63. Hatto, Heriger und Willigis

Drei Namen der ältesten Erzbischöfe von Mainz hat die Sage des Volkes insonderheit von Mund zu Mund bis auf die späte Nachwelt getragen.

Hatto war gar ein strenger Herr, zornigen, treulosen Gemütes, ohne Furcht vor Gott und ohne Liebe zu den Menschen. Er war es, der durch schändlichen Verrat den edlen Grafen Adalbert von Babenberg in das Lager König Ludwigs IV. lockte, welcher denselben enthaupten ließ. Wenn Bischof Hatto eine Rede bekräftigen wollte, so soll er immerdar das Wort im Munde geführt haben: Sollen mich die Mäuse fressen, wenn’s nicht wahr ist. Nun trug sich’s zu, daß unter Hattos Regierung eine große Not und Teurung entstand, daß die Leute Hunde und Katzen aßen und viele Hungers starben. Und da war des Bettelns und Gabenheischens in dem Bischofhof zu Mainz kein Ende, und meinte Hatto, es sei am besten, das arme Volk käme eilend von der Welt, so hungere es nicht mehr, und er bliebe ungeplagt. Ließ daher alle Armen der Stadt in eine Scheune draußen vor dem Tore entbieten, als wolle er ihnen eine Mahlzeit zurichten lassen, und als alle darinnen waren, ließ er das Scheunentor verschließen und die Scheune an allen vier Ecken anzünden. Da nun die Eingesperrten gar ein jämmerliches Geschrei erhoben, so sagte der grausame Bischof: Hört ihr, wie meine Kornmäuse pfeifen? Nun wird der Bettel wohl ein Ende haben, sollen mich die Mäuse fressen, wenn’s nicht wahr ist! – Und siehe, da sprang eine Schar Mäuse aus dem Brand der Scheune hervor und an den Bischof hinan, die bissen ihn, und ihm graute. Als er nach Hause kam und sich zur Tafel setzte, liefen Mäuse auf der Tafel herum, fraßen von seinen Speisen, fielen in seinen Becher und bissen ihn in die Hände. Über seiner Lagerstatt und unter ihr und in ihr waren Mäuse und quälten ihn mit wütenden Bissen – da erkannte Hatto schaudernd das Gericht Gottes. Nun stand bei Bingen im Rheinstrom eine Wasserburg, dahin enteilte der Bischof, dort sicher zu sein, denn über das Wasser, meinte er, würden die Mäuse nicht kommen. Aber ehe er noch in das Schiff trat, waren schon die Mäuse drin, und da half kein Totschlagen, denn sie verkrochen sich, und ganze Scharen Wassermäuse kamen, die schwammen mit dem Schiff in die Wette nach der Turminsel bei Bingen. Auf einem großen Rheinfloß waren nicht so viele Menschen als Mäuse in und um Bischof Hattos Schiff. Und als er in dem Turme war, da fielen sie ihn an und bissen ihn und fraßen ihn bei lebendigem Leibe, und er litt brennende Höllenschmerzen von den zahllosen Bissen und verfluchte seine Seele zu allen Teufeln. Und die Teufel ließen nicht allzu lange auf sich warten, sie kamen dahergefahren im lichterlohen Brande und nahmen seine Seele und, was vom Leib die Mäuse übriggelassen hatten, und warfen es in den Schlund des Ätna. Und wo an einer Wand oder auf einer Tafel der Name des Bischofs Hatto zu lesen war, den nagten die Mäuse ab, selbst sein Gedächtnis zu vertilgen. Seitdem heißt der Rest von Hattos Wasserburg im Rhein bei Bingen der Mäuseturm. – Eine ähnliche Sage von einem Mäuseturm geht auch in der Provinz Posen, der steht im Goplosee.

Ein frommerer Mann war Erzbischof Heriger, auch streng, aber gerecht. Einst kam gen Mainz ein Mensch, der rühmte sich großer Dinge. Himmel und Hölle habe er durchwandert, und im Paradiese habe er gesessen. Da nun Heriger nach der Hölle Gelegenheit fragte, so antwortete der falsche Prophet, die Hölle liege rings von dichten undurchdringlichen Wäldern umgeben, des lachte Heriger und sprach: In diesen Wäldern mag wohl gute Saumast gefunden werden. Aber sage an, was du im Himmel gesehen? – Im Himmel, antwortete der Sohn des Vaters der Lügen, da habe ich Christus sitzen sehen an großer Tafel, Sankt Johannes war sein Mundschenk – und Christus bewirtete alle Heiligen mit köstlichem Wein, und Sankt Petrus nahm sich des Kochens an und des Bratens, da gab es Essen in Fülle. Darauf sagte Bischof Heriger: Bessern Schenken als Sankt Johannes konnte sich Christus nicht erkiesen, denn dieser Gottesjünger trank nie Wein, während unsere Schenken viel trinken, aber Petrus kann doch nicht Koch im Himmel sein, da er des Himmels Pförtner ist. Doch sage an, welche Ehren dir im Himmel zuteil wurden? Welche Speise, welchen Trank ließ der Herr des Himmels dir reichen? An welchem Ort hast du gesessen? – Ich vermaß mich nicht, mich unter die seligen Himmelsgäste zu setzen, erwiderte der Lügner, sondern ich hielt mich heimlich in einem Winkel der Küche und nahm ein Leberlein oder Stückchen Lunge, das aß ich ungesehen. So hast du gestohlen in dem Himmel und konntest an dem heiligen Ort von deiner Art nicht lassen! rief der Bischof, und der Himmel sendet dich uns, daß wir dich dafür strafen. Ließ alsobald den Lügner an den Schandpfahl binden und mit Ruten stäupen, dann aber gehen, wohin er wollte.

Erzbischof Willigis war ein gelehrter und frommer Mann und von Herzen demütig. Er war von niederer und geringer Herkunft, sein Vater war ein armer Rademacher. Das machte ihm Neid bei den adeligen Domherren, die ihre Ahnenproben ablegen mußten und beschwören, die malten ihm heimlich Räder an die Türen und Wände seines Bischofhofes, zu Schmach und Schimpf, und spotteten: Das ist unsers Bischofs Ahnenwappen. Willigis aber, der fromme Mann, nahm sich das mitnichten als eines Spottes an, er ließ über seiner Bettstätte ein hölzernes Pflugrad aufhängen und in seine Gemächer weiße Räder in rote Wappenfelder malen und dazu einen Reim setzen, der lautete: Willigis, Willigis, denk, woher du kommen sid. Und nachher haben dem frommen Willigis zum Gedächtnis alle nach ihm kommenden Erzbischöfe dieses Rad als Wappenzeichen beibehalten, und Stadt und Bistum Mainz haben es angenommen und beibehalten bis auf den heutigen Tag.

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