D’Artagnan nahm in Blois die Summe in Empfang, die Mazarin, in dem Verlangen, ihn wieder bei sich zu sehen, ihm für seine zukünftigen Dienste zu geben sich entschlossen hatte.

Von Blois nach Paris waren es vier Tagereisen für einen gewöhnlichen Reiter. D’Artagnan langte um vier Uhr nachmittags am dritten Tage vor der Barrière Saint-Denis an. In früheren Zeiten hätte er nur zwei gebraucht. Wir haben bereits gesehen, daß Athos drei Stunden nach ihm abgereist, aber vierundzwanzig Stunden vor ihm angekommen war.

Planchet hatte die Gewohnheit scharfer Ritte verloren, d’Artagnan machte ihm seine Weichlichkeit zum Vorwurf.

Ei, Herr, vierzig Meilen in drei Tagen, ich finde, das ist sehr anständig für einen Menschen, der mit gerösteten Mandeln handelt.

Bist du wirklich Kaufmann geworden, Planchet, und gedenkst du im Ernste, jetzt, da wir uns wiedergefunden haben, in deinem Laden fortzuvegetieren?

Ach, versetzte Planchet, Ihr allein seid für ein tätiges Leben geschaffen. Seht Herrn Athos an; wer würde in ihm den abenteuerlichen Rittersmann wiedererkennen? Er lebt jetzt als wahrer Landedelmann, als wahrer Herrenbauer. Gnädiger Herr, es gibt in der Tat nichts Wünschenswerteres, als ein ruhiges Dasein.

Heuchler, sprach d’Artagnan, man sieht wohl, daß du dich Paris näherst, und daß es in Paris für dich einen Galgen und einen Strick gibt.

Als sie jetzt in Paris einritten, drückte Planchet seinen Hut ins Gesicht, da er durch Straßen ziehen sollte, wo er sehr bekannt war, und d’Artagnan strich seinen Bart in die Höhe.

Sie bogen in die Rue Tiquetonne, wo Porthos in der Rehziege des Freundes harren sollte. Der Herr von Bracienx, der gelangweilt zum Fenster hinausschaute, bemerkte auch die beiden Reiter sofort und stand augenblicks auf der Schwelle des Gasthauses.

Ah, mein Freund, sagte er, wie schlecht haben’s meine Pferde hier!

In der Tat! versetzte d’Artagnan, es tut mir unendlich leid um diese schönen Tiere.

Und ich auch, sprach Porthos, ich habe es auch schlecht hier, und wäre nicht die Wirtin, fuhr er, sich mit seiner selbstzufriedenen Miene auf den Beinen wiegend, fort, die ziemlich zuvorkommend ist und einen Spaß versteht, so würde ich anderswo ein Lager gesucht haben.

Die schöne Madeleine, die sich während dieses Gespräches genähert hatte, machte einen Schritt rückwärts und wurde bleich wie der Tod, als sie Porthos‘ Worte hörte. Sie glaubte, die Scene mit dem Schweizer würde sich wiederholen; aber zu ihrem großen Erstaunen änderte d’Artagnan keine Miene und sagte, statt sich zu ärgern, lachend zu Porthos:

Ja, ich begreife, lieber Freund, die Luft der Rue Tiquetonne ist nicht so gut wie die im Tale von Pierrefonds. Aber beruhigt Euch, Ihr sollt eine bessere bekommen. – Wann dies? – Meiner Treu bald, hoffe ich. – Ah, desto besser!

Mein lieber Du Vallon, da Ihr in voller Kleidung seid, so führe ich Euch auf der Stelle zum Kardinal. – Bah! wirklich? fragte Porthos, die Augen weit aufreißend. – Ja, mein Freund. – Eine Vorstellung? – Erschreckt Euch das? – Nein, aber es bringt mich in Verwirrung. – O! seid unbesorgt, Ihr habt es nicht mehr mit dem früheren Kardinal zu tun, und dieser wird Euch nicht durch seine Majestät niederschmettern. – Gleichviel, Ihr begreift, d’Artagnan, der Hof! – Ei, mein Freund, es gibt keinen Hof mehr. – Die Königin! – Ich wollte sagen, es gibt keine Königin mehr. Die Königin? Beruhigt Euch, wir werden sie nicht sehen. – Und Ihr sagt, wir gehen auf der Stelle ins Palais Royal? – Auf der Stelle. Nur werde ich, um nicht zögern zu müssen, eines von Euern Pferden entlehnen. – Nach Belieben, sie stehen Euch alle vier zu Diensten. – Ah, ich bedarf in diesem Augenblick nur eines. – Nehmen wir unsere Bedienten nicht mit? – Ja, nehmt Mousqueton, das wird nicht übel sein. Planchet hat seine Gründe, nicht an den Hof zu gehen. – Mouston, sprach Porthos – seit der Erhöhung Porthos‘ zum Großgrundbesitzer, die diesen veranlaßt hatte, seinen Namen ungewöhnlich zu verlängern. hatte Mousqueton den seinen durch Kürze verfeinert – sattelt Vulkan und Bayard!

Ihr habt recht, fuhr Porthos fort, der mit Wohlgefallen seinem alten Diener nachschaute; Ihr habt recht, d’Artagnan, Mouston genügt, Mouston sieht hübsch aus.

D’Artagnan lächelte.

Und Ihr? sagte Porthos, kleidet Ihr Euch nicht um? –

Nein, ich bleibe, wie ich bin. – Aber Ihr seid mit Schweiß und Staub überzogen, und Eure Stiefel sind ganz schmutzig. – Dieses Reisenegligé wird zum Beweis für den Eifer dienen, mit dem ich dem Befehle des Kardinals Folge leistete.

In diesem Augenblick kam Mousqueton mit den drei Pferden zurück. D’Artagnan schwang sich in den Sattel, als ob er seit drei Tagen ausgeruht hätte.

Sie entfernten sich rasch und gelangten gegen ein Viertel auf acht Uhr zu dem Palais-Kardinal. Eine Menge von Menschen trieb sich in den Straßen umher, denn es war gerade das Pfingstfest. Und diese Menge sah mit Erstaunen die zwei Kavaliere vorüberziehen, von denen der eine so frisch aussah, als käme er aus einer Kleiderhandlung, und der andere so bestaubt, als kehre er unmittelbar vom Schlachtfeld zurück. Mousqueton zog ebenfalls die Blicke der Müßiggänger auf sich, und da der Roman Don Quixote damals sehr viel gelesen wurde, so sagten einige, er sei Sancho Pansa, der, nachdem er einen Herrn verloren, zwei gefunden habe.

Als sie in das Vorzimmer gelangten, fand sich d’Artagnan wieder im bekannten Lande. Musketiere von seiner Kompagnie hielten gerade Wache. Er ließ den Huissier rufen und zeigte ihm den Brief des Kardinals, der ihm einschärfte, unverzüglich zurückzukehren. Der Huissier verbeugte sich und trat bei Seiner Eminenz ein.

D’Artagnan wandte sich gegen Porthos um und glaubte ein leichtes Zittern an ihm wahrzunehmen. Er lächelte, näherte sich seinem Ohr und sagte zu ihm:

Guten Mut, mein braver Freund, laßt Euch nicht einschüchtern; glaubt mir, das Auge des Adlers ist geschossen, und wir haben es nur mit einem einfachen Reiher zu tun. Haltet Euch aufrecht, wie damals in der Bastei Saint-Gervais, und verbeugt Euch nicht zu tief vor diesem Italiener; das würde ihm einen armseligen Begriff von Euch geben.

Gut, gut, antwortete Porthos.

Der Huissier erschien wieder und sagte: Tretet ein, meine Herren, seine Eminenz erwartet Euch.

Mazarin war dabei, so viele Namen als immer möglich von einer Pensions- und Unterstützungsliste zu streichen. Er sah aus einem Winkel seines Auges d’Artagnan und Porthos eintreten, und obgleich sein Blick bei der Meldung des Huissiers gefunkelt hatte, so schien er doch nicht im geringsten bewegt.

Ah, Ihr seid es, mein Herr Leutnant? sagte er. Ihr habt Euch beeilt; gut, seid willkommen.

Ich danke, Monseigneur. Ich bin hier auf Befehl Eurer Eminenz, und ebenso Herr Du Ballon, einer von meinen ehemaligen Freunden, der seinen Adel unter dem Namen Porthos verbarg.

Porthos verbeugte sich vor dem Kardinal.

Ein herrlicher Kavalier, sprach Mazarin.

Porthos drehte den Kopf rechts und links und machte Schulterbewegungen voll Würde.

Der beste Degen des Königreichs, Monseigneur, sprach d’Artagnan. Dies wissen viele Leute, die es nicht sagen und nicht sagen können.

Porthos verbeugte sich vor d’Artagnan.

Mazarin liebte die schönen Soldaten beinahe ebensosehr, wie später der König Friedrich von Preußen. Er bewunderte die nervigen Hände, die breiten Schultern und das feste Auge von Porthos. Es kam ihm vor, als hätte er das Heil seines Ministeriums und des Königreichs aus Fleisch und Knochen geschnitten vor sich.

Und Eure zwei anderen Freunde? sagte er.

Porthos öffnete den Mund, denn er glaubte, es sei für ihn jetzt Zeit, auch ein Wort anzubringen. D’Artagnan machte ihm aus dem Augenwinkel ein Zeichen.

Unsere anderen Freunde sind in diesem Augenblick verhindert, sie werden später mit uns zusammentreffen.

Mazarin hustete leicht.

Und dieser Herr ist wohl freier als sie und tritt gerne wieder in den Dienst? fragte Mazarin. – Ja, Monseigneur, und zwar aus reiner Ergebenheit, denn Herr de Bracieux ist reich. – Reich? sagte Mazarin, dem dieses einzige Wort stets große Achtung einflößte. – Fünfzigtausend Livres Renten, sagte Porthos.

Dies war das erste Wort, das er aussprach.

Aus reiner Ergebenheit, versetzte Mazarin mit seinem feinen Lächeln, aus reiner Ergebenheit? – Monseigneur glaubt vielleicht nicht recht an dieses Wort? fragte d’Artagnan. – Und Ihr, Herr Gascogner? sagt Mazarin, seine Ellenbogen auf seinen Schreibtisch und sein Kinn aus seine zwei Hände stützend. – Ich, erwiderte d’Artagnan, glaube an die Ergebenheit, wie z. B. an einen Taufnamen, auf den natürlich ein irdischer Name folgen muß. Es gibt ja mehr oder minder ergebene Naturen; aber am Ende jeder Ergebenheit muß immer irgend etwas sein. – Und Euer Freund, was würde er am Ende seiner Ergebenheit wünschen? – Monseigneur, mein Freund hat drei herrliche Güter. Er wünschte nun, Monseigneur, daß eines von diesen drei Gütern zu einer Baronie erhoben würde. – Weiter nichts? sagte Mazarin, dessen Augen vor Freude glänzten, als er sah, daß er Porthos‘ Ergebenheit belohnen konnte, ohne die Börse zu öffnen. Weiter nichts? Die Sache wird sich machen lassen. – Ich werde Baron! rief Porthos und tat einen Schritt vorwärts. – Ich habe es Euch gesagt, versetzte d’Artagnan, indem er ihn bei der Hand zurückhielt, und Monseigneur wiederholt es Euch. – Und Ihr, Herr d’Artagnan, was wünscht Ihr? – Monseigneur, sprach d’Artagnan, im September sind es zwanzig Jahre, daß mich der Herr Kardinal von Richelieu zum Leutnant bei den Musketieren gemacht hat. – Und Ihr wollt, daß Euch der Kardinal Mazarin zum Kapitän mache?

D’Artagnan verbeugte sich.

Nun wohl, dies ist nicht unmöglich. Man wird sehen, meine Herren, man wird sehen. Sagt nun, Herr Du Ballon, sprach Mazarin, welchen Dienst zieht Ihr vor? den in der Stadt? den im Felde?

Porthos öffnete den Mund, um zu antworten.

Monseigneur, sagte d’Artagnan, Herr Du Ballon ist wie ich, er liebt den außerordentlichen Dienst, d. h. die Unternehmungen, welche man für tollkühn und unmöglich hält.

Diese Gasconnade mißfiel Mazarin nicht.

Ich muß aber gestehen, ich habe Euch kommen lassen, um Euch einen sitzenden Posten zu geben. Ich hege eine gewisse Unruhe. Aber was ist das? sprach Mazarin.

Man vernahm in der Tat einen gewaltigen Lärm im Vorzimmer; beinahe zu gleicher Zeit öffnete sich die Türe des Kabinetts, und ein mit Staub bedeckter Mann stürzte herein und schrie:

Herr Kardinal! Wo ist der Herr Kardinal?

Mazarin glaubte, man wolle ihn ermorden, und mich, seinen Stuhl vor sich schiebend, zurück. D’Artagnan und Porthos machten eine schnelle Bewegung, die sie zwischen den Eindringling und den Kardinal brachte.

Ei, mein Herr, sagte der Kardinal, was gibt es denn, daß Ihr hier eintretet, wie in die Hallen?

Monseigneur, erwiderte der Offizier, an welchen dieser Vorwurf gerichtet war, ich wünschte Euch sogleich und insgeheim zu sprechen. Ich bin Herr de Poms, Offizier bei den Wachen im Dienste des Gefängnisses von Vincennes.

Der Offizier war so bleich, so entstellt, daß Mazarin, überzeugt, den Überbringer einer wichtigen Nachricht vor sich zu sehen, d’Artagnan und Porthos durch ein Zeichen bedeutete, sie sollten dem Boten Platz machen.

D’Artagnan und Porthos zogen sich in einen Winkel des Kabinetts zurück.

Sprecht, mein Herr, sprecht geschwind, sagte Mazarin, was gibt es? – Monseigneur, antwortete der Bote, Herr von Beaufort ist soeben aus dem Schlosse Vincennes entwichen.

Mazarin stieß einen Schrei aus und wurde noch bleicher, als der Überbringer der Nachricht. Er fiel wie vernichtet in seinen Lehnstuhl zurück.

Entwichen! sagte er, Herr von Beaufort entwichen? – Monseigneur, ich habe ihn von der Terrasse herab entfliehen sehen. – Und Ihr habt nicht auf ihn schießen lassen? – Er war außerhalb der Schußweite. – Aber was tat Herr von Chavigny? – Er war abwesend. – Und La Ramée? – Man fand ihn gebunden im Zimmer des Gefangenen, einen Knebel in seinem Munde und einen Dolch neben ihm. – Aber der Mensch, den er sich beigegeben hatte? – Er war ein Genosse des Herzogs und entsprang mit ihm.

Mazarin stieß einen Seufzer aus.

Monseigneur, sagte d’Artagnan und machte einen Schritt gegen den Kardinal. – Was? fragte Mazarin. – Es scheint mir, Eure Eminenz verliert eine kostbare Zeit. – Wieso? – Wenn Eure Eminenz Befehl erteilte, dem Gefangenen nachzusetzen, so könnte man ihn vielleicht noch einholen. Frankreich ist groß und die nächste Grenze sechzig Meilen entfernt. – Und wer wird ihm nachsetzen? rief Mazarin. – Ich, bei Gott! – Und Ihr würdet ihn festnehmen? – Warum nicht? – Ihr würdet den Herzog im Felde bewaffnet festnehmen? – Wenn Monseigneur mir Befehl erteilte, den Teufel zu verhaften, so faßte ich ihn bei den Hörnern und führte ihn hierher. – Ich auch, sprach Porthos. – Ihr auch? versetzte Mazarin und schaute die zwei Männer voll Anstaunen an. Aber der Herzog wird sich nicht ohne blutigen Kampf ergeben? – Es sei! rief d’Artagnan, dessen Augen sich entflammten. Zur Schlacht! Wir haben uns seit langer Zeit nicht mehr geschlagen? nicht wahr. Porthos? – Zum Kampfe! sprach Porthos. – Und Ihr glaubt, Ihr könnt ihn wieder einholen? – Ja, wenn wir besser beritten sind, als er. – Dann nehmt, was Ihr von Wachen hier findet, und eilt ihm nach. – Ihr befehlt es, Monseigneur? – Ich unterzeichne, sprach Mazarin, nahm ein Papier und schrieb einige Zeilen. – Fügt bei, Monseigneur, daß wir alle Pferde nehmen können, die wir auf dem Wege treffen. – Ja, ja, sagte Mazarin, Dienst des Königs. Nehmt und eilt! – Gut, Monseigneur. – Herr Du Vallon, fügte Mazarin bei, Eure Baronie sitzt hinter dem Herzog von Beaufort auf dem Rosse; Ihr braucht ihn nur zu fassen. Was Euch betrifft, mein lieber d’Artagnan, Euch verspreche ich nichts, aber wenn Ihr ihn tot oder lebendig zurückbringt, so mögt Ihr fordern, was Ihr haben wollt. – Zu Pferde, Porthos! rief d’Artagnan und faßte seinen Freund bei der Hand. – Hier, antwortete Porthos mit erhabener Kaltblütigkeit.

Und sie stiegen die große Treppe hinab, nahmen die Wachen mit, die sie auf ihrem Wege fanden, es waren etwa zehn Mann, und riefen: Zu Pferd! Zu Pferd!

D’Artagnan und Porthos schwangen sich, der eine auf Vulcan, der andere auf Bayard, Mousqueton setzte sich auf Phöbus.

Folgt mir, rief d’Artagnan.

Marsch, sprach Porthos.

Und sie stießen die Sporen in die Flanken ihrer edlen Renner, und diese flogen wie der Sturmwind durch die Rue Saint-Honors.

Nun, Herr Baron, ich hatte Euch Leibesübung versprochen, Ihr seht, daß ich Wort halte.

Ja, mein Kapitän, antwortete Porthos.

Sie wandten sich um; Mousqueton hielt sich, mehr schwitzend als sein Pferd, in schuldiger Entfernung. Hinter Mousqueton galoppierten die zehn Garden. Erstaunt traten die Bewohner der anliegenden Häuser auf die Türschwellen, und aufgejagte Hunde folgten bellend den Reitern.

An der Ecke des Saint-Jean-Kirchhofes warf d’Artagnan einen Mann nieder, aber es war dies ein zu geringfügiges Ereignis, um Leute, die so große Eile hatten, aufzuhalten. Die galoppierende Truppe setzte ihren Weg fort, als hätten ihre Pferde Flügel.

Ach! nichts auf der Welt ist geringfügig, und wir werden sehen, daß durch diesen scheinbar nichtsbedeutenden Unfall beinahe die Monarchie verloren gegangen wäre.