Dienstag, den 29. März.

Man muß einräumen, daß, obwohl viele prachtvolle Gebäude in Schonen errichtet sind, doch keines von ihnen allen so schöne Mauern hat wie der alte Kullaberg.

Der Kullaberg ist niedrig und langgestreckt. Er ist keineswegs ein großer oder gewaltiger Berg. Auf dem breiten Bergrücken liegen Wälder und Felder und hin und wieder eine Heide. Hier und da ragen runde Heidehügel und nackte Bergkuppen auf. Es ist nicht sonderlich schön dort oben, es sieht dort so aus wie an allen andern hochgelegenen Orten in Schonen.

Wer die Landstraße entlang geht, die mitten über den Berg führt, kann nicht umhin, sich ein klein wenig enttäuscht zu fühlen.

Aber dann biegt er am Ende zufällig vom Wege ab und geht an die Seiten des Berges hinaus und sieht an dem Abhang hinab, und dann entdeckt er plötzlich so viel, was des Sehens wert ist, daß er kaum weiß, woher er die Zeit nehmen soll, es alles zu sehen. Denn die Sache ist die, daß der Kullaberg nicht im Lande liegt mit Ebenen und Tälern rings umher wie andere Berge, sondern er hat sich ins Meer hinausgestürzt, so weit er kommen konnte. Nicht der geringste Streifen Landes liegt am Fuße des Berges und beschützt ihn gegen die Wellen des Meeres, nein, sie gelangen bis ganz an die Bergwände hinan und können sie nach ihrem Gutdünken abschleißen und formen.

Deswegen stehen die Bergwände dort so reichgeschmückt, wie es das Meer und sein Gehilfe, der Wind, nur zu tun vermochten. Da sind steile Schluchten, die tief in die Seiten des Berges eingeschnitten sind, und schwarze Felsklippen, die blank geschliffen sind von dem ständigen Peitschenschlag des Windes. Da sind einsame Steinsäulen, die sich kerzengerade aus dem Wasser erheben, und dunkle Grotten mit engem Eingang. Da sind lotrechte, nackte Felswände und Abhänge mit freundlichen Laubwäldern. Da sind kleine Landzungen und kleine Buchten mit kleinen Rollsteinen, die mit jedem Wellenschlag rasselnd auf und nieder gespült werden. Da sind stattliche Klippentore, die sich über dem Wasser wölben; da sind spitze Steine, die unaufhörlich von weißem Schaum überspritzt werden, und andere, die sich in schwarzgrünem, unveränderlich stillem Wasser spiegeln. Da sind Riesenkessel, die in die Felsklippen hineingegraben sind, und mächtige Spalte, die den Wandersmann locken, sich in die Tiefe des Berges bis in Kullamanns Höhle hineinzuwagen.

Auf und ab an allen diesen Schluchten und Klippen klettern und kriechen Ranken und Schlingpflanzen. Bäume wachsen dort auch, aber die Macht des Windes ist so groß, daß sich selbst die Bäume in Schlingpflanzen verwandeln müssen, um sich an den Abhängen festhalten zu können. Die Eichen liegen und kriechen an der Erde, während das Laub über ihnen steht wie eine gedrängte Wölbung, und niedrigstämmige Buchen stehen in den Schluchten gleich großen Laubzelten.

Diese eigentümlichen Bergwände im Verein mit dem breiten, blauen Meer da draußen und der sonnenzitternden, starken Luft darüber machen den Kullaberg den Menschen so lieb, daß große Scharen von ihnen jeden Tag, so lange der Sommer währt, dahinaufziehen. Schwieriger ist es wohl, zu sagen, was den Berg so anziehend für die Tiere macht, daß sie sich jedes Jahr dort zu einer großen Spielversammlung scharen. Aber das ist eine Sitte, der sie seit Olyms Zeiten gefolgt sind, und man hätte schon mit dabei sein müssen, als die erste Welle an dem Kullaberg zu Schaum zerschellte, um erklären zu können, warum gerade er vor allen andern Orten zum Stelldichein gewählt wurde.

Wenn die Zeit zur Versammlung da ist, legen die Kronhirsche, die Rehe, die Hasen, die Füchse und die andern wilden, vierfüßigen Tiere schon in der Nacht die Reise nach Kullaberg zurück, um nicht von den Menschen gesehen zu werden. Kurz ehe die Sonne aufgeht, ziehen sie alle auf den Spielplatz, eine Heide links vom Wege, nicht weit von der äußersten Landzunge des Berges.

Der Spielplatz ist auf allen Seiten von runden Felshöhlen umgeben, die ihn vor jedem verbergen, der nicht zufällig ganz hineingelangt. Und im März ist es nicht wahrscheinlich, daß sich ein Wandersmann dahin verirrt. Alle die Fremden, die sonst auf den Hügeln umherstreifen und an den Bergwänden in die Höhe klettern, sind schon vor vielen Monaten in die Flucht gejagt worden. Und der Leuchtturmwärter draußen auf der Landzunge, die alte Frau in Kullahof und der Kullabauer und seine Leute gehen ihre gewohnten Wege und laufen nicht auf den einsamen Heideflächen umher.

Wenn die Tiere auf den Spielplatz gekommen sind, lassen sie sich auf den runden Bergkuppen nieder. Jede Tierart hält sich für sich, obwohl naturgemäß an einem solchen Tage allgemeiner Friede herrscht, so daß niemand einen Überfall zu befürchten braucht. An diesem Tage könnte ein kleines junges Häslein über den Hügel der Füchse laufen, ohne auch nur eines seiner langen Ohren einzubüßen. Aber trotzdem stellen sich die Tiere in verschiedenen Scharen auf. Das ist eine alte Sitte.

Haben sie alle ihre Plätze eingenommen, so fangen sie an, sich nach den Vögeln umzusehen. An dem Tage pflegt immer gutes Wetter zu sein. Die Kraniche sind vorzügliche Wetterpropheten und würden die Tiere nicht zusammenrufen, falls Regen zu erwarten wäre. Aber obwohl die Luft klar ist, und nichts die Aussicht behindert, sehen die vierfüßigen Tiere doch keine Vögel. Das ist sehr sonderbar. Die Sonne steht hoch am Himmel, und die Vögel müßten bereits unterwegs sein.

Die Tiere auf dem Kullaberge bemerken aber hier und da eine kleine Wolke, die langsam über die Ebene hingleitet. Und siehe! Eine von diesen Wolken steuert jetzt plötzlich an der Küste des Öresunds entlang, nach dem Kullaberge hinauf. Als die Wolke gerade über dem Spielplatz angelangt ist, bleibt sie stehen, und im selben Augenblick fängt die ganze Wolke an zu klingen und zu zwitschern, als bestünde sie nur aus Tönen. Sie steigt und sinkt, steigt und sinkt, aber während der ganzen Zeit klingt und zwitschert sie. Schließlich fällt die ganze Wolke auf eine Bergkuppe nieder, die ganze Wolke auf einmal, und einen Augenblick später ist die Bergkuppe ganz verdeckt von grauen Lerchen, hübschen rot-grau-weißen Buchfinken, metallglänzenden Staren und gelbgrünen Meisen.

Gleich darauf kommt noch eine Wolke über die Ebene hingetrieben. Sie macht halt über jedem Gehöft, über den Häuslereien und den Herrensitzen, über kleinen Städten und großen Städten, über Bauernhöfen und Eisenbahnstationen, über Fischerdörfern und Zuckerfabriken. Jedesmal, wenn sie halt macht, saugt sie von den Gebäuden unten auf der Erde eine kleine, in die Höhe wirbelnde Wolke aus kleinen, grauen Staubkörnchen auf. Auf diese Weise wächst und wächst sie, und als sie endlich gesammelt ist und auf den Kullaberg zusteuert, ist sie keine einzelne Wolke mehr, sondern eine ganze Wolkendecke, die so groß ist, daß sie einen Schatten auf die Erde wirft, der von Höganäs bis Mölle reicht. Als sie über dem Spielplatz halt macht, verbirgt sie die Sonne, und lange müssen Spatzen auf eine der Bergkuppen herabregnen, ehe diejenigen, die sich im Innersten der Wolkendecke befinden, wieder einen Schimmer des Tageslichts zu sehen bekommen.

Aber die größte von diesen Vogelwolken ist doch die, die jetzt sichtbar wird. Sie ist aus Scharen gebildet, die von überall her geflogen kommen und sich ihr angeschlossen haben. Sie ist schwer blaugrau, und nicht ein Sonnenstrahl kann sie durchdringen. Sie nahet finster und schreckeinjagend wie eine Gewitterwolke. Sie ist angefüllt mit dem scheußlichsten Lärm, dem unglückverheißendsten Hohnlachen. Alle unten auf dem Spielplatz freuen sich, als sie sich endlich in einen Regen von flügelschlagenden und krächzenden Krähen und Raben und Dohlen und Saatkrähen auflöst.

Dann erscheinen am Himmel nicht nur Wolken allein, sondern eine Menge verschiedener Striche und Zeichen, gerade punktierte Linien im Osten und Nordosten. Das sind Waldvögel aus den Göinger Harden: Birkhähne und Auerhähne, die in langen Reihen in einem drei Ellen weiten Abstand voneinander geflogen kommen. Und die Schwimmvögel, die auf Maakläppen vor Falsterbo nisten, kommen jetzt in vielen wunderlichen Flugordnungen über den Öresund dahergeschwebt: in Dreiecken und in langen Winkeln, in schiefen Haken und in Halbkreisen.

Zu der großen Versammlung, die in dem Jahr stattfand, als Niels Holgersen mit den wilden Gänsen umherflog, kamen Akka und ihre Schar später als alle die andern, und darüber konnte man sich nicht verwundern, denn Akka war über ganz Schonen geflogen, um nach dem Kullaberg zu gelangen. Außerdem hatte sie, sobald sie am Morgen erwachte, ausfliegen müssen, um nach Däumling zu suchen; der war viele Stunden lang gewandert und hatte den grauen Ratten auf der Flöte vorgespielt, um sie weit von Glimminghaus wegzulocken. Der Eulenvater war mit der Nachricht heimgekehrt, daß die schwarzen Ratten gleich nach Sonnenaufgang wieder daheim sein würden, und so war denn keine Gefahr mehr, wenn man die Flöte der Turmeule verstummen und die grauen Ratten laufen ließ, wohin es ihnen beliebte.

Aber nicht Akka entdeckte den Jungen, wie er da mit seinem großen Gefolge ging, nicht sie ließ sich schnell zu ihm herab, packte ihn mit dem Schnabel und schwebte mit ihm in die Luft empor, nein, das alles tat Herr Langbein, der Storch. Denn Herr Langbein hatte sich ebenfalls aufgemacht, um nach ihm zu suchen, und hinterher, als er ihn in das Storchennest hinaufgebracht hatte, bat er ihn um Verzeihung, weil er ihn am Abend zuvor mit Geringschätzung behandelt hatte.

Darüber freute sich der Junge sehr, und der Storch und er wurden gute Freunde. Akka war auch sehr freundlich gegen ihn, scheuerte ihren alten Kopf mehrmals an seinem Arm und lobte ihn, weil er denen geholfen hatte, die in Not waren.

Aber das muß man zur Ehre des Jungen sagen: er nahm kein Lob an, das er nicht verdient hatte. »Nein, Mutter Akka,« sagte er, »Sie müssen nicht glauben, daß ich die Grauen weglockte, um den Schwarzen zu helfen. Ich wollte nur Herrn Langbein zeigen, wozu ich zu gebrauchen war.«

Kaum hatte er diese Worte gesagt, als sich Akka an den Storch wandte und fragte, ob er glaube, daß es angehe, Däumling mit nach dem Kullaberge zu nehmen. »Ich finde, wir können uns auf ihn verlassen wie auf uns selbst,« sagte sie. Der Storch riet sofort sehr eifrig zu, Däumling mitzunehmen. »Natürlich müssen Sie Däumling mit nach dem Kullaberg nehmen, Mutter Akka,« sagte er. »Es ist ein großes Glück für uns, daß wir ihn für alles belohnen können, was er über Nacht für uns ausgestanden hat. Und da es mich noch quält, daß ich mich gestern abend nicht hübsch gegen ihn aufgeführt habe, will ich ihn auf meinem Rücken ganz bis an den Versammlungsort tragen.«

Es gibt nicht viel, was besser schmeckt, als Lob von denen zu empfangen, die selbst klug und tüchtig sind, und der Junge war nie so glücklich gewesen, wie jetzt, wo die wilde Gans und der Storch so von ihm sprachen.

Der Junge legte also die Reise nach dem Kullaberge auf einem Storchenrücken sitzend zurück. Obwohl er wußte, daß dies eine große Ehre war, verursachte es ihm doch viel Angst. Denn Herr Langbein war ein Meister im Fliegen und sauste mit einer ganz andern Geschwindigkeit dahin als die wilden Gänse. Während Akka den geraden Weg mit gleichmäßigen Flügelschlägen flog, belustigte sich der Storch damit, eine Menge Fliegekunststücke zu machen. Bald lag er in einer unermeßlichen Höhe ganz still und schwamm auf der Luft, ohne die Flügel zu bewegen, bald warf er sich mit so starker Geschwindigkeit herab, daß man ein Gefühl hatte, als falle man auf die Erde wie ein Stein, bald trieb er Kurzweil, indem er sich in großen und kleinen Kreisen rund um Akka herumschwang wie ein Wirbelwind. Der Junge hatte noch nie etwas Ähnliches mitgemacht, und obwohl er sich in steter Angst befand, mußte er sich doch gestehen, daß er nie zuvor gewußt hatte, was ordentliches Fliegen war.

Sie machten nur eine einzige Unterbrechung in der Reise, nämlich als sich Akka auf dem Bombsee den Reisegefährten anschloß und ihnen zurief, daß die grauen Ratten überwunden seien. Dann flogen sie alle geraden Weges nach dem Kullaberge.

Dort ließen sie sich auf dem obersten Teil der Bergkuppe nieder, die den wilden Gänsen vorbehalten war, und als nun der Junge den Blick von einer Kuppe zur andern wandern ließ, sah er, daß sich über der einen das vielzackige Gehörn des Kronhirsches erhob, und über einer der andern die grauweißen Nackenfedern des Reihers. Eine Bergkuppe war rot von Füchsen, eine war schwarz und weiß von Strandvögeln, eine war grau von Ratten. Eine war mit schwarzen Raben bedeckt, die unaufhörlich schrien, eine mit Lerchen, die nicht imstande waren, sich still zu verhalten, sondern sich unablässig in die Luft emporschwangen und vor Freude sangen.

Wie es stets auf dem Kullaberge herzugehen pflegt, eröffneten die Krähen die Spiele und die Kurzweil des Tages mit ihrem Flugtanz. Sie teilten sich in zwei Scharen, die gegeneinander flogen, sich begegneten, umkehrten und wieder von vorne anfingen. Dieser Tanz hatte viele Touren und erschien den Zuschauern, die nicht in die Regeln des Tanzes eingeweiht waren, zu einförmig. Die Krähen waren sehr stolz auf ihren Tanz, und alle andern waren froh, als er beendet war. Die Tiere fanden ihn ebenso trübselig und sinnlos wie das Spiel der Winterstürme mit den Schneeflocken. Sie wurden schlechter Laune von dem Ansehen und warteten gespannt auf etwas, das sie ein wenig belustigen konnte.

Sie sollten auch nicht vergebens warten, denn sobald die Krähen ihren Tanz beendet hatten, kamen die Hasen gelaufen. Ohne sonderliche Ordnung wimmelten sie in einer langen Reihe hervor. In einigen Reihen ging nur einer, in andern liefen drei oder vier nebeneinander. Alle hatten sie sich auf zwei Beine erhoben und kamen in einer solchen Fahrt dahergesaust, daß die langen Ohren nach allen Seiten flogen. Während sie liefen, drehten sie sich rund herum, machten hohe Sprünge und schlugen die Vorderpfoten gegen die Rippen, so daß es klatschte. Einige schossen eine lange Reihe Purzelbäume, andere duckten sich zusammen und rollten wie Räder auf der Erde dahin, einer stand auf einem Bein und drehte sich rund herum, einer ging auf den Vorderpfoten. Da war gar keine Ordnung, aber es lag gute Laune über dem Spiel der Hasen, und die vielen Tiere, die dastanden und ihnen zusahen, fingen an, schneller zu atmen. Jetzt war Frühling, Lust und Freude waren in Anmarsch. Der Winter war zu Ende. Der Sommer nahte. Bald war das Leben nur noch ein Spiel.

Als die Hasen sich ausgetollt hatten, kam die Reihe aufzutreten an die großen Waldvögel, hunderte von Auerhähnen in glänzend schwarzem Federkleid und mit schimmernd roten Augenbrauen schwangen sich in eine große Eiche hinauf, die mitten auf dem Spielplatz stand. Derjenige, der auf dem obersten Zweige sah, blies die Federn auf, senkte die Flügel und schlug den Schweif auseinander, so daß die weißen Deckfedern sichtbar wurden. Dann streckte er den Hals vor und entsandte ein paar tiefe Halstöne aus seiner schwellenden Kehle. »Tjäk, tjäk, tjäk,« klang es. Mehr konnte er nicht hervorbringen, es gluckste nur ein paarmal tief unten in der Kehle. Dann schloß er die Augen und flüsterte: »Sis, sis, sis. Hört, wie schön es ist! Sis, sis, sis.« Und im selben Augenblick verfiel er in eine solche Verzückung, daß er nicht mehr wußte, was um ihn her vor sich ging.

Während der erste Auerhahn noch »Sis, sis, sis« flüsterte, begannen die drei, die zunächst unter ihm saßen, zu singen, und ehe sie das Lied beendet hatten, begannen die zehn, die unter ihnen saßen, und so weiter von Zweig zu Zweig, bis alle die Hunderte von Auerhähnen sangen und glucksten und zischelten. Sie gerieten alle in dieselbe Verzückung während ihres Gesanges, und gerade dies wirkte auf die andern Tiere wie ein ansteckender Rausch. Noch vor kurzem floß das Blut lustig und leicht, jetzt fing es an, schwer und heiß zu strömen. »Ja, wahrlich ist es Frühling,« dachten die vielen Tiervölker. »Die Kälte des Winters ist entschwunden. Das Feuer des Lenzes brennt über der Erde.«

Als die Birkhähne merkten, daß die Auerhähne einen solchen Erfolg hatten, konnten sie sich nicht langer ruhig verhalten. Da dort kein Baum war, auf den sie sich setzen konnten, sausten sie auf den Spielplatz hinab, wo das Heidekraut so hoch stand, daß man nichts weiter sehen konnte als ihre schönen, wehenden Schwanzfedern und ihre dicken Schnäbel, und dann begannen sie zu singen: »Orr, orr, orr«.

Gerade als die Birkhähne anfingen, um die Wette mit den Auerhähnen zu singen, geschah etwas, was noch nie geschehen war. Während alle Tiere ganz in Anspruch genommen waren von dem Spiel der Auerhähne, schlich sich ein Fuchs ganz leise an die Bergkuppen der wilden Gänse heran. Er ging sehr vorsichtig und kam ein Stück des Hügels hinauf, ehe ihn jemand entdeckte. Plötzlich ward jedoch eine Gans seiner ansichtig, und da sie sich nicht denken konnte, daß sich ein Fuchs in guter Absicht zwischen die Gänse schlich, begann sie zu rufen: »Nehmt euch in acht, ihr wilden Gänse! Nehmt euch in acht!« Der Fuchs schnappte nach ihr, vielleicht hauptsächlich damit sie schweigen solle, aber die wilden Gänse hatten den Ruf bereits vernommen und hoben sich alle in die Luft empor. Und als sie davongeflogen waren, sahen die Tiere Reineke Fuchs auf der Bergkuppe der wilden Gänse stehen, die tote Gans im Rachen.

Aber weil Reineke so den Frieden des Spieltages gebrochen hatte, erhielt er eine so harte Strafe, daß er zeitlebens bereute, seiner Rachgier keinen Zwang angetan zu haben, daß er versucht hatte, doch einmal Akka und ihrer Schar Schaden zuzufügen. Er wurde sofort von einer Schar von Füchsen umringt und nach dem alten Gesetz verurteilt, das also lautet: Wer an dem großen Spieltage den Frieden stört, soll zu Landflüchtigkeit verdammt sein. Auch nicht ein Fuchs wollte das Urteil mildern, denn sie wußten alle, daß sie im selben Augenblick, wo sie das versuchten, vom Spielplatz verjagt werden würden und nie mehr ihren Fuß dorthin setzen durften. Also wurde Landesverweisung über Reineke ausgesprochen, ohne daß jemand Einspruch dagegen erhob. Es wurde ihm verboten, sich in Schonen aufzuhalten. Er wurde von Frau und Sippe verbannt, von Jagdgründen und Wohnung, von den Ruhestätten und Schlupfwinkeln, die bisher die seinen gewesen waren, und mußte sein Glück im fremden Lande suchen. Und auf daß alle Füchse in ganz Schonen wußten, daß Reineke dortzulande friedlos war, biß ihm der älteste der Füchse den rechten Ohrzipfel ab. Sobald das geschehen war, fingen alle die jungen Füchse an, vor Blutdurst zu heulen und stürzten sich über Reineke. Es blieb ihm nichts weiter übrig als zu fliehen, und mit allen den jungen Füchsen auf den Fersen eilte er fort vom Kullaberge.

Dies alles trug sich zu, während die Birkhähne und Auerhähne ihren Sängerkampf abhielten. Aber diese Vögel gehen in dem Maße in ihrem Gesang auf, daß sie weder sehen noch hören. Sie hatten sich auch gar nicht stören lassen.

Kaum war der Wettstreit der Waldvögel beendet, als die Kronhirsche vom Häckeberge vortraten, um ihr Kampfspiel zu zeigen. Es waren mehrere Paar Kronhirsche, die gleichzeitig kämpften. Sie stürzten sich mit großer Kraft aufeinander, schlugen die Geweihe dröhnend gegeneinander, so daß sie sich ineinanderflochten, und suchten sich gegenseitig hintenüber zu zwingen. Sie rissen Heidehügel mit ihren Hufen aus, ihr Atem stand wie eine Rauchwolke um sie, aus ihren Kehlen tönte ein fürchterliches Brüllen, und an ihrem Bug floß Schaum herab.

Ringsumher auf den Hügeln herrschte atemlose Stille, während die streitgewohnten Hirsche kämpften. Und bei allen Tieren wurden neue Gefühle wachgerufen. Alle fühlten sie sich mutig und stark, belebt von wiederkehrender Kraft, neugeboren vom Frühling, frisch und aufgelegt zu allerhand Abenteuern. Sie empfanden keinen Zorn gegeneinander, aber doch hoben sich alle Flügel, die Nackenfedern sträubten sich, die Krallen wurden gewetzt. Hätten die Häckeberger noch einen Augenblick weitergestritten, würde auf den Hügeln ein wilder Kampf entstanden sein, denn sie waren alle von einem brennenden Verlangen erfaßt, zu zeigen, daß auch sie voller Leben waren, daß die Ohnmacht des Winters vorbei war, daß ihre Leiber von Kraft glühten.

Aber die Kronhirsche beendeten ihren Kampf im rechten Augenblick, und sofort lief ein Flüstern von einem Hügel zum andern: »Jetzt kommen die Kraniche.«

Und dann kamen die Vögel im grauen Dämmerungsgewande, mit Federbüschen auf den Flügeln und rotem Federschmuck im Nacken. Die großen Vögel mit ihren hohen Beinen, ihren schlanken Hälsen und ihren kleinen Köpfen kamen in mystischer Verzückung die Hügel hinab. Während sie vorwärtsglitten, drehten sie sich herum, halb fliegend, halb tanzend. Die Flügel anmutig erhoben, bewegten sie sich mit unbegreiflicher Schnelligkeit. Es lag etwas Seltsames und Fremdes über ihrem Tanz. Es war, als spielten graue Schatten ein Spiel, dem die Augen kaum zu folgen vermochten. Es war, als hätten sie es von den Nebeln gelernt, die über den einsamen Mooren schweben. Es lag Zauberei darin. Alle, die noch nie auf dem Kullaberge gewesen waren, begriffen, warum die ganze Zusammenkunft ihren Namen nach dem Tanz der Kraniche hatte. Es lag Wildheit darüber, aber das Gefühl, das es wachrief, war trotzdem eine sanfte Sehnsucht. Niemand dachte jetzt mehr daran, zu kämpfen. Aber statt dessen empfanden alle, die Beschwingten und die, so da keine Schwingen hatten, ein Sehnen, unendlich hoch emporzusteigen, sich über die Wolken zu erheben, das zu suchen, was dahinter war, den beschwerenden Körper abzuwerfen, der zur Erde niederzog, und zu dem Überirdischen emporzuschweben.

Eine solche Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, nach dem, was sich hinter dem Leben verbirgt, empfanden die Tiere nur einmal im Jahre, nämlich an dem Tage, wo sie den großen Kranichtanz sahen.