müsse, könne er mit seinem Ränzel auf dem Rücken und auf seinem Stab gestützt gehen.
Und er ging auf die Berge zu, stieg rastlos hinauf und hinab; ganz entkräftet, konnte er noch immer weder Stadt noch Haus erblicken. Er war schon weit gegen Norden. Über ihm erglänzten die Sterne, seine Füße wankten, der Kopf schwindelte ihm. Tief unten im Tale erglänzten jetzt auch Sterne; es war, als erstreckte sich der Himmel auch unter ihm. Er fühlte sich krank. Die Sterne dort unten wurden mehr und mehr, und sie leuchteten immer heller und bewegten sich hin und her. Es war eine kleine Stadt, aus der die Lichter herauf blinkten, und als er es begriff, nahm er seine letzten Kräfte zusammen und erreichte eine geringe Herberge.
Einen ganzen Tag lang blieb er hier, denn seine Glieder verlangten nach Ruhe und Pflege. Es war Tau und Regenwetter im Tale. Aber am Morgen kam ein Drehorgelmann vorbei, und als er auch eine Melodie aus der dänischen Heimat spielte, konnte Knud es nicht länger aushalten, er wanderte tagelang, viele Tage lang, mit einer Hast vorwärts, als gelte es heimzukommen, ehe sie alle dort starben. Aber zu niemandem sprach er von seiner Sehnsucht, niemand konnte annehmen, daß er ein Herzeleid trug, das tiefste, das man tragen kann. Es versteckt sich vor der Welt, es läßt keine Freude zu, es versteckt sich selbst vor den Freuden, aber er hatte auch keine Freunde. Fremd wanderte er durch das fremde Land heimwärts nach Norden. In dem einzigen Brief von zu Hause, den die Eltern vor Jahr und Tag geschrieben hatten, stand: „Du bist kein rechter Däne wie wir anderen hier daheim. Wir sind fürs Vaterland, Du aber findest nur an der Fremde Gefallen.“ Eltern konnten so etwas schreiben ­nein sie wußten nicht, was ihn bewegte.
Es war Abend, er ging auf der offenen Landstraße und es begann zu frieren; das Land selbst wurde flacher und flacher, Felder und Wiesen wechselten einander ab; da stand am Wege ein großer Weidenbaum: alles sah schon heimatlich, fast dänisch aus. Er setzte sich unter den Weidenbaum; er fühlte sich so müde, sein Haupt sank auf die Brust und seine Augen schlossen sich zum Schlafe, aber er fühlte und vernahm deutlich, wie die Weide ihre Zweige zu ihm herabsenkte. Der Baum erschien wie ein mächtiger alter Mann. Es war Weidenväterchen selbst, der ihn in seine Arme nahm und den müden Sohn heim ins dänische Land trug, an den weißen offenen Strand, nach der Stadt Kjöge in den Garten seiner Kindheit. Ja, es war der Weidenbaum aus Kjöge selbst, der in die Welt hinausgegangen war, um ihn zu suchen und zu finden, und nun hatte er ihn gefunden und heimgebracht in den kleinen Garten am Bach, und hier stand Johanne in all ihrer Pracht mit der goldenen Krone auf dem Haupte, die er zuletzt an ihr gesehen hatte und rief: „Willkommen.“ Und dicht vor ihnen standen zwei wunderliche Gestalten, aber sie waren viel menschlicher geworden seit damals, sie hatten sich auch verändert. Es waren die beiden Honigkuchen, das Mannsbild und das Frauenzimmer; sie zeigten sich von der richtigen Seite und sahen gut aus.
„Schönen Dank“ sagten sie beide zu Knud; „Du hast unsere Zungen gelöst. Du hast uns gelehrt, frisch und frei seine Gedanken auszusprechen, sonst kommt nichts dabei heraus. -Wir sind verlobt!“
Darauf gingen sie Hand in Hand durch die Straßen von Kjöge und sahen auch von der Kehrseite sehr anständig aus, es war nichts gegen sie zu sagen. Und sie gingen geradewegs zur Kirche von Kjöge hinein, und Knud und Johanne folgten ihnen. Sie gingen auch Hand in Hand. Die Kirche stand wie immer mit ihren roten Mauern und dem Efeugrün, und die große Kirchentür öffnete sich nach beiden Seiten, die Orgel erbrauste und das Mannsbild und das Frauenzimmer gingen beide im Kirchengange voran: „Die gnädigen Herrschaften zuerst!“ sagten sie, und dann traten sie zur Seite vor Knud und Johanne, und sie knieten am Altar nieder. Sie beugte ihr Haupt über sein Antlitz, und es rollten eiskalte Tränen aus ihren Augen; das war das Eis um ihr Herz, das durch seine starke Liebe geschmolzen wurde, und sie fielen auf seine brennenden Wangen, und ­dabei erwachte er und saß unter dem alten Weidenbaum im fremden Lande an dem kalten Winterabend; aus den Wolken fiel eisiger Hagel und peitschte in sein Gesicht.
„Das war die glücklichste Stunde meines Lebens“ sagte er, „und sie war ein Traum. -Gott, lasse mich noch einmal so träumen!“ Und er schloß seine Augen, er schlief, er träumte.
Am Morgen fiel Schnee, er fegte über seine Füße hin, aber er schlief. Die Landleute gingen zur Kirche; da saß ein Handwerksbursche, er war tot, erfroren -unter dem Weidenbaum.