Sie ritten in gleicher Eile durch das ganze Faubourg Saint-Antoine und den Weg nach Vincennes entlang. Bald befanden sie sich außerhalb der Stadt, bald im Walde, bald im Angesichte des Dorfes.

Die Pferde schienen sich bei jedem Schritt immer mehr zu beleben, und ihre Nüstern fingen an, rot zu werden, wie glühende Öfen. D’Artagnan, der seinem Pferd beständig die Sporen eindrückte, war höchstens zwei Fuß vor Porthos voraus. Mousqueton folgte auf zwei Pferdelängen, die Garden ritten in einer Entfernung je nach der Tüchtigkeit ihrer Tiere.

Von einer Anhöhe herab erblickte d’Artagnan eine Gruppe von Personen, die auf der andern Seite des Grabens standen, vor dem Teile des Turmes, der eine Aussicht nach Saint-Maur bot. Er sagte sich, daß der Gefangene in dieser Richtung entflohen sei, und daß er hier Auskunft erhalten würde. In fünf Minuten gelangte er zu diesem Punkte, wo ihn nach und nach die Garden wieder einholten.

Die Menschen, welche die erwähnte Gruppe bildeten, waren sehr geschäftig. Sie betrachteten die nahe an der Schießscharte hängende und zwanzig Fuß vom Boden abgebrochene Strickleiter; sie maßen mit ihren Augen die Höhe und tauschten allerlei Vermutungen aus. Oben auf dem Walle gingen Wachen mit bestürzter Miene auf und ab.

Ein Posten von Soldaten, von einem Sergeanten befehligt, entfernte die Bürger von der Stelle, wo der Herzog zu Pferde gestiegen war.

D’Artagnan ritt gerade auf den Sergeanten zu.

Mein Offizier, sprach der Sergeant, man darf sich nicht hier aufhalten. – Dieser Befehl ist nicht für mich, erwiderte d’Artagnan. Hat man die Flüchtlinge verfolgt? – Ja, mein Offizier; aber leider sind sie gut beritten. – Wie viele sind es? – Vier Gesunde und ein Fünfter, den sie verwundet mitgenommen haben. – Vier! sprach d’Artagnan und schaute dabei Porthos an. Hört Ihr, Baron, es sind ihrer nur vier.

Ein freundliches Lächeln erleuchtete Porthos‘ Antlitz.

Und wieviel haben sie Vorsprung? – Zwei und eine Viertelstunde, mein Offizier. – Zwei und eine Viertelstunde? das ist nichts. Wir sind gut beritten, nicht wahr. Porthos?

Porthos stieß einen Seufzer aus; er dachte an das, was seiner armen Pferde harrte.

Sehr gut, sagte d’Artagnan; und nun sprecht, in welcher Richtung sind sie weggeritten?

Was das betrifft, mein Offizier, so hat man verboten, es zu sagen.

D’Artagnan zog aus seiner Tasche ein Papier und erwiderte:

Befehl des Königs! – Dann sprecht mit dem Gouverneur. – Und wo ist der Gouverneur? – Im Felde.

Der Zorn stieg d’Artagnan ins Gesicht, seine Stirne faltete sich; seine Schläfe wurden blutrot.

Ha, Elender! sagte er zu dem Sergeanten.

Er öffnete das Papier, bot es mit einer Hand dem Sergeanten und nahm mit der andern aus seinen Halftern eine Pistole, die er spannte.

Befehl des Königs, sage ich dir. Lies und antworte, oder ich schieße dich über den Haufen. Welchen Weg haben sie eingeschlagen?

Der Sergeant sah, daß d’Artagnan ernsthaft sprach.

Straße nach Vendome, antwortete er.

Und durch welches Tor sind sie entflohen?

Durch das Tor von Saint-Maur.

Wenn du mich täuschest, Elender, sprach d’Artagnan, so wirst du morgen gehenkt.

Und wenn Ihr sie einholt, so kommt Ihr nicht wieder, um mich hängen zu lassen.

D’Artagnan zuckte die Achseln, machte seiner Eskorte ein Zeichen und ritt weiter.

Hier durch, meine Herren, hier durch, rief er und wandte sich nach dem Tor des bezeichneten Parkes.

Aber nun, da der Herzog entkommen war, hatte es der Torwächter für geeignet erachtet, das Tor doppelt zu verschließen. Man mußte ihn zwingen, es zu öffnen, wie man den Sergeanten gezwungen hatte, und dadurch gingen wieder zehn Minuten verloren.

Als das letzte Hindernis überwunden war, setzte die Truppe ihren Ritt mit derselben Geschwindigkeit fort. Doch nicht alle Pferde bewährten sich gleich gut; einige konnten den zügellosen Lauf nicht lange aushalten. Drei hielten nach einer Stunde inne; eines fiel.

D’Artagnan, der den Kopf nicht umwandte, bemerkte es nicht einmal. Porthos sagte es ihm mit ruhiger Miene.

Wenn wir nur zu zwei ankommen, erwiderte d’Artagnan, das genügt, da sie nur zu vier sind.

Das ist wahr, sprach Porthos. Und er stieß seinem Pferde wieder die Sporen in den Bauch.

Nach zwei Stunden hatten die Pferde zwölf Meilen, ohne anzuhalten, zurückgelegt. Ihre Beine fingen an zu zittern, und der Schaum, den sie schnaubten, befleckte die Wämser der Reiter, während der Schweiß durch ihre Hosen drang.

Ruhen wir einen Augenblick, um die unglücklichen Tiere Atem holen zu lassen, sagte Porthos.

Nein, reiten wir sie zu Tode, rief d’Artagnan, und erreichen so das Ziel. Ich sehe frische Spuren; erst vor einer Viertelstunde sind sie hier vorübergekommen.

Die Oberfläche der Straße war wirklich von Pferdehufen zerstampft, wie man bei den letzten Strahlen der Sonne bemerkte.

Sie setzten sich wieder in Marsch; aber nach zwei Meilen stürzte das Pferd Mousquetons.

Gut! sprach Porthos, Phöbus ist verloren. – Der Kardinal wird ihn mit tausend Pistolen bezahlen. – O, rief Porthos, darüber bin ich weg. – Reiten wir vorwärts und das im Galopp, – ja, wenn wir können.

D’Artagnans Pferd weigerte sich tatsächlich, weiterzugehen; es atmete nicht mehr. Ein letzter Spornstreich ließ es zusammenbrechen.

Ah, Teufel, sagte Porthos, Vulkan ist verschlagen.

Mord und Teufel! schrie d’Artagnan und faßte sich mit der Faust bei den Haaren. Man soll also hier stille halten! Gebt mir Euer Pferd, Porthos. Doch, was zum Teufel macht Ihr?

Bei Gott! ich falle, erwiderte Porthos, oder vielmehr Bayard bricht zusammen.

D’Artagnan wollte das Pferd zum Aufstehen bringen, während sich Porthos, so gut er konnte, aus den Steigbügeln zog; aber er bemerkte, daß dem Tiere das Blut aus den Nüstern schoß.

Drei sind hin! sagte er. Nun ist alles vorbei!

In diesem Augenblick ließ sich ein Wiehern vernehmen.

Stille! sprach d’Artagnan. – Was gibt es? – Ich höre ein Pferd. – Es ist das eines unserer Kameraden, die uns einzuholen suchen. – Nein, versetzte d’Artagnan, es ist voraus. – Dann ist es etwas anderes, sprach Porthos, und er horchte ebenfalls, das Ohr in der von d’Artagnan angegebenen Richtung vorstreckend.

Gnädiger Herr, sagte Mousqueton, der, nachdem er sein Pferd auf der Straße zurückgelassen hatte, seinen Herrn zu Fuß einholte, gnädiger Herr, Phöbus konnte nicht wieder stehen, und…

Stille doch, versetzte Porthos.

In diesem Augenblick drang wirklich ein zweites Gewieher, von dem Nachtwind herbeigetragen, zu der kleinen Gruppe.

Es ist fünfhundert Schritte von hier! Vorwärts! rief d’Artagnan. – In der Tat, gnädiger Herr, sagte Mousqueton, fünfhundert Schritte von uns liegt ein kleines Jägerhaus. – Mousqueton, deine Pistolen! – Ich habe sie in der Hand. – Porthos, nehmt die Eurigen aus Euern Halftern. – Ich habe sie. – Gut, sprach d’Artagnan, indem ei ebenfalls nach den seinigen griff. – Ihr versteht nun Porthos? – Nicht ganz. – Wir reisen im Dienste des Königs. – Nun? – Für den Dienst des Königs verlangen wir diese Pferde. – So ist es, sprach Porthos. – Darum kein Wort mehr und ans Werk!

Alle drei rückten in der Nacht schweigsam wie Gespenster vor. An einer Wendung der Straße sahen sie ein Licht mitten unter Bäumen glänzen.

Hier ist das Hans, sprach d’Artagnan ganz leise; laßt mich gewähren, Porthos, und macht es mir nach.

Sie schlichen von Baum zu Baum und gelangten, ohne gesehen zu werden, bis auf zwanzig Schritte zu dem Hause. In dieser Entfernung erblickten sie beim Scheine einer unter einem Schuppen hängenden Laterne vier stattliche Pferde. Ein Knecht striegelte sie. Neben ihm lagen ihre Sättel und Zäume.

D’Artagnan näherte sich rasch und machte dabei seinen zwei Gefährten ein Zeichen, sich einige Schritte hinter ihm zu halten.

Ich kaufe diese Pferde, sagte er zu dem Knecht.

Dieser wandte sich erstaunt um, jedoch ohne etwas zu sprechen.

Hast du nicht gehört, Bursche? versetzte d’Artagnan. – Allerdings, erwiderte er. – Warum antwortest du nicht? – Weil diese Pferde nicht zu verkaufen find. – Dann nehme ich sie. Und er legte die Hand an das, welches in seinem Bereiche war. Seine Gefährten erschienen in diesem Augenblick und taten dasselbe.

Aber, meine Herren, rief der Lakai, sie haben eine Strecke von sechs Meilen zurückgelegt und sind kaum eine halbe Stunde abgesattelt.

Eine halbe Stunde Ruhe genügt, versetzte d’Artagnan, und sie sind dann nur um so besser im Atem.

Der Knecht rief um Hilfe.

Eine Art von Verwalter kam gerade in dem Augenblick heraus, wo d’Artagnan und seine Genossen den Pferden die Sättel auf den Rücken legten.

Der Verwalter wollte Lärm machen.

Mein lieber Freund, sagte d’Artagnan, wenn Ihr ein Wort sprecht, schieße ich Euch zusammen.

Und er zeigte ihm den Lauf einer Pistole, die er sogleich wieder unter seinen Arm steckte, um sein Geschäft fortzusetzen.

Aber mein Herr, sagte der Verwalter, wißt Ihr, daß diese Pferde dem Herrn von Montbazon gehören?

Desto besser, erwiderte d’Artagnan, es müssen gute Tiere sein!

Herr, sprach der Verwalter, während er Schritt für Schritt zurückwich und die Tür zu erreichen suchte, ich sage Euch, daß ich meine Leute rufe.

Und ich die meinigen, antwortete d’Artagnan, ich bin Leutnant bei den Musketieren des Königs, habe zehn Wachen, die mir folgen, und Ihr … holt … hört Ihr sie galoppieren? Wir wollen doch sehen! Seid Ihr fertig. Porthos? fuhr er fort. – Ich bin fertig. – Und Ihr, Mouston? – Ich auch. – Dann zu Pferde und vorwärts!

Alle drei schwangen sich auf ihre Rosse.

Herbei! rief der Verwalter. Herbei, Bediente, und die Karabiner heraus!

Vorwärts! sprach d’Artagnan; es könnte hier Musketenfeuer geben.

Und alle drei ritten wie der Wind davon.

Zu Hilfe! brüllte der Verwalter, während der Knecht nach dem benachbarten Hause lief.

Hütet Euch, Eure Pferde zu töten! rief d’Artagnan und brach in ein schallendes Gelächter aus.

Feuer! antwortete der Verwalter.

Ein Schimmer, dem eines Blitzes ähnlich, beleuchtete den Weg, und zu gleicher Zeit mit dem Knalle hörten die drei Reiter die Kugeln Pfeifen, welche sich in der Luft verloren.

Sie schießen wie Bedientenvolk, sagte Porthos; zur Zeit des Kardinals von Richelieu schoß man besser. Erinnert Ihr Euch der Straße nach Grevecoeur, Mousqueton? – Ja, gnädiger Herr, die rechte Hinterbacke tut mir noch weh.

– Wißt Ihr gewiß, daß wir auf der Spur sind, d’Artagnan? fragte Porthos. – Bei Gott! habt Ihr denn nicht gehört? Was? – Daß diese Pferde Herrn von Montbazon gehören?

– Nun! Herr von Montbazon ist der Gatte der Frau von Montzabon. – Weiter? – Und Frau von Montzabon ist die Geliebte des Herrn von Beaufort. – Ah, ich? begreife, sagte Porthos, sie hatte Relais gelegt. – Richtig. – Und wir eilen dem Herzog mit den Pferden nach, die er zurückgelassen hat. – Mein lieber Porthos, Ihr besitzt wirklich einen erhabenen Verstand, sprach d’Artagnan mit seiner halb süßen, halb sauren Miene. – Bah! sagte Porthos, wie ich bin, so bin ich.

So ritt man eine Stunde, die Pferde waren weiß vom Schaum, und das Blut floß ihnen vom Bauch.

He! was habe ich da unten gesehen? sagte d’Artagnan. – Ihr seid sehr glücklich, wenn Ihr in einer solchen Nacht etwas seht! versetzte Porthos. – Funken! – Ich habe sie auch gesehen, sprach Mousqueton. – Ah, ah! sollten wir sie eingeholt haben? – Gut, ein totes Pferd, sagte d’Artagnan, indem er sein Roß von einer Wendung zurücklenkte, die es gemacht hatte. Es scheint, sie sind auch mit ihrem Atem zu Ende. – Es kommt mir vor, als hörte ich das Geräusch einer Truppe von Reitern, sprach Porthos, auf die Mähne seines Pferdes vorgebeugt. – Unmöglich; sie sind zahlreich. Dann ist es etwas anderes. – Noch ein Pferd, sagte Porthos. – Tot? – Nein, verendend. – Gesattelt oder abgesattelt? – Gesattelt. – Dann sind sie es! – Mut! Wir haben sie! – Aber sie sind zahlreich, sprach Mousqueton. Wir haben sie nicht, sondern sie haben uns. – Bah, versetzte d’Artagnan, sie werden uns für stärker halten, da wir sie verfolgen; dann werden sie Furcht bekommen, und wir werden sie zerstreuen. – Das ist sicher, sagte Porthos. –, Ah! seht Ihr! rief d’Artagnan. – Ja, abermals Funken. Diesmal habe ich sie auch wahrgenommen, sprach Porthos. – Vorwärts, vorwärts! sagte d’Artagnan mit seiner scharfen Stimme, und in fünf Minuten werden wir lachen.

Und sie jagten abermals fort. Wütend vor Schmerz, flogen die Pferde auf der finstern Landstraße hin, auf deren Mitte man eine Masse, düsterer, dunkler, als der übrige Horizont, zu erblicken anfing.