Während d’Artagnan und Porthos den Kardinal nach Saint-Germain führten, waren Athos und Aramis, welche dieselben in Saint-Denis verlassen hatten, nach Paris zurückgekehrt.

Jeder von ihnen hatte seinen Besuch zu machen.

Kaum hatte Aramis seine Reiterkleider abgelegt, so eilte er in das Stadthaus, wo sich Frau von Longueville befand. Bei der ersten Kunde vom Frieden stieß die schöne Herzogin eine laute Verwünschung aus. Der Krieg machte sie zur Königin, der Frieden führte ihre Abdankung herbei. Sie erklärte, daß sie nie den Vertrag unterzeichnen würde und den Krieg nie aufhören lassen wollte.

Als ihr jedoch Aramis diesen Frieden in seinem wahren Lichte, nämlich mit seinen Vorteilen dargestellt, als er ihr statt ihres zweifelhaften und bestrittenen Königtums von Paris das Vizekönigtum der ganzen Normandie vorhielt, als er die vom Kardinal versprochenen fünfmalhunderttausend Franken an ihren Ohren klingeln und vor ihren Augen die Ehre glänzen ließ, die ihr der König erwies, indem er ihr Kind über die Taufe hob, da protestierte Frau von Longueville nur noch infolge der Gewohnheit, zu protestieren, welche die hübschen Frauen an sich haben, und verteidigte sich nur, um sich zu ergeben.

Aramis stellte sich, als glaube er an die Wahrheit ihres Widerstandes, und wollte sich in seinen eigenen Augen das Verdienst nicht nehmen, sie überredet zu haben.

Madame, sagte er zu ihr, Ihr wolltet einmal den Herrn Prinzen, Euern Bruder, den größten Feldherrn unserer Zeit, tüchtig klopfen, und wenn die Frauen von Genie einmal etwas wollen, so gelingt es ihnen immer. Es ist Euch gelungen; der Herr Prinz ist geschlagen, da er nicht mehr Krieg führen kann. Nun zieht ihn auf unsere Partei herüber, macht ihn ganz sacht von der Königin los, die er nicht liebt, und von Herrn von Mazarin, den er verachtet. Die Fronde ist eine Komödie, von der wir bis jetzt nur den ersten Akt gespielt haben. Wir wollen sehen, wie es Mazarin im zweiten Akte, von dem Tage ab, wo der Herr Prinz infolge Eures Zuredens sich gegen den Hof gewendet haben wird, gehen wird.

Frau von Longueville ließ sich überreden. Diese herzogliche Frondeuse war so fest von der Gewalt ihrer schönen Augen überzeugt, daß sie durchaus nicht an ihrem Einflüsse sogar auf Herrn von Condé zweifelte, und die Skandalchronik jener Zeit sagt, sie habe sich nicht zu viel zugetraut.

Als Athos seinen Freund Aramis auf der Place-Royale verließ, begab er sich zu Frau von Chevreuse. Hier war abermals eine Frondeuse zu überreden; aber diese war schwerer zu besiegen, als ihre junge Rivalin. Man hatte keine Bedingung zu ihren Gunsten festgesetzt. Herr von Chevreuse war nicht zum Gouverneur irgend einer Provinz ernannt worden, und wenn die Königin sich herbeiließ, Patin zu werden, so konnte es nur bei ihrem Enkel oder ihrer Enkelin sein.

Beim ersten Wort vom Frieden runzelte also Frau von Chevreuse die Stirne, und trotz aller Logik von Athos, der ihr zu beweisen suchte, daß ein längerer Krieg unmöglich sei, bestand sie auf Fortsetzung der Feindseligkeiten.

Schöne Freundin, sprach Athos, erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß alle des Krieges müde sind, daß, Euch und den Koadjutor vielleicht ausgenommen, jeder den Frieden wünscht. Ihr werdet machen, daß man Euch verbannt, wie zur Zeit des Königs Ludwig XIII. Glaubt mir, wir haben das Alter der Erfolge in der Intrigue hinter uns, und Eure schönen Augen sind nicht dazu bestimmt, in Tränen über Paris zu erlöschen, wo es stets zwei Königinnen geben wird, solange Ihr da seid.

Oh, sagte die Herzogin, ich kann den Krieg nicht allein führen, aber ich kann mich an dieser undankbaren Königin und an dem ehrgeizigen Günstling rächen, und so wahr ich Herzogin bin, ich werde mich rächen!

Madame, sprach Athos, ich bitte Euch dringend, bereitet Herrn von Bragelonne keine schlimme Zukunft. Er ist in die Welt getreten, der Prinz will ihm wohl, er ist jung, lassen wir ihn bei dem jungen König seinen Platz einnehmen. Ach, entschuldigt meine Schwäche, Madame; es kommt ein Augenblick, wo der Mensch in seinen Kindern wieder auflebt und jung wird.

Die Herzogin lächelte halb zärtlich, halb ironisch.

Graf, sagte sie, Ihr seid, muß ich fürchten, für die Partei des Hofes gewonnen. Habt Ihr nicht irgend ein blaues Band in Eurer Tasche?

Ja, Madame, sprach Athos, ich habe den Hosenbandorden, den mir der König Karl einige Tage vor seinem Tod gegeben hat.

Der Graf sprach die Wahrheit. Er wußte nichts von der Bitte Porthos‘, und es war ihm nicht bekannt, daß er noch einen andern Orden hatte, als diesen.

Ei nun, man muß sich darein finden, schließlich alt zu werden, sprach die Herzogin träumerisch.

Athos nahm ihre Hand und küßte sie. Sie seufzte und schaute ihn an.

Graf, sagte sie, Bragelonne muß ein reizender Aufenthalt sein. Ihr seid ein Mann von Geschmack, Ihr müßt Wasser, Wald, Blumen haben.

Sie seufzte abermals und stützte ihren reizenden Kopf auf ihre kokett zurückgebogene und in Bezug auf Form und Weiße immer noch bewundernswürdig hübsche Hand.

Madame, erwiderte der Graf, was sagtet Ihr soeben? Nie habe ich Euch so jung, nie habe ich Euch so schön gesehen.

Die Herzogin schüttelte den Kopf und sprach:

Bleibt Herr von Bragelonne in Paris? – Was denkt Ihr davon? fragte Athos. – Laßt ihn mir, versetzte die Herzogin. – Nein, Madame, wenn Ihr die Geschichte von Ödipus vergessen habt, so erinnere ich mich derselben. – In der Tat, Graf, Ihr seid sehr artig, und ich würde gern einen Monat in Bragelonne leben. – Fürchtet Ihr nicht, mir viele Neider zuzuziehen, Herzogin? erwiderte Athos. – Nein, ich werde inkognito reisen, Graf, unter dem Namen Marie Michon. – Ihr seid anbetungswürdig, Madame. – Aber laßt Raoul nicht bei Euch. – Warum dies? – Weil er verliebt ist. – Er, ein Kind? – Er liebt auch ein Kind.

Athos wurde träumerisch.

Ihr habt recht, Herzogin; diese seltsame Liebe für ein Kind kann ihn eines Tages sehr unglücklich machen. In Flandern wird’s einen Feldzug geben, und er soll dahin gehen.

Bei seiner Rückkehr schickt Ihr ihn mir, und ich werde ihn gegen die Liebe panzern.

Ach! Madame, sprach Athos, heutzutage ist die Liebe wie der Krieg, und der Panzer ist nutzlos geworden.

In diesem Augenblick trat Raoul ein. Er meldete dem Grafen und der Herzogin, der Graf von Guiche, sein Freund, habe ihm mitgeteilt, am nächsten Tag werde der feierliche Einzug des Königs, der Königin und des Ministers stattfinden. Am andern Morgen bei Tagesanbruch traf der Hof feierlich alle Vorkehrungen, um Saint-Germain zu verlassen.

Die Königin hatte schon am Abend vorher d’Artagnan kommen lassen.

Mein Herr, sagte sie zu ihm, man versichert mir, Paris sei nicht ruhig. Mir ist bange für den König; stellt Euch an den Kutschenschlag rechts.

Eure Majestät mag unbesorgt sein, erwiderte d’Artagnan, ich stehe für den König.

Und sich vor der Königin verbeugend, trat er ab.

Als d’Artagnan die Königin verließ, sagte ihm Bernouin, der Kardinal erwarte ihn in wichtigen Angelegenheiten.

Er begab sich sogleich zum Kardinal.

Mein Herr, sagte Mazarin, man spricht von einer Meuterei in Paris. Ich werde links vom König sitzen, und da ich hauptsächlich bedroht bin, so haltet Euch am Kutschenschlage links.

Eure Eminenz beruhige sich, erwiderte d’Artagnan, man wird kein Haar von ihrem Haupte berühren.

Teufel! murmelte er, als er im Vorzimmer war, wie soll ich mich da herausziehen? Ich kann nicht zugleich am Kutschenschlage links und an dem rechts sein. Ah, bah! ich bewache den König, und Porthos bewacht den Kardinal.

Diese Anordnung befriedigte alle, was ziemlich selten vorkommt. Die Königin hatte Zutrauen zu dem Mute d’Artagnans, den sie kannte, und Mazarin zu der Tapferkeit Porthos‘, die er erprobt hatte.

Der Zug setzte sich nach Paris in einer zuvor bestimmten Folge in Bewegung. Guitaut und Comminges marschierten an der Spitze der Garden voraus. Dann kam der königliche Wagen; an einem Schlage ritt d’Artagnan, am andern Porthos. Hierauf folgten die Musketiere, die alten Freunde d’Artagnans seit zweiundzwanzig Jahren.

Als man an die Barriere gelangte, wurde der Wagen von einem gewaltigen: Es lebe der König! Es lebe die Königin! begrüßt. Einige Rufe: Es lebe Mazarin! mischten sich darein, fanden aber kein Echo.

Man begab sich nach Notre-Dame, wo das Tedeum gesungen werden sollte.

Die ganze Bevölkerung von Paris war auf den Straßen. Man hatte die Schweizer am Wege als Spaliere aufgestellt. Da aber der Weg lang war, so standen sie immer auf sechs bis acht Schritte Entfernung voneinander und nur einen Mann hoch. Der Wall war also durchaus ungenügend, und von Zeit zu Zeit hatte der Damm, von einer Volkswoge durchbrochen, die größte Mühe, sich wiederherzustellen.

Bei jedem Durchbruch, so wohlwollend er auch war, denn er rührte von dem Verlangen der Pariser her, ihren König und ihre Königin wiederzusehen, deren sie seit einem Jahre beraubt gewesen waren, schaute Anna von Österreich d’Artagnan besorgt an; dieser aber beruhigte sie mit einem Lächeln.

Mazarin, der um einige Lebehochrufe auf sich selbst wohl tausend Louisd’or ausgegeben und die Rufe, die er gehört, nicht zu zwanzig Pistolen angeschlagen hatte, schaute Porthos ebenfalls unruhig an; aber der riesige Garde antwortete auf diesen Blick mit einer so schönen Baßstimme: Seid unbesorgt, Monseigneur! daß sich Mazarin beruhigte.

Als man zum Palais-Royal gelangte, fand man die Volksmenge immer zahlreicher. Sie war durch alle anliegenden Straßen auf diesen Platz geströmt, und man sah die ganze Masse wie einen breiten, aufgeregten Strom dem Wagen entgegenkommen und sich stürmisch in die Rue Saint-Honoré wälzen.

Als man den Platz erreichte, erschollen mächtige Rufe: Es leben Ihre Majestäten! Mazarin legte sich aus dem Kutschenschlag; zwei oder drei Rufe: Es lebe der Kardinal! begrüßten seine Erscheinung; doch fast in demselben Augenblick wurden sie durch Pfeifen und Zischen unbarmherzig erstickt. Mazarin erbleichte und warf sich rasch zurück.

Kanaillen! murmelte Porthos.

D’Artagnan sagte nichts; aber er kräuselte seinen Schnurrbart mit einer eigentümlichen Gebärde, welche andeutete, daß seine gascognische Galle zu kochen begann.

Anna von Österreich neigte sich an das Ohr des jungen Königs und flüsterte ihm zu: Macht ein freundliches Gesicht und richtet ein paar Worte an Herrn d’Artagnan, mein Sohn.

Der König neigte sich aus dem Kutschenschlag und sagte: Ich habe Euch noch nicht guten Morgen gewünscht, Herr d’Artagnan, und doch erkannte ich Euch gar wohl. Ihr wart hinter meinen Bettvorhängen in der Nacht, als die Pariser mich schlafen sehen wollten.

Und wenn es der König erlaubt, versetzte d’Artagnan, so werde ich bei ihm sein, so oft er einer Gefahr preisgegeben ist.

Mein Herr, sagte Mazarin zu Porthos, was würdet Ihr tun, wenn sich das Volk auf uns stürzte?

Ich würde so viele, als ich könnte, totschlagen, erwiderte Porthos.

Hm! murmelte Mazarin, so brav und stark Ihr auch seid, so vermöchtet Ihr doch nicht alle totzuschlagen.

Das ist wahr, sagte Porthos, sich auf den Steigbügeln erhebend, um die unermeßliche Menge besser zu überschauen, das ist wahr, es sind ihrer viele.

Ich glaube, der andere wäre mir lieber, sprach Mazarin, und warf sich wieder in den Hintergrund des Wagens zurück.

Die Königin und ihr Minister hatten Ursache, sich einigermaßen beunruhigt zu fühlen, wenigstens der letztere. Obschon die Menge den äußern Anschein von Achtung und sogar von Zuneigung für den König und die Regentin beobachtete, so begann sie doch, sich stürmisch zu bewegen. Man hörte jenes dumpfe Getöse, das, wenn es über die Wellen hinstreift, Sturm anzeigt, und, wenn es über die Volksmenge hinzieht, Aufruhr verkündigt.

D’Artagnan wandte sich gegen die Musketiere um und machte, mit den Augen blinzelnd, ein für das Volk unmerkliches, aber für diese brave Elite sehr verständliches Zeichen. Die Reihen der Pferde schlossen sich aneinander an, und ein leichtes Beben durchlief die Männer. An der Barriere des Sergents war man genötigt, Halt zu machen; Comminges verließ die Spitze der Eskorte und kam an den Wagen der Königin. Die Königin fragte d’Artagnan mit dem Blick. D’Artagnan antwortete ihr in derselben Sprache.

Geht vorwärts, sagte die Königin.

Comminges ging wieder an seinen Posten. Man machte einen Anlauf, und die lebendige Barriere wurde mit Gewalt durchbrochen.

Da erhob sich aus der Menge dumpfes Gemurre, das diesmal ebensowohl an den König, als an seinen Minister gerichtet war.

Vorwärts, rief d’Artagnan mit voller Stimme.

Vorwärts, wiederholte Porthos.

Aber als hätte die Menge nur diese Kundgebung erwartet, um zu beginnen, so machten sich jetzt auf einmal alle feindseligen Gesinnungen, die sie bis jetzt zurückgehalten hatte, Luft. Das Geschrei: Nieder mit Mazarin! Tod dem Kardinal! erscholl von allen Seiten.

Zu gleicher Zeit wälzte sich durch die Straßen Grenelle-Saint-Honoré und du Coq eine doppelte Woge hervor, durchbrach das schwache Spalier der Schweizer-Garden und trieb seinen ungestümen Wirbel bis zu den Beinen der Pferde von d’Artagnan und Porthos.

Dieser neue Einbruch war gefährlicher als die andern, denn er bestand aus Leuten, die besser bewaffnet erschienen, als es die Leute aus dem Volk in solchen Fällen gewöhnlich sind. Man sah, daß diese letzte Bewegung keine Wirkung des Zufalls war, der eine gewisse Anzahl von Unzufriedenen aus demselben Punkte vereinigt, sondern die Wirkung eines feindseligen Geistes, der einen Angriff organisiert hatte.

Diese beiden Massen hatten auch jede ihren Anführer. Der eine schien nicht dem Volke, sondern der ehrenwerten Körperschaft der Bettler anzugehören, während man in dem andern, obgleich er sich als Mann des Volkes zu geben suchte, leicht einen Edelmann erkennen konnte.

Beide handelten offenbar von einem und demselben Impulse getrieben.

Es entstand eine lebhafte Erschütterung, die sich bis in den königlichen Wagen fühlbar machte. Dann erschollen tausend Rufe, die einen ungeheuren Lärm machten, und dazwischenhinein ein paar Flintenschüsse.

Herbei, Musketiere! rief d’Artagnan.

Die Eskorte trennte sich in zwei Reihen; die eine ritt auf die rechte Seite des Wagens, die andere auf die linke, die eine kam d’Artagnan, die andere Porthos zu Hilfe.

Nun entspann sich ein Handgemenge, das um so furchtbarer war, weil es kein bestimmtes Ziel hatte, und um so trauriger erschien, als man nicht wußte, warum und für wen man sich schlug.

Wie alle Bewegungen des großen Haufens, so war der Anlauf dieser Menge furchtbar; durchaus nicht zahlreich und schlecht aneinandergereiht, begannen die Musketiere, die ihre Pferde unter dieser Volksmasse nicht gehörig ausgreifen lassen konnten, in Unordnung zu geraten. D’Artagnan wollte die Vorhänge des Wagens herablassen, aber der junge König streckte den Arm aus und sprach: Nein, Herr d’Artagnan, ich will sehen.

Wenn Eure Majestät sehen will, erwiderte d’Artagnan, nun wohl, so mag sie schauen!

Und sich mit jenem Ungestüm umwendend, das ihn so furchtbar machte, drang d’Artagnan auf den Anführer der Meuterer ein, der, eine Pistole in der einen, ein breites Schwert in der andern Hand, sich bis zum Kutschenschlag, mit zwei Musketieren kämpfend, Bahn gebrochen hatte.

Platz, Mord und Tod! rief d’Artagnan, Platz!

Bei dieser Stimme hob der Mann mit der Pistole und dem breiten Schwerte den Kopf in die Höhe: aber es war bereits zu spät: d’Artagnan hatte seinen Streich geführt; sein Degen war tief in die Brust gedrungen.

Ah, Ventre-Saint-gris! rief d’Artagnan, indem er zu spät seinen Streich zurückzuhalten suchte, was zum Teufel, macht Ihr hier, Graf?

Ich mußte mein Geschick erfüllen, erwiderte Rochefort, auf ein Knie fallend; ich habe mich bereits von dreien Eurer Schwertstreiche erhoben; von dem vierten aber werde ich mich nicht erheben.

Graf, sagte d’Artagnan mit einer gewissen Rührung, ich habe geschlagen, ohne zu wissen, daß Ihr es wart. Es wäre mir sehr leid, wenn Ihr sterben und mit Gefühlen des Hasses gegen mich verscheiden solltet.

Rochefort reichte d’Artagnan die Hand; d’Artagnan nahm sie. Der Graf wollte sprechen, aber ein Blutstrom erstickte seine Worte. Er streckte sich in einem letzten Krampfe aus und verschied.

Zurück, Kanaillen! rief d’Artagnan. Euer Anführer ist tot, und Ihr habt nichts mehr hier zu schaffen.

Und wirklich, als wäre der Graf von Rochefort die Seele des Angriffes gewesen, der nach dieser Seite der königlichen Karosse gerichtet war, ergriff der ganze Volkshaufe, der ihm gefolgt war und ihm gehorchte, die Flucht, als er ihn fallen sah. D’Artagnan machte mit etwa zwanzig Musketieren einen Einfall in die Rue du Coq, und dieser Teil des Aufruhrs verschwand wie eine Rauchwolke, indem er sich auf der Place Saint-Germain-l’Auxerrois zerstreute und bald auf den Quais verlor.

D’Artagnan kehrte zurück, um Porthos Hilfe zu leisten, im Fall er solcher bedürfen sollte. Aber Porthos hatte seine Arbeit ebenso gewissenhaft vollbracht, als d’Artagnan. Die linke Seite der Karosse war nicht minder gut abgefegt, als die rechte, und man hob den Vorhang des Kutschenschlags empor, den Mazarin, minder kriegerisch als der König, vorsichtig herabgelassen hatte.

Porthos sah äußerst schwermütig aus.

Was für ein Teufelsgesicht macht Ihr denn, Porthos, und welch eine sonderbare Miene habt Ihr für einen Sieger? rief d’Artagnan. – Aber Ihr selbst, versetzte Porthos, Ihr kommt mir sehr bewegt vor? – Es ist auch Grund dazu vorhanden; denn ich habe soeben einen alten Freund getötet. – Wirklich? sprach Porthos. Wen denn? – Den armen Grafen von Rochefort. – Nun, das ist gerade wie bei mir. Ich habe einen Menschen getötet, dessen Gesicht mir unbekannt ist. Leider schlug ich ihn an den Kopf, und in einem Augenblick war das ganze Gesicht voll Blut. – Und er hat im Fallen nichts gerufen? – Doch; er sagte Uf! – Ich begreife, versetzte d’Artagnan, der sich des Lachens nicht enthalten konnte, ich begreife, daß es Euch nicht sehr ins klare brachte, wenn er weiter nichts gesagt hat.

Nun, mein Herr? fragte die Königin.

Madame, erwiderte d’Artagnan, die Straße ist vollkommen frei, und Eure Majestät kann ihren Weg fortsetzen.

Der Zug gelangte nun ohne irgend einen andern Unfall zu der Notre-Dame Kirche, unter deren Portal die Geistlichkeit, mit dem Koadjutor an der Spitze, den König, die Königin und den Minister erwartete, für deren glückliche Rückkehr ein Te deum gesungen werden sollte.

Während des Gottesdienstes und im Augenblick, wo er seinem Ende nahte, kam ein Straßenjunge ganz bestürzt in die Kirche gelaufen, eilte in die Sakristei, kleidete sich rasch als Chorknabe, durchschritt mit Hilfe der ehrwürdigen Uniform, die er angezogen, die Menge, die den Tempel füllte, und näherte sich Bazin, der in seinem blauen Gewand und mit dem silberverzierten Fischbeinstab in der Hand mit ernster Miene dem Schweizer am Eingang des Chors gegenüberstand.

Bazin fühlte, daß man ihn am Rocke zog. Er senkte seine voll Andacht zum Himmel aufgeschlagenen Augen zu Boden und erkannte Friquet.

Nun, Bursche, fragte der Mesner, was gibt es denn, daß du es wagst, mich in der Ausübung meiner Funktionen zu stören? – Herr Bazin, antwortete Friquet, Herr Maillard, Ihr wißt, der Weihwassergeber von Saint-Eustache … – Ja, weiter? – Er hat bei der Fechterei einen Schwertstreich auf den Kopf bekommen. Der große Riese, den Ihr dort seht, der mit den vielen Stickereien hat ihm denselben gegeben. – Ja, und in diesem Fall muß er was Ordentliches abgekriegt haben, sprach Bazin. – So Ordentliches, daß er stirbt und gern vor seinem Tode dem Herrn Koadjutor beichten möchte, der, wie man sagt, die Macht besitzt, die groben Sünden zu vergeben. – Und er bildet sich ein, der Koadjutor werde sich seinetwegen stören lassen? – Ja, allerdings, denn es scheint, der Herr Koadjutor hat es ihm versprochen. – Wer sagt dir das? – Herr Maillard selbst. – Du hast ihn also gesehen? – Gewiß, ich war dabei, als er fiel. – Was hast du dort gemacht? – Ich schrie: Nieder mit Mazarin! Tod dem Kardinal! Den Italiener an den Galgen! Sagtet Ihr nicht, ich soll das schreien? – Willst du wohl schweigen, dummer Kerl! sprach Bazin und schaute unruhig umher. – Der arme Herr Maillard sagte also: Hole mir den Koadjutor, Friquet, und wenn Du mir ihn bringst, so mache ich dich zu meinem Erben. Denkt doch, Vater Bazin: der Erbe von Herrn Maillard, dem Weihwassergeber in Saint-Eustache! Ich kann jetzt für immer meine Arme in den Schoß legen. Jedenfalls möchte ich ihm sehr gern diesen Dienst leisten; was sagt Ihr dazu? – Ich will den Herrn Koadjutor benachrichtigen, sprach Bazin.

Und er näherte sich dann ehrfurchtsvoll und langsam dem Prälaten, sagte ihm einige Worte ins Ohr, worauf dieser mit einem bejahenden Zeichen antwortete, kehrte mit demselben Schritt, mit dem er weggegangen war, zurück und sprach: Sage dem Sterbenden, er solle sich gedulden, Monseigneur werde in einer Stunde bei ihm sein.

Gut, versetzte Friquet, mein Glück ist gemacht.

Doch wohin hat er sich tragen lassen?

Nach dem Turm von Saint-Jacques-la-Boucherie.

Entzückt über den Erfolg seiner Botschaft, verließ Friquet, ohne sein Chorknabengewand abzulegen, das ihm überdies den Durchgang bedeutend erleichterte, die Kirche und schlug mit aller Geschwindigkeit, deren er fähig war, den Weg nach dem Turme von Saint-Jacques-la-Boucherie ein.

Sobald das Tedeum vollendet war, begab sich der Koadjutor seinem Versprechen gemäß und ohne seine priesterlichen Gewänder abzulegen, ebenfalls nach dem alten Turme, der ihm so wohl bekannt war. Er kam noch zu rechter Zeit; der Verwundete wurde zwar jeden Augenblick schwächer, war aber noch nicht tot.

Man öffnete ihm die Tür des Zimmers, wo der Bettler mit dem Tode rang.

Einen Augenblick nachher kam Friquet heraus, einen großen ledernen Sack in der Hand haltend, den er aufriß, sobald er aus dem Zimmer war, und zu seinem nicht geringen Erstaunen voll Gold fand.

Der Bettler hatte Friquet Wort gehalten und ihn zu seinem Erben gemacht.

Oh, Mutter Nanette! rief Friquet atemlos, oh! Mutter Nanette!

Mehr konnte er nicht herausbringen, aber er nahm alle Kraft zusammen und rannte verzweiflungsvoll nach der Straße, und wie der Grieche von Marathon, der auf dem Marktplatz von Athen mit seinem Lorbeerkranz in der Hand tot zusammensank, stürzte Friquet, als er auf der Hausschwelle des Rates Broussel angelangt war, wie leblos nieder. Sein Sack fuhr auf, und die Louisd’or rollten auf dem Boden umher.

Die Mutter Nanette hob zuerst die Goldstücke und dann auch Friquet auf.

Während dieser Zeit gelangte der Zug ins Palais-Royal.

Das ist ein tapferer Mann, meine Mutter, dieser Herr d’Artagnan, sagte der junge König.

Ja, mein Sohn, und er hat Eurem Vater große Dienste geleistet. Behandelt ihn also in Zukunft freundlich.

Herr Kapitän, sprach der König, aus dem Wagen steigend, zu d’Artagnan, die Frau Königin beauftragt mich, Euch für heute zum Mittagsmahl einzuladen, Euch und Euren Freund, den Herrn Baron du Vallon.

Es war dies eine große Ehre für d’Artagnan und für Porthos. Sie erfüllte Porthos auch mit Entzücken; aber während der ganzen Dauer des Mahles schien der würdige Edelmann äußerst unruhig.

Was hattet Ihr denn, Baron? sagte d’Artagnan zu ihm, als sie miteinander die Treppe des Palais-Royal hinabstiegen; Ihr kamt mir über Tisch ganz sorgenvoll vor.

Ich suchte mich zu erinnern, wo ich den Bettler gesehen, den ich getötet haben muß, antwortete Porthos.

Und Ihr könnt nicht darauf kommen?

Nein.

Nun so sucht, mein Freund, sucht, und wenn Ihr gefunden habt, so werdet Ihr es mir sagen, nicht wahr?

Bei Gott, ja, erwiderte Porthos.