Während dieser furchtbaren Scene saß Athos am Fenster seines Zimmers, den Ellenbogen auf einen Tisch, den Kopf auf seine Hand gestützt, und hörte mit Augen und Ohren Raoul zu, der ihm die Abenteuer seiner Reise und die Einzelheiten der Schlacht erzählte.

Ihr habt also der großen Schlacht beigewohnt und daran Anteil genommen, Bragelonne? sprach mit dem Ausdruck eines reinen Glückes in seinem Antlitz der ehemalige Musketier. – Ja; Herr. – Und der Kampf war heiß, sagt Ihr? – Der Herr Prinz hat elfmal in Person angegriffen. Als wir uns dem Feinde näherten, geschah es im Schritt. Man hatte uns verboten, zuerst zu schießen, und wir marschierten gegen die Spanier, die sich, die Muskete auf dem Schenkel, auf einer Anhöhe hielten. Auf dreißig Schritte zu ihnen gelangt, wandte sich der Prinz nach den Soldaten um und sagte: Kinder, Ihr werdet eine furchtbare Ladung auszuhalten haben. Hernach aber, seid unbesorgt, habt Ihr nur noch geringe Arbeit. Es herrschte eine solche Stille, daß Freund und Feind diese Worte hörte. Dann seinen Degen erhebend, rief er: Blast, Trompeter! Als wir noch zehn Schritte näher gekommen waren, sahen wir alle Musketen sich wie eine glänzende Linie senken; denn die Sonnenstrahlen funkelten auf den Läufen. Im Schritt, Kinder, im Schritt! sprach der Prinz, dies ist der Augenblick! – War Euch bange, Raoul? sagte der Graf. – Ja, Herr, antwortete der Jüngling naiv. Ich fühlte eine große Kälte in meinem Herzen, und bei dem Worte Feuer, das in spanischer Sprache in den feindlichen Reihen ertönte, schloß ich die Augen und dachte an Euch. – Wirklich, Raoul? sprach Athos und drückte ihm die Hand. – Ja, Herr, in demselben Augenblick entstand ein solcher Lärm, daß man hätte glauben sollen, die Hölle öffne sich, und die, welche nicht getötet wurden, fühlten die Wärme der Flamme. Ich öffnete die Augen wieder, erstaunt, nicht tot oder wenigstens verwundet zu sein … Der dritte Teil der Schwadron lag verstümmelt und blutig auf der Erde. In diesem Moment begegnete ich dem Auge des Prinzen. Ich dachte nur noch an eins, daran, daß er mich anschaute. Ich gab meinem Pferd beide Sporen und befand mich mitten unter den feindlichen Reihen. – Und der Prinz war mit Euch zufrieden? – Er sagte es mir wenigstens, als er mich beauftragte, Herrn von Chatillon zu begleiten, der diese Neuigkeit der Königin mitzuteilen und die eroberten Fahnen zu überbringen hatte. Und ich bin gekommen, fügte Raoul bei und schaute den Grafen mit einem Lächeln tiefer Liebe an; denn ich dachte, es würde Euch Freude machen, mich wiederzusehen.

Athos zog den Jüngling zu sich und küßte ihn auf die Stirne, wie er es bei einem jungen Mädchen getan hätte.

So seid Ihr also in die Welt eingetreten, Raoul, sprach er, Ihr habt Herzoge zu Freunden, einen Marschall von Frankreich zum Paten, einen Prinzen von Geblüt zum Feldherrn und seid am Tage Eurer Rückkehr von zwei Königinnen empfangen worden. Das ist schön für einen Rekruten. – Ach! Herr! sprach Raoul plötzlich, auf einen Herrn deutend, der soeben in der Türöffnung erschien: Dort ist ein Herr, der mich schon, als ich vor der Königin Henriette erschien, nach Euch fragte.

Mylord Winter! rief der Graf, sich umwendend.

Athos, mein Freund!

Und die beiden Männer hielten sich einen Augenblick umschlossen. Dann nahm Athos den Engländer bei beiden Händen und sprach, ihn anschauend: Was habt Ihr, Mylord? Ihr scheint ebenso traurig, als ich heiter bin!

Ja, teurer Freund, es ist wahr. Und ich sage noch mehr: Euer Anblick verdoppelt meine Furcht.

Und Winter schaute um sich her, als wünsche er, allein zu sein. Raoul begriff, daß die zwei Freunde miteinander zu sprechen hatten, und entfernte sich in der Stille.

Nun, da wir allein sind, sprechen wir von Euch, sagte Athos. – Ja, erwiderte Lord Winter. Er ist hier. – Wer? – Der Sohn Myladys.

Abermals von diesem Namen getroffen, der ihn wie ein unseliges Echo zu verfolgen schien, zögerte Athos einen Augenblick, faltete leicht die Stirne und sprach dann mit ruhigem Tone:

Ich weiß es. – Ihr wißt es? – Ja, Grimaud hat ihn zwischen Bethune und Arras getroffen und ist mit verhängten Zügeln zurückgekehrt, um mich von seiner Gegenwart zu benachrichtigen. – Grimaud kannte ihn also? – Nein, aber er war an dem Sterbebett eines Menschen, der ihn kannte. – Des Henkers von Bethune! rief Winter. – Ihr wißt es? sprach Athos erstaunt. – Er verläßt mich in diesem Augenblick und hat mir alles gesagt, antwortete Lord Winter. Ach, mein Freund, was für eine furchtbare Scene! Warum haben wir nicht das Kind mit der Mutter vertilgt?

Was befürchtet Ihr? sagte Athos, durch Vernunftschlüsse von dem Schrecken sich erholend, den er anfangs empfunden hatte; sind wir nicht da, uns zu verteidigen? Ist dieser junge Mensch ein gewerbsmäßiger Heuchler, ein kaltblütiger Mörder geworden? Er konnte den Henker von Bethune in einem Anfall von Wut töten, aber seine Rache ist nun gestillt.

Lord Winter lächelte traurig und schüttelte das Haupt.

Ihr kennt also dieses Blut nicht mehr? sagte er.

Bah! sprach Athos, der ebenfalls zu lächeln suchte, es wird in der zweiten Generation von seiner Wildheit verloren haben. Wir können nichts anderes tun, als warten. Warten wir also. Aber was führte Euch nach Paris?

Wichtige Angelegenheiten, die Ihr später kennen lernen sollt. Doch was habe ich bei Ihrer Majestät der Königin von England sagen hören? Herr d’Artagnan ist Mazariner. Verzeiht mir meine Offenherzigkeit, Freund: ich hasse den Kardinal nicht, schmähe ihn auch nicht, und Eure Ansichten werden mir stets heilig sein … solltet Ihr zufällig auch diesem Menschen angehören?

Herr d’Artagnan ist im Dienste, antwortete Athos; er ist Soldat, er gehorcht der bestehenden Gewalt. Herr d’Artagnan ist nicht reich und bedarf, um zu leben, seiner Stelle als Leutnant. Die Millionäre wie Ihr, Mylord, sind in Frankreich selten.

Ach! sprach Lord Winter, ich bin heute so arm und noch ärmer als er. Aber kommen wir auf Euch zurück.

Gut! Ihr wollt wissen, ob ich Mazariner bin? Nein, tausendmal nein! Vergebt mir ebenfalls meine Offenherzigkeit, Mylord!

Lord Winter stand auf, schloß Athos in seine Arme und sprach:

Ich danke, Graf, für diese beseligende Kunde. Ihr seht mich glücklich und vergnügt. Aber seid Ihr frei? – Was versteht Ihr unter frei? – Ich frage Euch, ob Ihr nicht verheiratet seid? – Ah, nein, antwortete Athos lächelnd. – Der schöne, elegante, anmutige junge Mann … – Ist ein Kind, das ich erziehe und das nicht einmal seinen Vater kennt. – Sehr gut, Ihr seid immer derselbe, Athos, groß und edelmütig. – Laßt hören, Mylord, was wünscht Ihr von mir? – Ihr habt die Herren Porthos und Aramis immer noch zu Freunden? – Fügt auch d’Artagnan bei, Mylord, wir sind immer noch vier treu ergebene Freunde. Wenn es sich aber darum handelt, dem Kardinal zu dienen oder ihn zu bekämpfen, Mazariner oder Frondeurs zu sein, so sind wir nur noch zwei, ich und Aramis. – Könnt Ihr mich mit diesem so liebenswürdigen und so geistreichen Freund in Verbindung bringen? – Allerdings, sobald es Euch angenehm ist. – Könnt Ihr Euch anheischig machen, ihn mir morgen um zehn Uhr auf den Pont-du-Louvre zu bringen? – Ah, ah, sagte Athos lächelnd, Ihr habt ein Duell? – Ja, Graf, und zwar ein schönes Duell, ein Duell, dem Ihr hoffentlich anwohnen werdet. – Wohin gehen wir, Mylord? – Zu Ihrer Majestät der Königin von England, die mich beauftragt hat, Euch ihr vorzustellen, Graf. – Werdet Ihr mir die Ehre erzeigen, mit mir zu Nacht zu speisen, Mylord? – Ich danke, Graf. Der Besuch dieses jungen Menschen hat mir, ehrlich gestanden, den Appetit genommen und wird mir auch den Schlaf rauben. Was hat er in Paris zu tun? Er erschreckt mich, Graf; sein Anblick verkündet Blut. – Was macht er in England? – Er ist einer der eifrigsten Anhänger Oliver Cromwells. – Was hat ihn auf diese Seite getrieben? Seine Mutter und sein Vater waren, glaube ich, Katholiken. – Der Haß, den er gegen den König hegt. – Gegen den König? – Ja, der König hat ihn zum Bastard erklärt, ihn seiner Güter beraubt und ihm verboten, den Namen Winter zu führen. – Und wie heißt er jetzt? – Mordaunt. – Als Puritaner und als Mönch verkleidet, reist er allein auf den Landstraßen Frankreichs umher? – Als Mönch, sagt Ihr? – Ja, wußtet Ihr das nicht? – Ich weiß nichts, als was er mir selbst gesagt hat. – Und aus diese Art hat er den Henker beichten hören. – Dann errate ich alles. Er ist vom Cromwell abgesandt. – An wen? – An Mazarin. Und die Königin hatte recht, man ist uns zuvorgekommen. Alles erklärt sich jetzt. Gott befohlen, Graf. Morgen also!

Als der Graf am andern Morgen seine Augen öffnete, erblickte er Raoul an seinem Bette. Der junge Mann war bereits vollständig angekleidet und las ein neues Buch.

Schon aufgestanden, Raoul? sagte der Graf. – Ja, Herr, antwortete der junge Mann mit leichtem Zögern, ich habe schlecht geschlafen. – Ihr, Raoul, schlecht geschlafen! Es fehlte Euch also etwas? fragte Athos. – Herr, Ihr werdet sagen, ich habe große Eile, Euch zu verlassen, da ich kaum erst angekommen bin, aber … – Ihr habt also nur zwei Tage Urlaub, Raoul? – Im Gegenteil, Herr, ich habe zehn; ich wünschte nur, wenn Ihr es mir gestattet, einen Tag in Blois zuzubringen. Ihr schaut mich an und werdet über mich lachen. – Nein, im Gegenteil, erwiderte Athos, einen Seufzer unterdrückend, nein, ich lache nicht, Vicomte. Ihr habt Lust, Blois wiederzusehen, und das ist ganz natürlich. – Ihr erlaubt es mir also? rief Raoul freudig. – Gewiß, Raoul. – Ach, Herr, wie gut seid Ihr! rief der junge Mann und machte eine Bewegung, als wollte er Athos an den Hals springen; aber die Achtung hielt ihn zurück.

Athos öffnete ihm die Arme.

Also kann ich sogleich abreisen?

Sobald Ihr wollt, Raoul.

Raoul machte drei Schritte, um sich zu entfernen.

Herr, sprach er, da fällt mir eben noch etwas ein, nämlich, daß ich durch die Frau Herzogin von Chevreuse, die so gut gegen mich ist, bei dem Herrn Prinzen eingeführt worden bin. – Und daß Ihr der Herzogin einen Dank schuldig seid, nicht wahr, Raoul? – So scheint es mir; doch es hängt von Eurer Entscheidung ab. – Geht durch das Hotel Luynes, Raoul, und laßt fragen, ob Euch die Frau Herzogin empfangen kann. Ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr die Schicklichkeit nicht vergeßt. Nehmt Grimaud und Olivain mit. – Beide, Herr? fragte Raoul erstaunt. – Beide.

Raoul verbeugte sich und ging.

Als ihn Athos die Türe schließen sah und hörte, wie er mit seiner fröhlichen und wohlklingenden Stimme Grimaud und Olivain rief, seufzte er.

Er verläßt mich sehr schnell, dachte er, den Kopf schüttelnd; aber er gehorcht dem gemeinsamen Gesetze. Die Natur ist so beschaffen; sie schaut vorwärts. Er liebt offenbar dieses Kind. Wird er mich aber darum weniger lieben, weil er auch andere liebt?

Athos gestand sich, daß er diese rasche Abreise nicht erwartet hatte. Aber Raoul war so glücklich, daß der Graf darüber die eigene Enttäuschung vergaß.