Ganz glücklich, sich so gut aus der Affäre gezogen zu haben, verließ Manicamp das Zimmer des Königs. Als er die Treppe hinabschritt, fühlte er sich am Aermel gezupft. Er sah sich um und erblickte Fräulein von Montalais. – »Mein Herr, bitte, folgen Sie mir!« sagte die Ehrendame. – »Ah, nun soll ich auch noch zu Madame,« sprach der junge Mann. »Nun, meinetwegen! ich bin einmal im Zuge. Aber die Jagdgeschichte wird diesmal keinen Erfolg haben. Wir werden etwas anderes erfinden müssen.«

Madame erwartete ihn mit sichtlicher Ungeduld. »Ah, endlich!« rief sie. – Manicamp verneigte sich ehrerbietig, die Montalais wurde entlassen. – »Sagen Sie doch, Herr von Manicamp, was gibt es denn nur? Was hört man da? Wir haben einen Verwundeten in Fontainebleau?« – »Leider, Madame. Graf von Guiche.« – »Ja, es wurde mir mitgeteilt,« fuhr die Herzogin fort. »Aber das ist ja schrecklich. Und Majestät hat doch die Zweikämpfe verboten.«

»Ganz recht, Madame, aber ein Zweikampf mit einem wilden Tiere entzieht sich der Gerichtsbarkeit des Königs.« – »Sie wollen mir doch nicht zumuten, ich glaubte diese absurde Fabel. Wer weiß, weshalb man überall erzählt, Herr von Guiche sei von einem Eber verletzt worden! Mir ist die Wahrheit wohlbekannt. Graf Guiche schwebt in doppelter Todesgefahr, erstens durch die Wunde, zweitens durch das Urteil des Königs. Haben Sie mit Majestät gesprochen?«

»Ich habe ihm erzählt, Graf Guiche sei auf dem Anstande von einem Wildschwein angefallen worden, er habe geschossen und nicht getroffen, worauf das Tier sein Pferd umrannte, tötete und ihn selbst an Brust und Hand verwundete.« – »Und das alles hat der König geglaubt?« – »Jawohl.« – »Herr von Manicamp, Sie machen mir da ein X für ein U,« sagte Madame und schritt auf und nieder, während der junge Mann regungslos auf seinem Platze stehenblieb. »Kein Mensch glaubt an diese Fabel. Alle Welt erklärt sich Guiches Unfall anders.« – »Und wie denn, Madame, wenn ich so unbescheiden sein darf, danach zu fragen?« antwortete Manicamp mit der ihm eigenen Harmlosigkeit. – »Das fragen Sie mich, Sie, ein intimer Freund, ein Vertrauter des Grafen?« – »Madame, Graf Guiche hat keine Vertrauten. Er ist einer von denjenigen Männern, die ihre Geheimnisse fest in ihre Brust verschließen. Herr von Guiche, Madame, plaudert nicht.«

»Nun, so werde ich Ihnen das Geheimnis des Herrn von Guiche mitteilen,« rief die Prinzessin ungeduldig. »Es könnte sein, der König fragt Sie noch einmal danach, und ein zweites Mal wird er sich vielleicht nicht mit Ihrer Erklärung zufriedengeben, wenn er von allen Seiten hört, Herr von Guiche habe in Sachen seines Freundes Bragelonne einen Wortwechsel gehabt, der schließlich in Streitigkeiten ausartete und zu einem Duell führte.« – »Ein Duell für Herrn von Bragelonne?« antwortete Manicamp mit gut gespieltem Erstaunen. »Was belieben Königliche Hoheit mir da zu sagen?«

»Sie wundern sich. Herr von Guiche ist rachsüchtig, jähzornig, hochfahrend.« – »Ich halte Herrn von Guiche im Gegenteil für sehr geduldig und zurückhaltend. Nur wenn es sich um eine gerechte Sache handelt, kann er außer sich geraten.« – »Ist die Freundschaft nicht solch eine gerechte Sache?« erwiderte Madame. »Und Graf Guiche ist Bragelonnes Freund. Er hat seine Partei genommen, denn Bragelonne ist abwesend und kann sich nicht selbst verteidigen. Das ist doch ganz klar. Sie sind allerdings nicht meiner Ansicht und haben etwas anderes zu sagen, wie ich sehe.«

»Ich habe nichts zu sagen, Madame,« entgegnete Manicamp. »Höchstens eins. Daß ich nämlich nichts von alledem verstehe, was Sie mir da erzählen.« – »Was? Sie wollen nichts wissen von dem Duell zwischen Herrn von Guiche und Herrn von Wardes?« rief nun die Herzogin erzürnt. – Manicamp schwieg. – »Sie wollen nichts davon wissen, daß eine mehr oder weniger boshafte, mehr oder weniger begründete Anspielung auf die Tugend einer gewissen Dame die Ursache dieses Duells gewesen ist?« – »Madame, Madame!« rief der junge Mann, »bedenken Sie, was Sie sprechen!« – Aber die Prinzessin war zu erregt, um seine Warnung zu hören, und fuhr fort: »Eine Anspielung auf die Tugend des Fräuleins von Lavallière!«

»Des Fräuleins von Lavallière?« rief Manicamp und machte einen Seitensprung, als hätte er diesen Namen am wenigsten zu hören erwartet. – »Was hüpfen Sie denn so, Herr?« rief die Prinzessin ironisch. »Sie sind hier nicht in der Menuettstunde. Oder sollten Sie etwa Zweifel in die Tugend der genannten Dame setzen?« – »Es handelt sich dabei ja nicht im geringsten um die Tugend des Fräuleins von Lavallière,« antwortete der junge Mann. – »So stellen Sie sich doch nicht länger unwissend,« fuhr Lady Henriette fort. »Sie sehen, ich bin gut unterrichtet. Und der König wird auch binnen kurzem wissen, daß sich Herr von Guiche als Bevollmächtigter des Herrn von Bragelonne dieser kleinen Abenteuerin angenommen hat, welche so gern die große Dame spielen möchte. Er wird erfahren, daß Herr von Bragelonne seinen Freund von Guiche als Schatzhüter zurückgelassen hat, und daß nun Guiche den ersten, der sich an diesem Schatz zu vergreifen wagte, den Herrn von Wardes, auf die Finger geklopft hat. Nun wird es Ihnen, Herr von Manicamp, auch bekannt sein, daß der König selber nach diesem Schatze lüstern ist und Herrn von Guiche für sein Cerberusamt wenig Dank wissen wird.«

»Sie werden Herrn von Guiche in Schutz nehmen, Madame,« antwortete Manicamp, scheinheilig wie immer. – »Sie sind närrisch, mein Herr!« rief die Herzogin schroff. – »Im Gegenteil, ich bin ganz bei Verstande und wiederhole, Sie werden Herrn von Guiche beim König verteidigen.« – »Weshalb wohl?« – »Weil Herrn von Guiches Sache,« antwortete Manicamp, diesmal mit Wärme und mit einem fast gefühlvollen Augenaufschlag, »zugleich Ihre Sache ist. Denn es wundert mich, Madame, daß Sie die wahre Ursache nicht durchschaut haben. Als Herr von Guiche sich wegen des Fräuleins von Lavallière ereiferte, war ihm nämlich nur darum zu tun, einen Deckmantel zu haben. Und damit, Madame,« setzte Manicamp hinzu, die Prinzessin fest ansehend, »glaube ich genug gesagt zu haben, um Eure Königliche Hoheit zur Fürsprache beim Könige zu bewegen.«

Die Prinzessin bedeckte das Gesicht mit den Händen und rief: »Herr, wissen Sie, was Sie da sprechen und zu wem Sie es sprechen?« – »Treiben Sie die Sache nicht soweit, Madame, daß ich Ihnen wider meinen eigenen Willen die Person nenne, die die wahre Ursache des Duells gewesen ist!« fuhr Manicamp fort. »Soll ich Ihnen darlegen, wie erbittert Graf Guiche über alle die Gerüchte war, die man über die besagte Person verbreitete? Soll ich, wenn Sie darauf beharren, diese Person nicht zu kennen, und mir die Achtung verbietet, sie namhaft zu machen, an die Auftritte zwischen Lord Buckingham und Monsieur erinnern, an Graf Guiches Eifer, dieser Person zu gefallen, die für ihn Leben und Tod bedeutet, ihr zu dienen, sie zu beschützen? oder begreifen Sie nun, daß der Graf, der schon lange auf gespanntem Fuße mit von Wardes stand, beim ersten verletzenden Wort, das dieser über jene Person fallen ließ, Feuer fing? Werden Sie sich nicht mehr über die große Geschicklichkeit, den feinen Takt wundern, mit dem der Graf diesem Streit eine andere Ursache unterzuschieben wußte, um jene Person ganz aus dem Spiele zu lassen? Und wenn nun diese Person, für die in Wirklichkeit der Graf sich duelliert hat, dem armen Verwundeten auch nur einigermaßen freundlich gesinnt ist, so wird es nicht zuviel sein für das Blut, das er für sie verspritzt hat, für den Schmerz, den er ihretwegen erleidet, wenn sie nun ihm ihren Schutz angedeihen läßt!«

Madame konnte sich nicht länger bezwingen. »So war es wirklich meinetwegen!« rief sie aus. Dann schwieg sie lange und preßte die Hände auf die Brust, um die stürmischen Wallungen ihres Busens zu hemmen. »Herr von Manicamp, Sie sprechen in einem Tone, als sei Graf Guiche schwer verwundet. Lassen Sie mich wissen –« – »Eine Hand ist ihm zerschmettert worden, aus der Brust hat man die Kugel entfernt.« – »Mein Gott! mein Gott!« rief Lady Henriette. »Das ist schrecklich! Und das hat dieser elende, feige Meuchelmörder Wardes getan. O, der Himmel ist wahrlich nicht gerecht. Schwebt Herr von Guiche in Lebensgefahr?«

»In doppelter, Madame, wie Sie bereits zu bemerken die Güte hatten,« antwortete Manicamp, »durch seine Wunden und durch des Königs Urteil. Ja, Madame, es ist möglich, daß er stirbt. Und vielleicht muß er sterben, ohne das tröstliche Bewußtsein, daß Ihnen bekannt sei, was er für Sie getan hat.«

»O, Sie werden es ihm sagen! Sind Sie nicht sein Freund?« rief Madame. – »Nein, Hoheit,« antwortete Manicamp fest, »ich werde ihm nur sagen, wie grausam Sie gegen ihn gewesen sind; denn er hat eine gute Natur und einen guten Arzt; es ist möglich, daß er mit dem Leben davonkommt, und dann soll er nicht nachträglich noch an gebrochenem Herzen sterben.«

»Welcher Arzt behandelt ihn?« fragte die Herzogin, sich auf die Lippe beißend. – »Herr Vallot, der Leibarzt des Königs. Er liegt in dem Hause des Arztes in der Feurrestraße.« – »Kehren Sie jetzt zu dem Kranken zurück?« – »Ja, Madame.« – »So erweisen Sie mir einen Dienst! Entfernen Sie alle Anwesenden – entfernen Sie sich auch selbst – o, verlieren wir keine Zeit mit unnützen Einwendungen!« schnitt sie dem jungen Manne das Wort ab, als sie sah, daß er Bedenken äußern wollte. »Fragen Sie nicht weiter nach und nehmen Sie hin, was ich Ihnen sage. Ich will zwei meiner Frauen hinschicken; Sie brauchen sie nicht zu sehen. Genügt Ihnen das?«

»Gewiß, Madame; ich werde sogar vor Ihren Botinnen hergehen und dafür sorgen, daß Sie nicht auf unerwartete Hindernisse stoßen.« – »Nun wohl, so warten Sie unten auf der Treppe. Drehen Sie sich nicht nach den Frauen um, sondern gehen Sie immer gerade Ihres Weges.« – »Zu Befehl, Hoheit!« – Manicamp verneigte sich und ging zufrieden von dannen. Er wußte, daß Madames Erscheinen der beste Balsam für die Wunden seines Freundes sein werde. Er brauchte keine Viertelstunde zu warten, dann erschienen zwei Frauen auf der Treppe, und Manicamp ging, wie verabredet, ohne sich umzuschauen.

Graf Guiche lag im Bette, bleich, mit verschleierten Augen, umfangen vom Delirium, von einem jener finstern Träume, die Gott denjenigen schickt, welche auf dem Wege sind, in die fremde Welt der Ewigkeit zu versinken. Manicamp trat ein, sprach ein paar Worte mit der Krankenwärterin und ging dann mit ihr in ein Nebenzimmer.

Zwei Frauen, in Mäntel gehüllt, eine Halbmaske vorm Gesicht, traten ein. Die eine gab der andern einen Wink, worauf diese an der Tür auf einem Schemel Platz nahm. Dann ging sie selbst ans Bett, hob die Vorhänge auf und sah in das blasse Gesicht des Bewußtlosen, dessen rechte Hand in weiße, stellenweise von Blut getränkte Leinwand gewickelt war. Die Brust trug einen ebensolchen Verband, der auch einige Blutspuren zeigte. Ein heiserer Ton wie Todesröcheln entklang den aufeinandergebissenen Zähnen des Grafen. Die Maskierte ergriff seine linke Hand, die heiß war wie glühende Kohle.

Als die kalte Hand der Dame sie berührte, war die Wirkung dieser Kälte so stark, daß Graf Guiche die Augen aufschlug. Doch schien er im ersten Moment nichts zu sehen, nichts zu erkennen. Die Dame gab ihrer Gefährtin, die an der Tür geblieben war, einen Wink, und diese sprach sofort laut und mit sorgfältiger Betonung: »Herr Graf, Ihre Königliche Hoheit, Madame, wünscht zu wissen, ob Ihre Wunden Sie sehr schmerzen, und Ihnen durch meinen Mund innigste Teilnahme auszusprechen.«

Bei dem Worte »Madame« bewegte sich der Graf und drehte sich nach der Seite um, von der die Stimme kam. Da ihn aber die kalte Hand nicht losließ, wandte er sich wieder nach dieser unbeweglichen Gestalt. – »Sind Sie es, Madame, die mit mir spricht?« flüsterte er, »oder ist jemand anders im Zimmer?« – »Ja,« antwortete die unbewegliche Gestalt. – »Nun, so sagen Sie Madame, ich danke ihr und werde nun gern sterben, da sie meiner gedacht hat.«

Die maskierte Dame weinte und vergaß, daß sie eine Larve trug. Bei dem Versuch, die Tränen abzuwischen, riß sie den Domino weg. Nun sah Graf Guiche ihr Gesicht und stieß einen Schrei aus. Aber alsbald starb jeder Laut auf seinen Lippen, der rechte Arm, den er ausgestreckt hatte, sank zurück, und die Wunde schien frisch aufzubrechen, denn die Leinwand färbte sich mit einem tiefen Rot. Dann lag der Kopf regungslos auf dem Kissen. Die Dame aber neigte sich über das leichenfahle Gesicht und drückte einen Kuß auf die Lippen. Wie von einem elektrischen Strome berührt, erwachte Guiche noch einmal, um sofort aufs neue in Ohnmacht zu fallen.

»Fort!« rief die Dame ihrer Gefährtin zu; »wenn ich noch länger hier bliebe, wäre ich imstande, eine Torheit zu begehen. Hebe den Domino auf!« – Sie schlüpften hinweg und kehrten rasch ins Palais zurück.

Die eine der beiden Damen verschwand in den Gemächern der Herzogin von Orléans, die andere begab sich in das Gelaß der Ehrendamen. Und diese letztere nahm die schwarze Larve, die die Besucherin des Kranken getragen hatte und betrachtete sie im Kerzenlicht. »Ich habe vergessen, sie Madame zurückzugeben,« murmelte sie, »ich werde es morgen tun! Doch sieh da!« rief sie aus, »die Innenseite ist ganz naß! O, Sie haben geweint, meine Gnädige. Das läßt tief blicken. Und noch mehr, hier ist gar ein Blutfleck! Sie müssen also den Wunden des Herrn von Guiche sehr nahe gekommen sein. O nein! diese Larve werde ich Ihnen nicht zurückgeben. Sie ist jetzt viel zu kostbar.«