Luise eilte die Straße linker Hand hinab, ohne zu wissen, wohin sie in dieser Richtung gelangen würde. Es war das erste Mal, daß sie allein durch Paris ging, und obwohl es um diese Zeit überall noch menschenleer war, so erschrak sie doch über das Gewirr von Straßen und Gassen, das sich allenthalben vor ihren Blicken öffnete. Sie eilte weiter und gelangte an den Seine-Hafen. Hin und wieder begegnete ihr ein später Nachtschwärmer oder eine lichtscheue Gestalt, aber das einsame Mädchen blieb unbehelligt. So kam sie schließlich auf den Grèveplatz. Während sie sich ratlos auf dem Häuserviereck umsah, taumelten aus einem Gasthause ein paar Männer heraus, schritten schwankend über den Platz, erblickten die weibliche Gestalt und umringten sie plötzlich unter lautem Geschrei.

Ehe Luise wußte, wie ihr geschah, erkannte sie, daß sie verloren sei, wenn nicht im letzten Augenblick Hilfe käme. Die Füße versagten ihr vor Schreck den Dienst, sie fiel und stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Da teilte sich der Kreis, der sie umringte; der eine der rohen Gesellen flog Hals über Kopf nach links und blieb stöhnend auf dem Pflaster liegen, der andere rollte in den Rinnstein, der dritte ergriff die Flucht.

Ein Offizier der Musketiere stand vor dem Mädchen. »Potzblitz!« rief er. »Das ist ja Fräulein von Lavallière!« – Die Lavallière sah auf, als sie ihren Namen hörte, und erkannte, halb betäubt, Herrn d’Artagnan. »Ja, ich bin es,« stammelte sie, sich auf seinen Arm stützend. »Nehmen Sie sich meiner an, ich bitte Sie!« – »Aber wohin wollen Sie zu dieser Stunde?« – »Nach Chaillot, Herr d’Artagnan!« – »Da müssen Sie in entgegengesetzter Richtung gehen, mein Fräulein.«

»So bringen Sie mich auf den rechten Weg und gehen Sie ein Stück mit mir. Doch wie kommt es, daß ich Sie hier treffe? Welche Gnade des Himmels hat es gefügt, daß Sie mir zu Hilfe kommen konnten? Fast möchte ich glauben, ich träumte.«

»Ich besitze ein Haus hier am Grèveplatz und habe gestern abend meine Miete einkassiert. Die Nacht über bin ich dort geblieben, und nun wollte ich frühzeitig ins Palais, um meine Posten zu revidieren.« – Er bot ihr den Arm. »Was mag sie nur so zeitig in Chaillot wollen?« dachte er bei sich. Doch stellte er nicht diese Frage, sondern eine andere: »Ohne Zweifel wissen Sie gar nicht, wo Chaillot liegt? Es ist sehr weit von hier. Eine reichliche Meile.« – »Ich werde hinkommen.« – D’Artagnan antwortete nicht; er hörte aus ihrem Ton den unerschütterlichen Entschluß heraus. – »Aber wohin wollen Sie denn dort, Fräulein?« fragte er nach kurzem Schweigen. – »Ins Kloster der Karmeliterinnen. Und da wir uns noch einmal getroffen haben, so nehmen Sie zu gleicher Zeit meinen Dank und meinen letzten Gruß!«

»Ihren letzten? Sie wollen ins Kloster? Sie?!« – Und in diesem Ausruf lag viel; Luise fühlte sich durch dieses Wort an alles erinnert, was in Blois geschehen war, als noch Rudolf sie besuchte, was in Fontainebleau geschehen, seit der König ihr seine Liebe erklärt hatte. – »Sie, die Sie mit Rudolf glücklich, mit dem König mächtig sein könnten, Sie wollen ins Kloster?« So sprach d’Artagnan zu ihr in diesem einen Wort.

»Ja, ich werde eine Dienerin des Herrn,« antwortete sie, »ich entsage der Welt. Sie kennen nun meinen Entschluß. Sie kennen mein Ziel. Ich habe nun nur noch eine letzte Bitte an Sie. Der König darf von meiner Flucht aus dem Palais nichts erfahren; er darf auch nicht wissen, wohin ich gegangen bin.« – »Fräulein, Sie berechnen die Tragweite dieses Schrittes nicht,« wandte der Gaskogner ein. »Niemand darf bei Hofe etwas tun, was der König nicht wissen darf.« – »Ich gehöre nicht mehr zum Hof,« erwiderte Luise.

Der Kapitän sah sie erstaunt an. – »Beunruhigen Sie sich nicht, Herr,« sagte sie. »Das alles ist berücksichtigt worden, und abgesehen davon ist es jetzt zu spät, von meinem Entschluß umzukehren. Die Würfel sind gefallen. Herr, bei dem Mitleid, das man einer Unglücklichen schuldet, bei dem Edelmut Ihres Herzens, bei der Treue eines Edelmanns fordere ich Sie auf, mir zu schwören, daß Sie dem König nicht sagen werden, wohin ich gegangen bin.«

»Das soll ich beschwören?« versetzte der Musketier, die Stirn runzelnd, »nein, Fräulein, das beschwöre ich nicht.« – »Warum nicht?« rief Luise trostlos. – »Weil ich den König kenne, weil ich Sie kenne, weil ich mich selber kenne, weil ich die ganze Menschheit kenne! Nein, das beschwöre ich nicht!« – »Dann,« rief die Lavallière mit einer Energie, die man ihr nicht zutraute, »dann sollen Sie statt der Segnungen, die ich von Stund ab mein Leben lang über Sie herabgefleht hätte, verflucht sein! Denn Sie machen mich zum unglücklichsten aller Geschöpfe!«

D’Artagnan erkannte, daß ein furchtbarer Ernst aus ihr sprach und ein längerer Widerstand sie töten könnte. »So geschehe denn, was Sie verlangen, Fräulein!« sagte er. »Ich werde dem König nichts sagen.« – »O, Dank, Dank!« rief Luise. »Sie sind der edelste der Menschen!« Und sie ergriff seine Hand und drückte sie. – »Potzblitz!« brummte er, »das ist eine, die dort anfängt, wo die andern aufhören. Das finde ich rührend.«

Er begleitete sie soweit, bis man das Kloster erblickte. Dann ging sie allein weiter. »Meiner Treu,« sagte er, während er ihr nachschaute, bis sie durch die Pforte der Umfassungsmauer verschwunden war, »das ist, was man eine heikle Geschichte nennt. Solch ein Geheimnis bewahren, heißt eine glühende Kohle in der Tasche tragen und erwarten, daß sie das Kleid nicht versenge. Das Geheimnis nicht bewahren, wie man es geschworen, hieße ehrlos handeln. Ich weiß wahrhaftig nicht, wie ich mich aus dieser Patsche ziehen soll!«

In den Palast zurückgekehrt, erkundigte er sich nach dem König. Majestät schlief noch. – »So hat sie mir die Wahrheit gesagt,« dachte er, »denn wüßte der König drum, so ginge jetzt hier alles drunter und drüber.«

Ludwig XIV. hatte bis spät in die Nacht hinein mit Colbert gearbeitet und alles für den Empfang der Gesandten vorbereitet. Als er den Minister entlassen, führten Stolz und Liebe einen heftigen Kampf in seinem Innern. Er war auf dem Punkte, zur Lavallière zurückzukehren; doch im letzten Moment entschied er sich noch zu bleiben. – Die Dienerschaft trat ein, ihn beim Zubettgehen zu bedienen. Die Königin wartete seit einer Stunde auf ihren Gemahl. Er ging mit einem Seufzer zu ihr.

Er wachte zeitig auf: ein Beweis, daß er schlecht geschlafen. Um sieben Uhr öffnete er die Tür und ließ Saint-Aignan rufen. D’Artagnan, der am Fenster stand, sah sie zusammen fortgehen, und wunderte sich nicht, daß sie den Weg zu den Ehrendamen einschlugen. Er pfiff den alten Musketiermarsch, den er nur bei sehr wichtigen Gelegenheiten hören ließ, und bedachte, was es wohl für einen Lärm geben würde, wenn der König entdeckte, daß die Lavallière verschwunden sei.

Ludwig XIV. trat in das Zimmer der Geliebten und fand nur Aure von Montalais. Sie konnte ihm keine Aufklärung geben. »Luise ist eine sentimentale Person,« sagte sie, »und ist oft schon bei Tagesanbruch spazieren gegangen; ich denke mir, sie wird im Park sein.« – Ludwig hielt dies für wahrscheinlich und ging in den Schloßgarten.

»Hm!« murmelte d’Artagnan, »Seine Majestät tut da Dinge, die er für Fräulein von Mancini gewiß nicht getan hätte. Seine Leidenschaft ist stärker, als ich glaubte.«

Nach einer Viertelstunde kam der König wieder, außer Atem und in großer Aufregung. Saint-Aignan fächelte ihm mit seinem Hute Luft zu und erkundigte sich unterwegs bei allen Lakaien und Türhütern nach der Vermißten. Niemand wußte etwas von ihr. Inzwischen war es acht Uhr geworden; um diese Zeit frühstückte der König gewöhnlich. Diesmal berührte er die Speisen kaum. Dann erschienen einige militärische Personen, denen Audienz gegeben war; er fertigte sie schnell ab. Mit Ungeduld wartete er auf Saint-Aignan, den er weggeschickt hatte, um Erkundigungen einzuziehen. Der Graf kam unterrichteter Dinge zurück.

Nun schlug es neun Uhr. Es war die Stunde, zu der die Gesandten beschieden waren, und Ludwig ging in den großen Saal. Die zu diesem Akt der Politik geladenen Personen waren bereits versammelt; die Königin-Mutter, die Königin und Madame waren kurz vorm König eingetreten. Der König begrüßte die Gesellschaft. Die Gesandten, drei für Holland, zwei für Spanien, wurden vorgestellt. Ludwig XIV. gab sich alle Mühe, jede Spur seiner heftigen Erregung zu tilgen, um das wichtige Geschäft mit Würde zu erledigen, doch gelang es ihm nur unvollkommen. Er hörte die Ansprache des spanischen Gesandten an und ergrimmte fast, daß dieser Mann ihn zwinge, die kostbare Zeit, die der Suche nach seiner Geliebten gewidmet sein sollte, an ihn zu verlieren. Als der Spanier mit einem Hinweis auf die Vorteile schloß, die Frankreich aus einer freundschaftlichen Allianz mit Spanien ziehen würde, antwortete Ludwig kurz: »Mein Herr, wenn eine Allianz gut für Frankreich wäre, so würde sie für Spanien sehr gut sein.« – Die beiden Königinnen erröteten, denn sie waren Spanierinnen und fühlten sich in ihrem Nationalstolz verletzt.

Der holländische Gesandte nahm das Wort. Ludwig ließ ihn nicht lange sprechen. »Mein Herr;« rief er, »wollen Sie sich beklagen, wo ich mich zu beklagen hätte? Wollen Sie es mir verübeln, wenn ich mich vorsehe gegen eine Regierung, die es duldet, daß beleidigende Pamphlete über mich in ihrem Lande gedruckt werden?« – »Sire, Sie können für ein Pamphlet nicht die Nation verantwortlich machen,« antwortete der Holländer. »Die Drucker suchen sich von Sensationen zu nähren, sonst müßten sie Hungers sterben.« – »Das sei zugegeben,« sagte Ludwig. »Wenn aber die Münze von Amsterdam Medaillen prägt, deren Inschrift eine Beleidigung für mich enthält, ist das auch das Werk einiger Hungerleider?« – »Was für Medaillen, Majestät?« erwiderte der Gesandte. – Ludwig warf einen Blick auf Colbert, von dem er eine nähere Erklärung erwartete, da trat d’Artagnan vor, nahm ein Münzstück aus der Tasche und zeigte es dem König. Ludwig XIV. sah es an und erblickte darauf eine Gestalt, in der sich Holland deutlich symbolisierte, welche die Hand Wider die Sonne erhob, über welche sich eine Wolke lagerte. Die Inschrift lautete: » In conspectu meo stetit sol10

»Nun werden Sie wohl nicht länger leugnen?« rief Ludwig in unverhohlnem Zorn dem holländischen Gesandten zu. Ein tiefes Schweigen herrschte ringsum, der Gesandte suchte nach einer Entschuldigung.

In diesem Schweigen vernahm man plötzlich die Stimme d’Artagnans, der laut zu Herrn von Saint-Aignan sagte: »Wissen Sie schon die Geschichte von Fräulein von Lavallière, Graf?« – Der König zuckte zusammen. – »Nein, was denn? was denn?« – »Das arme Kind ist ins Kloster gegangen,« sprach der Musketier. – »Ins Kloster?« rief Saint-Aignan. – »Ins Kloster?« rief der König dazwischen. – Nun begann der holländische Gesandte zu sprechen und versuchte den Vorfall zu erklären und als ganz harmlos hinzustellen. Der König hörte nicht auf ihn; sein Ohr war ganz bei d’Artagnan, der fortfuhr: »Ja, ins Kloster der Karmeliterinnen zu Chaillot.« – »Woher wissen Sie denn das?« fragte der Hofmeister. – »Von ihr selbst. Ich habe sie hingeführt.« – »Aber warum ist sie denn entflohen?« – »Weil man sie gestern von Hofe verjagt hat.«

Nun konnte der König sich nicht länger bezwingen. Er schnitt dem Holländer mit einer herrischen Gebärde und mit den Worten: »Ich habe genug gehört,« das Wort ab und trat auf den Kapitän zu: »Ist das wahr, was Sie da sagen?« rief er. – »Wahr wie die Wahrheit selbst, Majestät.« – Der König wurde bleich und ballte die Hände. – »Und es ist auch wahr, daß man sie verjagt hat?« stieß er hervor. – »Sire, erkundigen Sie sich,« antwortete der Musketier. – »Verjagt!« schrie der König. »Von wem?«

Er vergaß die Gesandten, die Politik, die Etikette, die Minister und die ganze Gesellschaft. Seine Mutter stand auf – Madame erhob sich neben ihr, unwillkürlich zitternd, die Königin bedeckte das Gesicht mit den Händen. – »Meine Herren,« rief Ludwig XIV., »die Audienz ist zu Ende; ich werde Spanien und Holland schriftlich meinen Willen kundtun.« Und er entließ die Gesandten mit einer gebieterischen Handbewegung.

»Geben Sie acht, mein Sohn,« sagte die Königin-Mutter im Tone des Unwillens, »Sie sind, wie mir scheint, nicht Herr über sich selbst.« – »Ha, Königliche Hoheit,« brüllte der junge Löwe in furchtbarem Grimm, »wenn ich nicht Herr über mich bin, so schwöre ich Ihnen, ich werde Herr über die sein, die mich beschimpfen! Folgen Sie mir, Herr d’Artagnan!« – Unter dem Entsetzen aller verließ er rasch den Saal. Die Gesandten bezogen seine letzten Worte auf sich selbst und ihre Länder, doch Colbert hatte Geistesgegenwart genug, sie zu beschwichtigen.

Ludwig XIV. eilte die Treppe hinab und stürmte durch den Hof. – »Majestät gehen falsch,« sagte d’Artagnan. – »Nein, ich will zum Marstall,« rief Ludwig. – »Nicht nötig, Sire. Ein Pferd steht schon bereit.« – Der König antwortete seinem Diener nur mit einem Blick, doch dieser Blick verhieß mehr, als der Ehrgeiz von drei d’Artagnans zu hoffen gewagt hätte.

Manicamp und Malicorne, die d’Artagnan als Begleiter mitnehmen wollte, weniger weil er sie für sehr geeignet hielt, als weil er niemand anders zur Hand hatte, saßen bereits im Sattel, und in zehn Minuten – denn der Musketier hatte die besten Pferde genommen – traf die Kavalkade in Chaillot ein. Ludwig klopfte ungestüm an die Pforte und ließ sich ins Sprechzimmer führen. Luise befand sich dort – sie lag vor einem großen Kruzifix auf den Knien. Der König behielt nur d’Artagnan bei sich. Als Luise das Geräusch der Eintretenden hörte, sah sie erschrocken auf, und beim Anblick des Königs stieß sie einen furchtbaren Schrei aus. Er sprang hinzu und zog sie in die Arme.

Die Aebtissinnen und mehrere Klosterschwestern eilten herbei und erhoben ein lautes Geschrei beim Anblick der zwei Männer; aber an der hoheitsvollen Haltung des einen erkannte die Vorsteherin, daß sie einen hochstehenden Herrn vor sich habe, und zog sich mit ihren Frauen zurück. Ludwig war bereits willens, einen seiner Kavaliere nach seinem Arzt zu schicken, als die Lavallière die Augen aufschlug und ihn erkannte.

»Ha!« stammelte sie, »so ist das Opfer noch nicht vollendet?« – »Nein, nein!« rief der König, »und wird es nie werden! Das schwöre ich Ihnen!« – Sie erhob sich. »Und doch muß es sein,« sagte sie, »man hindere mich nicht.« – »Ich werde nicht dulden, daß man Sie opfert!« erwiderte der König. – Bei diesen Worten verließ d’Artagnan das Zimmer.

»Sire,« fuhr die Lavallière fort, »treten Sie nicht zwischen mich und die einzige Zukunft, von der ich noch Heil zu erwarten habe; und opfern auch Sie nicht all Ihre Zukunft einem Gefühl, das doch nur Laune bleibt.«

»Laune!« rief der König. – »Ja, Sire, ob Sie auch anderer Meinung sind – dieses Gefühl muß zuletzt doch den Pflichten weichen, die Ihnen obliegen, Sie müssen mich vergessen!« – »Sie vergessen?« rief der König. – »Ja, Sie haben es ja auch schon getan. Sie können doch nicht eine Person lieben, in deren Tod Sie in dieser Nacht selbst eingewilligt haben. Oder muß ich Sie an das erinnern, was Sie mich gestern früh schwören ließen – was Sie selbst beschworen? Nie eine Nacht über einem Mißverständnis verstreichen zu lassen, ohne uns aufzusuchen oder Briefe auszutauschen?«

»O, verzeihen Sie mir, Luise, die Eifersucht hatte mich närrisch gemacht!« – »Sire, die Eifersucht ist ein böses Unkraut, das immer nachwächst. Sie werden wieder eifersüchtig sein und mich schließlich töten. Lassen Sie mich hier sterben!« – »Noch ein solches Wort, und Sie werden mich zu Ihren Füßen sterben sehen!« – »O, Sire. Sie werden sich doch nicht für eine Unglückliche, die alle Welt verachtet, zugrunde richten wollen!« – »Nennen Sie mir die, die Sie beschuldigen!« – »O, ich habe gegen niemand Klage zu führen, Majestät. Lassen Sie mich! Sie kompromittieren sich, indem Sie mit mir sprechen. Ueberlassen Sie mich Gott!«

»Nein, ich werde Sie selbst dem Himmel entreißen!«

»Sire,« versetzte Luise fest, »da müßten Sie mich zuvörderst den grausamen Feinden entreißen, die mir nach Ehre und Leben trachten. Wenn Sie den Mut haben, mich zu lieben, so haben Sie auch Macht genug, mich zu verteidigen. Und doch ist die, die Sie lieben, beschimpft, verhöhnt, verjagt worden. Sie sehn nun wohl, ich habe keinen andern Beschützer als Gott, keinen andern Trost als das Gebet, keine andere Zuflucht als das Kloster!«

»Sie werden in meinem Palast, an meinem Hofe bleiben. Fürchten Sie nichts mehr, Luise! Die Frauen, die Sie gestern verstoßen haben, sollen morgen vor Ihnen zittern. Mit blutigen Tränen sollen sie die Tränen bezahlen, die sie Ihnen verursacht haben. Nennen Sie mir nur Ihre Feinde!« – »Nimmermehr!« antwortete sie entschlossen. »Sire, diejenigen, die zu bestrafen wären, sind mächtig genug, die Hand des Königs gegen mich selbst zu wenden!« – »Sie kennen mich nicht!« rief Ludwig entrüstet. »Ich werde alles vernichten, was sich zum Feinde des sanftesten Geschöpfes auswirft, das Gott geschaffen hat.«

»Sire, ein letztes Mal, gehen Sie! Ueberlassen Sie mich der Ruhe, in die ich mich geflüchtet; ich fühle mich sicherer unter der Hand Gottes.« – »O, so sagen Sie erst, Sie lieben mich nicht und mein Schmerz sei Ihnen gleichgültig. Sie hätten nur mit mir gespielt, um Ihrem Stolze zu schmeicheln!« – »Majestät, glauben Sie, was Sie für gut befinden! Nur glauben Sie nicht, ich könnte einen Krieg gegen Ihre ganze Familie beginnen! Ich könnte es dulden, daß Sie sich meinetwegen mit Mutter, Gemahlin und Schwester entzweien.«

»Ah, endlich haben Sie Ihre Feindinnen genannt. Diese also waren es! Beim allmächtigen Gott, ich werde sie bestrafen.« – »Das eben ist es, was mir Angst vor der Zukunft einflößt, warum ich nicht will, daß Sie mich rächen sollen. Es ist genug der Schmerzen, Tränen und Klagen! Ich habe genug geweint, geseufzt und gelitten. Ich bedarf all meines Mutes, mein Opfer zu vollenden. Machen Sie mich nicht wankend!«

»So liebst du mich nicht?« – »O, Sire, wenn ich Sie nicht liebte, so würde ich drein willigen, daß Sie mich rächen. Ich würde als Entgelt für den mir angetanen Schimpf den süßen Triumph hinnehmen, meine Feinde gedemütigt zu sehen. O, Sire! Sie sehen ja, ich verlange nicht einmal, daß Sie mich lieben, und doch ist Ihre Liebe für mich soviel wie das Leben! Ja, ich wollte sterben, weil ich der Meinung war, Sie liebten mich nicht mehr.«

»Ja, nun erkenne ich, Sie sind die frömmste, die verehrungswürdigste der Frauen! Und drum soll keine so geehrt, so geliebt sein wie Sie Luise! Ich schwöre es Ihnen, ich werde alles zerschmettern, was sich erhebt, Sie mir zu rauben! Doch nein, Luise! Sie wünschen, daß alles in Liebe und Güte abgetan werde – diktieren Sie mir nur mein Verhalten, ich werde gehorchen.«

»O, Sire, was bin ich armes Mädchen, einem König, wie Sie sind, etwas vorzuschreiben!« – »Sie sind mein Leben und meine Seele – und die Seele regiert doch den Leib, nicht wahr?« – »O, Sie lieben mich also, mein teurer Herr? Sie lieben mich! Dann habe ich nichts mehr zu wünschen auf Erden! Dann ist mir alles Glück zuteil geworden das ich von diesem Leben erhoffe!« – »Ja, Luise, und dieses Glück soll dir erhalten bleiben, ich gelobe es! Keine Gedanken mehr von Trennung und düsterer Verzweiflung! Die Liebe ist unser Gott – und du mußt für mich leben, wie ich für dich!«

»O, Sire! ich kann ja nicht an den Hof zurück – man hat mich verbannt!« – »Verbannt? Wer verbannt, wen ich zurückrufe?« – »O, Sire, etwas, das über den Königen steht: die Welt und die öffentliche Meinung. Sie können keine Frau lieben, die man hinausgewiesen hat, die von Ihrer Mutter, von Ihrer Schwägerin mit Schande überhäuft worden ist!« – »Luise, ich werde Ihnen beweisen, wie sehr ich Sie liebe. Ich werde etwas tun, was ich für niemand anders täte – ich werde mit Madame sprechen, ich werde sie zwingen, ihren Urteilsspruch zu widerrufen, ja, wenn es sein muß, werde ich bitten!«

»O, Sire, demütigen Sie sich nicht um meinetwillen – lieber will ich sterben!« rief Luise, überwältigt von seiner großen Liebe. – »Ich werde lieben, wie Sie lieben, und ich werde leiden, wie Sie gelitten haben,« antwortete Ludwig. »So will ich sühnen, daß ich mein Gelübde vergaß! Ja, teures Fräulein, seien wir groß wie unser Schmerz, und stark wie unsere Liebe! Mein einziges Gut, mein Leben, folge mir!« – Sie sträubte sich nicht länger, sie ließ sich von ihm emporheben und hinaustragen. Draußen sah sie d’Artagnan. – »O,« murmelte sie schmerzlich, »so haben Sie mich doch verraten, Herr d’Artagnan. Sie hatten geschworen –«

»Ich hatte geschworen, dem König nichts zu sagen,« antwortete der Chevalier lächelnd. »Ich habe mein Wort gehalten, denn ich habe es nicht dem König, sondern Herrn von Saint-Aignan erzählt. Ich kann nichts dafür, wenn es der König gehört hat.« – Die Lavallière lächelte und reichte dem König die zitternde Hand. Ach, sie war ja nur zu glücklich, daß der Geliebte zu ihr gekommen war. – »D’Artagnan,« befahl der König, »lassen Sie eine Kutsche holen.« – »Sire, die Kutsche steht schon unten,« antwortete der Kapitän. – »Sie sind das Muster eines Dieners,« rief der König entzückt. Er trug das junge Mädchen auf seinen Armen hinab und hob sie in den Wagen. Dann ließ er sie in d’Artagnans Schutz und sprengte selbst zum Palast zurück, um alsbald Madame aufzusuchen.

Er war rot vom schnellen Ritt. Seine bestaubten, unordentlichen Kleider bildeten einen auffallenden Kontrast zu der sorgfältigen Toilette der Herzogin. Sie hatte die Aufregung der Szene im Empfangssaal noch nicht überwunden, und nun warf sein unerwarteter Besuch sie von neuem in die größte Verlegenheit zurück. Er ersparte sich jegliche Vorrede, setzte sich zu ihr und begann: »Königliche Hoheit, Sie wissen, Fräulein von Lavallière ist in ihrer Verzweiflung heute morgen entflohen und hat in einem Kloster Schutz gesucht.« – »Das erfahre ich jetzt erst von Eurer Majestät,« antwortete sie. – »Ich dachte, Sie hätten es heute früh beim Empfange der Gesandten erfahren,« sagte er. »Doch gleichviel! Warum haben Sie Fräulein von Lavallière weggeschickt?«

»Weil ich mit ihr nicht mehr zufrieden war,« antwortete sie. – Der König wurde blutrot, und seine Augen loderten auf. Doch hielt er an sich. – »Sie blamieren damit nicht nur das Mädchen, sondern dessen ganze Familie, und dazu bedarf es doch wohl eines sehr triftigen Grundes. Ein Ehrenfräulein wegschicken heißt, es eines Verbrechens, mindestens eines Fehlers beschuldigen. Welches Verbrechen hat Fräulein von Lavallière begangen?«

»Da Sie sich zum Beschützer dieses Mädchens aufwerfen, Majestät,« antwortete sie, »so will ich Ihnen eine Erklärung geben, die ich sonst niemand geben würde.« – »Wie? Niemand? auch dem König nicht?« rief Ludwig. »Madame, niemand in meinem Reiche darf sagen, er sei berechtigt, mir Erklärungen zu verweigern.« – »Ich nehme mir dieses Recht,« erwiderte sie trotzig, »und werde schweigen.« – Ludwig schämte sich schon ein wenig über seine Heftigkeit. »Madame, verstehen wir uns nicht falsch,« lenkte er ein, »Sie wissen, ich bin das Oberhaupt des gesamten Adels und habe über die Ehre aller Familien zu wachen. Wenn nun ein Ehrenfräulein – ob die Lavallière oder ein anderes –« Madame zuckte die Achseln. – »Ich wiederhole,« rief Ludwig, von neuem ungestüm, »ob sie oder eine andere durch Verbannung entehrt wird, so verlange ich eine Erklärung, damit ich dieses Urteil bestätigen oder verwerfen kann.«

»Verwerfen?« entgegnete sie stolz. »Wenn ich eine meiner Zofen wegschicke, so wollen Sie mir gebieten, sie wieder anzunehmen? Das war nicht nur ein Uebergriff, das wäre sogar eine Unanständigkeit!« – »Madame!« – »Jawohl! Wir reden ja unter vier Augen! Ich würde mich auflehnen gegen einen solchen Mißbrauch Ihrer Macht, der überhaupt gegen alle Würde ist, durch den Sie mich zu einer niedrigen Kreatur machen würden, noch niedriger als die, die ich fortschickte!«

Der König sprang voll Wut auf. – »Sie sind herzlos,« rief er. »Wenn Sie so an mir tun, so werde ich mit der gleichen Rücksichtslosigkeit gegen Sie verfahren.«

»Zur Sache, Sire!« antwortete sie, den Rückzug antretend. »Was verlangen Sie von mir?« – »Ich will zunächst wissen, inwiefern Fräulein von Lavallière gefehlt hat.« – »Sie hat Anlaß zu einem Duell gegeben, sie hat in einer Weise von sich reden machen, daß alle Welt empört ist. Ja, sie! denn unter dieser Hülle von Frommheit und Sanftmut birgt sich ein verschlagener, tückischer Geist. Ich kenne sie. Sie ist imstande, die ganze Königsfamilie gegeneinander zu hetzen. Hat sie nicht schon Zwietracht genug unter uns gesät? Wir beide zum Beispiel lebten in gutem Einvernehmen – sie hat mich bei Ihnen angeschwärzt.«

»Ich schwöre, es ist nie ein unwilliges Wort über ihre Lippen gekommen,« antwortete der König. »So zornig ich war, sie ließ sich dadurch nicht hinreißen, irgendwen anzuklagen. Ich versichere Ihnen, Sie haben keine ehrfurchtsvollere Freundin als sie!« – »Freundin!« rief Madame im Tone tiefster Verachtung. – »Madame,« versetzte der König erbittert, »ich sage Ihnen, die Lavallière wird das sein, was ich aus ihr mache, und wenn ich will, so setze ich sie auf einen Thron!« – »Er wird ihr wenigstens nicht durch Geburt zukommen,« antwortete die Herzogin kalt. »Sie können etwas tun für die Zukunft, aber nichts für die Vergangenheit.« – »Madame, Sie erinnern mich wieder daran, daß ich der Herr bin! Wollen Sie mir zugestehen, daß Fräulein von Lavallière zu Ihnen zurückkehren darf?« – »Wozu das, Sire, wenn Sie sie auf einen Thron setzen wollen?« – »Gut, ich muß wohl einen Waffenstillstand mit Ihnen schließen,« sagte Ludwig, wohl einsehend, daß er auf diesem Wege nicht zum Ziele kommen werde, »wollen Sie sich unserer Freundschaft erinnern, wollen Sie zu mir wie eine Schwester sein? Henriette! lassen Sie Ihr Herz sprechen! Denken Sie daran, daß Sie mich geliebt haben! Seien Sie nicht unbeugsam – um meinetwillen, Schwägerin, Schwester! Vergeben Sie der Lavallière!«

»Sire, alles in der Welt will ich für Sie tun – nur das nicht!« – »Treiben Sie mich nicht zur Verzweiflung – zwingen Sie mich nicht zum letzten äußersten Mittel – entfachen Sie nicht meinen Zorn – er könnte alles hinwegreißen–!« – »Sire, ich rate Ihnen Vernunft an.« – »O, Schwester, ich habe keine Vernunft mehr! Mitleid, Schwester! Es ist das erste Mal, daß ich bitte – meine letzte Hoffnung ist bei Ihnen!«

»O, Sire, Sie weinen!« – »Vor Wut, ja! vor Demütigung! Ich, der König, mußte mich erniedrigen, mußte bitten! Ich werde diesen Augenblick mein Leben lang verwünschen! Schwester, Sie haben mich in einer Sekunde mehr Böses erleiden lassen, als ich in der härtesten Bedrängnis meines Lebens erlitten habe!« – Der König stand auf und ließ seinen Tränen freien Lauf – Tränen des Zorns und der Scham. Madame empfand weder Rührung noch Mitleid; aber sie fürchtete, diese Tränen könnten alles Menschliche aus dem Herzen des Königs wegschwemmen.

»Sire, ehe Sie gedemütigt werden, muß ich mich der Demütigung unterziehen,« antwortete sie stolz, »befehlen Sie, ich werde dem König gehorchen.« – »Nun denn!« antwortete er, »nehmen Sie dieses arme Mädchen wieder an, vergeben Sie ihr?« – »Sie mag wieder in meinem Hause sein.« – »Und Sie werden sie aus Liebe zu mir gut behandeln, Schwester?« – »Ich werde sie behandeln, wie es einer Mätresse von Ihnen zukommt.«

Der König trat zurück. Durch dieses eine unglückselige Wort, das der stolzen Kokette entschlüpfte, vernichtete sie das ganze Verdienst ihres Opfers. Der König war ihr nichts mehr schuldig. – »Ich danke Ihnen, Madame,« sagte er, »und werde mich allzeit des mir erwiesenen Gefallens erinnern.« – Er verneigte sich förmlich und ging hinaus. An einem Spiegel vorübereilend, sah er, daß seine Augen gerötet waren, und stampfte mit dem Fuße. Es war zu spät; Malicorne und d’Artagnan, die an der Tür standen, hatten seine Augen gesehen. – »Der König hat geweint,« dachte Malicorne.

Der Kapitän aber näherte sich ehrfurchtsvoll und sagte leise: »Sire, Sie müssen über die kleine Treppe zurückkehren.« – »Warum?« – »Weil Sie noch Straßenstaub im Gesicht haben,« antwortete d’Artagnan. »Kommen Sie, Sire!«

  1. Wenn ich mich zeige, macht die Sonne halt. (Ludwig hatte die Sonne zu seinem Sinnbild.)