Die zwei improvisierten Soldaten marschierten mit ernster Haltung hinter dem Kammerdiener. Er öffnete ihnen die Tür eines Vorplatzes, dann eine zweite, die in eine Vorhalle zu führen schien, deutete auf zwei Schemel und sagte:

Der Befehl ist ganz einfach: Ihr laßt nur eine einzige Person herein, versteht ihr, nur eine einzige, nicht mehr. Dieser Person gehorcht ihr in allem. Was die Rückkehr betrifft, so wartet ihr, bis sie euch ablösen.

Diesen Kammerdiener kannte d’Artagnan ganz genau. Es war kein anderer, als Bernouin, der ihn seit sechs bis acht Monaten wenigstens zehnmal beim Kardinal eingeführt hatte. Er begnügte sich also, statt aller Antwort so wenig als möglich gascognisch und so gut als möglich deutsch ja zu brummen.

Was Porthos betrifft, so hatte ihm d’Artagnan das Versprechen abgenommen, nichts zu sagen. Sollte er bis aufs äußerste getrieben werden, so durfte er statt jeder Antwort »der Teufel« brummen.

Bernouin entfernte sich, die Tür schließend.

Oh! oh! sagte Porthos, als er den Schlüssel drehen hörte, es scheint hier Mode zu sein, die Leute einzuschließen. Mir kommt es vor, als hätten wir nur das Gefängnis vertauscht, und ich weiß nicht, ob wir dabei gewonnen haben, daß wir jetzt in der Orangerie sind.

Porthos, mein Freund, sprach d’Artagnan ganz leise, zweifelt nicht an der Vorsehung und laßt mich nachsinnen und überlegen.

Sinnt nach und überlegt, erwiderte Porthos in sehr schlimmer Laune, als er sah, daß sich die Dinge so und nicht anders gestalteten.

Wir sind achtzig Schritte gegangen, murmelte d’Artagnan, wir sind sechs Stufen hinaufgestiegen; das ist also hier, wie soeben mein erhabener Freund Du Vallon gesagt hat, der andere Pavillon, der parallel mit dem unsern steht, und den man mit dem Namen Pavillon der Orangerie bezeichnet. Der Graf de la Fère kann folglich nicht fern von hier sein; nur sind die Türen geschlossen.

Das ist eine schöne Schwierigkeit, sprach Porthos, und mit einem Schulterstoß …

Um Gottes Willen, Porthos, mein Freund, sagte d’Artagnan, spart Eure Kraftstücke, oder sie haben bei vorkommender Gelegenheit nicht mehr den ganzen Wert, den sie verdienen; habt Ihr nicht gehört, daß jemand hierher kommen wird?

Allerdings.

Nun, dieser Jemand wird uns die Türen öffnen. Horch, er kommt bereits.

Man hörte im Vorsaal das Geräusch eines leichten Trittes.

Die Angeln der Tür ächzten, und es erschien ein Mann in Reitertracht, in einen braunen Mantel gehüllt, einen großen Filzhut in die Stirn gedrückt und eine Laterne in der Hand.

Porthos drückte sich an die Wand, aber er konnte sich nicht so unsichtbar machen, daß der Mann im Mantel ihn nicht bemerkt hätte. Dieser gab ihm seine Laterne und sagte: Zündet die Lampe am Plafond an. Dann sprach er zu d’Artagnan: Ihr habt den Befehl?

Ja! erwiderte der Gascogner, entschlossen, sich auf dieses Muster der deutschen Sprache zu beschränken.

Tedesco, murmelte der Mann in der Reitertracht. Va bene.

Dann wandte er sich nach der Tür, der gegenüber, durch die er eingetreten war, öffnete sie und verschwand hinter derselben, indem er sie wieder verschloß.

Und was machen wir nun? fragte Porthos.

Nun bedienen wir uns unserer Schultern, wenn diese Tür geschlossen ist, Freund Porthos. Jedes Ding hat seine Zeit, und wer zu warten weiß, findet immer den rechten Augenblick. Aber zuerst verrammeln wir die erste Tür, und dann wollen wir dem Mann folgen, der soeben weggegangen ist.

Die zwei Freunde schritten sogleich zur Arbeit und verrammelten die Tür mit allem Geräte, das sich im Saale fand, wodurch das Eindringen um so schwieriger wurde, als sich die Tür nach innen öffnete.

Hier sind wir sicher, nicht von hinten überfallen zu werden, sagte d’Artagnan; nun wollen wir weitergehen.

Sie gelangten an die Tür, durch die Mazarin verschwunden war, und fanden sie verschlossen. Vergeblich versuchte d’Artagnan, sie zu öffnen.

Hier ist Gelegenheit, Euern Schulternstoß anzubringen, sagte d’Artagnan. Stoßt zu, mein Freund Porthos, aber sacht, ohne Geräusch. Zerbrecht nichts, drückt nur die Flügel auseinander.

Porthos stützte seine kräftige Schulter gegen einen der Flügel, der sich bog, und d’Artagnan schob sodann die Spitze seines Schwertes zwischen die Feder und die Schließklappe des Schlosses. Die Feder gab nach, und die Tür öffnete sich.

Ich sage Euch, Freund Porthos, man erhält von den Frauen und von den Türen alles, wenn man sie sanft anfasse.

Ihr seid allerdings ein großer Moralist, versetzte Porthos.

Laßt uns nun eintreten, sprach d’Artagnan.

Sie traten ein. Hinter einem Fensterwerk, beim Schimmer der Laterne des Kardinals, die mitten auf dem Boden stand, sah man die Orangen- und Granatbäume des Schlosses Rueil in langen Reihen aufgestellt, eine große Allee und zwei kleine Seitenalleen bildend.

Kein Kardinal, sagte d’Artagnan, nur seine Laterne allein. Wo zum Teufel ist er denn?

Als er dann eine der Seitenalleen durchforschte, nachdem er Porthos durch ein Zeichen bedeutet hatte, dasselbe zu tun, sah er plötzlich zu seiner Linken einen aus seiner Reihe geschobenen Baumkübel und an seiner Stelle ein gähnendes Loch. Zehn Männer hätten Mühe gehabt, den Kübel von seiner Stelle zu bewegen, aber durch irgend einen Mechanismus hatte er sich mit der Platte gedreht, auf der er stand.

D’Artagnan sah, wie gesagt, ein Loch und in diesem Loch die Stufen einer Wendeltreppe.

Er winkte Porthos mit der Hand herbei, zeigte ihm das Loch und die Stufen.

Die zwei Männer schauten sich erstaunt an.

Wenn wir nichts wollten, als Gold, sprach d’Artagnan leise, so hätten wir unsere Sache gefunden und wären für immer reich.

Wie dies?

Begreift Ihr nicht, Porthos, daß am Fuße dieser Treppe aller Wahrscheinlichkeit nach der berühmte Schatz des Kardinals liegt, von dem man so viel spricht, und daß wir nur hinabzusteigen, eine Kasse zu leeren, den Kardinal einzuschließen, was wir an Gold schleppen könnten, fortzunehmen, diesen Orangenbaum wieder an seinen Platz zu stellen hätten, und daß niemand in der Welt uns fragen würde, woher unser Vermögen rührte, nicht einmal der Kardinal?

Das wäre ein schöner Streich für gemeine Leute, sagte Porthos, aber, wie mir scheint, zweier Edelleute unwürdig.

Das ist auch meine Meinung, versetzte d’Artagnan; deshalb sagte ich auch, wenn wir nur Gold wollten; aber wir wollen etwas anderes.

In demselben Augenblick und als d’Artagnan seinen Kopf gegen die Höhle hinabbeugte, um zu horchen, traf ein metallischer, dumpfer Ton, wie der eines Goldsackes, den man bewegt, an sein Ohr; er bebte. Alsbald schloß sich eine Tür, und die ersten Reflexe eines Lichtes erschienen auf der Treppe.

Mazarin hatte seine Lampe in der Orangerie gelassen, damit man glaube, er gehe spazieren; aber er hatte eine Wachskerze, mit der er seine unterirdische Kasse untersuchte.

Ha! sagte er, während er langsam, einen rundbauchigen Sack Goldrealen betrachtend, die Stufen heraufstieg, damit könnte man fünf Parlamentsräte und zwei Pariser Generäle bezahlen. Ich bin auch ein großer Feldherr; nur führe ich den Krieg auf meine Weise.

D’Artagnan und Porthos hatten sich jeder in einer Seitenallee hinter einem Kübel verborgen und warteten.

Mazarin kam auf drei Schritte an d’Artagnan vorüber und stieß an eine in der Mauer verborgene Feder. Die Platte drehte sich und der von ihr getragene Orangenbaum kam von selbst wieder an seinen Platz.

Dann löschte der Kardinal seine Kerze aus, steckte sie in seine Tasche, nahm seine Lampe und sprach: Nun wollen wir nach Herrn de la Fère sehen.

Gut! das ist unser Weg, dachte d’Artagnan, wir gehen miteinander.

Alle drei setzten sich in Marsch. Herr von Mazarin schlug die mittlere Allee ein, Porthos und d’Artagnan die gleichlaufenden an den Seiten.

Der Kardinal gelangte zu einer zweiten Glastür, ohne zu bemerken, daß man ihm folgte; denn der weiche Sand machte die Tritte seiner zwei Begleiter unhörbar.

Dann wandte er sich nach der linken Seite und schlug den Weg nach dem Korridor ein, den Porthos und d’Artagnan noch nicht bemerkt hatten; aber in dem Augenblick, wo er öffnen wollte, blieb er nachdenklich stehen.

Ah, Diavolo! sagte er, ich vergaß, was mir Comminges empfohlen hat. Ich muß die Soldaten nehmen und an diese Tür stellen, um mich nicht der Willkür dieses verdammten Teufels preiszugeben.

Und mit einer ungeduldigen Bewegung wandte er sich um, in der Absicht, auf demselben Weg zurückzugehen.

Gebt Euch nicht die Mühe, Monseigneur, sagte d’Artagnan, einen Fuß vor und den Hut in der Hand, mit freundlichem Gesichte; wir sind Eurer Eminenz gefolgt und stehen nun hier.

Ja, wir sind hier, sagte Porthos und machte dieselbe Gebärde eines freundlichen Grußes.

Mazarin schaute ganz verwirrt den einen und den andern an, erkannte beide und ließ mit einem Seufzer des Schreckens seine Laterne fallen.

D’Artagnan hob sie auf, zum Glück war sie beim Fallen nicht erloschen.

Oh! welche Unklugheit! sagte d’Artagnan. Es ist nicht gut, hier ohne Licht zu gehen; Eure Eminenz könnte sich an irgend einem Kübel stoßen oder in irgend ein Loch stürzen.

Herr d’Artagnan! murmelte Mazarin, der sich von seinem Erstaunen nicht erholen konnte.

Ja, Monseigneur, ich selbst, und ich habe die Ehre, Euch Herrn du Vallon, diesen vortrefflichen Freund, vorzustellen, für den sich Eure Eminenz einst zu interessieren die Güte gehabt hat.

Bei diesen Worten richtete d’Artagnan das Licht der Lampe nach dem heiteren Gesichte Porthos‘, der zu begreifen anfing und ganz stolz darauf war.

Ihr wart im Begriff, zu Herrn de la Fère zu gehen, fuhr d’Artagnan fort; laßt Euch nicht durch uns abhalten, Monseigneur. Habt die Güte, uns den Weg zu zeigen; wir werden Euch folgen.

Mazarin kam allmählich zur Besinnung.

Seid ihr schon lange in der Orangerie, meine Herren? fragte er mit zitternder Stimme, indem er an den Besuch dachte, den er soeben seinem Schatze gemacht hatte.

Porthos öffnete den Mund, um zu antworten. D’Artagnan machte ihm ein Zeichen, und Porthos‘ stummgebliebener Mund schloß sich wieder.

Wir kommen in diesem Augenblick, Monseigneur, sagte d’Artagnan.

Mazarin atmete auf; er fürchtete nicht mehr für seinen Schatz, er fürchtete nur noch für sich selbst.

Ein eigenes Lächeln schwebte über seine Lippen.

Vorwärts, sagte er, ihr habt mich in der Falle gefangen, und ich erkläre mich für besiegt. Ihr wollt mich um eure Freiheit bitten, nicht wahr? Ich gebe sie euch.

Oh! Monseigneur, sagte d’Artagnan, Ihr seid sehr gut; aber unsere Freiheit haben wir, und wir würden Euch lieber um etwas anderes bitten.

Ihr habt eure Freiheit? sprach Mazarin ganz erschrocken.

Allerdings, und Ihr, Monseigneur, habt im Gegenteil die Eurige nun verloren; was wollt Ihr, Monseigneur? Es geht nach dem Kriegsgesetz, Ihr müßt sie wieder erkaufen.

Mazarin fühlte einen Schauer bis in die Tiefe seines Herzens. Sein durchdringender Blick heftete sich vergebens auf das spöttische Gesicht des Gascogners und auf das seines Freundes. Beide waren im Schatten verborgen, und die Sibylle von Cumä hätte nicht darin zu lesen vermocht.

Meine Freiheit wieder erkaufen? wiederholte Mazarin.

Ja, Monseigneur.

Und wieviel wird dies kosten, Herr d’Artagnan?

Verdammt, Monseigneur, ich weiß es noch nicht. Wir werden den Grafen de la Fère darüber fragen, wenn es Eure Eminenz gütigst erlaubt. Eure Eminenz wolle daher die Gnade haben, die Tür zu öffnen, die zu ihm führt, und in zehn Minuten wird sie im klaren sein.

Mazarin bebte.

Monseigneur, sagte d’Artagnan, Eure Eminenz sieht, mit welchen Förmlichkeiten wir zu Werke gehen; darum sind wir aber auch genötigt, noch zu bemerken, daß wir keine Zeit zu verlieren haben. Öffnet also, Monseigneur, und erinnert Euch ein für allemal, daß Ihr in Anbetracht unserer ganz eigentümlichen Lage uns nicht grollen dürft, wenn wir bei der geringsten Bewegung, die Ihr macht, um zu entfliehen, bei dem kleinsten Schrei, den Ihr ausstoßt, um zu entkommen, zum Äußersten schreiten.

Seid unbesorgt, meine Herren, erwiderte Mazarin, ich werde nichts versuchen, darauf gebe ich euch mein Ehrenwort.

D’Artagnan winkte Porthos, er möge seine Wachsamkeit verdoppeln, und sprach dann, sich zu Mazarin umwendend: Wir wollen nun hineingehen, Monseigneur, wenn’s Euch beliebt.