D’Artagnan schlug den Weg nach dem Pont-Neuf ein. Er war sehr erfreut, daß er Planchet wieder gefunden hatte, indem er zunächst einen guten Diener und später, wenn Planchet wieder seine frühere Stellung im bürgerlichen Leben einnahm, eine wertvolle Verbindung mit dem feindlichen Lager zu haben hoffte. Zufrieden mit dem Glück wie mit sich selbst, erreichte er also Notre-Dame. Er stieg die Freitreppe hinauf, trat in die Kirche, wandte sich an einen Sakristan, der eine Kapelle ausfegte, und fragte ihn, ob er Herrn Bazin kenne.

Herrn Bazin, den Mesner? sprach der Sakristan.

Ihn selbst.

Er bedient da unten die Messe in der Kapelle der Jungfrau.

D’Artagnan zitterte vor Freude. Jetzt, wo er wirklich ein Ende des Fadens in der Hand hatte, machte er sich wohl anheischig, das andere zu erreichen.

Er kniete vor der Kapelle nieder, um seinen Mann nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Es war zum Glück eine stille Messe, die bald endigen mußte. D’Artagnan, der seine Gebete vergessen und ein Meßbuch mitzunehmen versäumt hatte, benützte seine Muße, um Bazin prüfend zu betrachten.

Man darf wohl behaupten, Bazin trug sein Gewand mit ebensoviel Majestät als Glückseligkeit. Man sah, daß er zum Gipfel seines Ehrgeizes gelangt war, und daß der mit Silber verzierte Fischbeinstab, den er in der Hand hielt, ihm ebenso ehrenvoll vorkam, als der Kommandostab, den Condé in der Schlacht von Freiburg in die feindlichen Reihen warf oder nicht warf. Sein Äußeres hatte eine seiner Tracht vollkommen entsprechende Veränderung erlitten. Sein ganzer Körper hatte sich abgerundet und gleichsam kanonisiert. Die hervorspringenden Teile seines Gesichtes schienen verschwunden zu sein. Er hatte immer noch seine Nase, aber jede seiner Wangen hatte aufschwellend einen Teil davon an sich gezogen. Das Kinn verlor sich unter dem Halse. Viereckig und heilig geschnittene Haare bedeckten die Stirne bis auf drei Linien von den Augenbrauen, wobei zu beachten ist, daß Bazins Stirne zur Zeit ihrer größten Entblößung nie über anderthalb Zoll hoch gewesen.

Bald endigte der Geistliche seine Messe. Er sprach die Worte des Sakraments und zog sich zurück, indem er zum großen Erstaunen d’Artagnans seinen Segen gab, den jeder knieend empfing. Aber das Erstaunen d’Artagnans hörte auf, als er in dem Geistlichen den Coadjutor selbst erkannt hatte, das heißt, den bekannten Jean-François de Gondi, der zu dieser Zeit, die Rolle ahnend, die er spielen sollte, sich durch Almosen populär zu machen bemüht war.

D’Artagnan warf sich auf die Knie, wie die andern, empfing seinen Teil vom Segen und machte das Zeichen des Kreuzes; aber in dem Augenblick, wo Bazin, die Augen zum Himmel aufschlagend und demütig als der letzte an ihm vorüberging, faßte ihn d’Artagnan unten an seinem Rocke.

Bazin schaute nieder und machte einen Sprung rückwärts, als ob er eine Schlange gesehen hätte.

Herr d’Artagnan! rief er, vade retro, Satanas! …

Wie, mein lieber Bazin, sagte der Offizier lachend, so nehmt Ihr einen alten Freund auf!

Herr, antwortete Bazin, die wahren Freunde des Christen sind die, welche ihm an seinem Heil arbeiten helfen, und nicht diejenigen, welche ihn davon abwenden.

Mein lieber Bazin, versetzte d’Artagnan, Ihr müßt an dem Orte, wo Ihr mich findet, erkennen, daß ich mich in diesen Dingen bedeutend verändert habe, und da ich nicht daran zweifle, daß auch Euer Herr jetzt auf dem besten Wege ist, sein Heil zu gründen, so komme ich, um Euch zu fragen, wo er sich aufhält, damit er mir durch seinen Rat auch zu meinem Heile verhelfe.

Sagt lieber, um ihn mit Euch in die Welt zurückzuführen. Zum Glücke, fügte Bazin bei, weiß ich nicht, wo er ist, denn da wir an einem heiligen Orte sind, würde ich keine Lüge wagen.

Wie! rief d’Artagnan sehr ärgerlich, Ihr wißt nicht, wo Aramis ist?

Einmal ist Aramis sein Name des Verderbens; in Aramis findet man Simara, und dies ist ein Teufelsname; zu seiner Ehre hat er diesen Namen für immer aufgegeben.

Ich suchte auch nicht Aramis, erwiderte d’Artagnan, entschlossen, bis zum Ende geduldig zu bleiben, sondern den Abbé d’Herblay. Nun, mein lieber Bazin, sagt mir, wo er ist.

Habt Ihr nicht gehört, Herr d’Artagnan, daß ich Euch antwortete, ich wisse es nicht?

D’Artagnan sah ein, daß er von Bazin nichts herausbringen würde. Bazin log offenbar, aber er log mit so viel Eifer und Festigkeit, daß man leicht erraten konnte, er würde nicht von seiner Lüge abgehen.

Wohl, Bazin, sagte d’Artagnan; da Ihr nicht wißt, wo Euer Herr sich aufhält, so sprechen wir nicht weiter davon. Wir wollen uns als gute Freunde trennen. Nehmt diese halbe Pistole und trinkt auf meine Gesundheit.

Ich trinke nicht, Herr, sagte Bazin, majestätisch die Hand des Offiziers zurückstoßend, das ist gut für die Laien.

Ärgerlich über das Mißglücken auch dieses Versuches, ließ d’Artagnan Bazins Rock los; dieser benützte sogleich die Gelegenheit und zog sich rasch in die Sakristei zurück, wo er sich nicht eher in Sicherheit glaubte, als bis er die Türe hinter sich zugeschlossen hatte.

Während d’Artagnan zornig auf die geschlossene Tür schaute, fühlte er, daß jemand seine Schulter berührte, und als er sich umwandte, sah er zu seinem größten Erstaunen Rochefort vor sich stehen.

Ihr hier, mein lieber Rochefort, sagte d’Artagnan halblaut. – St! erwiderte Rochefort. Wußtet Ihr, daß ich frei war? – Ich habe es aus erster Hand erfahren. – Von wem? – Von Planchet. –Wie, von Planchet? – Allerdings, er hat Euch gerettet. – Planchet? … in der Tat, ich glaubte ihn wiederzuerkennen. Das beweist, mein Lieber, daß eine Wohltat nie verloren geht. – Was macht Ihr hier? – Ich habe Gott für meine glückliche Befreiung gedankt, sagte Rochefort. – Was weiter? denn ich nehme an, daß das nicht alles ist. – Und dann kam ich, um die Befehle des Coadjutors einzuholen und zu sehen, ob wir nicht etwas tun können, um den Mazarin in Wut zu bringen. – Unbesonnener! Ihr werdet machen, daß man Euch noch einmal in die Bastille steckt. – Oh! was das betrifft, so werde ich wohl auf meiner Hut sein; dafür stehe ich Euch. Die frische Luft ist so gut! Auch gedenke ich, fuhr Rochefort, mit voller Brust atmend, fort, eine Spazierfahrt auf das Land, eine Reise in die Provinz zu machen. – Ich ebenfalls, sagte d’Artagnan. – Darf man Euch, ohne unbescheiden zu sein, fragen, wohin Ihr geht? – Ich suche meine Freunde auf. – Welche Freunde? – Die, von denen ich Euch gestern Kunde geben sollte. – Athos, Porthos und Aramis? Ihr sucht sie? – Ja. – Auf Ehre? – Was ist denn darüber zu erstaunen? – Nichts … Das ist komisch … Und in welchem Auftrag sucht Ihr sie? – Ihr vermutet es nicht? – Allerdings. – Leider weiß ich nicht, wo sie sind. – Und Ihr habt kein Mittel, Nachricht von ihnen zu bekommen? Wartet acht Tage, und ich gebe Euch Auskunft. – Acht Tage, das ist zu viel; ich muß sie vor drei Tagen gefunden haben. – Drei Tage, das ist kurz, sagte Rochefort, und Frankreich ist groß. – Gleichviel. Ihr kennt das Wort: es muß sein. Mit diesem Wort macht man viele Dinge. – Und wann geht Ihr auf Nachforschungen aus? – Ich tue dies bereits. – Gut Glück! – Und Euch glückliche Reise! – Vielleicht treffen wir uns auf dem Wege. – Das ist nicht wahrscheinlich. – Wer weiß? der Zufall ist launenhaft. – Gott befohlen! – Auf Wiedersehen! Doch halt, wenn Mazarin mit Euch spricht, so sagt ihm, ich habe Euch beauftragt, ihm mitzuteilen, er werde binnen kurzem sehen, ob ich zum Handeln zu alt sei.

Geh, geh, sprach d’Artagnan, als der Freund sich entfernte. Tu, was du willst. Mir liegt nichts daran: es gibt keine zweite Constance in der Welt! Hierauf entfernte er sich eilig aus der Kathedrale und legte sich an der Ecke der Rue des Canettes in den Hinterhalt. Von hier konnte er Bazin, der zweifellos bald die Kirche verließ, beobachten.

Fünf Minuten nachher erschien Bazin auf dem Vorplatz. Er schaute rings umher, um sich zu versichern, ob er nicht gesehen würde, aber er erblickte unsern Offizier nicht. Dadurch beruhigt, wagte er sich in die Rue Notre-Dame. D’Artagnan stürzte aus seinem Versteck hervor und kam noch zeitig genug an, um ihn in die Rue de la Juiverie einbiegen und in der Rue de la Calandre in ein anständiges Haus eintreten zu sehen. Unser Offizier zweifelte nicht daran, daß der würdige Mesner in diesem Hause wohne.

Er trat, da er es nicht für geraten hielt, in dem Hause selbst Erkundigungen einzuziehen, in eine kleine Schenke an der Ecke der Rue Saint-Eloi und der Rue de la Calandre und verlangte ein Maß Gewürzwein. Während das Getränk bereitet wurde, schaute sich d’Artagnan um. Er erblickte in der Schenke einen aufgeweckten kleinen Jungen von zwölf bis fünfzehn Jahren, in dem er einen Burschen zu erkennen glaubte, den er zwanzig Minuten vorher unter dem Gewande eines Chorknaben gesehen hatte. Er befragte ihn und erfuhr, daß der Befragte von sechs bis neun Uhr morgens den Beruf eines Chorknaben und von neun Uhr bis Mitternacht den eines Kellners betreibe.

Während d’Artagnan mit dem Burschen plauderte, führte man ein Pferd vor Bazins Haus. Das Pferd war völlig gesattelt und gezäumt. Einen Augenblick nachher kam Bazin herab.

Halt, sagte der Junge, unser Mesner begibt sich auf den Weg. – Wohin geht er? fragte d’Artagnan. – Bei Gott, ich weiß es nicht. – Eine halbe Pistole, wenn du es in Erfahrung bringst. – Für mich? rief der Knabe, dessen Augen vor Freude funkelten, wenn ich in Erfahrung bringe, wohin Herr Bazin geht? Das ist nicht schwierig! Ihr treibt keinen Spott mit mir? – Nein, auf Offizierswort; sieh, hier ist die halbe Pistole.

Und er zeigte ihm die Münze, aber ohne sie ihm wirklich zu geben.

Ich will ihn fragen.

Das ist gerade das Mittel, um nichts zu erfahren, erwiderte d’Artagnan, warte, bis er weggeritten ist. Dann forsche, frage, unterrichte dich. Das ist deine Sache; die halbe Pistole wartet hier.

Und er steckte sie wieder in seine Tasche.

Als nach fünf Minuten Bazin, sein Pferd nach seiner Gewohnheit mit dem Regenschirm antreibend, in kurzem Trabe weggeritten war, stürzte sich der Junge wie ein Leithund auf seine Spur. Noch nicht zehn Minuten waren abgelaufen, als er wieder zurückkam.

Nun? fragte d’Artagnan, wohin ist er geritten? – Die halbe Pistole ist immer noch für mich? – Ganz gewiß. Antworte. Hier ist sie.

Der Junge steckte die Münze in seine Tasche.

Und nun, wohin ist er gegangen? sprach d’Artagnan lachend. – Nach Noisy. – Woher weißt du dies? – Ah! bei Gott, ich brauchte nicht viel Witz, um es zu erfahren. Ich erkannte in dem Pferde das eines Fleischers, der es zuweilen Herrn Bazin leiht. Ich dachte nun, der Fleischer leihe ihm sein Pferd nicht, ohne zu fragen, wohin er reite. – Und er antwortete dir, Herr Bazin … – Er begebe sich nach Noisy. Dies scheint übrigens seine Gewohnheit zu sein, denn er reitet drei- bis viermal in der Woche dahin. – Kennst du Noisy? – Ganz gewiß; meine Amme ist dort. – Ist ein Kloster daselbst? – Ein prächtiges, ein Jesuitenkloster. – Gut, murmelte d’Artagnan; es unterliegt keinem Zweifel mehr. – Ihr seid also zufrieden? – Ja. – Wie heißt du? – Friquet.

Und da unser Offizier jetzt wußte, was er wissen wollte, so bezahlte er den Gewürzwein, den er nicht getrunken hatte, und schlug rasch wieder den Weg nach der Rue Tiquetonne ein.