La Ramée erwartete am Pfingsttage die sechste Abendstunde mit ebensoviel Ungeduld, als der Prinz. Schon am Morgen beschäftigte er sich mit allen Einzelheiten, und da er sich in dieser Beziehung nur auf sich selbst verließ, so machte er dem Nachfolger des Vaters Marteau einen persönlichen Besuch. Dieser hatte sich selbst übertroffen, er zeigte ihm eine wahre Ungeheuerpastete, auf dem Deckel verziert mit dem Wappen des Herrn von Beaufort. Die Pastete war noch leer, aber neben ihr lagen ein Fasan und zwei Feldhühner, so niedlich gespickt, daß sie aussahen, wie Nadelkissen. Das Wasser lief La Ramée im Munde zusammen, und er kehrte, sich die Hände reibend, ins Zimmer des Herzogs zurück.

Um das Maß des Glückes voll zu machen, hatte Herr von Chavigny, wie wir erzählt haben, im vollen Vertrauen auf La Ramée, eine kleine Reise unternommen und sich auch bereits an demselben Morgen entfernt, wodurch La Ramée Untergouverneur des Schlosses geworden war.

Grimaud sah verdrießlicher als je aus.

Herr von Beaufort hatte am Morgen mit La Ramée eine Partie Ball gespielt, und Grimaud hatte ihm hierbei durch ein Zeichen zu verstehen gegeben, er möge auf alles acht geben.

Vorwärts marschierend bezeichnete Grimaud den Weg, den man am Abend verfolgen sollte. Der Ort, an dem das Ballspiel stattfand, hieß der innere Schloßhof. Es war ein ziemlich verlassener Platz, der nur in dem Augenblick, wo Herr von Beaufort seine Partie machte, mit Wachen besetzt wurde. Bei der Höhe der Mauer schien sogar diese Vorsichtsmaßregel überflüssig.

Man hatte drei Türen zu öffnen, ehe man zu diesem Hofe gelangte. Jede Türe wurde mit einem andern Schlüssel geöffnet, und La Ramée trug diese drei Schlüssel bei sich.

Als Grimaud in den Hof kam, setzte er sich wie zufällig in eine Schießscharte und ließ die Beine außen an der Mauer hinabhängen. Offenbar sollte hier die Strickleiter befestigt werden.

Dieses, für den Herzog von Beaufort leichtbegreifliche Manöver war natürlich für La Ramée nicht verständlich.

Die Partie begann. Diesmal war Herr von Beaufort im Zuge, und man hätte glauben sollen, er lege mit der Hand die Bälle dahin, wohin sie nach seinem Willen fallen sollten. La Ramée wurde gänzlich geschlagen.

Vier von den Wachen waren Herrn von Beaufort gefolgt und hoben die Bälle auf. Als das Spiel vorüber war, machte sich Herr von Beaufort über die Ungeschicklichkeit La Ramées lustig und bot ihm für die Wachen zwei Louisd’or an, um mit ihren vier andern Kameraden auf seine Gesundheit zu trinken.

Die Wachen baten um die Erlaubnis hierzu, und La Ramée erteilte sie ihnen auch, aber erst für den Abend. Bis dahin mußte sich La Ramée mit wichtigen Dingen beschäftigen. Da er Gänge zu machen hatte, so wünschte er, daß man während seiner Abwesenheit den Gefangenen nicht aus dem Gesichte verliere.

Endlich schlug es sechs Uhr; obgleich man sich erst um sieben Uhr zu Tische setzen sollte, so war das Abendessen doch schon bereit und aufgetragen. Auf einem Schenktisch stand die kolossale Pastete mit dem Wappen des Herzogs, und nach der goldenen Farbe der Kruste zu urteilen, schön gar gebacken. Die übrigen Bestandteile des Mahles standen ganz im Verhältnis zu der Pastete.

Alle waren ungeduldig: die Wachen wollten trinken gehen, La Ramée wollte sich zu Tische setzen, und Herr von Beaufort wollte entweichen.

Grimaud allein blieb immer gleich geduldig. Man hätte glauben sollen, Athos habe ihn nur in der Voraussicht dieses großen Ereignisses erzogen.

Es gab Augenblicke, wo der Herzog von Beaufort, wenn er ihn anschaute, sich fragte, ob er nicht träume, und ob dieses Marmorgesicht wirklich ihm zu Dienste sei und sich im gegebenen Moment beleben würde.

La Ramée entließ die Wachen, indem er ihnen noch anempfahl, auf die Gesundheit des Prinzen zu trinken. Sobald sie weggegangen waren, schloß er die Türen, steckte die Schlüssel in seine Tasche und deutete, gegen den Prinzen gewendet, mit einer Miene aus den Tisch, die sagen wollte: Wenn es Monseigneur gefällig wäre?

Der Prinz schaute Grimaud an. Grimaud schaute die Uhr an. Es war erst ein Viertel auf sieben Uhr, die Flucht war auf sieben Uhr bestimmt. Man hatte also noch drei Viertelstunden zu warten.

Um eine Viertelstunde Zeit zu gewinnen, schützte der Prinz eine Lektüre vor, die ihn sehr anspreche, und bat, das Kapitel vollenden zu dürfen. La Ramée näherte sich und schaute ihm über die Schultern, um zu sehen, was für ein Buch so anziehend für den Prinzen sei, daß es ihn abhielt, sich zu Tische zu setzen, wenn die Mahlzeit schon aufgetragen war.

Es waren die Kommentare Cäsars, die er selbst, gegen die Befehle Chavignys, dem Prinzen vor drei Tagen verschafft hatte.

La Ramée gelobte sich, nie mehr der Gefängnisordnung zuwiderzuhandeln.

Mittlerweile öffnete er die Flaschen und roch an der Pastete.

Um halb sieben Uhr erhob sich der Prinz und sagte mit großem Ernste:

Cäsar war entschieden der größte Mann des Altertums. – Ihr findet dies, Monseigneur? sprach La Ramée. – Ja. – Nun wohl, und ich, versetzte La Ramée, ich ziehe Hannibal vor. – Und warum dies, Meister La Ramée? fragte der Herzog. – Weil er keine Kommentare hinterlassen hat, erwiderte La Ramée mit einem schweren Seufzer.

Der Herzog begriff die Anspielung, setzte sich zu Tische und bedeutete La Ramée, er möge ihm gegenüber Platz nehmen.

Der Gefreite ließ sich dies nicht zweimal sagen.

Es gibt kein so ausdrucksvolles Gesicht, wie das eines Gourmands, der sich vor einer guten Tafel befindet. Als La Ramée aus den Händen Grimauds seinen Suppenteller empfing, malte sich auf seinem Gesicht das Gefühl vollkommener Glückseligkeit. Der Herzog schaute ihn lächelnd an.

Ventre-saint-gris! La Ramse! rief er; wißt Ihr, daß ich, wenn man mir sagte, es gebe in diesem Frankreich einen glücklicheren Menschen, als Ihr, es nicht glauben würde?

Und meiner Treu‘! Ihr hättet recht, Monseigneur, sprach La Ramée; ich gestehe, daß ich Hunger habe. Ich kenne keinen lieblicheren Anblick, als eine wohlbestellte Tafel, und wenn Ihr beifügt, fuhr La Ramée fort, daß der, welcher die Honneurs dieser Tafel macht, der Enkel Heinrichs des Großen ist, so werdet Ihr begreifen, Monseigneur, daß die Ehre, die einem zu teil wird, das Vergnügen, das man genießt, verdoppelt.

Der Prinz verbeugte sich, und ein unmerkliches Lächeln erschien auf dem Antlitz Grimauds, der hinter La Ramée stand.

Mein lieber La Ramée, sprach der Herzog, in der Tat, nur Ihr versteht es, ein Kompliment zu drehen. – Nein, Monseigneur, erwiderte La Ramée aus übervollem, ehrlichem Herzen, nein, ich spreche wahrhaftig bloß, was ich denke. Es liegt kein Kompliment in dem, was ich Euch hier sage. – Also seid Ihr mir zugetan? fragte der Prinz. – Das heißt, erwiderte La Ramée, ich wäre untröstlich, wenn Eure Hoheit Vincennes verließe. – Eine sonderbare Manier, Eure Zuneigung kundzugeben. – Aber, Monseigneur, entgegnete La Ramée, was würdet Ihr außen machen? Irgend eine Tollheit, durch die Ihr Euch mit dem Hofe überwerfen würdet, brächte Euch in die Bastille, statt nach Vincennes. Herr von Chavigny ist, ich gebe es zu, nicht liebenswürdig, fuhr La Ramée, ein Glas Madeira schlürfend, fort? aber Herr du Tremblay ist noch viel schlimmer. – In der Tat? sprach der Herzog, der sich über die Wendung belustigte, die das Gespräch nahm, und von Zeit zu Zeit auf die Pendeluhr schaute, deren Zeiger mit verzweiflungsvoller Langsamkeit vorrückte. – Was wollt Ihr von dem Bruder eines in der Schule des Kardinals von Richelieu gefütterten Kapuziners mehr erwarten? Ah, Monseigneur, es ist ein großes Glück, daß die Königin, die Euch stets wohlwollte, wie ich wenigstens sagen hörte, die Idee hatte, Euch hierher zu schicken, wo es einen schönen Spaziergang, Ballspiel, gute Tafel, gute Lust gibt. – In der Tat, sprach der Herzog, wenn man Euch hört, La Ramée, bin ich sehr undankbar, daß ich einen Augenblick den Gedanken gehabt habe, mich von hier zu entfernen. – O! Monseigneur, das ist der höchste Grad von Undankbarkeit, versetzte La Ramée; aber Eure Hoheit hat wohl nie im Ernste daran gedacht. – Allerdings, sprach der Herzog, und ich muß Euch gestehen, es ist vielleicht eine Torheit, ich leugne es nicht, aber ich denke von Zeit zu Zeit noch daran. – Immer durch eines von Euren vierzig Mitteln, Monseigneur? – Gewiß, versetzte der Herzog. – Monseigneur, sagte La Ramée, da wir unsere Herzen gerade so erschließen, so nennt mir doch eines von den vierzig Mitteln, die Eure Hoheit ersonnen hat. – Gern, sprach der Herzog. Grimaud, gebt mir die Pastete. – Ich höre, sagte La Ramée, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, hob sein Glas in die Höhe und blinzelte mit dem Auge, um die untergehende Sonne durch den flüssigen Rubin zu sehen, den es enthielt.

Der Herzog warf einen Blick auf die Pendeluhr. Noch zehn Minuten, und es schlug sieben Uhr.

Grimaud stellte die Pastete vor den Prinzen, der sein Messer mit der silbernen Klinge nahm, um den Deckel abzuheben. Aber La Ramée reichte, voll Besorgnis, es könnte dem schönen Stück ein Unheil widerfahren, dem Herzog sein eigenes Messer, das eine eiserne Klinge hatte.

Ich danke, La Ramée, sprach der Herzog und griff nach dem Messer.

Nun, Monseigneur, sagte der Wächter, das ausgezeichnete Mittel?

Soll ich es Euch nennen? versetzte der Herzog, dasjenige, auf das ich am meisten rechnete, das Mittel, das ich zuerst anzuwenden entschlossen war?

Ja, gerade dieses, antwortete La Ramée.

Gut, sprach der Herzog, mit einer Hand die Pastete aufhebend und mit der andern mittelst seines Messers Kreise beschreibend. Ich hoffte vor allem zum Wächter einen braven Burschen zu haben, wie Ihr seid, Herr La Ramée.

Schön, sagte La Ramée, Ihr habt ihn, Monseigneur. Hernach?

Und ich freue mich darüber.

La Ramée verbeugte sich.

Ich sagte mir, fuhr der Prinz fort, habe ich einmal in meiner Nähe einen braven Burschen, wie La Ramée, so werde ich danach trachten, ihm durch einen Freund von mir, von dem er nicht weiß, daß ich in Verbindung mit ihm stehe, einen Menschen empfehlen zu lassen, der mir ergeben ist, und mit dem ich mich über die Vorkehrungen zu meiner Flucht verständigen kann.

Gut, gut, sagte La Ramée, gar nicht übel ersonnen.

Nicht wahr? versetzte der Prinz, zum Beispiel den Diener irgend eines braven Edelmannes, eines Feindes von Mazarin.

Still, Monseigneur, sprechen wir nicht über Politik.

Habe ich diesen Menschen bei mir, fuhr der Herzog fort, und er ist geschickt und weiß meinem Wächter Vertrauen einzuflößen, so wird dieser sich auf ihn verlassen, und ich erhalte Nachricht von außen.

Ah ja, aber wie dies, Nachricht von außen? fragte La Ramée.

O! nichts leichter, antwortete der Herzog von Beaufort, bei einer Ballpartie zum Beispiel.

Beim Ballspiel! rief La Ramée, der mit der größten Aufmerksamkeit dem Herzog zuzuhören anfing.

Ja, hört. Ich schleudere einen Ball in den Graben; es ist ein Mensch da, der ihn aufhebt. Der Ball enthält einen Brief. Statt den Ball zurückzuwerfen, um den ich ihn gebeten habe, wirft er mir einen andern zurück. Dieser Ball enthält auch einen Brief. Auf diese Art tauschen wir unsere Gedanken aus, und niemand hat etwas davon gesehen.

Teufel! Teufel! sagte La Ramée, sich hinter den Ohren kratzend, Ihr tut wohl daran, es mir zu sagen. Ich werde die Ballaufheber überwachen.

Der Herzog lächelte.

Aber, fuhr La Ramée fort, das ist am Ende doch nur ein Mittel, zu korrespondieren. – Mir scheint, das ist schon viel. – Doch noch nicht genug. – Ich bitte um Vergebung. Zum Beispiel, ich schreibe meinen Freunden: Findet Euch an dem und dem Tag, zu der und der Stunde mit zwei Reitpferden jenseits des Grabens ein. – Nun, und hernach, sagte La Ramée mit einer gewissen Unruhe, wenn diese Pferde nicht Flügel haben, um den Wall zu ersteigen und Euch abzuholen? – Ei mein Gott, erwiderte der Prinz in nachlässigem Tone, es ist nicht nötig, daß die Pferde Flügel haben, um den Wall zu ersteigen, es genügt, daß ich ein Mittel habe, um hinabzukommen. – Welches? – Eine Strickleiter. – Jawohl, versetzte La Ramée und suchte zu lachen; aber eine Strickleiter kann man nicht wie einen Brief in einem Balle schicken. – Nein, aber man schickt sie in etwas anderem. – In etwas anderem? In was denn? – In einer Pastete zum Beispiel. – In einer Pastete? – Ja; denkt Euch einmal, mein Haushofmeister Noirmont habe den Laden des Vaters Marteau gekauft. – Und dann? fragte La Ramée schaudernd. – La Ramée, ein Gourmand, erblickt seine Pasteten, findet, daß sie besser aussehen, als die seiner Vorgänger, und erbietet sich, mich davon kosten zu lassen. Ich nehme es an, unter der Bedingung, daß La Ramée mit mir davon kostet. Zu größerer Bequemlichkeit entfernt La Ramée die Wachen und behält nur Grimaud, um uns zu bedienen. Grimaud ist der Mann, den mir einer meiner Freunde gegeben hat, der treue Diener, mit dem ich mich verständige, bereit, mich in jeder Beziehung zu unterstützen. Als Augenblick meiner Flucht ist sieben Uhr bezeichnet. Einige Minuten vor sieben Uhr … – Einige Minuten vor sieben Uhr? versetzte La Ramée, dem der Schweiß auf der Stirne zu perlen anfing. – Einige Minuten vor sieben Uhr, antwortete der Herzog, die Tat mit dem Worte verbindend, nehme ich den Deckel von der Pastete ab. Ich finde darin zwei Dolche, eine Strickleiter und einen Knebel. Ich setze einen der Dolche La Ramée auf die Brust und sage zu ihm: Mein Freund, es tut mir unendlich leid, aber wenn du nur eine Gebärde wagst, wenn du den geringsten Schrei ausstößt, bist du verloren.

Der Herzog hatte, wie gesagt, seinen Worten unmittelbar die Tat folgen lassen. Er stand bei La Ramse und hielt ihm die Spitze seines Dolches mit einem Ausdruck auf die Brust, der keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit übrig ließ.

Währenddessen zog der allezeit schweigsame Grimaud aus der Pastete einen zweiten Dolch, die Strickleiter und die Maulbirne hervor.

La Ramée folgte jedem dieser Gegenstände mit wachsendem Schrecken.

O, Monseigneur! rief er und schaute den Herzog mit einem erstaunten Entsetzen an, das diesen unter allen andern Verhältnissen hätte laut auflachen lassen, Ihr seid nicht der Mann, mich zu töten. – Nein, wenn du dich nicht meiner Flucht widersetzt. – Aber Monseigneur, wenn ich Euch fliehen lasse, bin ich verloren. – Ich zahle dir den Preis deiner Stelle zurück. – Ihr seid fest entschlossen, den Turm zu verlassen? – Bei Gott! – Alles, was ich Euch zu sagen vermag, ist nicht im stände, eine Änderung in Eurem Entschluß herbeizuführen? – Ich will noch diesen Abend frei sein. – Und wenn ich mich verteidige, wenn ich rufe, wenn ich schreie? – So töte ich dich, so wahr ich ein Edelmann bin. In diesem Augenblick schlug die Uhr.

Sieben Uhr! sagte Grimaud, der noch kein Wort gesprochen hatte.

Sieben Uhr! rief der Herzog, du siehst, ich bin noch zurück.

La Ramée machte eine Bewegung, die sein Gewissen beschwichtigen sollte.

Der Herzog runzelte die Stirne, und der Gefreite fühlte, daß die Klinge des Dolches, die seine Kleider durchdrungen hatte, nun auch seine Brust durchdringen wollte.

Gut, Monseigneur, sagte er, das genügt, ich werde mich nicht rühren. – Beeilen wir uns, sprach der Herzog. – Monseigneur, eine letzte Gnade. – Welche? Sprich geschwind! – Bindet mich gut, Monseigneur. – Warum dich binden? Damit man mich nicht für Euern Schuldgenossen hält. – Die Hände, sagte Grimaud. – Nicht von vorn, von hinten. – Aber womit? sagte der Herzog. – Mit Eurem Gürtel, Monseigneur, versetzte La Ramée.

Der Herzog machte seinen Gürtel los und gab ihn Grimaud, der La Ramée auf die gewünschte Weise die Hände band.

Die Füße, sprach Grimaud.

La Ramée streckte die Beine aus. Grimaud nahm eine Serviette, zerriß sie in Streifen und band La Ramée.

Nun meinen Degen, sprach La Ramée, bindet den Griff.

Der Herzog riß seinen Hosenträger ab und erfüllte das Verlangen seines Wärters.

Jetzt die Maulbirne, sprach der arme La Ramée; ich verlange sie, denn man würde mir sonst den Prozeß machen, weil ich nicht geschrieen habe. Drückt sie hinein, Monseigneur, drückt sie hinein!

Grimaud schickte sich an, den Wunsch des Gefreiten zu erfüllen, welcher durch eine Bewegung andeutete, er habe noch etwas zu sagen.

Sprecht, rief der Herzog.

Monseigneur, antwortete La Ramée, wenn mir Euretwegen ein Unglück widerfährt, so vergeßt nicht, daß ich eine Frau und vier Kinder habe.

Sei ruhig. Stopf zu, Grimaud!

In einer Minute war La Ramée geknebelt und auf den Boden gelegt. Einige Stühle wurden umgeworfen, als hätte ein Kampf stattgefunden. Grimaud nahm aus den Taschen des Gefreiten alle Schlüssel, welche sie enthielten, öffnete zuerst die Türe des Zimmers, verschloß sie dann wieder doppelt, als sie hinausgegangen waren, und beide schlugen den Weg nach der Galerie ein, die in den kleinen Hof führte. Die drei Türen wurden hintereinander mit einer Behendigkeit geöffnet und geschlossen, die Grimaud alle Ehre machte. Endlich gelangte man auf den Ballspielplatz; er war völlig verlassen, keine Wachen, niemand am Fenster.

Der Herzog lief nach dem Walle und erblickte jenseits des Grabens drei Reiter mit zwei Handpferden. Er wechselte ein Zeichen mit ihnen: sie waren also seinetwegen da.

Inzwischen band Grimaud die Strickleiter an.

Vorwärts, sprach der Herzog.

Ich zuerst, Monseigneur? fragte Grimaud.

Allerdings, antwortete der Herzog. Wenn man mich erwischt, so wage ich nicht mehr, als das Gefängnis. Erwischt man dich, so wirst du gehenkt.

Das ist richtig, sagte Grimaud und fing sogleich das gefahrvolle Hinabsteigen an. Der Herzog sah ihm mit unwillkürlicher Bangigkeit nach; er hatte bereits drei Vierteile der Mauer hinter sich, als plötzlich der Strick zerriß … Grimaud stürzte in den Graben.

Der Herzog stieß einen Schrei aus; aber Grimaud ließ keinen Seufzer vernehmen, und dennoch mußte er schwer verwundet sein, denn er blieb auf der Stelle liegen, auf die er gefallen war.

Sogleich glitt einer der Männer, die jenseits warteten, in den Graben herab, band unter den Schultern Grimauds das Ende eines Strickes an, und die zwei andern, welche das entgegengesetzte Ende hielten, zogen Grimaud zu sich hinauf.

Steigt herab, Monseigneur! rief der Mensch, der im Graben war. Die Entfernung beträgt nicht über fünfzehn Fuß, und der Rasen ist weich.

Der Herzog war bereits am Werke. Er hatte eine schwierige Arbeit, denn durch den Bruch waren die Stützpunkte teilweise verloren gegangen; er konnte nur mit Hilfe seiner Faustgelenke herabkommen, und dies aus einer Höhe von mehr als fünfzig Fuß. Aber der Prinz war, wie gesagt, geschickt, kräftig und kaltblütig; in weniger als fünf Minuten befand er sich am Ende des Strickes. Er ließ los und fiel auf seine Füße, ohne sich zu beschädigen.

Sogleich stieg er die Böschung des Grabens hinan, auf dessen Höhe er Rochefort fand; die zwei andern Edelleute waren ihm unbekannt. Den ohnmächtigen Grimaud hatte man bereits auf ein Pferd gebunden.

Meine Herren, sprach der Prinz, ich werde Euch später danken, aber jetzt ist kein Augenblick zu verlieren. Vorwärts also, vorwärts, wer mich liebt, folge mir!

Und er schwang sich auf ein Pferd, ritt im gestreckten Galopp von dannen, atmete mit voller Brust und rief mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Freude: Frei… frei!… frei…