei Geistlichen und verbeugten sich gleichzeitig.

»Ich habe dies nicht versäumt, ehrwürdige Herren,« antwortete der junge Mann und gab ihnen den Gruß zurück.

»Ihr kommt zu gelegener Zeit, lieber d’Artagnan; Ihr werdet an der Diskussion Theil nehmen und sie mit Eurem Lichte erleuchten. Der Herr Prinzipal von Amiens, der Herr Pfarrer von Montdidier und ich argumentiren über gewisse theologische Fragen, deren Interesse uns seit geraumer Zeit in Anspruch nimmt. Ich werde entzückt sein, Eure Meinung darüber zu vernehmen.«

»Die Meinung eines Mannes vom Schwerte entbehrt jeglichen Gewichts,« antwortete d’Artagnan, der über die Wendung, welche die Dinge nahmen, unruhig zu werden anfing, »und Ihr könnt Euch, glaubt mir, ganz an die Wissenschaft dieser Herren halten.«

»Im Gegentheil,« versetzte Aramis, »Eure Meinung wird höchst werthvoll für uns sein. Hört, warum es sich handelt: der Herr Prinzipal glaubt, meine These müsse hauptsächlich dogmatisch und didaktisch sein.«

»Eure These! Ihr macht also eine These?«

»Allerdings,« antwortete der Jesuit, »für die Prüfung, die der Ordination vorhergeht, ist eine These unerläßlich.«

»Der Ordination!« rief d’Artagnan, welcher nicht glauben konnte, was ihm die Wirthin und Bazin gesagt hatten. »Ordination!« wiederholte er, und ließ seine Äugen erstaunt auf den drei Personen, welche er vor sich hatte, umher laufen.

»Da nun,« fuhr Aramis fort, indem er auf seinem Fauteuil eine Haltung annahm, als säße er in einem Chorstuhl, und zugleich seine frauenhaft weiße und fleischige Hand, die er in der Luft hielt, um das Blut zurückkehren zu machen, wohlgefällig betrachtete; »da nun, wie Ihr gehört habt, d’Artagnan, der Herr Prinzipal meine These dogmatisch haben will, während ich wünsche, daß sie ideal sein möchte, so hat mir der Herr Prinzipal nachfolgenden Gegenstand vorgeschlagen, welcher noch nicht behandelt worden ist, und worin ich allerdings Stoff zu prachtvollen Entwickelungen finden werde:

» Utramque manum in benedicendo clericis inferioribus necessariae sit

D’Artagnan, dessen wissenschaftliche Bildung wir kennen, veränderte sein Gesicht bei diesem Citat so wenig als bei demjenigen, das ihm Herr von Treville in Beziehung auf die Geschenke gemacht hatte, von denen er glaubte, er habe sie vom Herzog von Buckingham erhalten.

»Was so viel heißen will,« fuhr Aramis fort, um ihn, die Sache zu erleichtern: »die zwei Hände sind für die Priester der niederen Ordnung unerläßlich, wenn sie den Segen geben.«

»Ein bewunderungswürdiger Gegenstand!« rief der Jesuit.

»Bewunderungswürdig und dogmatisch,« wiederholte der Pfarrer, der, im Lateinischen ungefähr eben so bewandert, wie d’Artagnan, sorgfältig den Jesuiten beobachtete, um gleichen Schritt mit ihm zu halten und seine Worte wie ein Echo zu wiederholen.

D’Artagnan blieb vollkommen gleichgültig bei der Begeisterung der zwei schwarzen Männer.

»Ja bewunderungswürdig! prorsus admirabile!« fuhr Aramis fort, »aber es heischt ein großes Studium der Kirchenväter und der heiligen Schrift. Ich erkläre nun diesen gelehrten geistlichen Herren, und zwar in aller Demuth, daß ich in der Wachtstube der Musketiere und beim Dienste des Königs dieses Studium etwas vernachläßigt habe. Ich würde mich bequemer, facilius natans, bei einem Gegenstande meiner Wahl finden, der bei diesen rein theologischen Fragen das wäre, was die Moral für die Metaphysik in der Philosophie ist.«

D’Artagnan langweilte sich sehr.

»Seht, welches Exordium!« rief der Jesuit.

»Exordium!« wiederholte der Pfarrer, um etwas zu sagen.

» Quem ad modum inter colorum immensitatem!«

Aramis warf einen Seitenblick auf d’Artagnan und sah ihn dergestalt gähnen, daß er den Kiefer beinahe ausrenkte.

»Sprechen wir Französisch, mein Vater,« sagte er zu dem Jesuiten, »Herr d’Artagnan wird mehr Genuß an unseren Worten finden.«

»Ja, ich bin müde von der Reise,« sagte d’Artagnan, »und alles Latein entgeht mir.«

»Vor Allem,« sprach der Jesuit, etwas aus der Fassung gebracht, während der Pfarrer äußerst erfreut d’Artagnan voll Dankbarkeit anschaute; »betrachtet einmal den Nutzen, den man aus dieser Glosse ziehen könnte.«

»Moses, ein Diener Gottes … er ist nur ein Diener, versteht Ihr wohl, Moses segnet mit den Händen, er läßt sich die zwei Arme halten, während die Hebräer ihre Feinde schlagen. Er segnet also mit beiden Händen. Ueberdies sagt das Evangelium: Imposuite manus, und nicht manum, leget die Hände auf, und nicht die Hand.«

»Leget die Hände auf,« wiederholte der Pfarrer mit einer Geberde.

»Bei dem heiligen Petrus dagegen, dessen Nachfolger die Päpste sind,« fuhr der Jesuit fort: » porrige digitos, strecket die Finger aus. Begreift Ihr das nun?«

»Gewiß,« erwiederte Aramis, der ein Vergnügen an dieser Abhandlung zu haben schien, »gewiß, aber die Sache ist sehr kitzeliger Natur.«

»Die Finger,« wiederholte der Jesuit; »der heilige Petrus segnete mit den Fingern. Der Papst segnet also auch mit den Fingern. Und mit wie viel Fingern segnet er? Mit drei Fingern. Einen für den Vater, einen für den Sohn und einen für den heiligen Geist.«

Alle Anwesenden bekreuzten sich.

D’Artagnan glaubte dieses Beispiel nachahmen zu müssen.

»Der Papst ist der Nachfolger des heiligen Petrus und stellt die drei göttlichen Gewalten dar. Der Rest, ordines inferiores der kirchlichen Hierarchie, erscheint im Namen der heiligen Erzengel und Engel. Die niedersten Geistlichen, wie unsere Diakone und Sakristane, segnen mit den Weihwedeln, welche als eine unbegränzte Zahl von segnenden Fingern zu betrachten sind. Dies ist der ganze auf seine Einfachheit zurückgeführte Gegenstand, Argumentum omni denutatum ornamento. Aus diesem,« fuhr der Jesuit fort, »wollte ich zwei Bände von dem Umfang des Folianten hier machen.«

Und in seiner Begeisterung schlug er auf den heiligen Chrysostomus in Folio, daß der Tisch sich unter seinem Gewichte bog.

D’Artagnan bebte.

»Ich lasse gewiß den Schönheiten dieser These Gerechtigkeit widerfahren,« sagte Aramis, »aber ich muß zu gleicher Zeit erkennen, daß ich ihrer Last erliegen würde. Ich hatte folgenden Text gewählt; sagt mir, lieber d’Artagnan, ob er Eurem Geschmack entspricht: Non inutile est desiderium in oblatione, oder besser: Etwas Bedauern bei dem Opfer, das ich dem Herrn darbringe, steht mir nicht übel an.«

»Halt!« rief der Jesuit, »diese These riecht nach Ketzerei. Es ist ein ähnlicher Vorschlag in dem Augustinus des Ketzervaters Jansen enthalten, dessen Buch früher oder später von Henkershand verbrannt werden wird. Nehmt Euch in Acht, mein junger Freund, Ihr neigt Euch zu falschen Lehren, Ihr richtet Euch zu Grunde, mein junger Freund.«

»Ihr richtet Euch zu Grunde,« sprach der Pfarrer schmerzlich den Kopf schüttelnd.

»Ihr berührt den bekannten Punkt vom freien Willen, der eine menschliche Klippe ist. Ihr greift die Insinuationen der Pelagianer und Semi-Pelagianer an.«

»Aber, ehrwürdiger Herr …,« versetzte Aramis, etwas betäubt von dem Hagel von Argumenten, der auf seinen Kopf fiel.

»Wie wollt Ihr beweisen,« fuhr der Jesuit fort, ohne daß er ihm zum Sprechen Zeit ließ, »wie wollt Ihr beweisen, daß man die Welt bedauern muß, wem. man Gott ein Opfer darbringt? Hört folgendes Dilemma: Gott ist Gott, und die Welt ist der Teufel. Die Welt bedauern, heißt den Teufel bedauern. Das ist mein Schluß.«

»Das ist auch der meinige,« sagte der Pfarrer.

»Aber ich bitte …« versetzte Aramis.

» Desideras diabolum! Unglücklicher!« rief der Jesuit.

»Er bedauert den Teufel. Ha! mein junger Freund,« sprach der Pfarrer seufzend, »bedauert den Teufel nicht, darum bitte ich Euch.«

D’Artagnan wirbelte es im Kopfe. Es kam ihm vor, als sei er in einem Narrenhaus und solle ein Narr werden, wie diejenigen, welche er vor sich sah. Nur war er genöthigt zu schweigen, da er die Sprache nicht verstand, welche man in seiner Gegenwart sprach.

»Aber hört mich doch,« sagte Aramis mit einer Höflichkeit, unter der etwas Ungeduld durchzuscheinen anfing; »ich sage nicht, daß ich bedaure, nein; ich werde nie dieses Wort aussprechen, welches nicht orthodox wäre …«

Der Jesuit hob die Arme zum Himmel auf und der Pfarrer that dasselbe.

»Nein, aber gebt wenigstens zu, daß es nicht sehr schön ist, dem Herrn nur das anzubieten, was man mit gänzlichem Ueberdruß und Widerwillen betrachtet. Habe ich Recht, d’Artagnan?«

»Ich glaube, bei Gott!« rief dieser.

Der Pfarrer und der Jesuit sprangen von ihren Stühlen auf.

»Folgendes ist mein Ausgangspunkt; es ist ein Syllogismus: Es fehlt der Welt nicht an Reizen, ich verlasse die Welt, folglich bringe ich ein Opfer; nun sagt aber die Schrift ganz bestimmt: Bringt dem Herrn ein Opfer dar.«

»Das ist wahr,« sprachen die Antagonisten.

»Und dann,« sagte Aramis, sich in das Ohr kneipend, um es roth zu machen, wie er die Hände schüttelte, damit sie weiß wurden, »und dann habe ich hierüber ein gewisses Ringelgedicht gemacht, das ich im vorigen Jahre Herrn Voviture mittheilte und worüber mir dieser große Mann tausend Komplimente sagte.«

»Ein Ringelgedicht?« sagte der Jesuit verächtlich.

»Ein Ringelgedicht?« sprach der Pfarrer maschinenmäßig.

»Sprecht, sprecht,« rief d’Artagnan, »das bringt ein wenig Abwechslung in die Sache.«

»Nein, es ist religiöser Natur,« antwortete Aramis, »es ist Theologie in Versen.«

»Teufel,« murmelte d’Artagnan.

»Hört,« sagte Aramis mit einer bescheidenen Miene, welche nicht ganz von einer gewissen Färbung von Heuchelei frei war:

O weinet nicht um früh entschwundne Freuden,
Vertraut auf Gott
In eurer Noth,
Er wird gewißlich enden eure Leiden.

D’Artagnan und der Pfarrer schienen erfreut, der Jesuit beharrte bei seiner Meinung.

»Hütet Euch vor dem profanen Geschmack im theologischen Styl. Was sagt der heilige Augustin? Severus sit clericorum sermo.«

»Ja, die Rede sei klar,« sprach der Pfarrer.

»Eure These,« unterbrach ihn der Jesuit rasch, als er sah, daß sein Acolyt vom rechten Weg abkam, »Eure These wird höchstens den Damen gefallen. Sie wird den Erfolg einer Proceßrede von Herrn Patrou haben.«

»Möge es Gott gefallen!« rief Aramis entzückt.

»Ihr seht es,« rief der Jesuit, »die Welt spricht noch mit lauter Stimme in Euch. Altissima voce. Ihr folgt der Welt, Freund, und ich fürchte, die Gnade ist noch nicht ganz wirksam.«

»Beruhigt Euch, ehrwürdiger Herr, ich stehe für mich.«

»Weltliche Anmaßung!«

»Ich kenne mich, mein Vater, mein Entschluß ist unwiderruflich.«

»Also besteht Ihr darauf, diese These auszuführen?«

»Ich fühle mich berufen, diese und keine andere zu behandeln. Ich will sie fortsetzen und Ihr werdet hoffentlich mit den Verbesserungen zufrieden sein, die ich nach Eurem Rathe daran vorgenommen habe.«

»Arbeitet langsam,« sprach der Pfarrer, »wir lassen Euch in vortrefflicher Stimmung zurück.«

»Ja der Boden ist ganz eingesäet,« sagte der Jesuit, »und wir haben nicht zu befürchten, daß ein Theil des Korns auf einen Felsen, ein anderer an den Weg falle, und daß die Vögel des Himmels das Uebrige fressen. Aves coeli comederunt illam.«

»Die Pest ersticke Dich mit Deinem Latein,« sagte d’Artagnan, der kaum mehr an sich halten konnte.

»Gott befohlen, mein Sohn,« sprach der Pfarrer, »morgen also.«

»Morgen, junger Verwegener,« sagte der Jesuit, »Ihr versprecht ein Licht der Kirche zu werden. Wolle der Himmel, daß dieses Licht zu einem verzehrenden Feuer werde.«

Die zwei schwarzen Männer standen auf, grüßten Aramis und d’Artagnan und gingen nach der Thüre. Bazin, der im Zimmer stehen geblieben war und die ganze Controverse mit frommem Jubel gehört hatte, stürzte ihnen entgegen, nahm das Brevier des Pfarrers, das Meßbuch des Jesuiten und marschirte ehrfurchtsvoll vor ihnen her, um ihnen den Weg zu bahnen.

Aramis begleitete sie bis unten an die Treppe und kam sogleich wieder zu d’Artagnan zurück, der noch in Träume versunken war.

Als die zwei Freunde einander allein gegenüber standen, beobachteten sie Anfangs ein verlegenes Stillschweigen. Einer mußte es jedoch brechen, und da d’Artagnan entschlossen schien, die Ehre seinem Freund zu überlassen, so fing dieser an: – »Ihr seht, daß ich zu meinem Grundgedanken zurückgekehrt bin.« – »Ha, die wirksame Gnade hat Euch berührt, wie dieser Herr so eben sagte.« – »Oh, der Plan, mich zurückzuziehen, hat sich längst gebildet, und Ihr habt mich bereits davon sprechen hören, nicht wahr, mein Freund?« – »Allerdings, aber ich glaubte, Ihr wolltet scherzen.« – »Mit solchen Dingen? Oh! d’Artagnan!« – »Gott verdamme mich, man scherzt auch mit dem Tode.« – »Und man hat Unrecht, d’Artagnan, denn der Tod ist die Pforte, welche zum Heil oder zum Verderben führt.« – »Einverstanden! aber lassen wir die Theologie bei Seite, wenn es Euch beliebt, Aramis. Ihr müßt für den Rest des Tages genug haben. Ich, meines Theils, habe das wenige Latein, was ich nie konnte, völlig vergessen. Dann muß ich gestehen, daß ich seit diesem Morgen um zehn Uhr ohne Speise und Trank geblieben bin und einen ganz teufelmäßigen Hunger habe.« – »Wir werden sogleich zu Mittag speisen, lieber Freund; nur erinnert Euch, daß es heute Freitag ist, und an einem solchen Tag kann ich weder Fleisch essen, noch essen sehen. Wollt Ihr Euch mit meinem Mittagsbrod begnügen? es besteht aus gekochten Vierecken und Obst.« – »Was versteht Ihr unter Vierecken?« fragte d’Artagnan unruhig. – »Ich verstehe darunter Spinat,« erwiederte Aramis. »Aber für Euch werde ich Eier beifügen lassen, und das ist eine schwere Verletzung der Vorschrift, denn die Eier sind Fleisch, da sie das Huhn erzeugen.« – »Dieses Mahl ist eben nicht sehr saftig; doch gleich viel, um bei Euch zu bleiben, will ich mich dem unterziehen.« – »Ich bin Euch dankbar für dieses Opfer,« sprach Aramis; »aber wenn es Eurem Körper nichts nützt, so wird es doch Eurer Seele nützen, das könnt Ihr überzeugt sein.« – »Also Ihr tretet entschieden in den geistlichen Stand ein, Aramis? Was werden Eure Freunde, was wird Herr von Treville sagen? sie werden Euch als Deserteur behandeln, das sage ich Euch zum Voraus.« – »Ich trete nicht in den geistlichen Stand ein, ich trete zu demselben zurück. Ich hatte die Kirche der Welt zu Liebe verlassen, denn Ihr wißt, daß ich mir Gewalt anthun mußte, um die Kasake des Musketiers zu nehmen.« – »Ich, ich weiß nichts davon.« – »Wie? Ihr wißt nicht, wie ich das Seminar verlassen habe?« – »Nein.« – »Hört meine Geschichte; übrigens sagt die Schrift, beichtet einander, und ich lege Euch meine Beichte ab, d’Artagnan.« – »Und ich gebe Euch zum Voraus die Absolution; Ihr wißt, daß ich ein guter Kerl bin.« – »scherzt nicht mit heiligen Dingen, mein Freund.« – »So sprecht also, ich höre.«

»Ich war im Seminar von meinem neunten Jahr und zählte jetzt einundzwanzig; noch drei Tage, und ich wäre Abbé geworden und Alles wäre abgethan gewesen. Als ich mich eines Abends meiner Gewohnheit gemäß in ein Haus begab, das ich oft besuchte – was wollt Ihr? man ist jung, man ist schwach – trat ein Offizier, der es mit eifersüchtigem Auge sah, daß ich der Gebieterin des Hauses das Leben der Heiligen vorlas, plötzlich und unangemeldet ein. Gerade an diesem Abend hatte ich eine Episode von Judith übersetzt und ich theilte meine Verse der Dame mit, welche mir alle mögliche Complimente darüber sagte und sie, über meine Schulter geneigt, mit mir zum zweiten Male las. Die Stellung, welche – ich kann es nicht läugnen – etwas nachlässig war, verletzte den Offizier: er sagte nichts, aber als ich wegging, folgte er mir; er holte mich ein und sprach: ›Herr Abbé liebt Ihr Stockschläge?‹

›Ich kann es nicht sagen, mein Herr,‹ erwiederte ich, ›da es Niemand gewagt hat, mir solche zu geben.‹

›Nun, so hört mich, Herr Abbé: wenn Ihr noch einmal in das Haus kommt, wo ich Euch getroffen habe, so werde ich es wagen.‹

»Ich glaube, ich hatte Furcht; ich wurde bleich, ich fühlte, daß die Beine beinahe unter mir brachen, ich suchte eine Antwort, fand keine und schwieg.

»Der Offizier erwartete eine Antwort, und da er sah, daß sie ausblieb, so lachte er, wandte mir den Rücken und ging in das Haus zurück.

»Ich begab mich in das Seminar.

»Ich bin ein guter Edelmann und habe lebhaftes Blut, wie Ihr bemerken konntet, mein lieber d’Artagnan. Die Beleidigung war furchtbar, und obgleich die Welt nichts davon erfahren hatte, so fühlte ich doch, daß sie in der Tiefe meines Herzens tobte. Ich erklärte meinen Oberen, ich sei nicht hinreichend für die Ordination vorbereitet, und auf meine Bitte verschob man die Ceremonie um ein Jahr.

»Dann suchte ich den besten Fechtmeister von Paris auf; ich schloß einen Vertrag mit ihm ab, dem zu Folge er mir jeden Tag eine Lection in der Fechtkunst zu geben hatte, und ein ganzes Jahr lang nahm ich diese Lection jeden Tag. Am Jahrestag der mir widerfahrenen Beleidigung hängte ich meine Sutane an einen Nagel, legte ein vollständiges Cavaliercostüm an und ging auf einen Ball, den eine mir befreundete Dame gab, wo ich meinen Mann zu treffen überzeugt sein konnte. Es war in der Rue des Francs-Bourgeois, ganz nahe bei der Force.

»Mein Offizier hatte sich wirklich eingefunden; ich näherte mich ihm, als er unter zärtlichen Blicken auf eine Dame ein Lieblingslied sang, und unterbrach ihn mitten in der ersten Strophe.

›Mein Herr,‹ sprach ich, ›mißfällt es Euch immer noch, wenn ich ein gewisses Haus der Rue Payenne besuche, und werdet Ihr mir immer noch Stockschläge geben, wenn es mir einfällt, Euch ungehorsam zu sein?‹

»Der Offizier sah mich erstaunt an und sagte:

›Was wollt Ihr von mir, mein Herr? ich kenne Euch nicht.‹

›Ich bin der kleine Abbé,‹ erwiederte ich, ›der das Leben der Heiligen vorliest und Judith in Verse übersetzt.‹

›Ah, ah, ich erinnere mich,‹ sprach der Offizier mit gleichgültigem Lachen, ›was wollt Ihr von mir?‹

›Ich wollte, Ihr hättet Muße, einen Spaziergang mit mir zu machen.‹

›Morgen früh, wenn Ihr wollt, und zwar mit dem größten Vergnügen.‹

›Nein, nicht morgen früh, wenn es Euch beliebt, sondern sogleich.‹

›Wenn Ihr es durchaus verlangt…‹

›Ja ich verlange es.‹

›So laßt uns gehen. – Meine Damen,‹ sprach der Offizier, ›laßt Euch nicht stören. Ich brauche nur so viel Zeit, um diesen Herrn zu tödten, und werde dann sogleich zurückkommen und meine zweite Strophe vollenden.‹

»Wir entfernten uns.«

»Ich führte ihn in die Rue Payenne gerade an die Stelle, wo er mir ein Jahr vorher zur selben Stunde das erwähnte Compliment gemacht hatte. Es war herrlicher Mondenschein. Wir nahmen den Degen in die Hand, und mit dem ersten Stoß streckte ich ihn maustodt zur Erde.«

»Teufel!« rief d’Artagnan.

»Da nun,« fuhr Aramis fort, »die Damen ihren Sänger nicht zurückkommen sahen und man ihn in der Rue Payenne mit einem gewaltigen Degenstich durch den Leib fand, so dachte man, ich hätte ihn aus diese Weise gebettet, und die Sache erregte Aufsehen. Ich war also genöthigt, für einige Zeit auf die Sutane zu verzichten. Athos, dessen Bekanntschaft ich um diese Zeit machte, und Porthos, der mir außer meinen Lectionen einige Fechterkunstgriffe beigebracht hatte, bestimmten mich, um eine Musketierkasake zu bitten. Der König, der meinen Vater, welcher bei der Belagerung von Arras getödtet worden war, sehr lieb gehabt hatte, bewilligte mir diese Gnade. Ihr begreift nun, daß heute für mich der Augenblick gekommen ist, in den Schoß der Kirche zurückzukehren.«

»Und warum eher heute, als gestern und morgen? Was ist Euch heute begegnet, das Euch auf so abscheuliche Gedanken bringt?« – »Diese Wunde, mein lieber d’Artagnan, war mir eine Verkündigung des Himmels.« – »Diese Wunde! bah! sie ist beinahe geheilt, und ich bin überzeugt, daß es heute nicht diese ist, welche Euch am meisten leiden macht.«

Aramis‘ Auge funkelte unwillkührlich.

»Ah!« sprach er, die Bewegung in seinem Innern unter einer geheuchelten Gleichgültigkeit verbergend, »sprecht mir nicht von solchen Dingen! Ich an dergleichen Dinge denken! Ich Liebeskummer haben! Vanitas vanitatum! Ich sollte mir, Eurer Meinung nach, das Hirn verdreht haben! Und für wen? Für eine Kammerjungfer oder irgend eine Bürgerdirne, der ich in einer Garnison den Hof gemacht hätte? Pfui!« – »Verzeiht, mein lieber Aramis, aber ich glaubte, Eure Blicke wären etwas höher gerichtet.« – »Höher, und was bin ich, was berechtigte mich, zu einem solchen Stolze? Ein bettelarmer, unbekannter Musketier, der die Sklaverei haßt und sich in der Welt durchaus nicht an seinem Platze sieht.« – »Aramis, Aramis!« rief d’Artagnan und schaute seinen Freund mit zweifelhafter Miene an. – »Staub, kehre ich in den Staub zurück,« fuhr Aramis fort. »Das Leben ist voll von Demüthigungen und Schmerzen,« sagte er düster werdend; »alle Fäden, die es mit dem Glücke verknüpfen, brechen nach einander in der Hand des Menschen ab, und besonders die goldenen Fäden. Oh! mein lieber d’Artagnan,« fuhr er mit einem leichten Anflug von Bitterkeit fort, »verbergt Eure Wunden wohl, wenn Ihr welche habt. Das Stillschweigen ist die letzte Freude der Unglücklichen. Hütet Euch wohl, irgend Jemand auf die Spur Eurer Schmerzen zu bringen. Die Neugierigen pumpen unsere Thränen aus, wie die Fliegen das Blut eines verwundeten Hirsches.« – »Ach! mein lieber Aramis,« sprach d’Artagnan ebenfalls einen Seufzer ausstoßend. »Was Ihr da sagt, ist gerade meine Geschichte.« – »Wie?« – »Ja, eine Frau, die ich liebte. die ich anbetete, ist mir mit Gewalt entführt worden. Sie ist vielleicht eingekerkert, vielleicht todt.« – »Aber Ihr habt doch wenigstens den Trost, Euch sagen zu können, daß sie Euch nicht freiwillig verlassen hat, daß ihr, wenn Ihr keine Kunde von ihr erhaltet, alle Verbindung mit Euch untersagt ist, während …« – »Während?« – »Nichts,« erwiederte Aramis, »nichts.« – »Also entsagt Ihr der Welt für immer? Das ist Euer fester, unwiderruflicher Entschluß?« »Für immer. Ihr seid heute mein Freund, morgen werdet Ihr für mich nur ein Schatten sein, oder vielmehr Ihr werdet gar nicht für mich bestehen. Was die Welt betrifft, so ist sie ein Grab und nichts Anderes.« – »Teufel! das ist sehr traurig, was Ihr mir da sagt.« – »Was wollt Ihr? Mein Beruf zieht mich fort, reißt mich hin.«

D’Artagnan lächelte und antwortete nicht. Aramis fuhr fort:

»Und dennoch hatte ich, während ich noch an der Welt halte, gerne mit Euch über Euch und über unsere Freunde gesprochen.«

– »Und ich,« sagte d’Artagnan, »hätte gerne über Euch selbst gesprochen; aber ich sehe Euch so sehr von Allein losgeschält. Die Liebe behandelt Ihr mit Pfui, die Freunde sind Schatten, die Welt ist ein Grab.« – »Ach, Ihr werdet es an Euch selbst erfahren,« sprach Aramis mit einem Seufzer. – »Es sei also unter uns nicht mehr die Rede davon,« sagte d’Artagnan, »und wir wollen diesen Brief verbrennen, der Euch ohne Zweifel eine neue Treulosigkeit von Eurer Grisette oder von Eurer Kammerjungfer ankündigte.« – »Welchen Brief?« rief Aramis lebhaft. – »Einen Brief, der in Eurer Abwesenheit für Euch eingetroffen ist, und den man mir für Euch übergeben hat.« – »Aber von wem ist dieser Brief?« – »Von irgend einer thränenreichen Zofe, von einer verzweiflungsvollen Grisette, vielleicht von der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse, welche genöthigt gewesen sein wird, mit ihrer Gebieterin nach Tours zurückzukehren, und ohne Zweifel aus eitel Gefallsucht parfümiertes Papier genommen und ihren Brief mit einer Herzogskrone versiegelt hat.« – »Was sagt Ihr da?« – »Ich werde ihn wohl verloren haben,« sprach der junge Mann, indem er sich den Anschein gab, als suchte er das Schreiben. »Zum Glück ist die Welt ein Grab, die Menschen und folglich die Frauen nur Schatten, die Liebe ist ein Gefühl, über das Ihr Pfui macht.« – »Ah, d’Artagnan!« rief Aramis, »Du tödtest mich.« – »Da ist er endlich,« sprach d’Artagnan und zog den Brief aus seiner Tasche.

Aramis sprang auf, nahm den Brief und las oder vielmehr verschlang ihn; sein Antlitz strahlte.

»Die Zofe scheint einen hübschen Styl zu haben,« sagte d’Artagnan nachlässig.

»Ich danke, d’Artagnan!« rief Aramis beinahe außer sich. »Sie hat sich genöthigt gesehen, nach Tours zurückzukehren, Sie ist mir nicht ungetreu; sie liebt mich noch. Komm, mein Freund, komm, daß ich Dich umarme, das Glück erstickt mich!«

Und die zwei Freunde fingen an, um den ehrwürdigen Sankt Chrysostomus zu tanzen, und stampften mit den Füßen auf die Blätter der These, welche auf den Boden gefallen waren.

In diesem Augenblick trat Bazin mit dem Spinat und dem Eierkuchen ein.

»Fleuch, Unglücklicher!« rief Aramis, und warf ihm seine Calotte ins Gesicht. »Kehre dahin zurück, wo Du hergekommen bist, bringe dieses furchtbare Gemüse und die abscheuliche Beilage weg! Verlange einen gespickten Hasen, einen fetten Kapaun, eine Hammelskeule mit Knoblauch und vier Flaschen alten Burgunder.«

Bazin, der seinen Herrn anschaute und diese Veränderung durchaus nicht begreifen konnte, ließ schwermüthig den Eierkuchen in den Spinat und den Spinat auf den Boden fallen.

»Das ist der Augenblick, Euer Dasein dem König der Könige zu opfern,« sprach d’Artagnan, »wenn Ihr ihm eine Artigkeit erzeigen wollt. Non inutile desiderium in oblatione

»Geht zum Teufel mit Eurem Latein! Laßt uns trinken, lieber d’Artagnan, Tod und Teufel! laßt uns trinken und erzählt mir ein wenig, was da unten vorgefallen ist.«