Am folgenden Tage fand die Rückkehr des gesamten Hofes nach Paris statt, und es war ein herrlicher Anblick, diese erlauchte Gesellschaft in Reisekleidern, diese stattliche Menge von prächtig gesattelten Pferden und prunkvollen Kaleschen zu sehen, diese unzählbare Schar von Kavalieren und Damen, von Pagen und Lakaien, von Bereitern und Troßknechten. Die Kutsche des Königs, die er mit seiner Mutter und seiner Gemahlin teilte, fuhr zuerst ab, dann folgte die des herzoglichen Paares und dann, dem Range entsprechend, die große Reihe der anderen.

Die Sonne schien drückend, und Madame war die erste, die sich über die große Hitze beklagte. »Ich hätte Sie für galanter gehalten,« sagte sie zu ihrem Gemahl, »Sie sollten doch mir den Wagen allein überlassen und den Weg zu Pferde zurücklegen.« – »Reiten? Bei der Glut?« versetzte Monsieur entsetzt. »Aber ich denke gar nicht daran, Madame! Ich habe auch kein Pferd hier.«

»Ich sehe doch aber dort Ihren Lieblingsfuchs,« antwortete sie, zum Fenster hinaussehend. »Ihr Stallmeister, Herr Malicorne, führt ihn am Zügel.« –

»Tatsächlich,« sagte Monsieur, sah auch hinaus und fiel gleich darauf zurück in die Kissen. »Das arme Tier! Ihm mag schön heiß sein.«

Inzwischen wurde es dem König ebenfalls zu eng im Wagen, doch weniger der Hitze wegen als aus Liebesverlangen. Er wünschte im Sattel zu sitzen, um an den Wagen der Ehrendamen zu reiten und sich am Anblick der geliebten Lavallière zu erfreuen. Die vielen Fragen der jungen Königin, die sich immer wieder nach seinem Befinden erkundigte, das Geschwätz der Königin-Mutter, die ihn um jeden Preis zerstreuen wollte, fielen ihm schwer auf die Nerven. Er klagte schließlich über Schmerzen in den Beinen, und Maria-Theresia fragte, ob er mit ihr aussteigen und ein Stück zu Fuß gehen wolle. Das war freilich ein Strich durch die Rechnung, aber er konnte es ihr nicht abschlagen. Nach wenigen Minuten merkte sie, daß ihm der Weg zu Fuß auch nicht besser behagte als die Fahrt im Wagen. Sie erklärte, sie wolle wieder einsteigen. Er führte sie an den Kutschenschlag, ließ sie aber allein Platz nehmen und sah sich, draußen stehenbleibend, nach einem Pferde um.

»Majestät haben einen Zelter verlangt?« rief eine Stimme hinter ihm, und Malicorne verneigte sich und bot dem König den Lieblingsfuchs Monsieurs an. – »Das ist kein Tier aus meinem Marstall,« sagte Ludwig. – »Es gehört Seiner Königlichen Hoheit,« antwortete Malicorne, »allein Monsieur reitet bei einer solchen Hitze nicht.« – Mit diesen Worten hielt er den Steigbügel, und Ludwig schwang sich hinauf. Lachend sprengte er an den Wagen der Königinnen. »Gott sei Dank, daß ich im Sattel sitze!« rief er ihnen zu. Dann hielt er an, ließ sie vorbeifahren und ritt im Galopp zurück. Anna von Oesterreich neigte sich zum Fenster hinaus und sah ihm nach.

Er ritt nicht weit; schon beim sechsten Wagen zog er die Zügel straff; der Fuchs blieb stehen. Ludwig XIV. zog anmutsvoll den Hut und grüßte mit einem glückseligen Lächeln Fräulein von Lavallière, die zusammen mit der Montalais fuhr. Er folgte dem Wagen ein Weilchen, ohne ein Wort, nur seine Augen führten eine beredte Sprache. Dann begann er eine belanglose Plauderei. – »Ich wäre erstickt im Wagen. Ein verständiger junger Mann erriet meinen Wunsch nach einem Reitpferd und erlöste mich von der furchtbaren Plage. Ich möchte seinen Namen wissen, denn ich kenne ihn noch nicht.« – Die Montalais ließ sich das nicht zweimal sagen. »Der Herr, der Eurer Majestät das Pferd gebracht hat,« sagte sie, »heißt Malicorne. Das war er doch, der dort drüben reitet, nicht wahr, Sire?« – Dabei wies sie auf ihren Verehrer, der natürlich hörte, daß von ihm die Rede war, sich aber mit heuchlerischer Miene das Ansehen gab, als sei er taub. – »Das war er, mein Fräulein,« antwortete Ludwig XIV. »Malicorne, ich werde mir den Namen merken.«

Nach kurzem Schweigen wandte der König sich an Fräulein von Lavalliere. »Nun ist die ländliche Freiheit zu Ende, mein Fräulein,« sagte er. »Mit der Rückkehr nach Paris wird Ihr Dienst bei Madame Sie mehr in Anspruch nehmen, und wir werden uns nur selten sehen.« – »Eure Majestät lieben Madame zu sehr, als daß Sie nicht oft zu ihr kommen werden,« antwortete Luise, »und wenn Majestät nur durchs Zimmer gehen …« – »Ah, das würde mir nicht genügen,« versetzte Ludwig, »und doch scheinen Sie damit zufrieden zu sein.« – Luise antwortete nur mit einem Seufzer. – »Sie haben sich sehr in der Gewalt,« sagte der König. »Gebrauchen Sie diese Kraft, um zu lieben, und ich werde Gott preisen, der sie Ihnen gegeben.«

Die Lavallière schwieg, doch ein seelenvoller Blick in des Königs Auge sagte mehr, als Worte vermocht hätten. Und als wäre dieser Blick wie ein brennender Strahl in sein Herz gedrungen, fuhr er mit der Hand an die Stirn und trieb das Pferd durch einen plötzlichen Druck der Schenkel vorwärts. Sie folgte dem schönen Reiter, dessen Hutfedern im Winde wallten. Sie lehnte sich zurück und verlor die geliebte Gestalt mit den schönen Locken nicht aus den Augen.

Nach wenigen Minuten schon war der König wieder an ihrer Seite. – »Fräulein,« sagte er, »es zerreißt mir das Herz, daß Sie so beharrlich schweigen. Sie sind unbarmherzig, so verschlossen zu bleiben. Ich muß das schließlich für Koketterie halten. Ich fürchte, Sie erwidern die tiefe Liebe nicht, die ich für Sie empfinde.« »O nein, Majestät,« erwiderte sie, »wenn ich lieben werde, so ist’s für’s ganze Leben!« – »Lieben werde!« rief er, »ah, da haben wir’s! Sehen Sie, daß ich recht habe, Sie der Koketterie, der Launenhaftigkeit anzuklagen!« – »O, nein, Sire, nein!« – »Versprechen Sie mir, für mich stets die gleiche zu bleiben!« – »O, immer, Majestät!«

»Ich liebe es, das, was mein Herz bewegt, unter die Bürgschaft eines Schwurs zu stellen,« sagte er. »Schwören Sie mir, wenn wir in dem Leben, das vor uns liegt, in diesem Leben, voll von Opfern, Geheimnissen, Schmerzen und vielleicht auch Zerwürfnissen, uns einmal falsch verstanden oder einander unrecht getan haben sollten, schwören Sie mir, Luise –«

Die Lavallière erbebte bis in den Grund ihrer Seele hinein, denn es war das erstemal, daß sie ihren Namen so vom Munde des Geliebten hörte. – »Schwören Sie mir,« fuhr er fort, »daß wir in einem solchen Falle, wenn eins dem andern fern ist, nie eine Nacht verstreichen lassen wollen, ohne einander aufzusuchen oder wenigstens einen beruhigenden oder erklärenden Brief zu wechseln.«

Luise nahm die heiße Hand des Geliebten in ihre beiden kalten Hände und drückte sie lange und zärtlich, bis ein Geräusch das Pferd erschreckte, das mit einem Satz vorwärts sprang. Sie hatten das Gelübde getauscht. »Majestät,« flüsterte Luise, »kehren Sie zu den Königinnen zurück – ich fühle es, dort droht mir ein Unwetter.«

Ludwig grüßte und ritt im Galopp zu dem Königswagen. Im Vorüberreiten sah er Monsieur – er schlief – sah er auch Madame – sie schlief nicht. – Die junge Königin lächelte ihm traurig zu und sprach nichts als die Worte: »Ist dir nun wohler, mein lieber Mann?«

In Paris begann der König sofort mit Colbert zu arbeiten, denn es galt, am folgenden Tage die Gesandten von Spanien und Holland zu empfangen: eine Aufgabe, die mit diplomatischem Geschick gelöst werden mußte, da in letzter Zeit die Beziehungen zwischen Frankreich und diesen beiden Reichen sich verhängnisvoll zugespitzt hatten. Während Majestät im Arbeitszimmer war, suchte Maria-Theresia, seine Gattin, die Königin-Mutter, auf, um ihr wieder einmal ihr Leid zu klagen. – »Ach, meine Mutter! der König liebt mich nicht mehr!« – Es war das alte Lied, aber es hatte diesmal eine neue Wirkung auf Anna von Oesterreich, nachdem sie unterwegs dem König aus dem Wagen nachgeschaut hatte. – »Was nennst du denn Liebe, mein Kind?« – »Wenn man immer an jemand denkt, sich immer nach jemand sehnt.« – »Und findest du, der König tue das? Ein König gehört seinem ganzen Reiche.«

»Und deshalb sind wohl auch fast alle Königinnen verlassen und vergessen,« sagte das arme Kind, »während andere Frauen Liebe, Ruhm und Ehren genießen. O, Mutter, der König ist so schön! Wie oft werden ihm andere das sagen! Und wenn ich daran denke, er könnte sich noch einen Herd neben dem unserigen schaffen – noch eine zweite Familie! Ach, wenn ich je Kinder vom König sähe, ich würde sterben!«

Anna von Oesterreich lächelte und faßte Maria bei der Hand: »Meine Tochter,« sagte sie, »trösten Sie sich: der König kann keinen Kronprinzen haben ohne Sie, Sie aber können einen haben ohne ihn.«

Madame ließ sich melden. Sie erschien mit einer Miene, die darauf deutete, daß sie einen bestimmten Plan entworfen habe und ein gewisses Ziel zu erreichen willens sei. – »Ich kam zu sehen,« begann sie, »ob die kleine Reise Ihre Majestäten angegriffen habe.« – »Mich gar nicht,« antwortete Anna. – »Mich ein wenig,« antwortete Maria-Theresia. – »Und dem König scheint sie gut bekommen zu sein, obwohl er bei der Hitze zu Pferde stieg.« – »Ich selbst habe ihm dazu geraten,« sagte Maria-Theresia. – »Haben Sie denn schon die schreckliche Geschichte vom Grafen Guiche erfahren?« fragte die Herzogin. – »Von seinem Kampf mit dem Eber, ja,« sagte Anna von Oesterreich. – Madame trat näher und sagte leise: »Es war ja ein Duell.«

»Ein Duell?« rief Maria-Theresia. »Und weshalb fand es statt?« – »Wegen einer meiner Ehrendamen,« antwortete Madame mit vielsagendem Blick. – »Etwa gar wegen der Lavallière?« fragte die Königin-Witwe. – »Ja, ihretwegen.« – »Sie ist wohl verlobt, wie ich höre, doch weder mit Herrn von Guiche, noch mit Herrn von Wardes,« fuhr Anna fort. »Alles in allem fängt diese Person nachgerade an, unausstehlich zu werden. Ich leide es nicht, daß an meinem Hofe die jungen Männer die Waffen miteinander kreuzen. Es ist ein Frevel, auf diese Weise meinem Sohne auch nur einen seiner Diener zu rauben. Aber nicht nur die Männer sind in solchem Falle zu bestrafen, sondern vor allem die koketten Dämchen, die die jungen Herren gegeneinander hetzen.« Sie wendete sich an die junge Königin und fragte: »Was soll mit dieser Lavallière geschehen?«

Maria-Theresia arbeitete an einer Stickerei, sah mit ^ einem eiskalten Blick auf und antwortete: »Lavallière? Kenne ich nicht.« Und sie zeigte dazu ein so frostiges Lächeln, wie es nur königlichen Lippen eigen ist. – »Man schickt sie in ihre Heimat zurück und gibt ihr eine Pension,« sagte Madame. – »Das ist meine Angelegenheit,« sprach die Königin-Witwe. – »Hoheit,« versetzte die Herzogin von Orléans, »sie ist eine meiner Ehrendamen.«

»Gleichviel!« antwortete Anna. »Ich bin des Königs Mutter und das Haupt der Familie. Kein Aufsehen, wenn ich bitten darf! Das alles muß en famille abgemacht werden. Lassen Sie das Mädchen hierher rufen, Madame! Und Sie, meine Tochter, begeben sich auf ein paar Augenblicke in Ihre Gemächer!«

Die Lavallière trat bei der Königin-Mutter ein, ohne zu ahnen, daß sich ein verhängnisvolles Komplott gegen sie entsponnen habe. Sie glaubte, es handle sich um eine dienstliche Angelegenheit, und im Dienst hatte die Königin-Mutter sich nie unfreundlich gezeigt. Sie näherte sich also der Fürstin mit jenem sanften Lächeln, das sie so gut kleidete. Da sie in gemessener Entfernung stehenblieb, der erwarteten Befehle harrend, rief Anna von Oesterreich: »Treten Sie nur ganz nahe heran, Fräulein, damit wir mit Ihnen plaudern, da doch schon alle Welt von Ihnen schwatzt.«

Die Lavallière erbleichte und sah auf Madame – aber die Herzogin trug eine Gleichgültigkeit zur Schau, die den Mutigsten entwaffnet hätte. – »Spielen Sie nur noch gar die Unwissende!« fuhr Anna fort. »Was sagen Sie zu dem Duell zwischen Herrn von Guiche und Herrn von Wardes?« – »Mein Gott, Königliche Hoheit, ich habe gestern erst davon gehört,« antwortete die Lavallière, die Hände faltend. – »Und haben nicht vorher schon gewußt, daß es dahin kommen würde?« – »Aber wie sollte denn ich das gewußt haben?« – »Weil Ihnen bekannt sein muß, weshalb die beiden Herren sich entzweit haben!« – »Das ist mir nicht bekannt, Königliche Hoheit.«

»Dieses System der Ausflüchte und des Leugnens sollte Ihnen selbst doch zu erbärmlich erscheinen,« begann Anna. – »Mein Gott, Eure Königliche Hoheit erschrecken mich!« rief die Lavallière. »Warum dieser eiskalte Ton? Sollte ich das Unglück haben, in Ungnade gefallen zu sein?« – »Man spricht zuviel von Ihnen, Fräulein,« versetzte die Königin-Mutter, »und ich sehe es nicht gern, wenn von den Mädchen des Hofes viel gesprochen wird.«

»Aber ich begreife nicht, Königliche Hoheit, wer sich mit mir beschäftigen sollte!« erwiderte Luise. – »Herr von Guiche zum Beispiel, der Sie verteidigt hat. Er ist Kavalier, und die schönen Abenteuerinnen haben es gern, wenn ein Kavalier eine Lanze für sie bricht. Ich hasse die Duelle, und ich hasse die Abenteuerinnen, die Ursache dazu geben.«

Die Lavallière machte eine tiefe Verneigung um sich stolz wieder aufzurichten. »Königliche Hoheit,« sprach sie leise, »ich habe gefragt, was mein Verbrechen sei. Noch habe ich es nicht vernommen, und Königliche Hoheit sollten mich nicht verdammen, ohne mir Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben.« – »Hören Sie nur die hübschen Redensarten, Madame!« rief Anna von Oesterreich. »Man sieht es, meine Allerschönste, wir haben schon viel gelernt durch den Verkehr mit gekrönten Häuptern. Nun, um deutlicher zu sprechen! Wenn Sie fortfahren, ein solches Benehmen zur Schau zu tragen, dann erniedrigen Sie uns Frauen dergestalt, daß wir uns schämen müssen, neben Ihnen zu figurieren. Werden Sie einfach, Fräulein! Uebrigens, was habe ich gehört? Sie sind Braut?« »Ja, Königliche Hoheit,« antwortete Luise, bleich wie eine Lilie. – »Verlobt mit einem Edelmann. Wie heißt er?« – »Graf von Bragelonne.« – »Wissen Sie auch, daß Sie da von Glück sagen können, Fräulein? Ein Mädchen ohne Vermögen, ohne Rang, ohne große persönliche Vorzüge sollte den Himmel preisen, der ihm eine solche Zukunft beschert. Wo ist Graf von Bragelonne?«

»In England,« mischte sich Madame ins Gespräch, »im Auftrag des Königs. Das Gerücht von den Erfolgen des Fräuleins wird wohl inzwischen schon zu ihm gelangt sein.«

»Man wird diesen jungen Mann zurückrufen, Fräulein,« fuhr Anna von Oesterreich fort, »und Sie werden Ihre Angelegenheiten mit ihm in Ordnung bringen. Sind Sie etwa anderer Meinung? Junge Mädchen haben manchmal wunderliche Ansichten. Ich gedenke Sie noch auf den guten Weg zurückzuführen. Ich nehme nun an, Sie haben mich verstanden.« – »Königliche –« – »Kein Wort mehr!« – »Königliche Hoheit, ich bin unschuldig an allem, was Sie mir vorwerfen! Sie sehen meine Verzweiflung –« – »Keine Komödie, wenn ich bitten darf!« unterbrach sie Anna von Oesterreich. »Ich könnte sonst eine gewaltsame Lösung des Knotens herbeiführen. Kehren Sie auf Ihr Zimmer zurück und beherzigen Sie diese Lektion!«

Luise wandte sich an die Herzogin von Orléans. »Nun, so bitten Sie für mich, Madame,« flehte sie. »Sie sind ja so gütig.« – »Ich?« erwiderte Henriette schadenfroh, »was fällt Ihnen denn ein, Fräulein?« – Und sie stieß brüsk die Hand des jungen Mädchens zurück. Die Lavallière gewann plötzlich all ihre Würde wieder. Statt in Tränen auszubrechen, wie die Fürstinnen erwartet hatten, sah sie diese ruhig an, verneigte sich und ging hinaus.

»Meinen Sie, daß sie wieder anfangen wird?« fragte Anna von Oesterreich. – »Diesen sanften Lämmern traue ich nicht,« erwiderte Madame. »Nichts besitzt so großen Mut wie ein duldsames Herz.« – »Ich bürge Ihnen dafür, sie wird sich sehr in acht nehmen,« antwortete die Königin-Mutter.

Es war halb sieben Uhr, als der König sein Mahl beendet hatte. Er stand auf, verließ die Tafel, nahm Saint-Aignans Arm und befahl, ihn zur Lavallière zu führen. Der Hofmeister erschrak. – »Was denn?« sagte der König. »Es wird mir doch zur Gewohnheit werden. Also fangen wir mal an!« – »Aber Sire, man muß uns sehen,« wandte der Graf ein, »es wäre doch ein Vorwand nötig.« – »Nichts von Vorwand! Ich mag nicht länger warten, ich habe genug von aller Geheimniskrämerei! Entehrt sich denn der König, wenn er mit einem geistreichen Mädchen spricht? Honny soit qui mal y pense9

»Und die Königin?« sprach Saint-Aignan. – »Na ja doch! Die Königin muß berücksichtigt werden. Gut! Diesen Abend will ich noch einmal so zur Lavallière gehen. Morgen will ich auf Vorwände sinnen.«

Darauf gab es nichts zu erwidern, und Saint-Aignan war nur froh, daß sie unbemerkt über den Hof und in den Seitenflügel gelangten, wo die Ehrendamen logierten. An der Tür wollte der Hofmeister sich entfernen, aber Ludwig hielt ihn zurück, er mußte dem König zur Lavallière folgen. Ludwig fand seine Geliebte in Tränen.

»Wie?« rief er aus. »Was haben Sie? was stimmt Sie traurig?« Doch sie weigerte sich, es zu sagen. – »Und Sie vermeiden es gar, mir ins Auge zu sehen?« fuhr der König fort, denn in der Tat wandte sie sich von ihm ab. »In des Himmels Namen, was ist vorgefallen? Hat man Sie verletzt, beleidigt vielleicht gar?«

»Nein, nein, Sire! mich hat niemand beleidigt.« – »Nun, so zeigen Sie mir wieder die schwärmerische Heiterkeit, die Mischung von Frohsinn und Melancholie, die mich so sehr an Ihnen entzückt.« – »Ja, mein Königlicher Herr –« – Ludwig stampfte mit dem Fuße. »Eine so tiefgehende Veränderung ist mir unerklärlich.« Er sah Saint-Aignan an, der sich ebenfalls über die düstere Einsilbigkeit der Lavallière wunderte.

Doch soviel der König auch in sie drang, soviel er auch nachsann, so sehr er sich auch bemühte, die traurige Stimmung zu besiegen – das Mädchen blieb wie erstarrt. Schließlich vermutete der König, sie sei an ihr Verlöbnis mit Bragelonne gemahnt worden und habe sich selbst der Treulosigkeit schuldig befunden. Dieser Argwohn lag nahe, da die Lavallière in ihrem Zimmer ein Jugendporträt des Grafen de la Fère hatte, welches seinem Sohne täuschend ähnlich sah.

Der König warf drohende Blicke auf dieses Bild. Die Lavallière, zu sehr mit ihrem Kummer beschäftigt, sah nichts davon. Ihr beharrliches Schweigen bestärkte Ludwig in seinem Verdacht, erinnerte ihn daran, daß der Graf de la Fère selber für seinen Sohn bei ihm um Luisens Hand angehalten hatte, und ließ ihn nun glauben, sie hätte bei ihrer Rückkehr nach Paris Briefe aus London erhalten. Von Eifersucht erfaßt, fragte er aufs neue, drang mit noch heftigerer Ungeduld auf Erklärung. Die Lavallière aber konnte und durfte nichts sagen, denn sie hätte sonst des Königs Mutter und des Königs Schwägerin anklagen müssen. Mit diesen zwei mächtigen Prinzessinnen aber konnte sie nicht in offene Fehde treten. Ueberdies bildete sie sich wirklich ein, sie brauche gar nichts zu sagen; wenn der König sie wahrhaft liebte, müsse er ahnen, was in ihr vorginge. Gab es eine Sympathie, so mußte sie vor allem der Liebe zu eigen sein. Sie schwieg also nach wie vor, seufzte, weinte und verbarg den Kopf in den Händen.

Diese Seufzer und Tränen hatten den König zuerst gerührt, dann erschreckt, jetzt erzürnten sie ihn. Opposition konnte er überhaupt nicht vertragen, am wenigsten aber die Opposition in Gestalt von Tränen. Nun wurden alle seine Worte scharf, fast verletzend. Aber sie schien entschlossen, selbst der Ungerechtigkeit von dieser Seite Trotz zu bieten. Statt aller Antwort schüttelte sie nur den Kopf und sprach nichts als die Worte: »Ach, mein Gott! Ach, mein Königlicher Herr!«

Diese sanften Laute reizten den König noch mehr, statt ihn zu beschwichtigen. Saint-Aignan blies obendrein noch in das Feuer seines Zorns, denn er hoffte angesichts dieser Szene, daß die dem ganzen Hofe unbegreifliche Liebe des Königs ein rasches Ende nehmen werde. Er erblickte in der armen Lavallière bereits eine gestürzte Größe und war zu sehr Hofmann, um nicht alsbald sein Verhalten danach einzurichten. Allein er kannte die Größe dieser königlichen Leidenschaft nicht.

Der König erhitzte sich noch mehr. Er ging hin und her, er lief zur Tür, als wollte er gehen. Endlich blieb er mit gekreuzten Armen vor der Lavallière stehen und rief: »Ein letztes Mal, mein Fräulein, wollen Sie sprechen? Wollen Sie sagen, weshalb Sie mit einem Male so anders, so verwandelt sind? Wollen Sie den Grund dieser Laune nennen?« – »Was soll ich sagen? Mein Gott, Sire, Sie sehen doch, Ihr Zorn zermalmt mich; ich bin jetzt nicht fähig zu denken, zu reden, etwas zu wollen.« – »Ist es denn so schwierig, die Wahrheit zu sagen? Sie hätten weniger Worte dazu gebraucht, als Sie jetzt vergeudet haben.« – »Was denn für eine Wahrheit?« – »Die ganze Wahrheit! Alles!« – Die Wahrheit drängte sich vom Herzen der Lavallière auf ihre Lippen. Sie wollte die Arme öffnen, doch sie sanken zurück, und ihr Mund blieb stumm. »Ich kann nichts sagen,« das war alles, was sie sprach. – »Das ist mehr als Koketterie, mehr als Laune,« rief der König. »Das ist Verrat!« Und er stürzte mit einer Gebärde des Zornes hinaus. Saint-Aignan folgte ihm. Auf der Treppe hielt Ludwig XIV. inne. »Da siehst du es, ich werde schändlich genarrt!« stieß er hervor. »Von Guiche hat sich im Namen dieses Bragelonne duelliert, und den Bragelonne liebt sie noch immer! Wahrlich, Saint-Aignan, ich würde vor Scham sterben, wäre in drei Tagen noch ein Atom von dieser Liebe in meinem Herzen!« – »Ich habe es Eurer Majestät immer gesagt,« murmelte Saint-Aignan, indem er dem König nacheilte und unterwegs zu den Hoffenstern hinaufsah.

Diesmal waren sie nicht so glücklich wie beim Hinweg: ein Vorhang wurde gelüftet. Das Gesicht der Herzogin von Orléans zeigte sich. Sie hatte den König aus den Räumen ihrer Ehrendamen weggehen sehen, verließ alsbald ihr Zimmer und eilte in das Gelaß, aus dem der König eben kam.

Die Lavallière sah dem Geliebten nach und hob die Arme, hob den Fuß, als wollte sie ihn zurückhalten, als wollte sie ihm nachgehen. Aber der Klang seiner Schritte verlor sich im hallenden Korridor. Kraftlos sank sie vor dem Kruzifix nieder. Da blieb sie gebrochen, zermalmt, zerschmettert von ihrem Schmerz liegen, unfähig, sich zu vergegenwärtigen, was eigentlich geschehen sei. Die Tür ging auf – sie hörte es wohl, aber sie sah nicht danach. Da schoß es ihr in den Kopf, es sei vielleicht der König, der zurückkehre. Sie hob das in Tränen gebadete Gesicht.

Madame stand vor ihr. Doch was lag ihr an der Herzogin? Sie sank zurück und ließ das Haupt wieder auf den Betstuhl fallen.

»Fräulein,« sprach Madame zornig, aufgeregt, »es ist sehr schön, auf den Knien zu liegen und die Fromme zu spielen. Doch da Sie dem König des Himmels so sehr ergeben sind, so geziemt es sich auch, ein wenig den Willen der irdischen Fürsten zu respektieren.« – Die Lavallière sah auf, ein starrer, fast unbewußter Blick bewies, daß sie kaum verstand, was zu ihr gesprochen wurde.

»Die Königin-Mutter hat Sie doch gewarnt, sich in acht zu nehmen, damit niemand Ursache fände, üble Gerüchte über Sie auszusprechen. Und jetzt ging doch schon wieder jemand von Ihnen fort, dessen Hiersein eine Ursache zu üblem Reden ist. Da mein Haus das der ersten Prinzessin ist, so soll es dem Hofe kein schlechtes Beispiel geben; und das geschieht durch Ihr Betragen. Ich erkläre Ihnen daher, Fräulein – ich sage es Ihnen ohne Zeugen, da ich Sie nicht öffentlich demütigen will – Sie sind von Stund ab frei und können zu Ihrer Mutter nach Blois zurückkehren.«

Die Lavallière antwortete nicht; nur ein Schauer, der ihren ganzen Körper erzittern ließ, verriet, daß sie verstanden hatte. Madame ging hinaus.

Luise lag noch lange regungslos da; sie betete nicht einmal mehr. Allmählich kehrten die Gedanken zurück – sie fing an zu begreifen, was geschehen war. Ein Strahl der Hoffnung schimmerte in die Nacht ihres Herzens, wie ein Strahl Tageslicht in den Kerker eines Verurteilten. Sie dachte an die Fahrt nach Paris, sie sah den König neben ihrem Wagen, sie hörte, wie er ihr süße Worte der Liebe, der Treue zuflüsterte, sie fühlte seine Hand in der ihren und erinnerte sich des Gelübdes, das sie einander getan. »Es soll nach einem Zerwürfnis keine Nacht verfließen, ohne daß wir einander aufsuchen oder uns durch Briefe verständigen!« Es war ja nicht möglich, daß der König sein Versprechen nicht hielte, hatte er selbst ihr doch diesen Schwur abgerungen, wie ein Despot, der Liebe ebenso verlangt wie Gehorsam. Wenn er nicht kam, dann bewies er damit eben, daß er keine Liebe hatte, oder daß dieses erste Hindernis auf dem Wege ihn schon zur Umkehr bewog.

Er mußte also kommen! – Und so wartete das arme Kind mit bangender Seele, Stunde um Stunde! – O, wenn er käme, wie würde sie ihm entgegeneilen – wie würde sie alles vergessen über der Freude, ihn wiederzusehen, wie wollte sie ihm sagen: »Nicht ich bin es, die Sie nicht liebt – jene sind es, die mich hindern wollen, Sie zu lieben!« – Indessen sie nachsann, mußte sie sich sagen, der König sei unschuldig. Er konnte nichts wissen. Wenn sie ihn in Gedanken beschuldigt hatte, an dem Komplott ihrer Feindinnen teilzuhaben, so war das unrecht von ihr. Ihr hartnäckiges Schweigen mußte ihn befremden. Ja ungeduldig, herrisch, reizbar, wie er war, hatte er sich wirklich lange genug bemüht, sie zum Sprechen zu bewegen. O, wenn er nur käme, wenn er nur käme, wie würde sie ihm beweisen, daß sie ihn liebte!

So verrann die Zeit, und der König kam nicht. Nun hoffte sie wenigstens auf eine Nachricht. Er würde Saint-Aignan schicken, sagte sie sich, und sie würde auch ihm ihr Herz ausschütten. Und sie wartete. Selbst als es elf Uhr schlug, verlor sie die Hoffnung nicht; konnte doch bis Mitternacht noch immer ein Bote kommen. Doch die Stunde kam – die Lichter im Schloß erloschen – und auch für das arme Mädchen erlosch das Licht der letzten Hoffnung. Der König hatte den Schwur gebrochen, den er am selben Tage erst geleistet. Also liebte der König sie nicht mehr; der schöne Traum hatte jäh geendet. Ihre Herrin hatte sie verstoßen – schmählich hinausgewiesen, und doch war der König die einzige Ursache dieser Beschimpfung.

Ein bitteres Lächeln spielte um ihren Mund, die einzige Spur von Zorn, die sich während dieses langen Kampfes auf dem Engelantlitz des Opfers zeigte. An wen sollte sie sich nun wenden, bei wem Zuflucht suchen, da der König der Erde sie verließ? Ihr blieb nur noch der König des Himmels! Und sie blickte auf das Kruzifix und murmelte: »Mein Gott, du selbst schreibst mir vor, was ich zu tun habe. Tu bist der Herr, der nimmer die Verlassenen und Vergessenen verläßt und vergißt. Dir will ich mich weihen.« – Sie sank wieder vor dem Betstuhl nieder, legte den Kopf auf die Platte. So lag sie, bis der Tag dämmerte.

Beseelt von einem festen Entschlüsse, stand sie auf, warf einen Mantel über und ging hinaus. Sie erreichte die Gartentür in dem Augenblick, als ein Posten der Schweizergarden eingelassen wurde. Sie schlüpfte hinaus, ehe noch der Patrouillenführer Zeit hatte, sich zu fragen, wer diese junge Frau sei, die so früh aus dem Palast entwich.

  1. Der Spruch des englischen Hosenbandordens: Schande dem, der Schlechtes dabei denkt.