Während Mordaunt nach dem Zelte Cromwells ging, führten d’Artagnan und Porthos ihre Gefangenen in das Haus, das ihnen von Cromwell als Wohnung in Newcastle angewiesen worden war.

Der Befehl, den Mordaunt dem Sergeanten erteilt hatte, war dem Gascogner nicht entgangen, und er hatte deshalb Athos und Aramis mit einem schnellen Blick die strengste Klugheit empfohlen. Aramis und Athos gingen schweigend neben ihren Besiegern, was ihnen nicht schwer wurde, denn jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

War je ein Mensch erstaunt, so war es Mousqueton, als er von der Türschwelle aus die vier Freunde, gefolgt von dem Sergeanten und etwa einem Dutzend Leute, herbeikommen sah. Er rieb sich die Augen, denn er konnte sich nicht entschließen, an die Leibhaftigkeit von Athos und Aramis zu glauben, aber endlich mußte er sich dem unwiderleglichen Beweise der Sinne fügen. Er war auch im Begriff, sich in Ausrufungen Luft zu machen, als ihm Porthos mit einem jener Blicke, die keinen Widerspruch zulassen, Stillschweigen auferlegte.

Mousqueton blieb gleichsam an der Tür kleben, er wartete, bis diese seltsame Erscheinung sich aufklären würde; was ihn hauptsächlich störte, war, daß die Freunde aussahen, als ob sie einander gar nicht mehr kannten.

Das Haus, in das d’Artagnan und Porthos ihre Gefangenen führten, war das, welches sie seit dem vorhergehenden Tage bewohnten; es bildete die Ecke einer Straße, hatte einen kleinen Garten, und die Ställe gingen nach der andern Straße.

Die Fenster des Erdgeschosses waren, wie dies häufig in kleinen Provinzialstädten der Fall ist, vergittert und hatten dadurch große Ähnlichkeit mit denen eines Gefängnisses.

Die beiden Freunde ließen die Gefangenen vor sich eintreten und blieben auf der Schwelle stehen, nachdem sie Mousqueton den Befehl gegeben hatten, die vier Pferde in den Stall zu führen.

Warum gehen wir nicht mit ihnen hinein? sprach Porthos.

Weil wir zuvor sehen müssen, antwortete d’Artagnan, was der Sergeant und die acht oder zehn Mann, die ihn begleiten, wollen.

Der Sergeant und die acht bis zehn Mann stellten sich im Garten auf.

D’Artagnan fragte sie, was sie wollten und warum sie hier blieben.

Wir haben Befehl erhalten, Euch die Gefangenen bewachen zu helfen, erwiderte der Sergeant.

Hiergegen ließ sich nichts sagen, es war im Gegenteil eine zarte Aufmerksamkeit, für die man erkenntlich zu sein sich den Anschein geben mußte. D’Artagnan dankte also dem Sergeanten und schenkte ihm eine Krone, um auf die Gesundheit des Generals Cromwell zu trinken.

Der Sergeant antwortete, die Puritaner trinken nicht, steckte aber die Krone in seine Tasche.

Ah! sprach Porthos, was für ein abscheulicher Tag, mein lieber d’Artagnan.

Was sagt Ihr da, Porthos! Ihr nennt den Tag, an dem wir unsere Freunde wiedergefunden haben, einen abscheulichen Tag?

Ja, aber unter welchen Umständen?

Die Verhältnisse sind allerdings ziemlich schwierig, versetzte d’Artagnan; doch gleichviel, gehen wir zunächst zu ihnen hinein und suchen über unsere Lage völlige Klarheit zu gewinnen!

Sie ist sehr verwickelt, sprach Porthos, und ich begreife jetzt, warum mir Aramis so dringend empfohlen hat, diesen furchtbaren Mordaunt zu erwürgen.

Still, sprecht diesen Namen nicht aus.

Ich spreche doch Französisch, und sie sind Engländer, entgegnete Porthos und ging mit seinem Freunde auf die Tür zu. Porthos trat zuerst ein, d’Artagnan folgte ihm. D’Artagnan schloß die Tür sorgfältig und umarmte die Freunde nacheinander.

Athos war von einer tödlichen Traurigkeit befallen. Aramis schaute abwechselnd Porthos und d’Artagnan an, ohne etwas zu sagen; aber sein Blick war so ausdrucksvoll, daß d’Artagnan ihn begriff.

Ihr wollt wissen, wie es kommt, daß wir hier sind? Ei! mein Gott, das ist leicht zu erraten. Mazarin hat uns beauftragt, dem General Cromwell einen Brief zu überbringen. Aber wie kommt es, daß Ihr Euch an der Seite dieses Mordaunt befindet, sprach Athos, dieses Mordaunt, von dem ich Euch sagte, Ihr solltet ihm mißtrauen, d’Artagnan?

Den ich Euch zu erdrosseln empfahl, Porthos! sagte Aramis.

Mazarin ist auch davon die Ursache. Cromwell hat ihn an Mazarin geschickt, Mazarin schickte uns an Cromwell und hieß uns dessen Weisungen folgen.

Ja, Ihr habt recht, d’Artagnan, ein Unstern, der uns trennt und ins Verderben stürzt. Sprechen wir also nicht mehr davon, Aramis, und bereiten wir uns darauf vor, dem Schicksal zu erliegen!

Gottes Blut! rief d’Artagnan, sprechen wir im Gegenteil davon, denn es ist ein für allemal abgemacht, daß wir immer zusammenhalten, wenn wir auch einer entgegengesetzten Sache dienen.

Ja, einer sehr entgegengesetzten! sprach Athos lächelnd, denn ich frage Euch: Welcher Sache dient Ihr hier? Ach, d’Artagnan, seht, wozu Euch dieser elende Mazarin verwendet. Wißt Ihr, welches Verbrechens Ihr Euch heute schuldig gemacht habt? Der Gefangennehmung des Königs, seiner Schmach, seines Todes.

Oh! oh! versetzte Porthos, glaubt Ihr?

Ihr übertreibt, Athos, sprach d’Artagnan, wir sind noch nicht so weit.

Ei, mein Gott, wir sind im Gegenteil so weit. Warum nimmt man einen König gefangen? Wenn man die Absicht hat, ihn als Herrn zu achten, erkauft man ihn nicht wie einen Sklaven. Glaubt Ihr, daß ihn Cromwell mit zweimalhunderttaufend Pfund Sterling bezahlt hat, um ihn wieder auf den Thron zu setzen? Freunde, seid überzeugt, sie werden ihn töten, und das ist noch das geringste Verbrechen, das sie begehen können. Es ist besser, einen König enthaupten, als ihn beschimpfen.

Ich widerspreche Euch nicht, und es mag schließlich wohl sein, wie Ihr sagt, sagte d’Artagnan; aber was geht das uns an? Ich bin hier, weil ich Soldat bin, weil ich meinen Herren diene, das heißt denen, die mir meinen Sold bezahlen. Ich habe den Eid des Gehorsams geleistet und gehorche. Aber ihr, die ihr keine Eide geleistet habt, warum seid ihr hier, und welcher Sache dient Ihr?

Der heiligsten Sache, die es auf der Welt gibt, erwiderte Athos, der Sache des Unglücks, des Königtums, der Religion. Ein Freund, eine Gattin, eine Tochter haben uns die Ehre erwiesen, uns zu Hilfe zu rufen. Wir haben ihnen nach unsern schwachen Mitteln gedient, und Gott wird uns in Ermangelung der Kraft den guten Willen anrechnen. Ihr könnt anders denken, d’Artagnan, Ihr könnt die Sache anders ansehen, Freund, ich will Euch nicht davon abbringen, aber ich tadle Euch!

Oh! oh! sprach d’Artagnan, was geht es mich am Ende an, wenn Cromwell, der ein Engländer ist, sich gegen seinen König, einen Schotten, empört? Ich bin Franzose, alle diese Dinge berühren mich nicht; warum wolltet Ihr mich also dafür verantwortlich machen?

Darum, sagte Athos, weil alle Edelleute Brüder sind, weil Ihr ein Edelmann seid, weil die Könige aller Länder die ersten unter den Edelleuten sind, weil der blinde, undankbare, alberne Pöbel immer ein Vergnügen daran findet, das Erhabene zu erniedrigen; … und Ihr, d’Artagnan, der Mann der alten Ritterlichkeit, der Mann mit dem schönen Namen, der Mann mit dem guten Schwerte, Ihr habt dazu beigetragen, einen König an Bierbrauer, Schneider und Kärrner auszuliefern. Ah! d’Artagnan, als Soldat habt Ihr vielleicht Eure Pflicht getan, aber als Edelmann habt Ihr Euch mit einer Schuld befleckt, das sage ich Euch.

D’Artagnan kaute an einem Blumenstengel, antwortete nicht und fühlte sich unbehaglich, denn als er seinen Blick von Athos abwandte, begegnete er Aramis‘ Blick.

Und Ihr, Porthos, fuhr der Graf fort, als hätte er Mitleid mit der Verlegenheit d’Artagnans, Ihr, das beste Herz, der beste Freund, der beste Soldat, den ich kenne, Ihr, der vermöge seines Gemüts würdig wäre, auf den Stufen eines Thrones geboren zu sein, und dem ein einsichtsvoller König früher oder später seinen Lohn erteilen wird, Ihr, mein lieber Porthos, ein Edelmann durch Sitten, Neigung und Mut, Ihr seid ebenso schuldig, als d’Artagnan.

Porthos errötete mehr aus Vergnügen, als aus Scham, senkte aber doch den Kopf, als wäre er sehr gedemütigt.

Ja, ja, sagte er, ich glaube, Ihr habt recht, mein lieber Graf.

Athos erhob sich.

Hört, sprach er, auf d’Artagnan zugehend und ihm die Hand reichend, schmollt nicht, mein teurer Sohn, denn alles, was ich Euch gesagt, habe ich, wenn nicht mit dem Tone, doch mit dem Herzen eines Vaters gesagt. Glaubt mir, es wäre mir leichter geworden, Euch dafür zu danken, daß Ihr mir das Leben gerettet habt, und kein Wort von meinen Gefühlen zu sprechen.

Gewiß, gewiß, Athos, erwiderte d’Artagnan, ihm ebenfalls die Hand drückend, Ihr habt aber auch ganz verdammte Ideen, die nicht jedermann haben kann. Wer kann sich denken, daß ein vernünftiger Mensch sein Haus, Frankreich, sein Mündel, einen allerliebsten jungen Burschen, verlassen könne – um wohin zu eilen? einem verfaulten, wurmstichigen Königtum zu Hilfe, das eines Morgens wie eine alte Baracke zusammenstürzen wird. Das Gefühl, von dem Ihr sprecht, ist allerdings schön, so schön, daß es übermenschlich erscheint.

Wie dem sein mag, erwiderte Athos, ohne in die Falle zu gehen, die d’Artagnan mit seiner gascognischen Geschicklichkeit seiner väterlichen Liebe für Raoul stellte, wie dem sein mag, Ihr wißt, daß dieses Gefühl richtig ist; aber ich habe unrecht, mit meinem Herrn zu streiten … d’Artagnan, ich bin Euer Gefangener, behandelt mich als solchen.

Ah, bei Gott! versetzte d’Artagnan, Ihr wißt wohl, daß Ihr nicht lange mein Gefangener sein werdet.

Nein, sagte Aramis, denn man wird uns ohne Zweifel behandeln, wie die, welche man in Philipphaus gefangen genommen hat.

Wie hat man diese behandelt? fragte d’Artagnan.

Man hat die eine Hälfte gehängt und die andere erschossen, erwiderte Aramis.

Wohl, ich stehe euch dafür, daß ihr, solange ein Tropfen Blut in meinen Adern ist, weder gehängt noch erschossen werden sollt, sprach d’Artagnan. Gottes Blut! Sie mögen kommen! Überdies, seht Ihr diese Türe, Athos?

Nun?

Ihr geht durch diese Tür, wann Ihr wollt, denn von diesem Augenblick an seid Ihr und Aramis frei wie die Luft.

Daran erkenne ich Euch, mein braver d’Artagnan, erwiderte Athos, aber Ihr seid nicht mehr unser Herr, diese Tür wird bewacht, Ihr wißt es wohl, d’Artagnan.

Gut, ihr sprengt sie, sagte Porthos. Was ist dabei? Höchstens zehn Mann.

Das wäre nichts für uns vier, es ist aber zu viel für zwei. Nein, seht, geteilt wie wir jetzt sind, müssen wir untergehen. Erinnert Euch des unseligen Beispiels: auf der Straße wurdet Ihr, d’Artagnan, der Brave, und Ihr, Porthos, der Mutige, Starke, geschlagen. Heute sind wir’s, die Reihe ist an mir und Aramis. Nie aber ist uns dies begegnet, wenn wir alle vier vereint waren. Sterben wir also, wie Lord Winter gestorben ist; ich meinerseits erkläre, daß ich in eine Flucht nur dann einwillige, wenn wir alle vier miteinander fliehen.

Unmöglich, sprach d’Artagnan, wir stehen unter Mazarins Befehl.

Ich weiß es und dringe nicht weiter in Euch; meine Beweisgründe haben nichts gefruchtet, ohne Zweifel waren sie schlecht, da sie auf so verständige Leute, wie Ihr seid, keine Wirkung hervorbrachten.

Hätten sie auch eine Wirkung hervorgebracht, versetzte Aramis, so tun wir doch am besten, wenn wir zwei so vortreffliche Freunde, wie d’Artagnan und Porthos, nicht bloßstellen. Seid unbesorgt, meine Herren, wir werden euch sterbend Ehre machen. Ich meinesteils fühle mich ganz stolz, in Eurer Gesellschaft, Athos, den Kugeln und sogar dem Strang entgegenzusehen, denn Ihr seid mir nie so groß erschienen, wie heute.

D’Artagnan sagte nichts, aber nachdem er den Stengel seiner Blume zerkaut hatte, kaute er an den Nägeln.

Ihr denkt, man werde euch töten, sprach er endlich. Warum dies? Wer hat ein Interesse bei eurem Tode? Überdies seid ihr unsere Gefangenen.

Tor, dreifacher Tor! entgegnete Aramis, kennst du Mordaunt nicht? Ich habe nur einen Blick mit ihm gewechselt, und in diesem Blicke las ich, daß wir verurteilt sind.

Es tut mir in der Tat leid, daß ich ihn nicht erwürgte, wie Ihr es haben wolltet, Aramis, versetzte Porthos.

Ei, ich kümmere mich den Henker um Mordaunt, rief d’Artagnan; Gottes Blut! Kitzelt mich dieses Insekt zu sehr, so zertrete ich es. Flüchtet euch also nicht, es ist unnötig, denn ich schwöre euch, ihr seid hier ebenso sicher, als ihr es vor zwanzig Jahren, Ihr, Athos, in der Rue Ferou, und Ihr, Aramis, in der Rue Vaugirard wäret.

Halt! sprach Athos, seine Hand nach einem der vergitterten Fenster ausstreckend, die das Zimmer erhellten, Ihr werdet sogleich erfahren, woran Ihr Euch zu halten habt, denn er eilt eben herbei.

Wer?

Mordaunt.

Der Richtung folgend, die Athos‘ Hand andeutete, sah d’Artagnan jetzt einen Reiter im Galopp herbeisprengen.

Er war in der Tat Mordaunt.

D’Artagnan stürzte aus dem Zimmer.

Porthos wollte folgen.

Bleibt, sagte d’Artagnan, und kommt erst, wenn Ihr mit den Fingern an der Tür trommeln hört.