D’Artagnan kam um halb neun Uhr in die Bastille. Er ließ sich bei dem Gouverneur melden, der ihm, als er erfuhr, daß er im Namen und auf Befehl des Ministers kam, bis auf die Freitreppe entgegenging.

Der Gouverneur der Bastille war damals Herr du Tremblay, ein Bruder des berüchtigten Kapuziners Joseph, dieses furchtbaren Günstlings von Richelieu, den man die graue Eminenz nannte.

Herr du Tremblay empfing d’Artagnan mit der größten Höflichkeit und lud ihn ein, mit ihm zu Nacht zu speisen.

Ich würde dies mit dem größten Vergnügen tun, sprach d’Artagnan; aber wenn ich mich nicht täusche, steht auf dem Umschlag des Briefes: sehr eilig.

Das ist richtig, sagte Herr du Tremblay. Holla, Major, man lasse Nro. 256 herabkommen.

Beim Eintritt in die Bastille hörte man auf, ein Mensch zu sein, und wurde eine Nummer.

D’Artagnan schauderte beim Gerassel der Schlüssel. Er blieb zu Pferde, ohne absteigen zu wollen, und betrachtete die Gitterstangen, die tiefen Fenster und die ungeheuern Mauern.

Ich verlasse Euch, sprach Herr du Tremblay, als ein Glockenschlag erklang. Man ruft mich, um den Entlassungsbefehl zu unterzeichnen. Auf Wiedersehen, Herr d’Artagnan.

Der Teufel soll mich holen, wenn ich dir deinen Wunsch zurückgebe, murmelte d’Artagnan. Schon bei einem Aufenthalt von fünf Minuten fühle ich mich krank. Ich denke, daß ich lieber auf dem Stroh sterben, als auf dem Posten eines Bastillegouverneurs zehntausend Livres Renten sammeln möchte.

Kaum hatte er diesen Monolog vollendet, als der Gefangene erschien. Sobald d’Artagnan ihn erblickte, machte er eine Bewegung des Erstaunens, die er aber sogleich wieder bewältigte. Der Gefangene stieg in den Wagen, ohne, wie es schien, d’Artagnan erkannt zu haben.

Meine Herren, sagte d’Artagnan zu den vier Musketieren, man hat mir befohlen, den Gefangenen auf das schärfste zu bewachen. Ich will daher zu ihm hineinsteigen. Herr von Lillebonne, habt die Güte, mein Pferd am Zügel zu führen.

Sehr gern, mein Leutnant, antwortete der Angeredete.

D’Artagnan sprang vom Pferde, gab den Zügel dem Musketier, stieg in den Wagen und rief in einem Tone, in dem sich unmöglich auch nur die geringste Bewegung erkennen ließ: Ins Palais Royal, im Trab!

Sogleich entfernte sich der Wagen, und d’Artagnan warf sich, die herrschende Dunkelheit benutzend, dem Gefangenen um den Hals.

Rochefort! rief er, Ihr, Ihr seid es! Ich täusche mich nicht! – D’Artagnan! rief Rochefort erstaunt. – Ach, mein armer Freund, fuhr d’Artagnan fort; da ich Euch seit vier bis fünf Jahren nicht gesehen habe, so hielt ich Euch für tot. – Meiner Treu! erwiderte Rochefort, es ist kein großer Unterschied zwischen einem Toten und einem Begrabenen, und ich bin ein Begrabener. – Wegen welches Verbrechens seid Ihr in der Bastille? – Ich weiß es nicht. – Mißtrauen gegen mich, Rochefort? – Nein, auf Edelmannswort, denn ich kann unmöglich aus der Ursache hier sein, die man angibt. – Welche Ursache? – Als Dieb. – Ihr, Dieb? Rochefort, Ihr scherzt. – Nun, so hört, was geschehen ist. Eines Abends nach einer Orgie bei Reinard in den Tuilerien mit dem Herzog d’Harcourt, Fontrailles, von Rieux und anderen treiben wir in tollem Übermut das von dem Herzog von Orleans erfundene Vergnügen, in den Pariser Straßen den Leuten unvermerkt die Mäntel abzuziehen. Ich und Rieux hatten uns auf das eherne Pferd am Pont Neuf geschwungen, das Heinrich IV. trägt, als auf den Hilferuf eines Bestohlenen die Wache erscheint. Die andern entkommen, ich und Rieux werden, als wir vom Denkmal herunterspringen, gefaßt. Man steckt mich ins Gefängnis, und als ich nach acht Tagen an den Kardinal schreibe, holt man mich ab und führt mich in die Bastille, wo ich seit fünf Jahren sitze. Nun, was meint Ihr hierzu? – Nein, mein lieber Rochefort, das kann nicht der Grund Eurer Einkerkerung sein, Ihr werdet ihn übrigens wahrscheinlich jetzt erfahren. – Wohin führt Ihr mich denn? – Zu dem Kardinal. – Was will er von mir? Ihr müßt es wissen, denn daraus, daß Mazarin Euch gesandt hat, sehe ich, daß Ihr jetzt sein Günstling seid. – Ich weiß es nicht, ich befand mich zufällig im Vorzimmer, und der Kardinal wandte sich an mich, wie er sich an jeden andern gewendet hätte. Ich bin immer noch Leutnant bei den Musketieren, und dies, wenn ich richtig zähle, seit ungefähr einundzwanzig Jahren. – Es ist Euch doch kein Unglück widerfahren, und das ist schon viel. – Welches Unglück sollte mir widerfahren? Irgend ein lateinischer Vers sagt: Der Blitz trifft die Täler nicht; und ich bin ein Tal, mein lieber Rochefort, und zwar eines von den tiefsten. – Mazarin ist also immer noch Mazarin? – Mehr als je, mein Lieber; man sagt, er sei mit der Königin verheiratet. – Verheiratet! – Ist er nicht ihr Gemahl, so ist er sicherlich ihr Geliebter. – Einem Buckingham widerstehen und einem Mazarin nachgeben! – So sind die Frauen, versetzte d’Artagnan philosophisch. – Die Frauen Wohl, aber die Königinnen! – Ei, mein Gott, in dieser Hinsicht sind die Königinnen zweimal Frauen. – Und Herr von Beaufort ist immer noch im Gefängnis? – Immer noch, warum? – Da er mir wohlwollte, so hätte er mich herausbringen können. Und wie steht es mit dem Krieg? – Man wird ihn haben. – Mit Spanien? – Nein, mit Paris. – Was wollt Ihr damit sagen? – Hört Ihr die Flintenschüsse? – Ja. Nun? – Es sind aufrührerische Bürger. – Glaubt Ihr, man könnte aus den Bürgern etwas machen? – Gewiß, sie versprechen alles, und wenn sie einen Führer hätten … – Es ist ein Unglück, nicht frei zu sein. – Ei, mein Gott, verzweifelt doch nicht. Wenn Mazarin Euch holen läßt, so geschieht es einfach, weil er Euch braucht, und wenn er Euch braucht, nun, so mache ich Euch mein Kompliment. Es ist lange her, daß niemand meiner mehr bedurft hat; Ihr seht auch, wie weit ich es gebracht habe. – Beklagt Euch doch bei ihm! – Hört, Rochefort, einen Vertrag … – Welchen? – Ihr wißt, daß wir gute Freunde sind. – Bei Gott, ich trage die Male Eurer Freundschaft an mir: Drei Degenstiche! … – Nun wohl, wenn Ihr wieder in Gunst kommt, vergeßt mich nicht. – So wahr ich Rochefort heiße, aber unter der Bedingung der Gegenseitigkeit. – Abgemacht: hier ist meine Hand. – Die erste Gelegenheit also, die Ihr findet, um von mir zu sprechen … – Ich spreche von Euch: und Ihr? – Ebenso. – Und soll ich von Euren Freunden sprechen? – Von welchen Freunden? – Von Athos, Porthos und Aramis. Habt Ihr sie denn vergessen? – Beinahe. – Was ist aus ihnen geworden? – Ich weiß es nicht. – Wirklich? – Ah, mein Gott ja, wir haben uns verlassen, wie Ihr wißt; sie leben noch, das ist alles, was ich von ihnen sagen kann. Von Zeit zu Zeit erhalte ich mittelbare Nachrichten von ihnen; aber der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, in welchem Winkel der Erde sie sich aufhalten. Nein, auf Ehre! ich habe nur noch Euch zum Freunde, Rochefort. – Und der herrliche, wie nanntet Ihr doch den Burschen, den ich zum Sergeanten im Regimente Piemont machte? – Planchet. – Ja, so ist es, der herrliche Planchet; was ist aus ihm geworden? – Er hat einen Zuckerbäckerladen in der Rue des Lombards geheiratet. Der Bursche war stets ein großer Freund von Süßigkeiten. Er ist nun Pariser Bürger und treibt in diesem Augenblick wohl ohne Zweifel Aufruhr. Ihr werdet sehen, er ist Schöppe, ehe ich Kapitän bin. – Nur munter! mein lieber d’Artagnan, wenn man ganz unten am Rade ist, so dreht sich das Rad und hebt einen empor. Vielleicht ändert sich Euer Schicksal noch diesen Abend. – Amen, sprach d’Artagnan, den Wagen anhaltend.

D’Artagnan stieg, da sie sich ihrem Ziele näherten, wieder zu Pferde und setzte sich an die Spitze der Eskorte. Fünf Minuten nachher gelangte man in den Hof des Palais Royal. D’Artagnan führte den Gefangenen über die große Treppe und ließ ihn durch das Vorzimmer in den Korridor gehen. Vor der Tür zu Mazarins Kabinett angelangt, wollte er eben sich melden lassen, als Rochefort die Hand auf seine Schulter legte und lächelnd zu ihm sagte:

D’Artagnan, soll ich Euch eines sagen, woran ich auf dem ganzen Wege dachte, als ich die Gruppen von Bürgern sah, durch die wir fuhren und die Euch und Eure vier Leute mit flammenden Augen betrachteten? – Sprecht, antwortete d’Artagnan. – Ich durfte nur um Hilfe rufen, um Euch und Eure Eskorte in Stücke hauen zu lassen, und dann war ich frei. – Warum habt Ihr es nicht getan? – Geht doch! Geschworene Freundschaft! Aber wenn mich ein anderer als Ihr geführt hätte …

D’Artagnan neigte das Haupt, sprach zu sich: Sollte Rochefort besser geworden sein, als ich? und ließ sich bei dem Minister melden.

Laßt Herrn Rochefort eintreten, rief mit ungeduldigem Tone Mazarin, sobald er die zwei Namen gehört hatte, und sagt Herrn d’Artagnan, er möchte warten; ich bin noch nicht mit ihm fertig.

Diese Worte machten d’Artagnan ganz heiter. Lange Zeit hatte niemand seiner bedurft, und diese Aufforderung erschien ihm als ein glückliches Vorzeichen. Was Rochefort betrifft, so brachte sie auf diesen keine andere Wirkung hervor, als daß sie ihm seine vollständige Fassung verlieh. Er trat in das Kabinett ein und fand Mazarin am Tische sitzend in seiner gewöhnlichen Tracht, d. h. als Monsignore, was ungefähr die Kleidung der Abbés jener Zeit war, ausgenommen, daß er violette Strümpfe und einen violetten Mantel trug.

Die Türen schlossen sich wieder. Rochefort sah Mazarin verstohlen an und ertappte den Minister auf einem Blick, der den seinigen kreuzte.

Rochefort hatten die fünf Jahre, die er im Gefängnisse zugebracht, sehr alt gemacht. Seine schwarzen Haare waren ganz weiß geworden, und auf dem einst bronzefarbigen Gesicht lag eine Blässe, die auf Erschöpfung deutete.

Bei seinem Anblick schüttelte Mazarin unmerklich den Kopf mit einer Miene, die wohl sagen wollte: Dieser Mensch scheint mir nicht mehr zu großen Dingen zu taugen.

Nach einem kurzen Stillschweigen zog Mazarin aus einem Stoß Papiere einen offenen Brief hervor, zeigte ihn dem Edelmann und sagte: Ich habe hier einen Brief gefunden, worin Ihr um Eure Freiheit nachsucht, Herr von Rochefort. Ihr seid also im Gefängnis?

Rochefort erwiderte bebend: Es scheint mir, Ew. Eminenz wußte das besser, als irgend jemand. – Ich? keineswegs. Es sind noch eine Menge von Gefangenen aus der Zeit des Herrn von Richelieu da, deren Namen ich nicht einmal weiß. – Wohl, doch bei mir ist es etwas anderes, Monseigneur, und Ihr wußtet den meinigen, denn auf einen Befehl von Ew. Eminenz bin ich nach der Bastille gebracht worden. – Ihr glaubt? – Ich weiß es gewiß. – Ja, in der Tat, ich glaube mich dessen zu erinnern. Habt Ihr Euch damals nicht geweigert, für die Königin eine Reise nach Brüssel zu machen? –Ah! ah! sprach Rochefort, das ist also die wahre Ursache. Ich suche sie seit fünf Jahren. Aber, Monseigneur, ich ging nicht nach Brüssel, weil ich der Königin dort nichts nützen konnte, ja, meine Anwesenheit dort ihr geradezu schaden mußte. – Ich sage nicht, daß dies die Ursache Eurer Verhaftung sei. Verstehen wir uns recht, ich stelle die Frage an Euch, und nicht mehr. Die Königin allerdings hat in Eurer Weigerung nichts anderes gesehen, als eine einfache Weigerung. Ihre Majestät die Königin hatte sich unter dem verstorbenen Kardinal sehr über Euch zu beklagen.

Rochefort lächelte verächtlich und sagte: Gerade weil ich Richelieu gut gegen die Königin gedient hatte, mußtet Ihr, da er tot war, Monseigneur, begreifen, daß ich Euch gegen die ganze Welt gut dienen würde.

Ich, Herr von Rochefort? sagte Mazarin, ich bin nicht wie Herr von Richelieu, der auf die Allmacht abzielte. Ich bin ein einfacher Minister, der keiner Diener bedarf, insofern ich selbst der Diener der Königin bin. Ihre Majestät aber ist sehr empfindlich, sie wird Eure Weigerung erfahren und für eine Kriegserklärung gehalten haben; da sie nun wußte, daß Ihr ein Mann von hervorragenden Eigenschaften und folglich sehr gefährlich seid, mein lieber Herr von Rochefort, so hat sie mir wohl den Befehl gegeben, mich Euer zu versichern. Auf diese Art befindet Ihr Euch in der Bastille.

Gut, Monseigneur, sagte Rochefort, es scheint mir, wenn ich infolge eines Irrtums in der Bastille sitze …

Ja, ja, versetzte Mazarin, allerdings, das läßt sich ins reine bringen; Ihr seid ein Mann, um gewisse Sachen zu begreifen und, wenn Ihr sie einmal begriffen habt, sie gut zu betreiben.

Das war die Meinung des Herrn Kardinals von Richelieu, und meine Bewunderung für diesen großen Mann vermehrt sich noch dadurch, daß Ihr die Güte habt, mir zu sagen, es sei auch die Eurige.

Das ist wahr, versetzte Mazarin. Der Herr Kardinal hatte viel Politik, und darin bestand seine große Überlegenheit im Vergleich zu mir, der ich ein ganz einfacher, schlichter Mann bin. Was mir schadet, das ist der Umstand, daß ich eine ganz französische Offenherzigkeit besitze.

Rochefort preßte die Lippen zusammen, um nicht zu lachen.

Ich komme also zur Sache; ich bedarf guter Freunde, treuer Diener. Wenn ich sage, ich bedarf, so will ich damit sagen, die Königin bedarf. Ich tue alles nur auf Befehl der Königin, versteht mich wohl: es ist nicht wie bei dem Kardinal von Richelieu, der alles nur aus eigener Laune tat. Ich werde auch nie ein großer Mann sein, wie er; dagegen bin ich ein guter Mann, Herr von Rochefort, und hoffe Euch dies zu beweisen.

Rochefort kannte diese seidenweiche Stimme, durch die zuweilen ein Zischen klang, das dem der Schlange glich.

Ich bin ganz bereit, Monseigneur, zu glauben, sagte er, obgleich ich meinesteils wenig Beweise von der Gutmütigkeit habe, von der Ew. Eminenz spricht.

Ah! Herr Rochefort, ich sagte Euch bereits, daß ich keinen Teil an Eurer Gefangenschaft hatte. Die Königin – Zorn einer Frau und einer Prinzessin, was wollt Ihr? Aber das geht, wie es kommt, und nachher denkt man nicht mehr daran …

Ich begreife, Monseigneur, daß sie nicht mehr daran denkt, da sie fünf Jahre im Palais Royal mitten unter Festen und Höflingen zubrachte; aber ich, der sie in der Bastille zubringen mußte …

Ei, mein Gott, Herr von Rochefort, glaubt Ihr, das Palais Royal sei ein so angenehmer Aufenthaltsort? Nein, nein, ich versichere Euch, wir haben auch gewaltiges Getöse gehabt. Doch sprechen wir nicht mehr hiervon. Ich spiele wie immer offenes Spiel und frage: Herr von Rochefort, seid Ihr von den Unseren?

Ihr müßt begreifen, Monseigneur, daß ich nichts Besseres wünschen kann, aber ich bin mit allen gegenwärtigen Angelegenheiten nicht im mindesten vertraut. In der Bastille spricht man über Politik nur mit den Soldaten und den Gefängniswärtern, und Ihr habt keinen Begriff, Monseigneur, wie wenig diese Leute mit den Vorgängen auf dem laufenden sind. Ist Herr von Bassompierre immer noch einer von den siebzehn Seigneurs?

Er ist tot, mein Herr, und das ist ein großer Verlust. Er war ein der Königin ergebener Mann, und die ergebenen Leute sind selten.

Bei Gott, ich glaube wohl, sprach Rochefort. Wenn Ihr welche habt, so schickt Ihr sie in die Bastille.

Aber wodurch beweist sich die Ergebenheit? sagte Mazarin.

Durch die Tätigkeit, antwortete Rochefort.

Ah! ja, durch die Tätigkeit, versetzte der Minister nachdenkend, aber wo finden sich Männer von Tätigkeit?

Rochefort zuckte die Achseln und erwiderte: Es fehlt nie daran, Monseigneur; nur sucht Ihr schlecht. Richelieu hat immer treue und ergebene Diener gehabt, und doch habe ich Leute gekannt, fuhr er fort, denn er dachte, es sei jetzt die Zeit gekommen, d’Artagnan Wort zu halten, ich habe Leute gekannt, die durch ihre Gewandtheit hundertmal den Scharfsinn des Kardinals scheitern ließen, durch ihre Tapferkeit seine Leibwachen und seine Spione geschlagen haben, Leute, die ohne Geld, ohne Unterstützung, ohne Kredit einem gekrönten Haupt eine Krone erhielten und den Kardinal dahin brachten, daß er um Verzeihung bitten mußte. – Aber die Leute, von denen Ihr sprecht, sagte Mazarin, in seinem Innern lächelnd, daß Rochefort dahin gelangte, wohin er ihn führen wollte, diese Leute waren dem Kardinal nicht ergeben, da sie gegen ihn kämpften. – Nein, denn sie wären besser belohnt worden; aber sie hatten das Unglück, derselben Königin ergeben zu sein, für die Ihr soeben Diener verlangtet. – Ah! sprach Mazarin mit bewunderungswürdiger Gutmütigkeit, wenn ich solche Menschen kennen würde. – Ei! Monseigneur, Ihr habt einen seit sechs Jahren vor Eurer Türe und habt ihn seit sechs Jahren zu nichts gut geglaubt. – Wen denn? – Herrn d’Artagnan. – Den Gascogner? rief Mazarin mit vortrefflich gespielter Verwunderung. – Dieser Gascogner hat eine Königin gerettet, und Herr von Richelieu mußte gestehen, daß er ihm gegenüber an Geschicklichkeit, Gewandtheit und Politik nur ein Schüler sei. – Wirklich? – Wie ich es Ew. Exzellenz zu sagen die Ehre habe. – Erzählt mir das ein wenig, mein lieber Herr von Rochefort. – Das ist sehr schwierig, Monseigneur, sagte der Edelmann lächelnd. Aber ich kann Euch ein Märchen erzählen, ein wahres Feenmärchen, dafür stehe ich Euch, Monseigneur. – Oh! sprecht, Herr von Rochefort; ich liebe die Märchen ungemein. – Ihr wollt es? sagte Herr von Rochefort, indem er in diesem feinen, listigen Gesicht eine Absicht wahrzunehmen suchte. – Ja.

Nun, so hört. Es war einmal eine Königin … aber eine mächtige Königin, die Königin eines der mächtigsten Reiche der Welt, der ein Minister sehr übel wollte, weil er ihr zuvor zu wohl gewollt hatte. Sucht nicht, Monseigneur, Ihr könnt nicht erraten, wer. Alles das ereignete sich lange Zeit, ehe Ihr in das Reich kamt, wo diese Königin regierte. Es erschien aber am Hofe ein Botschafter, so tapfer, so reich und so artig, daß alle Frauen sich in ihn verliebten, und die Königin selbst, ohne Zweifel wegen der Art und Weise, wie er die Staatsangelegenheiten behandelt hatte, die Unklugheit beging, ihm einen Schmuck zu schenken, der so merkwürdig war, daß er sich nicht ersetzen ließ. Da dieser Schmuck vom König war, so forderte der Minister diesen auf, von der Fürstin zu verlangen, daß sie gerade die bezeichneten Juwelen bei dem nächsten Balle tragen solle. Es ist überflüssig, Euch zu bemerken, daß der Minister aus einer gewissen Quelle erfahren hatte, wie der Schmuck dem Botschafter gefolgt war, der in großer Entfernung jenseits des Meeres lebte. Die große Königin war verloren, wie die letzte ihrer Untertaninnen, denn sie stürzte augenscheinlich von ihrer höchsten Höhe herab.

Wirklich?

Nun gut, Monseigneur, vier Menschen entschlossen sich, sie zu retten. Diese vier Menschen waren keine Prinzen, keine Herzöge, keine mächtigen Männer, keine reichen Männer, es waren vier Soldaten mit großem Herzen, gutem Arm und flinkem Degen. Sie reisten ab. Der Minister erfuhr ihre Abreise und schickte Leute auf ihren Weg aus, um sie zu verhindern, zu ihrem Ziele zu gelangen. Drei wurden durch die zahlreichen Angriffe kampfunfähig gemacht, aber ein einziger gelangte in den Hafen, tötete oder verwundete die, welche ihn festnehmen wollten, schiffte über das Meer und brachte den Schmuck der großen Königin zurück, die ihn an dem bestimmten Tag an die Schulter heften konnte. Was sagt Ihr von diesem Zuge, Monseigneur?

Das ist herrlich, sprach Mazarin träumerisch.

Nun, ich weiß noch ähnliche.

Mazarin sprach nicht mehr, er dachte nach.

Ihr habt mich nichts mehr zu fragen, Monseigneur? sagte Rochefort nach einigen Minuten. – Doch, Herr d’Artagnan war einer von diesen vier Menschen, sagt Ihr? – Er war der, welcher das ganze Unternehmen leitete. – Und wer waren die anderen? – Monseigneur erlaube, daß ich Herrn d’Artagnan überlasse, sie Euch zu nennen. Es waren seine Freunde und nicht die meinigen; er allein hätte einigen Einfluß auf sie, und ich kenne sie nicht einmal unter ihren wahren Namen.

Ihr mißtraut mir, Herr von Rochefort. Ich will ganz offenherzig sein: ich bedarf Euer, seiner, aller. – Fangen wir bei mir an, Monseigneur, da Ihr mich habt holen lassen und ich nun hier bin; dann möget Ihr zu ihnen übergehen. – Ihr, mein lieber Herr von Rochefort, sollt einen Vertrauensposten bekommen, Ihr geht nach Vincennes, wo Herr von Beaufort gefangen ist; Ihr bewacht ihn mir auf das schärfste. Nun, was habt Ihr denn? – Ihr schlagt mir etwas Unmögliches vor, sprach Rochefort und schüttelte mit betrübter Miene den Kopf. – Wie! etwas Unmögliches? Und warum ist diese Sache unmöglich? – Weil Herr von Beaufort einer meiner Freunde ist, oder vielmehr, weil ich einer der seinigen bin. Habt Ihr vergessen, Monseigneur, daß Beaufort bei der Königin für mich gut gestanden hat? – Herr von Beaufort ist seit jener Zeit der Feind des Staates. – Ja, Monseigneur, das ist möglich; aber da ich weder König noch Königin, noch Minister bin, so ist er nicht mein Feind, und ich kann Euer Anerbieten nicht annehmen. – Das nennt Ihr Ergebenheit? Ich wünsche Euch Glück: Eure Ergebenheit verpflichtet Euch nicht zu sehr bedeutenden Dingen, Herr von Rochefort. – Monseigneur, verwendet mich zu irgend etwas anderem, gebt mir eine Sendung, laßt mich tätig sein, aber auf der offenen Straße, wenn es möglich ist. – Mein lieber Herr von Rochefort, sagte Mazarin mit seiner spöttischen Miene, Euer Eifer reißt Euch fort, Ihr haltet Euch noch für einen jungen Mann, weil das Herz immer noch jung ist, aber die Kräfte fehlen Euch. Glaubt mir, Ihr bedürft jetzt vor allem der Ruhe. Holla! irgend jemand herein! – Ihr verfügt also nicht über mich? – Im Gegenteil, ich habe verfügt.

Bernouin trat ein.

Rufe einen Huissier, sprach Mazarin, und bleib‘ in meiner Nähe, fügte er mit leisem Tone bei.

Ein Huissier trat ein, der Kardinal schrieb einige Worte, die er diesem Mann zustellte, grüßte sodann mit dem Kopf und sagte: Gott befohlen, Herr von Rochefort.

Rochefort verbeugte sich ehrfurchtsvoll und sagte: Ich sehe, Monseigneur, man führt mich wieder in die Bastille. – Ihr seid gescheit. – Ich kehre dahin zurück, Monseigneur, aber ich wiederhole Euch, Ihr habt unrecht, daß Ihr mich nicht zu verwenden wißt. – Euch, den Freund meiner Feinde? – Warum nicht? Ihr hättet mich zum Feind Eurer Feinde machen sollen. – Glaubt Ihr, es gebe nur Euch allein? Seid überzeugt, Herr von Rochefort, ich werde Leute finden, welche so viel wert sind, als Ihr.

Man führte Rochefort in den Hof, wo er seinen Wagen und seine vier Mann Eskorte fand; aber er suchte vergebens seinen Freund.

Ah, ah! sagte Rochefort zu sich selbst, das verändert die Sache auf eine furchtbare Weise. Wenn jetzt noch so viel Volk auf den Straßen ist, so wollen wir Herrn von Mazarin zu beweisen suchen, daß wir, Gott sei Dank, noch zu etwas ganz anderem taugen, als zur Bewachung eines Gefangenen.