Achtunddreißigstes Stück.

Der gute Delphin. – Zwei bestrafte Räuber.

Bengele schwamm mit einer Sicherheit, die jedem Fische Ehre gemacht hätte. Vater Seppel saß rittlings auf dem hölzernen Kleinen; seine Beine hingen im Wasser; der alte Mann fröstelte und klapperte mit den Zähnen.

»Mut, Vater!« sagte Bengele, »bald sind wir am Ufer.« Seppel strengte seine Augen an wie ein alter Schneider, wenn er die Nadel einfädelt; er konnte kein Land erblicken.

Bengele tat so unerschrocken wie möglich; aber nach und nach schwand sein Mut, er atmete mühsam, seine Arme bewegten sich langsamer. Der Brave hielt aus, solange er konnte. Auf einmal verließen ihn die Kräfte und er stieß die Worte hervor:

»Hilf, Vater! – Ich sinke.«

In dieser höchsten Not kam unerwartete Hilfe. Es ließ sich eine Stimme vernehmen:

»Wer braucht Hilfe?«

»Mein Vater und ich.«

»Ist das nicht Bengeles Stimme?«

»Ja, wer bist du?«

»Der Delphin, euer Leidensgefährte im Bauche des Großen Hai.«

»Hilf uns, oder wir ertrinken.«

»Haltet euch an meinem Schwanze fest«, sagte der Delphin, »ich ziehe euch beide nach und schwimme ans Ufer.«

Bengele bat den freundlichen Fisch, daß er den Vater auf den Rücken nehme. Der Delphin war damit einverstanden und lud das Hampelchen ein, neben den Vater zu sitzen.

Ohne Anstrengung schwamm der starke Fisch wie ein Kahn dahin und spürte kaum die Last, die auf ihm ruhte.

Bengele fragte ihn:

»Wie bist du denn dem Großen Hai entkommen?«

»Ich habe es euch nachgemacht«, sagte er; »deiner Schlauheit verdanke ich meine Rettung.«

Sie erreichten rasch das Ufer. Bengele sprang von dem lebendigen Kahn und half dem Vater absteigen. Dann wandte er sich an den guten Delphin und sprach:

»Lieber Freund, mein Vater und ich verdanken dir das Leben. Ich bin ewig dein Schuldner; nimm als Zeichen der Dankbarkeit einen Kuß von mir an.«

Der Delphin streckte seinen Kopf aus dem Wasser, Bengele kniete nieder und drückte ihm einen lauten Kuß auf die Nase.

Solche Zärtlichkeit hatte der Delphin noch nie erlebt. Tränen trübten seine Augen. Er schämte sich seiner Rührung, zog den Kopf ins Wasser zurück und schwamm hinaus ins unendliche Meer.

Unterdessen war es heller Tag geworden. Vater Seppel war müde und kraftlos; kaum trugen ihn noch die Füße.

»Stütze dich auf meine Schulter, Vater«, sagte Bengele; »wir gehen ganz langsam und ruhen oft aus.«

»Was mag das für ein Land sein?« fragte Seppel.

»Mir scheint, es ist der Strand nahe bei unserer Heimat. – Wir wollen eine Fischerhütte suchen und die Leute bitten, daß sie uns einen Bissen Brot geben. Vielleicht finden wir auch ein Strohlager, um ein wenig zu rasten.«

Sie hatten noch keine hundert Schritte gemacht, so trafen sie am Wege zwei häßliche Bettler.

Es war der Fuchs und die Katze. – Man erkannte sie kaum wieder. Die heimtückische Katze hatte nun wirklich das Augenlicht verloren; der alte Fuchs war über und über räudig. An vielen Stellen fehlten schon alle Haare. Sogar um den stolzen Schwanz war er gekommen. Und das ging so zu:

Immer mehr geriet der schlaue Dieb und Räuber in Armut. Er hatte keinen einzigen Freund, der ihm helfen wollte. Der Hunger quälte ihn entsetzlich. Da verkaufte er einem vorbeiziehenden Händler um ein Paar Pfennige den buschigen Schwanz.

Als Bengele mit seinem Vater daherkam, fing der Fuchs mit heulender Stimme an:

»O Bengele, gib uns armen alten Leuten doch ein kleines Almosen.«

»– kleines Almosen«, jammerte die Katze hintendrein.

»Sieh mal diese alten Gauner!« sagte Bengele, »mich habt ihr einmal betrogen, das mag genügen.«

»Glaub es doch, Bengele, jetzt sind wir wirklich arm und elend.«

»– elend«, echote die Katze.

»Das habt ihr verdient«, sagte Bengele. »Kennt ihr das Sprichwort: ›Gestohlen Gut tut niemals gut‹?«

»Hast du kein Mitleid mit uns?«

»– Mitleid mit uns?«

»Laßt mich in Ruhe, ihr Gauner! Ihr verdient es nicht. – Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.«

»Bengele, sei barmherzig!«

»Barmherzig!«

So heulten die zwei Räuber und liefen dem Hampelmanne nach. Der aber ging mit Vater Seppel weiter und schaute sie nicht mehr an.