Dreißig Stunden nach den eben erzählten Ereignissen, fuhr ein Wagen, mit vier Pferden bespannt, im Hofe des Fouquetschen Palasts zu Saint-Mandé vor. Der Reisende nannte seinen Namen und wurde vom Diener sofort angemeldet, Fouquet öffnete alsbald sein Zimmer und erschien auf der Schwelle. – »O, armer Freund!« rief er. »In welchem Zustande –?« – »Ja, todmüde, wie Sie sehen!« antwortete Aramis keuchend. »Hauptsache, ich bin da!« – »Was aber ist die Ursache?« fragte Fouquet und zog ihn ins Zimmer. »Reden Sie!« – »Ist du Vallon angekommen?« – »Ja.« – »Und Sie haben meinen Brief erhalten?« – »Ja. Scheint ja bedenklich zu sein, zumal Sie nun selbst nachkommen.« – »Höchst bedenklich. Hat du Vallon Ihnen nichts gesagt, als er den Brief überbrachte?« – »Nein. Ich hörte einen Höllenlärm, eilte ans Fenster und sah einen Reiter, der einer Marmorsäule glich. Ich ging hinunter, er gab mir den Brief, und das Pferd brach tot unter ihm zusammen. Man hob den Reiter auf und trug ihn in ein Bett. Da liegt er noch und schnarcht wie ein Bär. Ich ließ ihm die Stiefel von den Füßen schneiden, denn man konnte sie ihm nicht ausziehen, so geschwollen waren seine Füße. Wir haben ihm Rotwein und Kraftbrühe eingeflößt, er ist darüber nicht munter geworden. Nochmals, was ist die Ursache dieser Anstrengung?«

»Sie haben den Chevalier d’Artagnan kennen gelernt, nicht wahr?« fragte der Bischof. – »Ja,« antwortete der Minister, »ein Mann, der Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hat, obwohl er mit am Tode meiner Freunde Lyodot und d’Eymeris schuld war.« – »Haben Sie denn über diese Hinrichtung nachgedacht? Haben Sie eingesehen, daß darin ein scharfer Vorstoß gegen Ihre Oberherrlichkeit liegt?« fuhr d’Herblay fort. »Nochmals, dieser d’Artagnan – bei welcher Gelegenheit lernten Sie ihn kennen?« – »Er holte sich Geld auf eine Anweisung vom König.« – »Nun, sehen Sie, d’Artagnan ist nach Belle-Ile gefahren, verkleidet, mit dem Vorgeben, für jemand Salinen kaufen zu sollen. D’Artagnan hat keinen anderen Herrn als den König, er ist also ein Abgesandter Seiner Majestät. Und nun hat er Porthos – Verzeihung! den Baron du Vallon getroffen und weiß nun, daß Belle-Ile befestigt ist.«

»Und Sie glauben, der König habe ihn abgesandt?« fragte Fouquet sinnend. »Dieser d’Artagnan ist also in den Händen des Königs ein gefährliches Werkzeug?« – »Das gefährlichste, das es geben kann. Der mutigste, schlaueste und gewandteste Mann in ganz Frankreich.« – »Ich muß ihn um jeden Preis an mich fesseln.« – »Das wird Ihnen nicht gelingen. Dazu ist es jetzt zu spät. Er hatte sich mit dem Hofe überworfen, diese Gelegenheit haben wir vorübergelassen. Dann ging er nach England und erwarb sich durch die tollkühne Gefangennahme Monks ein Vermögen. Nun nahm ihn der König wieder in Dienst. Wir haben einstweilen nur einen Feind in ihm zu erblicken und seine Pläne zu vereiteln.«

»Und wie das?« fragte der Minister unruhig. »Lassen Sie uns das überlegen. Wir haben ja Zeit genug dazu. Ohne Zweifel haben Sie doch guten Vorsprung.« – »Zehn Stunden.« – »Nun, in zehn Stunden–« Allein Aramis schüttelte sein bleiches Haupt. – »Sehen Sie die Wolken am Himmel, sehen Sie die Schwalben in der Luft; ich sage Ihnen, d’Artagnan ist schneller als diese!« – »Sie übertreiben.« – »Ich sage Ihnen, er hat etwas Übermenschliches; ich kenne ihn seit fünfunddreißig Jahren,« rief der Prälat. »Lassen Sie mich rechnen: den Baron du Vallon habe ich um zwei Uhr nachts abgeschickt. Wann kam er an?« – »Vor vier Stunden etwa.« – »Sie sehen, ich bin um vier Stunden schneller gereist als er. Porthos ist schwer und wird mehrere Pferde totgeritten haben. Ich habe Eilpostpferde genommen, aber ich habe die Gicht und bin steinleidend, da verträgt man’s nicht mehr so gut. In Tours mußte ich aus dem Sattel heraus und einen Wagen mieten. Daher habe ich gegen Porthos nur vier Stunden gutmachen können. D’Artagnan wiegt keine dreihundert Pfund wie Porthos und ist nicht steinleidend wie ich. Wenn ich auch zehn Stunden Vorsprung vor ihm hatte, so wird er doch zwei Stunden nach mir ankommen.« – »Mein Gott, welch ein Mann!« – »Ja, ein Mann, den ich bewundere, weil er gut und edel ist, und weil er den Höhepunkt menschlicher Kraft und Gewandtheit darstellt. Aber bei aller Bewunderung ist er eben doch zu fürchten, denn ich sehe voraus, was er tun wird. Er wird zum König eilen und ihm sagen, was er in Belle-Ile gesehen hat. Kommen Sie ihm zuvor – das ist das einzige, was noch zu tun ist; fahren Sie schleunigst zum Louvre und –«

»Und?« stieß Fouquet hervor, von Aramis‘ Eifer mit fortgerissen. – »Und schenken Sie dem König Belle-Ile!« – Fouquet sank in einen Stuhl. »O, d’Herblay, d’Herblay!« rief er. So wäre alles fehlgeschlagen.« – »Hier hilft kein Verzweifeln!« rief der Prälat. »Hier gilt es allein, keinen Augenblick zu versäumen. Eilen Sie! D’Artagnan kommt von Minute zu Minute näher. Bedenken Sie, daß er nicht erst über Saint-Mandé zu reiten braucht, sondern geradeswegs zum Louvre galoppieren kann. Wir müssen also von dem Vorsprung, den wir haben, sogar noch eine Stunde abrechnen.« – »In fünfundzwanzig Minuten bin ich im Louvre!« rief Fouquet, riß die Fenster auf und schrie hinaus, man solle seine englischen Pferde anspannen. Fünf Minuten später war er unterwegs nach Paris. – Aramis ließ sich in ein Zimmer führen und sank völlig erschöpft auf ein Ruhebett.

*

Der König arbeitete mit Colbert. »Herr Intendant,« sagte er nachdenklich, »ich habe manchmal bei mir gedacht, die beiden Finanzpächter, deren Verurteilung Sie beantragten, sind vielleicht doch nicht so schuldig gewesen –« – »Sire, wir haben sie aus dem großen Haufen herausgerissen, und an dieser Rotte mußte einmal ein Exempel statuiert werden. Das war durchaus notwendig.« – »Es waren Fouquets beste Freunde, nicht wahr?« – »Ja, sie hätten für ihn ihr Leben hingegeben.« – »Und haben es nun ja auch hingegeben,« sagte der König. »Wieviel Geld mögen die beiden wohl beiseitegebracht haben?« – »Zehn Millionen – sechs sind konfisziert worden.« – »Und in meine Kasse geflossen?« – »Ja. Aber diese Konfiskation war nur eine Drohung für Herrn Fouquet, noch kein Schlag. Er hat eine Bande von Strauchdieben mobil gemacht, die die beiden Verurteilten der königlichen Gerechtigkeit entreißen sollten, und er wird, wenn es sich um seine Person handelt, eine Armee aufbieten, um sich der Strafe zu entziehen.« – »Was denken Sie eigentlich über das Benehmen des Oberintendanten? Rund herausgesagt, Colbert!« – »Ich denke,« antwortete der Intendant, »Herr Fouquet geht geradezu darauf aus, die Macht Eurer Majestät zu verkleinern, Eure Majestät in den Hintergrund zu verdrängen und sich selbst zum allergewaltigsten Manne des Reichs aufzuschwingen. Noch mehr, Sire! er plant das nicht nur, er geht sogar schon daran, es auszuführen! Ich habe aus sicherer Quelle erfahren, daß er Belle-Ile befestigt, daß er dort Korsarenschiffe und Soldaten erhält. Und weshalb das? Offenbar doch, um sich im Notfalle gegen Eure Majestät verteidigen zu können.« – »Aber, Colbert, wenn dies der Fall ist, so muß Fouquet auf der Stelle verhaftet und unter Anklage des Majestätsverbrechens gestellt werden.«

»Sie können einstweilen nichts gegen Fouquet tun, Sire,« antwortete Colbert achselzuckend. »Als Finanzminister hat er das Parlament für sich; er hat durch seine Freigebigkeit und Gastfreundschaft die gesamte literarische Welt auf seiner Seite, und durch Geschenke hat er sich den ganzen Adel gewonnen.« – »Das heißt also, ich bin ohnmächtig gegen Fouquet?« rief der König. »Sie sind ein Ratgeber, der keinen Rat zu geben weiß, Colbert!« – »Sire, durch Geld ist Fouquet groß geworden, durch Geld kann er wieder gestürzt werden. Ruinieren Sie ihn! Majestät haben jetzt eben eine günstige Gelegenheit dazu.« – »Erklären Sie sich deutlicher!« – »Eurer Majestät Bruder vermählt sich in nächster Zeit. Fordern Sie also eine Million von Herrn Fouquet. Er kann ja den Leuten statt 5000 Livres 20 000 auszahlen, also wird er auch eine Million für Eure Majestät flüssig machen können.«

»Das will ich tun,« sagte der König. – In diesem Augenblick trat der Türhüter ein und meldete: »Herr Fouquet!« – Ludwig erblaßte, Colbert ließ die Feder fallen. – Der Minister trat ein und übersah mit dem Scharfblick des gewiegten Hofmannes sofort die Situation. In Colberts kleinen, zusammengekniffenen Augen, die vor Neid schillerten, in Ludwigs klaren, freimütigen Augen, die vor Zorn funkelten, las er die Gefahr, die ihm drohte. Der Minister trat näher. – »Sire,« begann er, das verlegene Schweigen des Königs benützend, »ich bin in großer Ungeduld zu Ihnen geeilt, um Ihnen eine erfreuliche Nachricht zu überbringen. Geruhen Majestät diese Arbeit eines Blickes zu würdigen.« Mit diesen Worten legte er ein Papier auf den Tisch, das der König langsam auseinanderfaltete.

»Das sind ja Pläne,« sagte Ludwig XIV. – »Eine neue Art der Fortifikation,« antwortete Fouquet, »die ich praktisch erprobt habe.« – »So? Sie beschäftigen sich also mit Taktik und Strategie?« rief Ludwig im Tone des Mißtrauens. – »Ich beschäftige mich mit allem, was dem Reiche Eurer Majestät förderlich werden kann,« antwortete Fouquet unbefangen. »Hier sehen Majestät die Ringmauern, die Forts, die Außenwerke –« – »Und was ist das hier ringsherum?« – »Das ist das Meer.« – »Also stellt dieser Plan eine Insel dar?« fragte der König. – »Es ist Belle-Ile, Majestät.« – Colbert fuhr bei Nennung dieses Namens heftig auf. Fouquet schien das gar nicht zu bemerken. –

»Wie?« rief Ludwig XIV. ungehalten, »Sie haben Belle-Ile befestigen lassen?« – »Jawohl, und lege hier Eurer Majestät die Rechnungen vor,« antwortete Fouquet. »Es sind 1 600 000 Frank dafür ausgegeben worden.« – »Wozu das?« fragte Ludwig kalt. – »Das liegt auf der Hand. Majestät standen auf gespanntem Fuß mit England.« – »Aber seit Karls Thronbesteigung besteht ein Bündnis mit England.« – »Erst seit Monatsfrist,« versetzte Fouquet. »Die Befestigungsarbeiten sind aber schon vor einem halben Jahre begonnen worden.« – »Sind aber nun unnütz,« warf der König ein. – »Festungen sind nie unnütz, Majestät,« erwiderte der Minister. »Brauchen wir Belle-Ile nicht gegen die Engländer, so können wir’s gegen die Holländer brauchen, mit denen es über kurz oder lang zu ernsten Differenzen kommen muß.«

Der König schwieg einen Augenblick, dann fragte er: »Sie sind ja wohl der Eigentümer von Belle-Ile?« – »Nein, die Insel gehört Eurer Majestät,« antwortete der Minister. – Colbert erschrak, als wenn sich ein Abgrund vor seinen Füßen aufgetan hätte. Der König konnte sich eines Gefühls der Bewunderung nicht erwehren, hatte doch Fouquet es trefflich verstanden, seinen Vorstoß gegen die königliche Oberherrschaft als gutgemeinte Wachsamkeit und als edelsinnige Aufopferung hinzustellen. – »Belle Ile war mein Besitz, und auf meine Kosten habe ich die Insel befestigen lassen. Ich mache sie Eurer Majestät zum Geschenk. Sie können nun auf diesem festen Platze eine zuverlässige Garnison halten.« – Colbert wäre auf dem spiegelglatten Fußboden fast gefallen und mußte sich an einem Stuhle festhalten. – »Sie haben mit dieser Arbeit einen großen Beweis von taktischer Geschicklichkeit geliefert, Herr Fouquet,« sagte der König huldreich. – »Ich habe einen sehr tüchtigen Ingenieur gehabt,« antwortete der Minister bescheiden. – »Wie heißt der Mann?« – »Baron du Vallon.« – »Ist mir nicht bekannt,« sagte Ludwig XIV. »Herr Colbert, es ist mir nicht lieb, daß mir die Namen solcher talentvollen Männer, die meinem Lande zur Zierde gereichen, unbekannt bleiben. Sie werden sich diesen Namen merken, Herr Colbert.«

Colbert verneigte sich; sein Gesicht war weißer als seine flandrischen Spitzenmanschetten. Der König wendete sich wieder an den Oberintendanten. »Sie müssen sehr reich sein, Herr Fouquet, daß Sie eine solche Befestigung von Ihrem Gelde anfertigen lassen konnten.« – »Eure Majestät sind reich,« antwortete der Minister diplomatisch. »Belle-Ile ist ja eine königliche Domäne.« – »Trotzdem aber fehlt es mir an Bargeld,« versetzte Ludwig. »Morgen wird mein Bruder sich mit Lady Henriette Stuart vermählen, das kostet Geld. Ich brauche dazu –« Er zögerte und drehte sich nach Colbert um. Ihn wollte er den Schlag führen lassen, und der Intendant setzte denn auch in triumphierenden Tone hinzu: »Eine Million.«

»Majestät,« entgegnete Fouquet in geringschätzigem Tone, »was wollen Sie mit einer Million anfangen?«

»Es scheint mir aber doch –,« begann Ludwig, doch der Minister unterbrach ihn mit den Worten: »Soviel gibt der kleinste deutsche Fürst bei seiner Vermählung aus. Majestät brauchen mindestens zwei Millionen. Eine halbe kosten ja allein die Pferde. Ich werde Eurer Majestät heute abend 1 600 000 Livres senden. Ich weiß,« fuhr er fort, »es fehlen dann noch 400 000. Aber dieser Herr,« und er deutete mit dem Daumen nach seinem Rivalen, »hat von mir 900 000 in der Kasse. Er hat vor acht Tagen 1 600 000 Livres erhalten. 100 000 hat er an die Garde bezahlt, 75 000 an die Hospitäler, 25 000 an die Schweizer, 30 000 an das Proviantamt, 60 000 an das Arsenal und 10 000 für kleine Ausgaben. Es sind also noch 900 000 übrig. Diese Summe werden Sie heute noch Seiner Majestät zukommen lassen, Herr Intendant.« – »Aber das macht ja eine halbe Million über zwei,« sagte der König. – »Ich weiß, Majestät,« antwortete Fouquet, »den Ueberschuß weisen Sie Ihrem königlichen Bruder zum Taschengeld an.« – Damit verneigte er sich und ging hinaus, ohne Colbert, der vor Aerger seine Spitzenmanschetten zerriß, eines Blickes zu würdigen. Fouquet war noch in der Tür, als ein Lakai hereintrat und meldete: »Ein Kurier aus der Bretagne!«

»D’Herblay hat Recht behalten,« murmelte der Minister. »Eine Stunde nach mir! Es war die höchste Zeit!«

D’Artagnan trat eilig ein, und über und über voll Staub und Straßenschmutz, mit glühendem Gesicht, mit von Schweiß zusammengeklebtem Haar, mit steifen Beinen und blutbespritzten Stiefeln. Fouquet begrüßte den Mann, der ihm, wäre er eine Stunde früher gekommen, den Tod gebracht hätte, mit seinem freundlichen Lächeln. Der Chevalier erwiderte den Gruß flüchtig und eilte zum König, der bei seinem Anblick Colbert entließ. – »Ein treuer Diener wie Sie, Chevalier, darf schon in solchem Aufzuge kommen,« begrüßte er ihn, indem er lächelnd auf das abgerissene Kostüm des Musketiers blickte. – »Vor allem mußte ich zu Ihnen, Sire. Umziehen kann ich mich nachher,« versetzte der Gaskogner. – »Sie bringen also wichtige Nachricht?« fragte der König. – »Sehr wichtige, Majestät,« antwortete der Chevalier. »In kurzen Worten: Belle-Ile ist befestigt, und zwar sehr gut, hat Außenwerke, Zitadellen und Forts. Im Hafen ankern drei Korsarenschiffe, und die Küstenbatterien harren nur noch der Kanonen.«

»Das alles weiß ich bereits,« erwiderte Ludwig XIV. – »Was? Majestät wissen das schon?« rief der Musketier erstaunt. – »Hier ist sogar der Plan der Befestigungen,« sagte der König, und d’Artagnan sah zu seiner Verblüffung jenen Grundriß, den Porthos ihm gezeigt hatte. Er runzelte die Stirn. »Ha!« stieß er hervor. »Majestät haben die Sache also nicht mir allein anvertraut, sondern noch einen andern Boten in die Bretagne geschickt? Nun, Majestät, es war wirklich nicht der Mühe wert, daß ich die Reise gemacht und mich dabei zwanzigmal der Gefahr ausgesetzt habe, mir sämtliche Knochen zu brechen, wenn ich hier bei meiner Rückkehr mit einer solchen Antwort empfangen werden soll. Sire, wenn man jemand nicht traut oder ihn für unfähig hält, so soll man ihm überhaupt erst gar keinen Auftrag erteilen.«

Der König sah ihn triumphierend an. »Ich bin nicht nur genau unterrichtet über Belle-Ile,« sagte er, »sondern die Insel ist sogar mein Eigentum.« – »Es ist gut, Sire,« versetzte der Haudegen, »ich verlange von Eurer Majestät nichts weiter – als meinen Abschied. Ich besitze zuviel Selbstgefühl, um das Brot Eurer Majestät zu essen, wenn ich es so schlecht verdiene. Ich bitte um den Abschied.« – »Sind Sie mir böse, Chevalier?« lachte der König. – »Potz Sporn und Degenknauf! ich habe wohl Ursache dazu,« rief der Musketier. »Ich komme zweiunddreißig Stunden nicht aus dem Sattel, reite Tag und Nacht so schnell wie der wilde Jäger, bin bei meiner Ankunft steif wie einer, der eine Nacht lang am Galgen gebaumelt hat – und stehe dennoch da als Schafskopf. Donnerwetter! Meinen Abschied, Sire – oder ich nehme ihn mir einfach.«

»Im Gegenteil, Chevalier,« antwortete Ludwig XIV. fröhlich und zog ein Dokument aus seinem Schreibtische, »hier ist Ihre Ernennung zum General-Kapitän der Musketiere. Sie haben’s verdient, Herr Chevalier.« – D’Artagnan faltete das Papier auseinander und las es zweimal. Er wollte seinen Augen nicht trauen. – »Und dieses Patent ist Ihr Lohn für Ihre Reise nach Belle-Ile und für Ihr wackeres Auftreten bei der Hinrichtung auf dem Grèveplatze. Sie haben mir da einen trefflichen Dienst erwiesen.« – »Majestät haben das erfahren?« antwortete d’Artagnan. »O, da war ich nicht allein der Macher – da hatte ich einen Helfer – und zwar einen sehr guten.« – »Es war ein junger Mann, nicht wahr?« fragte der König. »Colbert hat mir auch über ihn viel Gutes berichtet.« – »Colbert? So!« brummte der Kapitän. »Das ist sein Glück. Hat auch nur Recht damit.« – »Ja, der junge Mann scheint sehr brav zu sein,« sagte der König.– »Brav, Majestät?« erwiderte d’Artagnan. »Das will ich meinen!« – »Also kennen Sie ihn schon länger?« – »Seit 25 Jahren, Sire.« – »Ei, er soll ja kaum 25 Jahre alt sein,« rief Ludwig XIV. – »Ich kenne ihn auch von der Geburt an. Der junge Mann ist der Sohn meines besten Freundes!« – »Der Graf von Bragelonne?« – »Jawohl, Sire! Er ist der Sohn des Grafen de la Fère, der dem König von England so tatkräftig geholfen hat. O, Bragelonne entstammt einem tapferen Geschlecht.«

»Der Graf de la Fère ist also ein wackerer Krieger?«

»Der Graf,« versetzte der Chevalier, »hat für Höchstdero seligen Vater öfter das Schwert gezogen, als Eure Majestät Tage in Ihrem Leben zählen.« – »Gut, Chevalier,« antwortete Ludwig und biß sich auf die Lippe. »Wollen Sie Ihren jungen Freund sehen?« Und er klingelte und rief dem Türhüter zu: »Graf von Bragelonne soll zu mir kommen.« – »Wie?« rief d’Artagnan. »Rudolf ist hier?« – »Ja, er ist mit der Garde des Prinzen auf Wache im Schlosse,« antwortete der König.

Im nächsten Augenblick trat Rudolf ein. Der Chevalier, ohne sich an die Anwesenheit des Königs zu kehren, lief auf ihn zu und drückte ihn an die Brust. Der junge Graf verneigte sich mit Anmut und Ehrfurcht vor der Majestät. – »Herr Graf,« sprach Ludwig, »ich habe den Prinzen von Condé gebeten, Sie mir abzutreten. Eben ist seine Antwort angekommen. Er ist damit einverstanden und Sie gehören seit diesem Morgen also mir an. Condé war ein guter Herr, und ich hoffe nur, Sie machen keinen schlechten Tausch.« – »O, sei nur getrost, Rudolf,« rief der Musketier dazwischen, »es ist gut auskommen mit dem König.« – »Majestät,« sagte Rudolf in der ihm eigenen herzgewinnenden Weise, »ich gehöre Ihnen nicht erst seit heute morgen an.«

»Ah, Sie spielen auf jenen Aufruhr am Grèveplatz an?« erwiderte der König. »Ja, da hielten Sie in der Tat zu mir.« – »Ich meine auch nicht diesen Tag, denn es würde mir schlecht anstehn, an einen so unbedeutenden Dienst zu erinnern; ich meine vielmehr einen Umstand, der in meinem Leben einen wichtigen Abschnitt darstellt und mich seit dem 16. Lebensjahre an Eure Majestät gebunden hat.« – »O, lassen Sie mich wissen, Graf –« – »Auf meinem ersten Kriegszug bei der Armee des Prinzen von Conds begleitete mich der Graf de la Fère bis nach Saint-Denis, und dort ließ er mich bei der Asche Ludwigs XIII. schwören, daß ich allzeit dem Königtum, das nun in der Person Eurer Majestät verkörpert sei, in Gedanken, Worten und Taten treu und eifrig dienen wolle! Ich leistete den Schwur, den Gott und die seligen Herrscher, Eurer Majestät Ahnen, empfangen haben. Seit zehn Jahren nun hatte ich nicht so oft, wie ich gewünscht hätte, Gelegenheit, danach zu handeln. Ich bin also schon lange Eurer Majestät Soldat; jetzt habe ich nicht den Herrn, sondern nur die Garnison gewechselt.« Er schwieg und verneigte sich, während Ludwig XIV. noch immer lauschte, als hörte er eine liebliche Melodie, welche seinem Ohre wohltat.

»Potz Sporn und Degenknauf!« rief der Musketier. »Das ist brav gesprochen!« – »Sie reden nur die Wahrheit, Vicomte,« sagte der König gerührt. »Ueberall, wo Sie waren, sind Sie für den König eingetreten. Sie sollen nun aber bei dem Garnisonwechsel eine Ihrer würdige Beförderung erhalten. Chevalier,« wendete er sich an d’Artagnan, »haben Sie mir noch etwas zu melden?« – »Jawohl, Sire – eine traurige Nachricht!« antwortete der Kapitän. »Als ich durch Blois kam, vernahm ich, daß Ihr Oheim, Gaston von Orleans, gestorben sei.« – »Monsieur, mein Oheim!« rief der König. »Und ich habe noch keine Nachricht erhalten!« – »Seien Sie deshalb nicht böse,« versetzte d’Artagnan, »die Kuriere von Blois können nicht so schnell reiten wie Höchstdero gehorsamster Diener. Der Bote wird erst in zwei Stunden hier sein, und man kann ihn dann noch nicht einmal der Saumseligkeit zeihen.« – »Mein Ohm Gaston!« murmelte Ludwig XIV. und preßte die Hand auf die Stirn. Aber man sah es ihm an, daß die Nachricht ihm nicht sonderlich naheging. Durch die Intrigen, die der Verstorbene seinerzeit gegen Ludwig XIII. angezettelt hatte, war er auch dem Sohne fremd und unsympathisch geblieben.

»Doch ich vergesse, Chevalier,« sagte der König mit einer huldreichen Handbewegung, »Sie haben 110 Meilen im Galopp zurückgelegt und bedürfen der Ruhe. Gehen Sie und sorgen Sie für einen meiner besten Soldaten. Wenn Sie ausgeruht haben, stellen Sie sich wieder zu meiner Verfügung.«