Zehn Minuten nachher entfernte sich die kleine Truppe durch die Rue des Bons-Enfants. Der Anblick der Stadt bot alle Merkmale großer Aufregung; zahlreiche Gruppen durchzogen die Straßen und blieben stille stehen, um die sechs Reiter mit drohenden und spöttischen Mienen vorüberziehen zu sehen. Von Zeit zu Zeit vernahm man Lärm aus der Gegend der Hallen. Flintenschüsse knallten in der Richtung der Rue Saint-Denis, und zuweilen begann plötzlich, ohne daß man wußte warum, von der Volkslaune in Bewegung gesetzt, eine Glocke zu läuten.

D’Artagnan verfolgte seinen Weg mit der Sorglosigkeit eines Mannes, auf den dergleichen Lappalien keinen Eindruck machen. Hielt sich eine Gruppe mitten in der Straße, so spornte er sein Pferd gegen sie, ohne Achtung zu rufen, und siehe da, Rebellen oder Nichtrebellen, sie schienen zu wissen, mit wem sie es zu tun hatten, sie öffneten ihre Reihen und ließen die Patrouille durchziehen. Der Kardinal beneidete ihn um diese Ruhe, die er der Gewöhnung an Gefahren zuschrieb, aber er faßte darum nicht minder für den Offizier, unter dessen Befehle er sich für den Augenblick gestellt hatte, jene Achtung, welche selbst die Klugheit dem sorglosen Mute zugesteht.

Als man sich dem Posten der Barriere des Sergens näherte, rief die Wache: Wer da? D’Artagnan antwortete und rückte, nachdem er den Kardinal um das Losungswort gefragt hatte, vor.

Dort ist Herr von Comminges, der diesen Posten befehligt, sagte d’Artagnan zu dem Kardinal.

Der Kardinal lenkte sein Pferd auf diesen Offizier zu, der mit einem anderen berittenen Offizier plauderte. D’Artagnan blieb aus Diskretion zurück.

Bravo, Guitaut, sprach der Kardinal zu dem Reiter, ich sehe, haß Ihr trotz Eurer vierundsechzig Jahre immer noch derselbe seid, immer munter, immer rüstig; was sagtet Ihr zu diesem jungen Manne?

Monseigneur, ich sagte ihm, daß der heutige Tag sehr einem aus der Zeit der Ligue gleiche, die ich in meinen Jugendjahren gesehen habe. Wißt Ihr, daß sie schon von Barrikadenbauen reden?

Und was antwortete Euch Herr von Comminges, mein lieber Guitaut?

Monseigneur, sprach Comminges, ich antwortete, zu einer Ligue fehlt heute etwas Wesentliches, nämlich ein Herzog von Guise; überdies macht man nicht zweimal das Gleiche.

Nein, aber sie werden statt einer Ligue eine Fronde machen, sagte Guitaut.

Was ist das, eine Fronde?

Monseigneur, das ist der Name, den sie ihrer Partei geben.

Und woher kommt dieser Name?

Der Rat Bachaumont soll vor einigen Tagen im Palaste gesagt haben, alle Empörer gleichen den Burschen, welche in den Gräben von Paris mit der Schleuder spielen (französisch: fronder ) und sich zerstreuen, sobald der Polizeileutnant kommt, um sich abermals zu versammeln, wenn er vorübergegangen ist. Sie haben das Wort aufgeschnappt, und nennen sich Frondeurs; heute und gestern war alles à la Fronde, das Brot, die Hüte, die Handschuhe, die Muffe, die Fächer; doch halt, hört einmal. – Man hörte ganz deutlich singen:

Ein Frondewind
Bläst frisch und munter,
Bläst Mazarin
Den Hut herunter.

Der Unverschämte! murmelte Comminges. Soll ich diesem Kerl eine Kugel zuschicken, um ihn besser singen zu lehren?

Nein, nein, rief Mazarin. Diavolo, mein lieber Freund, Ihr würdet alles verderben; es geht im Gegenteil vortrefflich. Ich kenne Eure Franzosen vom ersten bis zum letzten, wie wenn ich sie gemacht hätte: sie singen und werden bezahlen. Komm, Guitaut, komm, wir wollen nachsehen, ob man bei Quinze-Vingts ebensogut Wache hält, als an der Barriere des Sergens.

Das ist richtig, murmelte Comminges, als er ihn wegreiten sah, wenn man ihn nur bezahlt, mehr verlangt er nicht.

Man schlug wieder den Weg in die Rue Saint Honoré ein, wobei man fortwährend Gruppen auseinander sprengte. In diesen Gruppen sprach man nur von den Edikten; man beklagte den jungen König, der auf diese Art, ohne es zu wissen, sein Volk zu Grunde richtete; man warf die ganze Schuld auf Mazarin; man sprach davon, sich an den Herzog von Orleans und an den Prinzen zu wenden; man pries Blancmesnil und Broussel.

D’Artagnan ritt mitten durch diese Gruppen so sorglos, als ob er und sein Pferd von Eisen wären; Mazarin und Guitaut plauderten ganz leise miteinander; die übrigen Musketiere, die endlich den Kardinal erkannt hatten, folgten stillschweigend.

Man kam in die Rue Saint-Thomas-du-Louvre, wo der Posten der Quinze-Vingts war, und ritt, da sich hier alles ruhig verhielt, zu dem dritten Posten an der Butte Saint Roch. Diesen befehligte der Kapitän der Garden des Königs, Villequier, der dem Kardinal heftig grollte. Er hatte sich besonders zurückgesetzt gefühlt, weil Mazarin seinerzeit die Verhaftung des Herzogs von Beaufort nicht durch ihn, obwohl er der einzig Berechtigte dazu gewesen sei, sondern durch Guitaut habe ausführen lassen.

Auf Befehl Mazarins, der sich selbst zurückhielt, ritt sein Begleiter aus Villequier zu.

Ah, Ihr seid es, Guitaut, sprach dieser mit seinem gewöhnlichen übellaunigen Tone. Was zum Teufel wollt Ihr hier?

Ich komme, um Euch zu fragen, ob es hier etwas Neues gebe?

Was zum Teufel soll es hier geben? Man ruft: Es lebe der König und nieder mit Mazarin! Das ist nichts Neues: wir sind schon seit geraumer Zeit an dieses Geschrei gewöhnt.

Und Ihr macht Chorus dazu, erwiderte Guitaut lachend.

Meiner Treu, ich fühle oft große Lust in mir, und ich finde, daß sie ganz recht haben, Guitaut. Gern gäbe ich fünf Jahre von meinem Gehalt, wenn der König fünf Jahre älter wäre.

Wirklich! Und was würde geschehen, wenn der König fünf Jahre älter wäre?

Dann käme doch der Augenblick, wo der König volljährig würde und seine Befehle selbst geben müßte, und, wahrlich, es ist doch mehr Vergnügen dabei, dem Enkel Heinrichs IV., als dem Sohne des Pietro Mazarin zu gehorchen. Für den König, Mord und Hölle, ließe ich mich mit Vergnügen töten; wenn ich aber für Mazarin getötet würde, wie dies heute Eurem Neffen beinahe widerfahren wäre, so könnte kein Paradies, so schön es auch wäre, mich je darüber trösten!

Und er wandte sich auf den Fersen um und kehrte, eine Fronde-Melodie pfeifend, in die Wachtstube zurück.

Mazarin kam ganz nachdenklich in seinen Palast zurück. Was er nach und nach von Comminges, von Guitaut und von Villequier gehört hatte, bestätigte ihn in der Ansicht, daß er im Fall ernster Ereignisse niemand für sich hätte, als die Königin, und auch die Königin hatte so oft ihre Freunde verlassen, daß ihre Unterstützung dem Minister, trotz der Vorsichtsmaßregeln, die er getroffen, sehr ungewiß und zweifelhaft erschien.

Während dieses ganzen nächtlichen Rittes hafte der Kardinal einen Mann prüfend betrachtet. Dieser Mann, welcher bei dem Drohgeschrei des Volkes ganz gleichgültig geblieben war, und dessen Gesicht sich bei den Scherzen Mazarins, sowie den Anspielungen der andern nicht im mindesten verändert hatte, dieser Mensch erschien ihm ein ganz besonderes, in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft recht brauchbares Wesen.

Überdies war ihm der Name d’Artagnan nicht ganz unbekannt, und obgleich er erst gegen 1634 oder 1635, d. h. sieben oder acht Jahre nach den von uns in den Drei Musketieren, erzählten Ereignissen, nach Frankreich gekommen war, so schien es dem Kardinal doch, als hätte er von ihm als von einem Manne gehört, der sich als ein Muster von Mut, Gewandtheit und Ergebenheit bemerkbar gemacht hatte.

Dieser Gedanke bemächtigte sich seiner so sehr, daß er sich ungesäumt Licht zu verschaffen beschloß. Aber die Auskunft, die er über d’Artagnan zu erhalten wünschte, durfte er nicht von d’Artagnan selbst verlangen. An den wenigen Worten, die der Leutnant der Musketiere gesprochen hatte, erkannte der Kardinal seinen gascognischen Ursprung, und Italiener und Gascogner kennen einander zu gut und gleichen sich zu sehr, um gegenseitig an das zu glauben, was sie von sich sagen. Als er daher an den Garten des königlichen Schlosses gelangte, ersuchte er d’Artagnan, ihn im Schloßhofe zu erwarten, und machte Guitaut ein Zeichen, ihm in den Garten zu folgen.

Mein lieber Guitaut, sprach er sodann, sich auf den Arm des alten Kapitäns der Garden stützend, ich nahm Euch mit, um Euch zu fragen, ob Ihr unsern Musketierleutnant bemerkt habt? – Ich habe nicht mehr nötig gehabt, ihn zu bemerken, denn ich kenne ihn seit geraumer Zeit. – Was ist er für ein Mensch? – Wie denn? sprach Guitaut, über diese Frage erstaunt. Er ist ein Gascogner. – Ja, ich weiß das, aber ich wollte Euch fragen, ob er ein Mann sei, in den man Vertrauen setzen könne? – Herr von Treville hält große Stücke auf ihn, und Herr von Treville ist, wie Ihr wißt, einer der ergebensten Freunde der Königin. – Ich wünschte zu wissen, ob er ein Mann ist, der seine Proben bestanden hat? – Wenn Ihr darunter versteht, ob er ein braver Soldat sei, so kann ich Euch mit ja antworten. Bei der Belagerung von La Rochelle und bei Perpignan hat er, wie ich hörte, mehr als seine Pflicht getan. – Aber Ihr wißt, Guitaut, wir armen Minister bedürfen oft noch anderer Männer, als der Tapferen. Wir brauchen geschickte Leute. War Herr d’Artagnan zur Zeit des Kardinals nicht in eine Intrigue verwickelt, in der er sich dem Gerüchte zufolge mit großer Gewandtheit benommen hat? – Monseigneur, sagte Guitaut, der wohl einsah, daß ihn der Kardinal zum Sprechen bringen wollte, in dieser Beziehung sehe ich mich genötigt, Eurer Eminenz zu sagen, daß ich nicht mehr weiß, als was Ihr selbst durch öffentliche Gerüchte erfahren konntet. Ich meinerseits habe mich nie in Intriguen gemischt und bin immer nur ein Kriegsmann gewesen. Wendet Euch an irgend einen Intriganten der Zeit, von der Ihr sprecht, und Ihr werdet bekommen, was Ihr haben wollt, wohl verstanden, wenn Ihr bezahlt. – Ei, bei Gott, versetzte Mazarin mit einer Grimasse, die er unwillkürlich zu machen pflegte, wenn man bei ihm die Geldfrage im Sinne Guitauts berührte … man wird bezahlen … wenn man es nicht anders machen kann. – Fordert mich Monseigneur im Ernste auf, ihm einen Mann zu nennen, der in alle Kabalen dieser Zeit verwickelt war? – Per Bacco! versetzte Mazarin, der nachgerade ungeduldig wurde, wer ist dieser Mann? – Der Graf von Rochefort. – Der Graf von Rochefort? – Leider ist er seit bald vier oder fünf Jahren verschwunden, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. – Ich werde es erfahren, Guitaut, sprach Mazarin. Ihr glaubt also, Rochefort … – Er war der ergebenste Anhänger des Kardinals, Monseigneur. Aber ich sage Euch zum voraus, es wird Euch viel kosten, der Kardinal war verschwenderisch gegen seine Kreatur. – Ja, ja. Guitaut, sagte Mazarin, er war ein großer Mann, aber er hatte diesen Fehler; ich danke, Guitaut, ich werde Euren Rat benutzen und zwar noch diesen Abend.

Und da in diesem Augenblick die zwei Sprechenden zu dem Hof des Palais Royal gelangt waren, so grüßte der Kardinal Guitaut mit einem Zeichen der Hand und näherte sich einem Offizier, den er auf- und abgehen sah.

Es war d’Artagnan, der nach dem Befehl des Kardinals ihn erwartete.

Kommt, Herr d’Artagnan, sprach Mazarin mit seiner flötenweichsten Stimme, ich habe Euch einen Auftrag zu geben.

Der Kardinal ging in sein Zimmer, schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt, faltete es zusammen, siegelte es und sprach: Herr d’Artagnan, Ihr tragt diese Depesche in die Bastille und bringt die Person zurück, auf die sie sich bezieht. Nehmt einen Wagen und berittene Begleitung und bewacht den Gefangenen sorgfältig.

D’Artagnan nahm den Brief, legte die Hand an seinen Hut, drehte sich auf dem Absatz um, wie es nur der geschickteste Sergeant beim Vorexerzieren machen kann, ging hinaus, und einen Augenblick nachher hörte man ihn mit seinem kurzen Ton kommandieren: Vier Mann Eskorte, einen Wagen, mein Pferd!

Fünf Minuten nachher vernahm man Wagengerassel und den Hufschlag der Pferde auf dem Pflaster des Hofes.