Die Limonade.

 

Morel war wirklich sehr glücklich. Herr Noirtier hatte nach ihm geschickt, und es drängte ihn, die Veranlassung dazu zu erfahren. Er begab sich also in größter Eile nach dem Faubourg Saint-Honoré, so daß der arme Barrois Mühe hatte, ihm zu folgen. Morel war einunddreißig Jahre alt, Barrois sechzig; Morel war liebestrunken, Barrois von der großen Hitze angegriffen. Als sie am Ziele waren, ließ der alte Diener Morel durch die besondere Tür eintreten, schloß die Tür des Kabinetts, und bald kündigte ein Streifen des Kleides auf dem Boden Valentines Besuch an, die in ihren Trauergewändern zum Entzücken schön war, Der Traum wurde so süß für Morel, daß er fast die Unterredung mit Noirtier ganz vergessen hätte: doch bald ließ sich der auf dem Boden rollende Lehnstuhl des Greises hören, und er erschien.

 

Noirtier nahm wohlwollend die Danksagungen entgegen, mit denen ihn Morel für die wunderbare Vermittelung überhäufte, die ihn und Valentine vor der Verzweiflung gerettet hatte. Dann begann Valentine, die schüchtern und fern von Morel da saß, nachdem Noirtiers Blick sie zum Reden aufgefordert hatte: Herr Morel, mein guter Papa Noirtier hat Ihnen tausend Dinge zu sagen, die er mir seit drei Tagen mitgeteilt hat. Heute läßt er Sie rufen, damit ich sie Ihnen mitteile; ich werde Ihnen alles, ohne ein Wort zu ändern, wiederholen, da er mich zu seiner Dolmetscherin gewählt hat.

 

Oh! ich höre mit der größten Ungeduld, antwortete der junge Mann, sprechen Sie, mein Fräulein.

 

Valentine schlug die Augen nieder, es war dies ein Vorzeichen, das Morel süß dünkte, denn Valentine war nur im Glücke schwach.

 

Mein Großvater will dieses Haus verlassen, sagte sie, Barrois sucht eine andere Wohnung für ihn.

 

Doch Sie, mein Fräulein, entgegnete Morel, Sie, die Sie Herrn Noirtier so teuer sind?

 

Ich, sagte das Mädchen, werde meinen Großvater nicht verlassen, das ist eine zwischen uns abgemachte Sache. Meine Wohnung wird bei der seinigen sein. Entweder erhalte ich die Einwilligung des Herrn von Villefort, meinen Aufenthalt bei Papa Noirtier zu nehmen, oder man verweigert es mir. Im ersten Falle gehe ich schon jetzt, im zweiten warte ich meine Volljährigkeit ab, die in zehn Monaten eintritt. Dann bin ich frei, dann besitze ich ein Vermögen, und mit Genehmigung meines guten Papas halte ich das Versprechen, das ich Ihnen geleistet habe.

 

Valentine sagte die letzten Worte so leise, saß Morel sie kaum zu hören im stande war.

 

Habe ich nicht Ihren Gedanken ausgedrückt, guter Papa? fügte Valentine, zum Greise gewendet, hinzu.

 

Ja, machte der Greis.

 

Bin ich einmal bei meinem Großvater, so wird Herr Morel mich in Gegenwart dieses guten und würdigen Beschützers sehen können, sagte Valentine. Wenn das Band, das unsere vielleicht launenhaften oder unwissenden Herzen zu knüpfen begonnen haben, uns nach unserer Erfahrung ein zukünftiges Glück gewährleistet, dann kann mich Herr Morel von mir verlangen … ich erwarte ihn.

 

Oh! rief Morel, versucht, vor dem Greise und Valentine niederzuknien; oh! was habe ich denn in meinem Leben Gutes getan, um so viel Glück zu verdienen.

 

Bis dahin, fuhr das Mädchen mit seiner reinen, ernsten Stimme fort, bis dahin werden wir die Schicklichkeit und den Willen unserer Eltern achten, insofern dieser Wille nicht dahin geht, uns für immer zu trennen; mit einem Worte, wir werden warten.

 

Und die Opfer, die dieses Wort auferlegt, mein Fräulein, ich schwöre Ihnen, sie zu erfüllen, nicht mit Resignation, sondern mit dem Gefühle des Glückes.

 

Also keine Unklugheiten mehr, sagte Valentine, mit einem für Maximilian süßen Blicke; gefährden Sie nicht die, mein Freund, die sich von heute an als bestimmt, rein und würdig betrachtet, Ihren Namen zu tragen.

 

Morel legte seine Hand auf sein Herz.

 

Noirtier schaute beide voll Zärtlichkeit an. Barrois, der im Hintergrunde stehen geblieben war, lächelte, große Schweißtropfen von seiner kahlen Stirn abtrocknend.

 

Mein Gott! wie heiß es dem guten Barrois ist! rief Valentine.

 

Ah! das kommt davon her, daß ich stark gelaufen bin, erwiderte Barrois; doch Herr Morel, ich muß ihm diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, lief noch schneller als ich.

 

Noirtier bezeichnete mit dem Auge eine Platte, auf der eine Flasche mit Limonade und ein Glas standen. Was in der Flasche fehlte, war eine halbe Stunde vorher von Noirtier getrunken worden.

 

Nimm, guter Barrois, sagte das Mädchen, nimm, denn ich sehe, daß deine Augen gierig nach der Flasche zielen.

 

Ich sterbe allerdings vor Durst, erwiderte Barrois.

 

Trink also, versetzte Valentine, und komm in einem Augenblick wieder.

 

Barrois trug die Platte fort, und kaum war er im Gange, so sah man ihn durch die Tür, die er zu schließen vergessen hatte, das Haupt rückwärts neigen und das Glas, das ihm Valentine gefüllt, leeren.

 

Valentine und Morel nahmen in Noirtiers Gegenwart voneinander Abschied, als man die Glocke auf Villeforts Treppe ertönen hörte. Valentine schaute nach der Uhr.

 

Es ist Mittag, sagte sie, heute ist Samstag, guter Papa, ohne Zweifel kommt der Doktor; er wird hierher kommen, und Herr Morel muß gehen, nicht wahr, guter Papa? – Ja, antwortete der Greis.

 

Barrois! rief Valentine, Barrois, komm! Man hörte die Stimme des alten Dieners antworten: Ich komme.

 

Barrois wird Sie bis zur Tür zurückführen, sagte Valentine zu Morel; und nun erinnern Sie sich, mein Herr Offizier, daß mein guter Papa Ihnen einschärft, keinen Schritt zu wagen, der unser Glück gefährden könnte.

 

Ich habe versprochen, zu warten, sagte Morel, und ich werde warten.

 

In diesem Augenblick trat Barrois ein.

 

Wer hat geläutet? fragte Valentine.

 

Der Herr Doktor d’Avrigny, erwiderte Barrois, auf seinen Beinen wankend.

 

Aber was hast du denn, Barrois? fragte Valentine.

 

Der Greis antwortete nicht, er schaute nur seinen Herrn mit irren Augen an, während er mit seiner krampfhaft zusammengezogenen Hand eine Stütze suchte, um sich aufrecht halten zu können.

 

Er wird fallen, rief Morel.

 

Barrois‘ Zittern vermehrte sich wirklich zusehends, von krampfhaften Bewegungen der Gesichtsmuskeln verstört, verrieten seine Gesichtszüge einen sehr heftigen nervösen Anfall. Er machte einige Schritte auf seinen Herrn zu und sagte: Mein Gott! was habe ich denn? Ich leide … ich sehe nicht mehr … Tausend feurige Punkte durchkreuzen meinen Schädel. Oh! berühren Sie mich nicht, berühren Sie mich nicht!

 

Die Augen wurden wirklich stier und hervorspringend, und der Kopf fiel zurück, während der untere Teil des Körpers erstarrte.

 

Valentine stieß erschrocken einen Schrei aus. Morel faßte sie in seine Arme, als wollte er sie gegen eine unbekannte Gefahr beschützen.

 

Herr d’Avrigny! Herr d’Avrigny! rief Valentine mit erstickter Stimme, herbei! zu Hilfe!

 

Barrois drehte sich um, machte drei Schritte rückwärts, stolperte, fiel zu Noirtiers Füßen nieder, stützte seine Hand auf dessen Knie und rief: Mein Herr! mein guter Herr!

 

In diesem Augenblick erschien Herr von Villefort, durch das Geschrei herbeigezogen, auf der Schwelle.

 

Morel ließ die halb ohnmächtige Valentine los, warf sich zurück, drückte sich in die Ecke des Zimmers und verschwand fast hinter einem Vorhang.

 

Noirtier kochte in seinein Innern vor Ungeduld und Schrecken, seine Seele flog dem armen Greise zu Hilfe, der mehr sein Freund, als sein Diener war. Man sah den furchtbaren Kampf des Lebens und des Todes auf seiner Stirn. Das Gesicht heftig bewegt, die Augen mit Blut unterlaufen, den Hals zurückgeworfen, lag Barrois, mit den Händen auf den Boden schlagend, vor Noirtier, während seine steif gewordenen Beine eher brechen zu müssen, als sich zu biegen schienen. Ein leichter Schaum stieg auf seine Lippen, und er atmete schmerzhaft. Erstaunt verweilte Villefort einige Sekunden vor diesem Bilde, das bei seinem Eintritt in das Zimmer seine Blicke fesselte. Dann stürzte er mit bleichem Antlitz nach der Tür und rief: Doktor! Doktor! kommen Sie, kommen Sie!

 

Gnädige Frau! rief Valentine, zu ihrer Stiefmutter eilend, und sich dabei am Treppengeländer stoßend, kommen Sie schnell, und bringen Sie Ihr Flacon!

 

Was gibt es denn? fragte die metallartig klingende Stimme der Frau von Villefort.

 

Aber wo ist denn der Doktor? rief Villefort.

 

Fran von Villefort stieg langsam die Treppe herab; man hörte die Bretter unter ihren Füßen knacken. In einer Hand hielt sie ein Taschentuch, mit dem sie sich das Gesicht abtrocknete, in der andern ein Flacon mit englischem Salz. Ihr erster Blick war, als sie zur Tür kam, auf Noirtier gerichtet, dessen Gesicht, abgesehen von einer unter solchen Umständen natürlichen Aufregung, eine vollkommene Gesundheit andeutete; ihr zweiter Blick traf den Sterbenden. Sie erbleichte, und ihr Auge richtete sich wieder auf Noirtier.

 

Aber in des Himmels Namen! wo ist der Doktor? fragte Villefort; er ging zu Ihnen hinein. Sie sehen, es ist ein Schlaganfall; mit einem Aderlaß kann man ihn retten.

 

Hat er vor kurzem gegessen? sagte Frau von Villefort, der Frage ihres Gatten ausweichend.

 

Gnädige Frau, antwortete Valentine, er hat nicht gefrühstückt, doch er ist heute stark gelaufen, um einen Auftrag zu besorgen, den ihn: der gute Papa gegeben hatte. Bei seiner Rückkehr trank er ein Glas Limonade.

 

Ah! rief Frau von Villefort, warum nicht Wein? Limonade, das ist schlimm.

 

Die Limonade war gerade bei der Hand, in der Flasche des guten Papas; der arme Barrois hatte Durst und trank, was er eben fand.

 

Frau von Villefort bebte, Noirtier umfaßte sie gleichsam mit einem durchdringenden Blicke.

 

Er hat einen so kurzen Hals! sagte sie.

 

Gnädige Frau, sagte Villefort, wo ist Herr d’Avrigny? Antworten Sie mir, im Namen des Himmels!

 

Er ist bei Eduard, der nicht ganz wohl ist, erwiderte sie endlich.

 

Villefort stürzte nach der Treppe, um ihn selbst zu holen.

 

Höre, sagte die junge Frau, Valentine ihr Flacon übergebend, man wird ihm ohne Zweifel zur Ader lassen. Ich gehe in mein Zimmer hinaus, denn ich kann den Anblick des Blutes nicht ertragen.

 

Kaum war sie fort, so trat Morel aus der düstern Ecke hervor, in die er sich zurückgezogen und wo ihn bei der allgemeinen Bestürzung niemand bemerkt hatte.

 

Gehen Sie geschwind, Maximilian! sagte Valentine zu ihm, und warten Sie, bis ich Sie rufe.

 

Morel befragte Noirtier durch eine Gebärde. Noirtier, der seine ganze Kaltblütigkeit behalten hatte, machte ihm ein bejahendes Zeichen.

 

Er drückte Valentines Hand an sein Herz und entfernte sich durch den geheimen Gang. Zu gleicher Zeit traten Villefort und der Doktor durch die entgegengesetzte Tür ein.

 

Barrois kam allmählich wieder zu sich; die Krise war vorüber, er seufzte und erhob sich auf ein Knie. D’Avrigny und Villefort trugen ihn auf ein Ruhebett.

 

Was befehlen Sie, Doktor? fragte Villefort.

 

Man bringe mir Wasser und Äther, etwas Terpentinöl und ein Brechmittel, Sie haben doch alles im Hause? Sodann entferne sich jedermann!

 

Ich auch? fragte Valentine schüchtern.

 

Ja, mein Fräulein, Sie besonders, erwiderte der Doktor mit strengem Tone.

 

Valentine schaute Herrn d’Avrigny erstaunt an, küßte Herrn Noirtier auf die Stirn und ging hinaus. – Hinter ihr schloß der Arzt die Tür.

 

Sehen Sie! sagte Villefort, Doktor, er kommt wieder zu sich, es war nur ein Anfall ohne Bedeutung.

 

Herr d’Avrigny lächelte düster und fragte: Wie fühlen Sie sich, Barrois?

 

Ein wenig besser, mein Herr.

 

Können Sie dieses Glas Wasser mit Äther trinken?

 

Ich will es versuchen, doch berühren Sie mich nicht, es kommt mir vor, als müßte sich der Anfall wiederholen, wenn Sie mich berühren, und wäre es auch nur mit der Fingerspitze.

 

Barrois nahm das Glas, näherte es seinen blauen Lippen und leerte es ungefähr bis zur Hälfte.

 

Wo leiden Sie? – Überall; ich habe furchtbare Krämpfe.

 

Haben Sie Verdunkelungen, Blendungen? – Ja.

 

Ein Klingeln in den Ohren? – Gräßlich.

 

Wann ist dieser Anfall gekommen? – Soeben ganz plötzlich.

 

Nichts gestern? nichts vorgestern? – Nichts.

 

Keine Schlafsucht? Keine Schwere? – Nein.

 

Was haben Sie heute gegessen? – Ich habe nichts gegessen, ich habe nur ein Glas Limonade von dem Herrn getrunken und sonst nichts.

 

Barrois machte mit dem Kopfe eine Gebärde, um Herrn Noirtier zu bezeichnen, der von seinem Lehnstuhle diese furchtbare Szene betrachtete, ohne daß ihm die geringste Bewegung oder auch nur ein Wort entging.

 

Wo ist die Limonade? – In der Küche.

 

Soll ich sie holen, Doktor? fragte Villefort.

 

Nein, bleiben Sie hier und machen Sie, daß der Kranke den Rest dieses Glases Wasser trinke, ich gehe selbst.

 

D’Avrigny machte einen Sprung, öffnete die Tür, stürzte nach der Treppe, die nach der Küche führte, und hätte beinahe Frau von Villefort, die ebenfalls nach der Küche ging, umgeworfen. Sie stieß einen Schrei aus.

 

D’Avrigny achtete nicht daraus; von einem einzigen Gedanken fortgerissen, sprang er die letzten paar Stufen hinab, stürzte in die Küche und erblickte die zu drei Vierteln leere Flasche auf der Platte, auf die er sich warf, wie ein Adler auf seine Beute. Keuchend stieg er dann in das Erdgeschoß hinauf und kehrte ins Zimmer zurück, während Frau von Villefort langsam die Treppe emporstieg, die in ihre Wohnung führte.

 

Ist dies die Flasche? fragte er. – Ja, Herr Doktor.

 

Was für einen Geschmack fanden Sie in der Limonade? – Einen bittern Geschmack.

 

Der Doktor goß ein paar Tropfen Limonade in seine hohle Hand, schlürfte sie mit den Lippen ein und spuckte dann die Flüssigkeit wieder aus.

 

Es ist dieselbe, sagte er. Und Sie haben auch davon getrunken, Herr Noirtier? – Ja, machte der Greis.

 

Und Sie haben denselben bittern Geschmack gefunden? – Ja.

 

Ach! Herr Doktor, rief Barrois, es packt mich wieder! Mein Gott und Vater, habe Mitleid mit mir!

 

Der Doktor lief zu dem Kranken.

 

Das Brechmittel, Villefort, sehen Sie, ob es kommt.

 

Villefort stürzte hinaus und schrie: Das Brechmittel! das Brechmittel! Hat man es gebracht?

 

Niemand antwortete. Es herrschte der tiefste Schrecken im Hause.

 

Wenn ich nur imstande wäre, ihm Luft in die Lunge zu blasen, sagte d’Avrigny, im Zimmer umherschauend, vielleicht vermöchte man dem Schlage vorzubeugen. Doch nein! nein! nichts!

 

Oh! Herr, werden Sie mich so ohne Hilfe sterben lassen? rief Barrois. Oh, ich sterbe! mein Gott! ich sterbe!

 

Eine Feder! eine Feder! sagte der Doktor.

 

D’Avrigny erblickte eine auf dem Tische und suchte sie in den Mund des Kranken zu stecken, der mitten unter Krämpfen sich anstrengte, sich zu erbrechen; aber die Kinnbacken waren so zusammengepreßt, daß die Feder nicht hindurch gebracht werden konnte.

 

Barrois hatte einen noch heftigeren Anfall als das erstemal. Er war von dem Ruhebette auf die Erde herabgesunken und streckte sich steif auf dem Boden aus. Der Doktor überließ ihn diesem Anfalle, bei dem er ihm keine Erleichterung verschaffen konnte, ging auf Noirtier zu und sagte hastig und mit leiser Stimme zu ihm: Wie befinden Sie sich? Gut? – Ja.

 

Leicht im Magen oder schwer? Leicht? – Ja.

 

Wie wenn Sie die Pille genommen haben, die ich Ihnen jeden Sonntag geben lasse? – Ja.

 

Hat Barrois Ihre Limonade gemacht? – Ja.

 

Haben Sie ihn aufgefordert, davon zu trinken? – Nein.

 

Herr von Villefort? – Nein.

 

Valentine also? – Ja.

 

Ein Seufzer von Barrois, ein Gähnen, das die Knochen seines Kiefers krachen ließ, erregten d’Avrignys Aufmerksamkeit; er verließ Noirtier und lief zu dem Kranken.

 

Barrois, fragte der Doktor, können Sie sprechen?

 

Barrois stammelte ein paar unverständliche Worte.

 

Versuchen Sie es, mein Freund.

 

Barrois öffnete seine blutigen Augen.

 

Wer hat die Limonade gemacht? – Ich.

 

Haben Sie sie sogleich Ihrem Herrn gebracht, nachdem sie bereitet war? – Nein.

 

Sie haben sie irgendwo stehen lassen? – In der Küche; man rief mich.

 

Wer hat sie hierher gebracht? – Fräulein Valentine.

 

D’Avrigny schlug sich vor die Stirn und murmelte: Oh! mein Gott!

 

Doktor! Doktor! rief Barrois, der einen dritten Anfall kommen fühlte.

 

Wird man denn das Brechmittel nicht bringen! rief der Doktor.

 

Hier ist ein Glas, sagte Villefort, zurückkehrend.

 

Wer hat’s bereitet?

 

Der Apothekergehilfe, der mit mir gekommen ist.

 

Trinken Sie!

 

Unmöglich, Doktor, es ist zu spät: meine Kehle schnürt sich zusammen, ich ersticke! Oh mein Magen, Oh mein Kopf … Oh! welche Hölle … Werde ich lange so leiden?

 

Nein, nein, mein Freund, antwortete der Doktor, Sie werden bald nicht mehr leiden.

 

Oh! ich verstehe! rief der Unglückliche; mein Gott, erbarme dich meiner!

 

Und einen Schrei ausstoßend, fiel er rückwärts, als ob ihn der Blitz getroffen hätte.

 

D’Avrigny legte eine Hand auf sein Herz und hielt einen Spiegel an seine Lippen.

 

Nun? fragte Herr von Villefort.

 

Sagen Sie in der Küche, man soll sehr schnell Veilchensirup bringen.

 

Villefort eilte sogleich hinab.

 

Erschrecken Sie nicht, Herr Noirtier, sagte d’Avrigny, ich bringe den Kranken in ein anderes Zimmer, um ihm zur Ader zu lassen; dergleichen Anfälle sind gräßlich anzuschauen.

 

Und Barrois unter den Armen fassend, schleppte er ihn in ein anstoßendes Zimmer; doch beinahe in demselben Augenblick kehrte er zu Noirtier zurück, um den Rest der Limonade zu nehmen.

 

Noirtier schloß das rechte Auge.

 

Nicht wahr, Sie wollen Valentine? Ich will sagen, daß man nach ihr schickt.

 

Villefort kam wieder herauf; d’Avrigny begegnete ihm im Gange. Nun? fragte er.

 

Kommen Sie, sagte d’Avrigny und führte ihn in das Zimmer.

 

Immer noch ohnmächtig? – Er ist tot.

 

Villefort wich drei Schritte zurück, schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und sagte, den Leichnam anschauend, mit unzweideutigem Mitleid: So schnell gestorben!

 

Ja, sehr schnell, nicht wahr? entgegnete d’Avrigny; doch das darf Sie nicht in Erstaunen setzen: Herr und Frau von Saint-Meran sind ebenso plötzlich gestorben. Oh! man stirbt schnell in Ihrem Hause, Herr von Villefort.

 

Wie! rief der Staatsanwalt mit einem Ausdrucke des Abscheus und der Bestürzung, Sie kommen wieder auf diesen furchtbaren Gedanken zurück?

 

Immer, mein Herr, immer, sagte d’Avrigny feierlich, denn er hat mich nicht einen Augenblick verlassen; und damit Sie überzeugt sind, daß ich mich diesmal nicht täusche, so hören Sie wohl, Herr von Villefort: Es gibt ein Gift, das, beinahe ohne irgend eine Spur zurückzulassen, tötet. Ich kenne dieses Gift, ich habe es in allen Erscheinungen, die es erzeugt, studiert, und ich habe es soeben bei dem armen Barrois erkannt, wie ich es bei Frau von Saint-Meran erkannte. Es gibt ein Mittel, sein Vorhandensein festzustellen: es stellt die blaue Farbe des von der Säure geröteten Lackmuspapiers wieder her und färbt den Veilchensirup grün. Wir haben kein Lackmuspapier; doch man bringt mir soeben den Veilchensirup, den ich verlangt habe.

 

Der Doktor öffnete halb die Tür, nahm aus den Händen der Kammerfrau das Gefäß, auf dessen Boden ein paar Löffel Sirup waren, und schloß die Tür wieder.

 

Sehen Sie, sagte er zum Staatsanwalt, dessen Herz so heftig schlug, daß man es hätte hören können, hier in dieser Tasse ist Veilchensirup, und in dieser Flasche der Rest der Limonade, von der Barrois getrunken hat. Ist die Limonade rein und unschädlich, so wird der Sirup seine Farbe behalten; ist die Limonade aber vergiftet, so wird der Sirup grün werden. Schauen Sie!

 

 

Der Doktor goß langsam einige Tropfen Limonade aus der Flasche in die Tasse, und man sah auf der Stelle auf dem Grunde der Tasse eine Wolke sich bilden, die eine grünliche Farbe annahm. Der Versuch ließ keinen Zweifel übrig.

 

Der unglückliche Barrois ist mit der falschen Angostura oder mit Ignatiusbohnen vergiftet worden, sagte d’Avrigny, dafür bürge ich vor den Menschen und Gott.

 

Villefort sagte nichts, aber er streckte die Arme zum Himmel empor, öffnete seine stieren Augen und sank wie vom Blitze getroffen auf einen Stuhl nieder.