D’Artagnan lag an diesem Morgen in Porthos‘ Zimmer, da die Freunde in diesen unruhigen Zeiten aus Vorsicht stets in einem Zimmer schliefen. Unter ihrem Kopfkissen war ihr Degen, und auf dem Tisch, im Bereich ihrer Hand, lagen ihre Pistolen.

D’Artagnan schlief noch und träumte, der Himmel bedecke sich mit einer großen, gelben Wolke; aus dieser Wolke ströme ein Goldregen herab, und er halte seinen Hut unter eine Traufe.

Porthos träumte, sein Kutschenschlag sei nicht breit genug für das Wappen, das er darauf malen ließ.

Sie wurden um sieben Uhr von einem Diener ohne Livree geweckt, der d’Artagnan einen Brief brachte.

Von wem? fragte der Gascogner.

Von der Königin, antwortete der Diener.

D’Artagnan nahm schnell das Schreiben, öffnete es, las es und sagte:

Freund Porthos, hier drin stecken dein Barontitel und mein Kapitänspatent. Nimm, lies und urteile!

Porthos streckte die Hand aus, nahm den Brief und las folgende Worte von einer zitternden Hand: Die Königin will Herrn d’Artagnan sprechen … Er folge dem Überbringer.

D’Artagnan kleidete sich blitzschnell an.

Während Porthos, der immer noch im Bette lag, ihm seinen Mantel zuhäkelte, klopfte man zum zweiten Male an die Tür.

Herein, sprach d’Artagnan.

Ein zweiter Diener trat ein.

Von Seiner Eminenz, dem Herrn Kardinal Mazarin, sagte er.

D’Artagnan schaute Porthos an.

Die Sache wird verwickelt, sagte Porthos, wo anfangen? – Das kommt vortrefflich! versetzte d’Artagnan. Seine Eminenz bestellt mich in einer halben Stunde. – Gut. – Mein Freund, sprach, d’Artagnan, sich zu dem Bedienten umwendend, sagt Seiner Eminenz, in einer halben Stunde sei ich zu seinem Befehl.

Der Diener verbeugte sich und ging ab.

Es ist ein Glück, daß er den andern nicht gesehen hat, sagte d’Artagnan. – Du glaubst also, beide lassen dich wegen derselben Sache holen? – Ich glaube nicht, ich bin davon überzeugt. – Vorwärts, vorwärts, d’Artagnan, geschwind! Bedenke, daß die Königin dich erwartet, und nach der Königin der Kardinal, und nach dem Kardinal ich.

D’Artagnan rief den Bedienten Annas von Österreich, den er nach Abgabe des Schreibens hatte ins Nebenzimmer gehen und dort warten lassen, herein und sagte zu ihm: Ich bin bereit, mein Freund, führt mich.

Der Diener führte ihn durch die Rue des Petits-Champs und ließ ihn, mit einer Wendung nach links, durch die kleine Gartentüre eintreten, die nach der Rue de Richelieu ging. Dann erreichte man eine geheime Treppe, und d’Artagnan wurde ins Betzimmer eingeführt.

Ein leises Geräusch unterbrach die Stille des Betzimmers. D’Artagnan bebte, sah eine weiße Hand den Vorhang heben und erkannte an ihrer Form und Schönheit die königliche Hand, die man ihn eines Tags hatte küssen lassen. Die Königin trat ein.

Ihr seid es, Herr d’Artagnan! sprach sie, auf den Offizier einen Blick voll freundlicher Schwermut heftend, Ihr seid es, und ich erkenne Euch wieder. Schaut mich ebenfalls an; ich bin die Königin, erkennt Ihr mich? – Nein, Madame, antwortete d’Artagnan. – Aber wißt Ihr denn nicht mehr, fuhr Anna von Österreich mit jenem einschmeichelnden Tone fort, den sie, wenn sie wollte, ihrer Stimme zu verleihen vermochte, wißt Ihr denn nicht mehr, daß die Königin eines Tags eines jungen und ergebenen Kavaliers bedurfte, daß sie diesen Kavalier fand, und daß sie, obgleich er sich von ihr vergessen glauben konnte, im Grunde ihres Herzens einen Platz für ihn bewahrte? – Nein, Madame, ich weiß es nicht, sprach der Musketier. – Desto schlimmer, mein Herr, sagte Anna von Österreich, desto schlimmer, wenigstens für die Königin, denn die Königin bedarf heute desselben Mutes und derselben Ergebenheit. – Wie! rief d’Artagnan, die Königin, die von so treuen Dienern, von so weisen Räten, von so verdienstvollen und hochgestellten Männern umgeben ist, läßt sich herab, ihre Augen auf einen unbekannten Soldaten zu werfen!

Anna begriff diesen Vorwurf; sie wurde dadurch mehr gerührt, als gereizt. Die große Selbstverleugnung und Uneigennützigkeit des gascognischen Edelmannes hatte sie wiederholt gedemütigt. Sie hatte sich an Edelmut übertreffen lassen.

Alles, was Ihr mir da von meiner Umgebung sagt, ist vielleicht wahr, sprach die Königin, aber ich habe zu Euch allein Vertrauen. Ich weiß, daß Ihr dem Herrn Kardinal angehört; gehört aber auch mir an, und ich übernehme es, Euer Glück zu machen. Wollt Ihr für mich heute tun, was jener Edelmann, den Ihr nicht kennt, einst für die Königin getan hat?

Ich werde alles tun, was Ew. Majestät mir befiehlt, sprach d’Artagnan.

Die Königin dachte einen Augenblick nach und sagte sodann, als sie die ruhige Haltung des Musketiers wahrnahm:

Ihr liebt vielleicht die Ruhe? – Ich kann das nicht sagen, denn ich habe nie geruht, Madame. – Habt Ihr Freunde? – Ich habe drei; zwei von ihnen haben Paris verlassen, und es ist mir nicht bekannt, wohin sie gegangen sind. Ein einziger bleibt mir, aber dieser ist einer von denen, die, wie ich glaube, den Kavalier kennen, von dem Ew. Majestät mit mir zu sprechen geruht hat. – Es ist gut, sagte die Königin, Ihr und Euer Freund wägt eine ganze Armee auf. – Was soll ich tun, Madame? – Kommt um fünf Uhr zurück, und ich werde es Euch sagen. Aber sprecht mit keiner lebendigen Seele von dem Rendezvous, das ich Euch gebe. – Nein, Madame. – Schwört bei Christus. – Madame, ich habe nie mein Wort gebrochen; wenn ich nein sage, so bleibt es bei dem Nein!

Obgleich erstaunt über die Sprache, an die ihre Höflinge sie nicht gewöhnt hatten, zog doch die Königin daraus einen guten Schluß auf den Eifer, womit d’Artagnan sie bei der Ausführung ihres Vorhabens unterstützen würde.

Hat mir die Königin für den Augenblick nichts anderes mehr zu befehlen?

Nein, mein Herr, antwortete Anna von Österreich, und Ihr könnt bis zu dem bezeichneten Augenblick abtreten.

D’Artagnan verbeugte sich und trat ab.

Teufel, sagte er, als er vor der Tür war, es scheint, man bedarf hier meiner sehr.

Als sodann die halbe Stunde abgelaufen war, ging er durch die Galerie und klopfte an die Tür des Kardinals.

Bernouin führte ihn ein.

Ich stelle mich zu Euern Befehlen, Monseigneur, sprach der Gascogner.

Seiner Gewohnheit gemäß warf d’Artagnan einen raschen Blick um sich her, und er gewahrte auf dem Schreibtisch einen versiegelten Brief. Er lag auf der Vorderseite, so daß man die Adresse nicht lesen konnte.

Ihr kommt von der Königin? sprach Mazarin, d’Artagnan fest anschauend. – Ich, Monseigneur? Wer hat Euch das gesagt? – Niemand, aber ich weiß es. – Es tut mir unendlich leid, Monseigneur, sagen zu müssen, daß Ihr Euch täuscht, antwortete der Gascogner, gestählt durch das Versprechen, das er Anna von Österreich gegeben hatte, mit frecher Stirn.

Ich habe selbst das Vorzimmer geöffnet und Euch vom Ende der Galerie herkommen sehen.

Ich wurde über die geheime Treppe eingeführt.

Wie dies?

Ich weiß es nicht, es wird wohl ein Mißverständnis gewesen sein.

Mazarin wußte, daß man aus d’Artagnan nicht so leicht etwas herausbrachte, was er verbergen wollte. Er verzichtete also für den Augenblick darauf, das Geheimnis des Gascogners zu enthüllen.

Sprechen wir von meinen Angelegenheiten, sagte der Kardinal, da Ihr mir die Eurigen nicht mitteilen wollt.

D’Artagnan verbeugte sich.

Liebt Ihr das Reisen? fragte der Kardinal. – Ich habe mein Leben auf der Landstraße zugebracht. – Sollte Euch etwas in Paris zurückhalten? – Nichts würde mich in Paris zurückhalten, als ein höherer Befehl. – Gut. Hier ist ein Brief, der an seine Adresse überbracht werden muß. – An seine Adresse, Monseigneur, es ist keine darauf.

Auf der dem Siegel entgegengesetzten Seite war wirklich keine Schrift zu finden.

Der Brief hat einen doppelten Umschlag, versetzte Mazarin. – Ich begreife … ich soll den ersten zerreißen, wenn ich an Ort und Stelle angelangt bin. – Vortrefflich. Steckt den Brief ein und geht. Ihr habt einen Freund, Herrn du Vallon, ich liebe ihn sehr. Nehmt ihn mit Euch. Zögert Ihr? rief Mazarin. – Nein, Monseigneur, ich reise auf der Stelle, nur wünsche ich eins. – Was? sprecht! – Daß sich Ew. Eminenz zu der Königin begeben möge. – Wann? – Sogleich. – Zu welchem Behuf? – Um ihr nur folgende Worte zu sagen: ich schicke Herrn d’Artagnan irgendwohin und lasse ihn sogleich reisen. – Seht Ihr, sprach Mazarin. Ihr seid bei der Königin gewesen. – Ich hatte die Ehre, Ew. Eminenz zu sagen, es habe möglicherweise ein Mißverständnis stattgefunden. – Was soll dies bedeuten? fragte Mazarin. – Dürfte ich es wagen, Ew. Eminenz meine Bitte zu wiederholen? – Es ist gut, ich gehe, erwartet mich hier.

Mazarin schaute aufmerksam umher, ob kein Schlüssel an den Schränken zurückgeblieben war, und entfernte sich.

Es verliefen zehn Minuten, während deren d’Artagnan sich alle erdenkliche Mühe gab, um durch den ersten Umschlag zu lesen, was auf dem zweiten geschrieben stand, aber es gelang ihm nicht.

Mazarin kehrte bleich und mit äußerst sorgenvoller Miene zurück; er setzte sich an seinen Schreibtisch. D’Artagnan schaute ihn forschend an, wie er den Brief angeschaut hatte: aber die Umhüllung seines Gesichtes war beinahe ebenso undurchdringlich, als der Umschlag des Briefes.

Ei, ei, sagte der Gascogner, er sieht sehr ärgerlich aus. Sollte er gegen mich aufgebracht sein? Er besinnt sich; will er mich etwa in die Bastille schicken? Alles schön und gut, Monseigneur! Beim ersten Wort, das Ihr sprecht, erdroßle ich Euch und werde Frondeur. Man trägt mich im Triumph umher, wie Herrn Broussel, und Athos ruft mich als den französischen Brutus aus. Das wäre drollig!

Ihr habt recht, sagte Mazarin; mein lieber Herr d’Artagnan, Ihr könnt noch nicht reisen; ich bitte, gebt mir diese Depesche zurück.

D’Artagnan gehorchte. Mazarin versicherte sich, daß das Siegel unberührt war.

Ich werde Euer diesen Abend bedürfen, kommt in zwei Stunden zurück.

In zwei Stunden, Monseigneur, habe ich ein Rendezvous, bei dem ich nicht fehlen darf.

Das kümmere Euch nicht, versetzte Mazarin, es ist dasselbe.

Gut, dachte d’Artagnan; ich vermutete es.

Kommt also um fünf Uhr zurück und bringt mir den lieben Herrn du Vallon mit. Nur laßt ihn im Vorzimmer, ich will mit Euch allein sprechen.