Alle vier gingen stillschweigend bis in die Mitte des Platzes. Da aber in diesem Augenblick der Mond aus den Wolken hervortrat, dachten sie, sie könnten an dieser entblößten Stelle zu leicht gesehen werden, und zogen sich unter die Linden, wo der Schatten stärker war, zurück.

Es waren Bänke in bestimmter Entfernung voneinander aufgestellt. Athos machte ein Zeichen; d’Artagnan und Porthos setzten sich auf eine Bank, Athos und Aramis blieben vor ihnen stehen.

Nach einem kurzen verlegenen Schweigen sprach Athos: Meine Herren, ein Beweis der Macht unserer alten Freundschaft ist unsere Gegenwart an diesem Ort. Keiner hat gefehlt, keiner hat sich also einen Vorwurf zu machen.

Hört, Herr Graf, erwiderte d’Artagnan, statt uns Komplimente zu sagen, die wir vielleicht beiderseits nicht verdienen, wollen wir uns als Leute von Herz erklären.

Das ist ganz mein Wunsch, antwortete Athos. Ich weiß, daß Ihr offenherzig seid; sprecht also mit Eurer ganzen Offenherzigkeit; habt Ihr mir oder dem Herrn Abbé d’Herblay etwas vorzuwerfen?

Ja, sprach d’Artagnan. Als ich die Ehre hatte, Euch in Euerm Schlosse Bragelonne zu besuchen, überbrachte ich Euch Anträge, die Ihr wohl begriffen habt. Statt mir wie einem Freunde zu antworten, spieltet Ihr mit mir wie mit einem Kinde, und diese Freundschaft, die Ihr so sehr preist, ist nicht durch den gestrigen Zusammenstoß unserer Schwerter, sondern durch Eure Heuchelei in Eurem Schlosse gebrochen worden.

D’Artagnan! sagte Athos im Tone sanften Vorwurfs.

Ihr habt Offenherzigkeit von mir verlangt, sprach d’Artagnan, hier ist sie. Ihr fragt mich, was ich denke, ich sage es Euch. Und nun habe ich Euch, Herr Abbé d’Herblay, dasselbe zu eröffnen. Ich handelte ebenso bei Euch, und Ihr habt mich ebenfalls getäuscht.

In der Tat, mein Herr, Ihr seid seltsam, sprach Aramis. Ihr kamt zu mir, um mir Vorschläge zu machen. Aber habt Ihr mir sie auch gemacht? Nein; Ihr habt mich nur ausgeforscht, und weiter nichts. Nun, was habe ich Euch gesagt? Mazarin sei ein Knauser, und ich würde Mazarin nicht dienen. Das ist das Ganze. Sagte ich Euch, ich würde keinem andern dienen? Im Gegenteil, ich gab Euch, glaube ich, zu verstehen, daß ich dem Prinzen angehörte. Wir haben sogar, wenn ich mich nicht täusche, ganz angenehm über den sehr wahrscheinlichen Fall gescherzt, daß Ihr von dem Kardinal den Auftrag erhalten würdet, mich zu verhaften. Wart Ihr Parteimann? Ja, allerdings. Nun wohl, warum sollten wir unsererseits nicht auch Parteimänner sein? Ihr hattet Euer Geheimnis, wie wir das unsere hatten. Wir haben dieselben nicht ausgetauscht; desto besser. Das beweist, daß wir unsere Geheimnisse zu bewahren wissen.

Ich mache Euch keinen Vorwurf, mein Herr, sagte d’Artagnan; nur weil der Graf de la Fère von Freundschaft gesprochen hat, unterwerfe ich Euer Benehmen einer Prüfung.

Und was findet Ihr dabei? fragte Aramis stolz.

Das Blut stieg d’Artagnan sogleich in den Kopf; er erhob sich und antwortete: Ich finde, daß es das Benehmen eines Jesuiten-Zöglings ist.

Als Porthos d’Artagnan sich erheben sah, erhob er sich ebenfalls. Die vier Männer standen also einander aufrecht und drohend gegenüber.

Bei d’Artagnans Antwort machte Aramis eine Bewegung, als wollte er die Hand an sein Schwert legen.

Athos hielt ihn zurück und sprach: D’Artagnan, Ihr kommt heute noch ganz empört über unser gestriges Abenteuer hierher. D’Artagnan, ich hielt Euch für so hochherzig, daß eine zwanzigjährige Freundschaft bei Euch eine viertelstündige Niederlage der Eitelkeit überdauern müßte. Laßt hören, sagt: glaubt Ihr mir also etwas vorwerfen zu können? Habe ich gefehlt, so werde ich meinen Fehler gestehen.

Die ernste klangreiche Stimme von Athos übte immer noch auf d’Artagnan ihren alten Einfluß aus, während ihn Aramis‘ durch die Aufregung schrill und kreischend gewordenen Töne aufbrachten. Er antwortete daher: Ich glaube, mein Herr Graf, Ihr hättet mir in Eurem Schlosse Bragelonne eine vertrauliche Mitteilung machen sollen, und dieser Herr eine ähnliche in seinem Kloster. Ich würde mich dann nicht in ein Abenteuer eingelassen haben, wo Ihr mir den Weg versperren mußtet. Weil ich jedoch diskret war, muß man mich nicht ganz und gar für einen Dummkopf halten. Hätte ich den Unterschied zwischen den Leuten, die Herr d’Herblay auf einer Strickleiter empfängt, und denen, die er auf einer hölzernen Leiter empfängt, ergründen wollen, so würde ich ihn wohl zum Sprechen genötigt haben.

Worein mischt Ihr Euch? rief Aramis, bleich vor Zorn, weil ihm auf einmal die Ahnung aufstieg, d’Artagnan könnte ihn bespäht und mit Frau von Longueville gesehen haben.

Ich mische mich in das, was mich angeht, und gebe mir das Ansehen, als hätte ich nicht bemerkt, was mich nicht angeht. Aber ich hasse die Heuchler, und in diese Kategorie setze ich die Musketiere, welche die Abbés spielen. Und dieser Herr, fügte er, sich gegen Porthos wendend, bei, dieser Herr ist meiner Meinung.

Porthos, der noch nicht gesprochen hatte, antwortete nur mit einer Silbe und mit einer Gebärde. Er sagte: Ja! und legte die Hand an den Degen.

Aramis machte einen Sprung rückwärts und zog den seinigen. D’Artagnan beugte sich, bereit zur Verteidigung oder zum Angriff.

Nun streckte Athos mit der majestätischen Gebärde, die nur ihm eigentümlich war, die Hand aus, zog langsam den Degen aus der Scheide, zerbrach das Eisen über seinem Knie und warf die Stücke beiseite. Dann wandte er sich gegen Aramis und sagte: Zerbrecht Euern Degen.

Aramis zögerte.

Es muß sein, sprach Athos und fügte mit leiserem, sanfterem Tone bei: Ich will es.

Noch bleicher, aber dem beherrschenden Einfluß des erhabenen Geistes folgend, zerbrach Aramis in seinen Händen die biegsame Klinge, kreuzte die Arme und wartete, bebend vor Wut.

Dieser Vorgang veranlaßte d’Artagnan und Porthos, zurückzuweichen. D’Artagnan zog seinen Degen nicht, Porthos steckte den seinen wieder in die Scheide.

Nie, sprach Athos, langsam seine rechte Hand zum Himmel erhebend, nie, ich schwöre es vor Gott, der uns in dieser feierlichen Pacht hört und sieht, nie wird mein Schwert die Eurigen berühren; nie wird mein Auge einen Blick des Zornes, nie mein Herz einen Schlag des Hasses für Euch haben. Wir haben miteinander gelebt, miteinander gehaßt und geliebt. Wir haben unser Blut vergossen und vermischt, und vielleicht besteht zwischen uns ein noch mächtigeres Band, als das der Freundschaft, nämlich das Band des gemeinsamen Verbrechens; denn wir haben alle vier ein menschliches Wesen verurteilt und hingerichtet, das wir von dieser Welt auszutilgen Wohl nicht berechtigt waren, obgleich es mehr der Hölle als dieser Welt anzugehören schien. D’Artagnan, ich habe Euch immer wie einen Sohn geliebt. Porthos, wir haben zehn Jahre Seite an Seite geschlafen; Aramis ist Euer Bruder, wie der meinige, denn Aramis hat Euch geliebt, wie ich Euch noch liebe, wie ich Euch stets lieben werde. Was kann der Kardinal Mazarin für uns sein, die wir die Hand und das Herz eines Mannes wie Richelieu bezwungen haben? Was kann dieser oder jener Prinz für uns sein, die wir die Krone auf dem Haupte eines Königs befestigt haben? D’Artagnan, ich bitte Euch um Verzeihung, daß ich gestern den Degen mit Euch gekreuzt habe. Aramis tut dasselbe gegenüber Porthos. Und nun haßt mich, wenn Ihr könnt; aber ich, ich schwöre Euch, daß ich trotz Eures Hasses nur Achtung und Freundschaft für Euch haben werde. Nun, wiederholt meine Worte, Aramis, und wenn sie wollen und Ihr wollt, so verlassen wir unsere alten Freunde auf immer.

Es herrschte einen Augenblick ein feierliches Stillschweigen, das von Aramis unterbrochen wurde.

Ich schwöre, sagte er mit ruhiger Miene und redlichem Blick, aber mit einer Stimme, in der ein letztes Zittern der Ausregung nachklang, ich schwöre, daß ich keinen Haß mehr gegen die hege, die meine Freunde waren; ich schwöre, daß ich es bedaure, Euren Degen berührt zu haben, Porthos; ich schwöre endlich, daß sich nicht nur der meinige nicht mehr gegen Eure Brust wenden, sondern daß in der Tiefe meiner geheimsten Gedanken für die Zukunft nicht einmal ein Schein von feindseligen Gefühlen gegen Euch mehr übrig bleiben wird. Kommt, Athos.

Athos machte eine Bewegung, um sich zu entfernen.

O! nein, nein! geht nicht! rief d’Artagnan, hingerissen von einer unwiderstehlichen Aufwallung, welche die Wärme seines Blutes und die angeborene Rechtschaffenheit seiner Seele verriet; geht nicht, denn ich habe auch einen Eid zu leisten. Ich schwöre, daß ich den letzten Tropfen meines Blutes, den letzten Fetzen meines Fleisches geben würde, um die Achtung eines Mannes, wie Ihr, Athos, die Freundschaft eines Mannes, wie Ihr, Aramis, zu erhalten. Und er stürzte in Athos‘ Arme.

Mein Sohn! rief Athos, ihn an sein Herz drückend.

Und ich, sagte Porthos, schwöre nichts; aber ich ersticke, hol‘ mich der Teufel! Wenn ich mich gegen Euch schlagen müßte, ich glaube, ich würde mich durchbohren lassen, denn ich habe auf der ganzen Welt nur Euch geliebt. Und der ehrliche Porthos zerfloß in Tränen, während er sich Aramis in die Arme warf.

Meine Freunde, sprach Athos, das ist es, was ich erwartete, was ich von zwei Herzen wie die Eurigen hoffte; ja, ich habe es gesagt und wiederhole es, unsere Geschicke sind unwiderruflich verbunden, obgleich wir auf verschiedenen Wegen wandeln. Ich achte Eure Meinung, d’Artagnan; ich ehre Eure Überzeugung, Porthos; aber obgleich wir uns auf entgegengesetzten Seiten schlagen, bleiben wir doch Freunde. Die Minister, die Prinzen werden wie ein Strom dahingehen, der Bürgerkrieg wird wie eine Flamme erlöschen, aber wir, wir werden bleiben, das sagt mir ein Vorgefühl.

Ja, sprach d’Artagnan, seien wir stets Musketiere und behalten wir als einzige Fahne die berühmte Serviette der Bastei Saint-Gervais, auf die der große Kardinal drei Lilien sticken ließ.

Ja, sagte Aramis, Kardinalisten oder Frondeurs, was liegt uns daran? Halten wir fest an unsern ergebenen Freunden, unsern lustigen Brüdern.

Und jedesmal, rief Athos, so oft wir uns im Gefechte treffen, nehmen wir bei dem einzigen Worte: Place Royale! den Degen in die linke Hand und reichen uns die Rechte, und wäre es mitten im Blutbad! Dies ist also abgemacht, fuhr er fort. Auf, meine Herren, Eure Hand. Seid Ihr ein wenig Christen?

Bei Gott! versetzte d’Artagnan.

Wir werden es bei dieser Gelegenheit sein, um unserem Schwur treu zu bleiben, sagte Aramis.

Ah, ich bin bereit, bei allem zu schwören, was man nur will, selbst bei Mohammed! Der Teufel soll mich holen, wenn ich je so glücklich gewesen bin, als in diesem Augenblick.

Und der gute Porthos trocknete seine noch feuchten Augen.

Hat einer von Euch ein Kreuz? fragte Athos.

Porthos und d’Artagnan schauten sich an, wie Menschen, denen man mit einer ganz unerwarteten Frage kommt.

Aramis lächelte und zog aus seiner Brust ein diamantenes Kreuz, das an einer Perlenschnur an seinem Halse hing. Hier ist eines, sagte er.

Nun wohl, versetzte Athos, schwören wir auf dieses Kreuz, das trotz seines Stoffes immerhin ein Kreuz ist, schwören wir, unter allen Umständen und immer einig zu sein, und möchte dieser Schwur nicht nur uns allein, sondern auch unsere Nachkommen binden. Ist dieser Eid Euch genehm?

Ja, antworteten sie einstimmig.

Ah! Verräter, flüsterte d’Artagnan ganz leise Aramis ins Ohr, Ihr habt uns auf das Kruzifix einer Frondeuse schwören lassen.